Die Arbeit des Volkskongresses auf Basis-Ebene in der Stadt Ningbo
Anfang März 2025 war die jährliche Tagung des Nationalen Volkskongresses in Beijing. Wie erfolgt eigentlich die Arbeit der demokratisch von der Bevölkerung gewählten Delegierten der Bezirks-Volkskongresse?
Recherche in der Stadt Ningbo
Anfang Dezember 2024 flog ich aus Südchina in die Hafenstadt Ningbo mit 9 Millionen Einwohnern, um mich vor Ort über die Arbeit des Volkskongresses auf Grassroot-Ebene zu informieren. Ningbo liegt in der Mitte der Ostküste Chinas, südlich von Shanghai. Ein TV-Team der Deutschen Abteilung des Chinesischen CGTN (China Global Television Network) unterstützte mich und dokumentierte den Besuch. Mich interessierten zwei Themenbereiche: einerseits die Situation der Container-LKW-Fahrer im Hafen, einer der größten Containerhafen weltweit, andererseits die kommunale Arbeit in einem Stadtviertel.
Der Ningbo-Zhoushan Hafen im Bezirk Beilun
Wir fuhren zum Xinqi-Hengpu-Parkplatz, einem der sieben riesigen Parkplätze im Hafengebiet von Ningbo. Auf diesem Parkplatz finden 1.800 Container-LKW einen Platz. In Ningbo leben 24.000 LKW-Fahrer, die 20.000 Container-LKW fahren. Die Gruppe der LKW-Fahrer steht aufgrund ihrer großen Anzahl und Bedeutung im Logistik-Prozess im Zentrum der Mitbestimmungsbemühungen in Ningbo. Unser erster Anlaufpunkt war das ‚Haus der Fahrer’. ‚Immer unterwegs’, ‚LKW als Zuhause' beschreiben das Leben der LKW-Fahrer perfekt. Im Fahrerhaus, einem Sozialgebäude, finden die Fahrer Aufenthaltsräume mit Ruheräumen, Toiletten, Duschen, einen Herd zum Aufwärmen von Speisen. Auch Sportmöglichkeiten werden angeboten, wie ein Basketballplatz, Tischtennis und Billard, die die Lebenssituation der Fahrer wesentlich verbessern und stabilisieren. Es werden auch Kurse über sicheres Fahren und Gesundheitsthemen organisiert. Manche der 21 Fahrerhäuser in Ningbo bieten auch Dienstleistungen wie Kinderbetreuung sowie Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten für die Frauen der Fahrer an. Das Fahrerhaus, das auf Initiative lokaler Delegierter des Volkskongresses errichtet wurde, wird finanziert vom Bezirk Beilun, von Logistikunternehmen und Lieferanten.
Wohnheime und Schulen für Fahrer-Familien
Da viele Fahrer aus anderen Provinzen stammen, wollen sie, wenn sie oft in Ningbo zu tun haben, sich hier niederlassen und die Familie nachholen. Dafür stellt der Volkskongress auch Wohnheime zur Verfügung. Wir haben ein mehrstöckiges Wohnheim mit 808 Garconnieren besucht, wo Fahrer mit ihrer Familie wohnen können. Die Wohnungen, die wir besichtigen konnten, waren alle sauber und gepflegt. Da die Wohnungen klein sind, habe ich eine Mieterin gefragt, ob sie vorhaben, eine größere Wohnung außerhalb des Heims zu kaufen. Sie meinte, sie haben aktuell alles sehr günstig, was sie benötigen: Wohn- und Schlafraum, Dusche, Kühlschrank, Klimaanlage, Geschäfte zum Einkaufen in der Nähe ebenso den Platz, auf dem ihr Mann arbeitet. Sie fühlen sich sehr wohl, werden nicht wegziehen. Nicht weit von diesem Wohnheim haben wir auch die „Chaiqiao Experimentale Grundschule“ besucht, in der hauptsächlich Kinder von Fahrern unterrichtet werden. Ein sehr schönes großes Gebäude unter guter Leitung, wie ich bei einem Gespräch mit der Direktorin Frau Shanzhen Wang feststellen konnte. Pro Klasse werden 18 Kinder unterrichtet, also pädagogisch eine sehr überschaubare Zahl.
