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Bar jeder Glaubwürdigkeit

Bar jeder Glaubwürdigkeit

Falsche Tatsachen, gravierende Lücken, inkorrekt wiedergegebene Zitate: In der Berichterstattung über den digitalen Euro und die Bargeldabschaffung ist alles dabei.

Falsche Tatsachen

Dass sich große Medien Fehler erlauben, wenn es um die Höhe geltender Barzahlungsgrenzen geht, ist keine Seltenheit. Laut einem Beitrag auf Tagesschau.de, erschienen am 29. September 2021, liegt die Bargeldobergrenze in Spanien „bei 2.500 Euro, in Italien bei 1.000 Euro“. Beide Zahlen waren bereits zum Veröffentlichungszeitpunkt falsch: Das Limit betrug in Spanien 1.000 Euro, in Italien 2.000 Euro.

In einem Beitrag vom Bayerischen Rundfunk von Januar 2023 heißt es bis heute, in Deutschland gebe es inzwischen „eine rechtliche Obergrenze für Bargeldzahlungen“. Die liege bei 10.000 Euro. Auch das ist falsch. Ferner schrieb der Autor, dass „seit 2023“ ein Bargeldverbot beim Immobilienkauf gelte. Tatsächlich griff die Regelung erst ab dem 1. April 2023.

Mangelnde Fehlerkultur

Am 28. Juni 2023 stellte die EU-Kommission ihre Pläne für den digitalen Euro vor. Zugleich präsentierten die Kommissare einen Verordnungsentwurf, der „Probleme bei der Annahme von Bargeld“ und „Schwierigkeiten beim Zugang zu Bargeld“ lösen soll. Konkret würden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, derlei Probleme zu beobachten und — wenn es notwendig erscheint — Gegenmaßnahmen zu ergreifen (1). Im Gesetzesentwurf für den digitalen Euro wiederum sind bereits Strafen für Einzelhändler vorgesehen für den Fall, dass sie das neue elektronische Zahlungsmittel ablehnen. Medien berichteten in dem Zusammenhang fälschlich, wie Brüssel den Zugang zu Bargeld sicherstellen möchte:

  • Weil die EU-Kommission merke, dass der Abbau von Geldautomaten und die Schließung von Bankfilialen Schwierigkeiten bereite, „sollen Einzelhändler künftig Scheine und Münzen auch ausgeben können, ohne dass Verbraucherinnen und Verbraucher etwas kaufen“ (Frankfurter Rundschau, 31. Juli 2023).
  • „Mit dem digitalen Euro sollen Kunden künftig bei Einzelhändlern Bargeld ausgehändigt bekommen können, ohne dass sie etwas kaufen“ (rbb24 und Tagesschau.de, 30. Juni 2023).
  • „Soll mit dem digitalen Euro das Bargeld abgeschafft werden? Nein, es soll sogar leichter verfügbar werden.“ So „sollen Einzelhändler künftig Scheine und Münzen auch ausgeben können, ohne dass Verbraucher etwas kaufen“ (NDR, 29. Juni 2023).

Der Deutschlandfunk ergänzt in einem laufend aktualisierten Beitrag ein weiteres Detail über die geplante Bargeld-Verordnung:

„So sollen die Gebühren an Geldautomaten transparenter werden und Einzelhändler Münzen und Scheine wechseln müssen, ohne dass die Kunden etwas kaufen.“

Beide Aussagen finden sich, mit kleinen stilistischen Unterschieden, spätestens seit dem 9. Juli 2023 auf der Internetseite des öffentlich-rechtlichen Senders.

Weder in der Bargeld-Verordnung noch in den online verfügbaren Presseerklärungen aus Brüssel vom 28. Juni 2023 fand ich einen Hinweis, dass solche Maßnahmen geplant wären (2). Ich versuchte meine Zweifel daran zu erhärten, dass Geschäfte in Zukunft Bargeld wechseln oder ausgeben müssten, und schrieb der EU-Kommission. Ein Pressesprecher antwortete, dass ihm derlei Pläne nicht bekannt seien und dass es in Brüssel unüblich sei, wenige Monate nach Vorlage eines Gesetzesvorschlags noch weitere Initiativen im selben Bereich zu starten.

Korrigierte Beiträge listet der Deutschlandfunk auf einer speziellen Seite: „Fehlerkultur: Korrekturen und Richtigstellungen für Transparenz und Glaubwürdigkeit — und gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe“ heißt es ganz oben.

Ich nutze die angegebene E-Mail-Adresse und mache die Redaktion am 31. Oktober 2023 darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmt mit der Aussage, Einzelhändler müssten in Zukunft als Geldwechsler oder Bankautomat fungieren. Auch nach 14 Tagen bleibt die Antwort aus. Die Falschtatsache steht weiterhin auf der Webseite.

