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Coronafrei

Coronafrei

Wenn wir verhindern wollen, dass ein einziges Thema unser Leben und unsere Seele verschlingt, müssen wir lernen, mehr auf uns zu achten.

Ich habe geweint. Heute. Gestern. Und davor vermutlich auch. Still und leise weint meine Seele seit vielen Wochen. In den vergangenen Tagen lief das Fass einfach über.

Neben aller Wut, die sich ihren Weg in Aktionismus bahnt mit der notorischen Frage: „Was kann ich noch dazu beitragen, dass sich unsere Zeit zum Guten wendet?“, zeige ich, wie viele andere auch, Ermüdungserscheinungen. Tagein, tagaus diktiert die Konfrontation mit dem C-Thema meinen Lebensalltag, meinen Blick in die Welt, stellt mich vor die Herausforderung: „Woher nehme ich die Kraft, wie komme ich wieder in die Balance, wo ist der coronabefreite Ort, an dem ich wieder die köstliche frische Luft der Einvernehmlichkeit atmen kann?

Seit vielen Jahren ist mein Steinweg Stutzflügel bei einem Klavierbauer untergestellt — geparkt, stumm wartend, wann er wohl wieder Teil meiner Lebenswelt sein wird. Im schnellen Takt der Aufgaben und nun auch einer Zeit, an deren unser ganzheitliches Überleben und das unserer Kinder hängt, verliere ich schnell aus den Augen, wie wichtig Seelennahrung ist.

Zwar leben wir umringt von Natur, wofür wir bereits besonders dankbar sein dürfen, doch ich schaffe es kaum, mir zu erlauben, mich aus dem Korsett der Pflichten und dem strammen Verantwortungsbewusstsein zu entlassen. So sitze ich viel und schreibe, lese dann doch wieder die Hiobsbotschaften, höre mich all das kommentieren, rufe mich mit wenigen Wegbegleitern zusammen, um den Ringschluss auf gleicher Wellenlänge zu pflegen.

Aufeinander achten

Gespräche mit echten Weggefährten zu führen, ist nahezu lebensnotwendig geworden. Weniger um sich gegenseitig vom Neuesten zu berichten oder sich gar darüber zu ereifern, nein im Gegenteil: Es geht uns vor allem darum, auf uns zu achten. Wir spüren, wie schnell das Innere aus dem Gleichklang gerät, wie Unrast, Verzweiflung, Trauer fast zur Lähmung der persönlichen Sorgfaltspflicht führen. Wir passen aufeinander auf. Wir helfen unserem Gefährten, wenn zu viel Zerstörerisches Besitz von ihm ergreift. Wir sind Helfershelfer.

Wir erinnern uns daran, dass wir gerade jetzt nicht ebenfalls zu Maschinen mutieren dürfen, sondern dass das höchste zu erhaltende Gut unsere Seele ist — etwas, was Narzissten für unbedeutend halten, zugleich aber auch für etwas, was es zu erfassen und unter Kontrolle zu bringen gilt. „Das narzisstische Spektakel, welches sich vor unseren Augen in unglaublichen Dimensionen ausrollt, frisst unsere Seele.“

Die Seelennahrung bewahren

Tränen rollten über meine Wangen, als ich diesen Satz in mir hörte, während ich einer unglaublichen Chopinkonzert-Interpretation lauschte und mir dadurch schmerzhaft deutlich wurde, was mit dem Untersagen von Konzerten, den Darbietungen unter solchen Beschränkungen bewirkt wird. Einen Tag zuvor hatte ich mir bereits all die Meldungen zu den dramatischen Existenzständen unserer Kinderchöre zusammengesucht, die zu einem wichtigen Kultur- und Bildungsgut unseres Landes zählen.

Mein Herz wurde bleischwer und eine vorher kaum wahrgenommene Angst umklammerte mich: „Die Ausübung von Musik, unsere Verbindung zur Welt der Klänge, dem sich berühren lassen von dieser einzigartigen, heilsamen Art und Weise, im Fluss mit der schöpferischen Kraft zu sein, das alles darf nicht sterben!“

Ich sehnte mir meinen Flügel herbei, um in Verbindung mit dem Hunger meiner Seele an weitaus ganzheitlichere Tage meines Lebens anzuknüpfen. Doch wann ich selbst wieder meine Tasten streicheln kann, weiß ich nicht. Offenbar war es der Hunger, der mich aufhorchen und mich an diesem Morgen eine andere Arbeitsstimmung gestalten ließ.

Ich hatte die Botschaft meiner weinenden Seele, meiner Tränen angenommen. Ich wählte eine Musik, die zumindest für mich mit einer tiefen inneren Berührung einhergeht. Ob ich den ambitionierten Kinderchören lausche, gerade jetzt, wo wir in die adventliche Zeit steuern, oder ob ich über Klavierklänge für die Zartheit des Lebens hinter all dem Kampf empfänglich werde, es hat mich zutiefst erschüttert, dass diese Werte in unserer Gesellschaft so leichtfertig preisgegeben werden, wo zugleich der Aufschrei nach Liebe, nach Mitgefühl, nach Frieden, nach Seelenqualitäten unüberhörbar laut geworden ist.