Parallel schreibe ich dem Norddeutschen Rundfunk. Dort nimmt man den Hinweis ernst und korrigiert den Beitrag innerhalb von drei Tagen. Eine Übersicht über wichtige Änderungen bietet auch dieser Sender: „Wir stehen zu unseren Fehlern! Transparent macht sie der NDR schon seit Langem. Dies geschieht vor allem dort, wo sie passiert sind — direkt unter den Online-Beiträgen als Hinweis der Redaktion gekennzeichnet. Um es noch klarer zu machen, gibt es diese Seite“ für Korrekturen. Doch 14 Tage nach meiner E-Mail findet sich weder dort noch unter dem betroffenen Beitrag ein Änderungsvermerk.

Gravierende Lücken

„Ein Land ohne Bargeld — damit es faire Wahlen geben kann“ titelt die Welt am 25. Februar 2023. Im Dezember des Vorjahres hatte Nigerias Zentralbank die Banken angewiesen, ihren Kunden nur mehr bescheidene Summen Bargeld auszuzahlen: am Schalter 100.000 Naira pro Privatperson und Woche; das entsprach 214 Euro. Bei Überschreitung des Höchstbetrags sollten die Banken eine Strafzahlung von fünf Prozent abziehen. Im selben Zug erschienen neue 200-, 500- und 1.000-Naira-Banknoten; für die alten wurde eine kurze Umtauschfrist verkündet.

„Die Regierung hatte mit einer Währungsreform eigentlich Bestechung verhindern wollen — und löste stattdessen ein Chaos aus“, heißt es in der Welt. Davon liefert die Zeitung eine eindrückliche Reportage. Doch geht es wirklich nur um Bestechung? Zentralbankchef Godwin Emefiele sagte der Presse am 26. Oktober 2022: „Statistiken zeigen, dass sich über 85 Prozent des Bargeldumlaufs außerhalb der Tresore der Geschäftsbanken befinden.“ Dies „ist ein besorgniserregender Trend, der sich nicht fortsetzen darf“.

Der Zentralbankchef benannte damit einen möglichen Profiteur: Ein Detail mehr — und die Geschichte erscheint in neuem Licht. Emefiele sagte beim selben Anlass: „Wir glauben außerdem, dass die Neugestaltung der Währung unsere Bemühungen um eine bargeldlose Wirtschaft unterstützen wird“ — das befördere den Umlauf der elektronischen Naira, Nigerias Digitalwährung.

Probleme beim Zitieren

Mit „‚Das Bargeld ist nicht in Gefahr‘“ kommentierte die Zeit mit einem Zitat in der Titelzeile den Vorstoß des österreichischen Bundeskanzlers, Bargeld verfassungsrechtlich abzusichern. Wahrscheinlich wurde der Satz aus den Worten von ÖVP-Politiker Othmar Karas abgeleitet. Ihn zitieren die Autoren im Text mit: „Das Bargeld braucht nicht ‚gerettet‘ zu werden, weil es nicht in Gefahr und in den EU-Verträgen abgesichert ist.“

Das bestätige auch Martin Selmayr, Vertreter der EU-Kommission in Österreich, in einer Nachricht auf Twitter (X). „‚Maßnahmen, die die rechtliche oder faktische Abschaffung des Bargelds bezwecken oder bewirken, sind nicht zulässig‘“, zitiert die Zeit den Beamten. Tatsächlich jedoch formulierte er:

„Der EuGH urteilte explizit, dass das EU-Recht ‚einer Regelung entgegensteht, die die rechtliche oder faktische Abschaffung des Euro-Bargelds bezweckt oder bewirkt, indem sie insbesondere die Möglichkeit untergräbt, eine Geldleistungspflicht in der Regel mit solchem Bargeld zu erfüllen‘“ (3).

Doch auch Selmayr selbst zitierte unvollständig und damit irreführend. Nicht von einer „Regelung“ sprachen die Richter, sondern vom „Erlass einer nationalen Vorschrift“. Maßnahmen auf EU-Ebene waren nicht Verhandlungsgegenstand in dem Gerichtsverfahren zwischen Norbert Häring und dem Hessischen Rundfunk.

Faktencheckern vom Bayerischen Rundfunk muss das aufgefallen sein, denn in ihrem Beitrag vom 22. September 2023 heißt es fälschlicherweise, der Europäische Gerichtshof stelle „laut Selmayr“ fest, „dass das EU-Recht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Abschaffung des Bargeldes ‚bezweckt oder bewirkt‘“.

Irreführende Aussagen

Damit ist eine Gefahr fürs Bargeld nicht aus der Welt. Denn die zitierten Richter äußerten sich zu Barzahlungsverboten. Wenn der Einzelhandel Banknoten und Münzen zunehmend ablehnt, geht dem Bargeld seine wesentliche Eigenschaft verloren: die eines Zahlungsmittels.