Neue Wege der Berührung

Ohne Berührungen kann kein Lebewesen auskommen. Kein LEBEwesen. Transhumanisten vielleicht schon. An dieser Stelle bekenne ich mich zum MENSCHSEIN. Vollumfänglich, kompromisslos. Ich möchte auch kein Hauff'sches Herz aus Stein, nur um keine Orientierungsnot im Meer meiner Gefühle zu haben, kein Kaltes Herz, welches den eigenen Schmerz und das Leid der Welt einfriert.

Ich habe ein warmes, schlagendes, ein wildes, fühlendes, ein sprechendes Herz. Wir alle haben mit einem solchen oder ähnlichen Herzen den Weg in dieses Leben angetreten. Das war eine großartige Mitgift. Wir alle haben die Fähigkeit, den Willen, den Mut, die Weitsicht, für die Bedeutung dieses Geschenks einzutreten — wenn wir uns hierfür positionieren. Wenn wir jeden Tag mit uns selbst in Verbindung bleiben, wenn wir zulassen, der zarten Stimme genauso zuzuhören wie unserem Schrei nach Gerechtigkeit, dann bleiben wir berührt von den Zeichen des Lebens. Zeichen, die uns helfen wollen, das Wesen dieses Planeten nicht durch rohe Gewalt an ihm und uns bis zu seiner und unserer Zerstörung hin zu verändern.

Fragen Sie sich in stillem Minuten, nach was dürstet Ihre Seele, was rührt Sie, wo kullern vielleicht auch Tränen der Berührung, mit einem inneren Seufzer „Gott, wie lange ist das schon her….“.

Bewusstes Engagement

Kleine Kinder wollen unbedingt mitbestimmen und ihren Radius hierbei nahezu stündlich erweitern. Wo ist unsere Ambition aus diesen Tagen hingekommen, immerhin geht es um unsere zentrale und durchaus mächtige Seins-Quelle. Speisen wir unsere Seele nicht ebenso achtsam wie unseren Körper, so wird das Leben ein Vegetieren, zu etwas, was einer Existenz im Maschinenzeitalter, dem Transhumanismus viele gute Argumente von sich aus in die Hände legt.

Seelennahrung scheint etwas zu Ungreifbares, zu Fernes, zu Nebensächliches zu sein, als dass es gerade in diesen Tagen unsere Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. Und ja, ich reihe mich durchaus ein — es ist unglaublich zäh, sich loszureißen und sich statt all der wichtigen Dinge, beinahe vorsätzlich, dem Persönlichen zu widmen. Doch was ist wirklich wichtig? Bewusst die Berührung mit der Seele, dem Emotionalen in sich zu suchen, macht höchst empfänglich für inspirative nährende Impulse. Was durchaus abwegig für unsere Vernunft, deren Ratschläge im Umgang mit den Verwerfungen im Land und in der Welt erscheint, ist ein gefundenes Fressen für jenen Teil in uns, der durch unser allzu technologisches Verständnis an Abonnenten und Klicks eingebüßt hat — unser seelisch-emotionales Wohlbefinden.

Chef im Seelenzuhause

Wir besuchen keine Konzerte, aber wir können uns die Musik ins Haus holen, wir können selbst zum Instrument werden. Wenn wir uns von Klängen berühren lassen, dann schwingen wir. Interessierten seien hierzu der Film „Water“ und die Erkenntnisse von Masuro Emoto ans Herz gelegt. Da wir zu einem Großteil aus Wasser bestehen, sind wir hoch empfänglich für Schwingungen.

Keiner wird sich an seine Zeit als Embryo im Mutterleib erinnern können, grundsätzlich bekannt ist allerdings, wie sehr das heranwachsende Wesen die Stimmungen der Mutter aufnimmt. Es schwimmt im Fruchtwasser, ist umgeben von Schwingungen. Wir können uns das heute gezielt zunutze machen, wenn wir mit Klängen, die Liebe, Mitgefühl, Frieden aussenden, in Resonanz gehen, wenn wir uns von ihnen reinigen und tragen lassen. Durch meine Beschäftigung mit dem Thema der Kinderchöre bin ich auch mit der Bedeutung des Singens in Kontakt gekommen.

Singen ist eine so wunderbare Möglichkeit, unserer Seele sowohl Flügel zu verleihen als auch psychischen Stress und Ängste abzubauen, um auf diese Weise unser Immunsystem zu stärken. Es gibt sie also — Mittel und Wege, um Chef im eigenen Seelenzuhause zu bleiben.