Zu den Standards beim Faktenchecken zählt es, alle Schlüsselelemente einer Behauptung zu überprüfen. Darauf weist der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring in einer ausführlichen und lesenswerten Kritik hin. Hätte sich der Bayerische Rundfunk daran gehalten, wäre er in seinem Faktencheck zu dem Schluss gekommen, dass Warnungen vor einer Bargeldabschaffung insofern begründet sind, als Bargeld seine Bestimmung als Zahlungsmittel zu verlieren droht.

Der Bayerische Rundfunk hatte die These zweier Internetnutzer überprüft. Sie zitiert der Sender im Hörbeitrag mit den Sätzen „Achtung, Bargeld soll weg!“ und „Die wollen die totale Kontrolle — und es wird kommen, so oder so“. Der BR interpretierte aus den Aussagen, „die EU plane, Bargeld komplett abzuschaffen“. Das stimme nicht.

Eine Definition dieser kompletten Bargeldabschaffung lieferten die Faktenchecker nicht. Ist der Punkt erreicht, wenn Barzahlungen ab null Euro verboten sind? Oder wenn kein Geschäft Bargeld akzeptiert? Oder vielleicht dann, wenn die Europäische Zentralbank die Ausgabe von Banknoten einstellt oder gar alle umlaufenden Scheine für ungültig erklärt?

Immer wieder tauche die Forderung auf, Bargeld im Grundgesetz zu verankern, so der BR.

„Doch das ist gar nicht nötig. Die Fakten: Bargeld ist in der Europäischen Union durch das Verfassungsrecht geschützt. Würde man Bargeld als Zahlungsmittel abschaffen wollen, müssten alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen.“

Die Botschaft also: Alles in bester Ordnung.

Österreichs Nationalbankchef Robert Holzmann kritisierte in einem Gespräch mit der Kronen-Zeitung von August 2023, dass die Debatte „nicht präzise“ geführt werde.

„In den EU-Verträgen ist zwar festgelegt, dass der Euro das gesetzliche Zahlungsmittel ist. Aber im EU-Recht ist nicht geregelt, ob das Bargeld als Zahlungsmittel angenommen wird. Da braucht es eine Nachschärfung.“

Immer mehr Geschäfte lehnen Bargeld ab. Auf die Frage der Krone, ob er befürchte, „dass eine Abschaffung des Bargelds durch die Hintertür kommt“, antwortete Holzmann: „‚Wehret den Anfängen‘, kann ich da nur sagen.“

Unklare Begrifflichkeiten

Um zu vermeiden, dass der Hörer oder Leser einen falschen Schluss zieht, bedarf es zumindest einer klaren Definition der diskutierten These. Ob Bargeld geschützt oder Barzahlungen vor einem Totalverbot durch die Mitgliedsländer geschützt sind, macht einen Unterschied.

Mit dem Untertitel „Rechtspopulisten warnen vor einer angeblich drohenden Bargeldabschaffung, um Angst vor ‚totaler Überwachung‘ zu verbreiten“ hat der Bayerische Rundfunk in der Onlineversion seines Faktenchecks zudem einer nicht näher definierten Gruppe von Menschen ein Motiv unterstellt, für das er keinen Beweis vorbringt.

Das lässt generell ein unschönes Bild von Leuten entstehen, die vor der Verdrängung oder Abschaffung des Bargelds warnen.

Fazit

Öffentlich-rechtliche Medien, namentlich NDR und Deutschlandfunk, werben mit Fehlerkultur, während sich Teile ihrer Leserschaft weiterhin in dem Glauben wiegen, die EU-Kommission plane, Einzelhändler zu verpflichten, Bargeld zu wechseln oder auszugeben. Rundfunkgebühren-finanzierte Sender haben sich auf Informationen aus zweiter Hand verlassen, obwohl die Primärquelle, das heißt der Entwurf zur Bargeldverordnung, von Anfang an öffentlich im Internet stand. Mehr Recherche wäre wünschenswert.

Leser sollten sich darauf verlassen können, dass Zitate in Anführungszeichen dem Original entsprechen. Für die bedeutungswahrende Wiedergabe entgegen dem Wortlaut gibt es die indirekte Rede. Dass der Bayerische Rundfunk der Aussage von Martin Selmayr eine ursprünglich nicht vorhandene Bedeutung hinzufügt, ist ein No-Go. Im Umgang mit eigenen Fehlern, genauso wie mit Thesen, Fakten und Zitaten, darf von großen Sendern und Verlagen mehr erwartet werden.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Laut dem Entwurf zur Bargeld-Verordnung würde es bereits ausreichen, wenn Mitgliedsländer lediglich „Postämter, Supermärkte, Apotheken oder das Gesundheitswesen“ auf die Annahme von Banknoten und Münzen verpflichten. Die Europäische Zentralbank übt Kritik. Mehr: https://bargeldverbot.info/2023/10/28/ezb-annahmepflicht/
(2) Die Presseerklärungen gibt es hier: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_3501 und https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/qanda_23_3502 und https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/statement_23_3551 und https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/speech_23_3576
(3) Martin Selmayr gibt in Klammern Randnummer 62 des verlinkten Urteils als Quelle an.

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