Promi im eigenen Lebensfilm

Schauen wir nicht zu sehr auf all diejenigen, die im Marathon für das Gute bereits viel von ihrer Kraft gelassen haben. Sie waren vor allem da, damit wir uns an ihnen ein Beispiel nehmen, nicht um uns digital von ihnen berühren, versorgen zu lassen. In unserer Projektion auf wenige, denen wir zwar unseren Zuspruch gegeben haben, blieb das Wesentliche von uns inaktiv: unsere eigene Fähigkeit zu berühren.

Es geht all jenen, die sich starkmachen, nicht um ihre Prominenz, sondern um das sich Treubleiben, das Kontinuum, das Weitermachen. Doch keiner kann auf Dauer immer noch mehr geben, weshalb es wichtig ist, dass wir alle zu „Promis“ werden. Jeder hat ein Thema, welches ihn besonders berührt, bei dem er seine Seele weinen hört und für deren Erhalt er sich traut, aus der Deckung zu kommen. Sobald wir den Schrecken spüren, der uns ereilt, wenn wir nicht für das Seelenleben der Menschen, unserer Kultur, auch das der Natur und dieses Planeten eintreten, sollten ihn willkommen heißen wie eine kalte Dusche nach tiefem Schlaf.

Sichtbares Vorbild

Wir sind stark, wir können es aushalten, uns von dem Unheil berühren zu lassen, angesichts dessen, was gerade vor unseren Augen, über Nacht und Nebel, von der Bildfläche zu verschwinden droht — unser Seelenleben samt seiner vielseitigen Kraftquellen. Sollten wir am eigenen Leib unsere Entmenschlichung zulassen, weil wir untätig bleiben, weil wir uns zu schwach, zu unbedeutend, zu einsam fühlen, dann tragen wir ebenso zu allen weiteren Geschehnissen mit bei. In dem oft so schnell übergangenen, weggewischten Moment echter seelischer Berührung liegt zugleich unser Händedruck mit dem einzig mächtigen Verbündeten: dem Leben selbst.

Es geht viel weniger um das Erscheinen auf großen Filmleinwänden oder viel besuchten digitalen Plattformen, als vielmehr darum, ein sichtbarer, spürbarer, berührbarer Akteur im eigenen Lebensfilm zu sein. Das Eigene — auch ohne die herkömmliche Prominenz — wird so zur ansteckenden fruchtbaren Keimzelle, das Aktive, das Starke, das Mutige, das Liebende in anderen Menschen zum Vorschein zu bringen. Wenn ein jeder einen anderen berührt, dann ergibt das in Summe eine unüberschaubare Menge. Sind wir anderen behilflich, ihre Seele zu nähren, sie hierfür inspirieren, ermutigen, dann werden wir gleichzeitig zu nachahmungswürdigen Vorbildern, zu aktiven Bewahrern und damit vielleicht auch zu Wesen, zu denen andere gerne aufschauen und an denen sie sich orientieren.

Corona.Frei

Im Auto hören wir seit längerem bereits andere Klänge — ganz gezielt, sehr bewusst und mein kleiner Sohn wählt diese Musik, selbst wenn Radio mit im Angebot ist. Ich habe ihn nie dazu animiert, ich habe ihm einfach immer wieder verschiedene Klangangebote unterbreitet, wenig Radio, mehr Selbstgewähltes. Daher schaue ich etwas bedrückt auf die Ausstattung meines nächsten Wagens — ohne CD-Player. Wir müssen technisch umsatteln, was mich ärgert. „Never change a running system.“ Allerdings werden meine damit verbundenen Bemühungen nichts an meiner Freiheit zur Musikwahl ändern.

Ich werde nicht aus Bequemlichkeit umsatteln, jetzt noch viel weniger. In diesen kleinen Alltagsoptionen sehe ich stattdessen große Chancen für „Corona-freie“ Seelenhäppchen. Wenn mich nicht die Gespräche im kleinen Kreis der Helfershelfer angeregt hätten, wenn ich nicht ermattet von all den äußeren Bemühungen empfänglicher für das Schluchzen meines Inneren, meines kostbaren Seelenguts geworden wäre, dann wäre ich ebenfalls untätig geblieben — untätig für mein eigenes Seelenheil zu sorgen und damit für alles, was ich in Berührung mit Menschen und dieser Welt auszusenden vermag.

Vielleicht beginnt es mit einer anderen Musik im Auto, vielleicht mit einem ersten Mitsummen einer schönen Melodie. Vielleicht folgt darauf ein Abend „Corona.Frei“, mit Stunden ohne das, was unsere Seele frisst, sondern angereichert mit dem, was sie nährt. Stunden, die wir uns gönnen, weil wir nur als Körper-Seele-Geist-Menschen das Beste in der Welt bewirken können und weil wir genau dafür das Zerbrechlichste in uns erhalten müssen. Bleiben Sie hierfür berührbar, inspiriert, mutig und aktiv!


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Quellen und Anmerkungen:

Entschleunigte Interpretationen, die das ursprünglich Seelenhafte der Stücke spürbar machen:


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