Wie geht es den Fahrern?
Herr Gaojian Xu, ein erfahrener Fahrer, schildert mir seine Situation. Seine Arbeit besteht darin, Container von außerhalb in das Hafengebiet zu bringen sowie innerhalb des Hafenparkplatzes oder zwischen verschiedenen Parkplätzen Container umzurangieren, abhängig von Unternehmen, Produktsparte oder geplantem Ziel des Containers. Ich fuhr mit ihm in seinem Elektro-LKW im Hafen zu verschiedenen Plätzen. Die Arbeit ist anstrengend, da der Fahrer mit hoher Konzentration den LKW positionieren muss, damit er beim Beladen oder Entladen der riesigen Container keine Unfälle produziert. Er transportiert täglich 20 Container und verdient circa 12.000 bis 13.000 Renminbi (RMB) (1.600 bis 1.700 Euro) pro Monat und arbeitet im Schichtdienst, inklusive Überstunden etwa 60 Stunden pro Woche. Er ist mit seiner Arbeit und dem Umfeld am Parkplatz und dem Fahrerhaus sehr zufrieden. Allerdings beschäftigt die Fahrer im Moment ein Problem.
Problem der Fahrer
Die Containerlogistikbasis einschließlich der LKW-Parkplätze befindet sich im Vorort der Stadt, um den Verkehr im Zentrum zu entlasten. Dies sorgt dafür, dass die Wohnorte vieler Fahrer weit entfernt von den Parkplätzen liegen, wo ihr LKW steht. Die Distanz zwischen den Bushaltestellen ist groß. Die Fahrfrequenz der Buslinien ist angesichts der Betriebskosten nicht häufig genug. Außerdem stimmen die Betriebszeiten der Buslinie mit den diversen Schichtzeiten der Fahrer nicht überein. Aufgrund der langen Pendelzeit und hohen Kosten, wenn sie mit dem privaten Auto zur Arbeit fahren, wünschen sich die LKW-Fahrer sehnlichst, die Pendelzeiten zu verkürzen und Pendelkosten zu senken.
„Runde Tische“ für Problemlösungen
Am Tag nach dem Gespräch mit dem LKW-Fahrer gab es einen „Runden Tisch“, zu dem ich eingeladen war. Teilnehmer waren Vertreter von LKW-Fahrern, Vertreter des LKW-Branchenverbands, Vertreter des Busunternehmens und Delegierte des lokalen Volkskongresses. Es wurde über die Optimierung der Buslinien und Einrichtung einer neuen Bushaltestelle diskutiert. Zudem benötigen die Fahrern für die Fahrt von der Haltestelle zum Arbeitsplatz mehr kostenlose E-Roller. Für den Nachmittag desselben Tages wurde ein Termin vereinbart, um den anvisierten Platz für eine neue Bushaltestelle in Abstimmung mit der Verkehrspolizei auf Sicherheit zu prüfen. Auch andere Themen brachten die Fahrern zur Sprache, beispielsweise den Wunsch nach mehr Kinderspielplätzen bei den Wohnheimen. Ein Delegierter berichtete, dass es an fünf Standorten freie Flächen gibt, die schon als Kinderspielplätze vorgesehen sind.
Es wurde sehr sachlich und lösungsorientiert diskutiert, ich hatte den Eindruck, dass versucht wird, die diversen Wünsche der Fahrer positiv aufzunehmen und einer Lösung zuzuführen. Die Delegierten des Volkskongresses sind Mittler zwischen den Fahrern und den diversen für die Realisierung zuständigen Abteilungen der Stadt.
Fahrerhaus als Kontaktstelle des Volkskongresses des Bezirks
Das besuchte Fahrerhaus ist auch die Kontaktstelle der Bezirks-Delegierten des Volkskongresses für die Arbeiter der Hafen- und Transportindustrie im Bezirk Beilun. Ich befragte Herrn Wang, den Delegierten, der die Kontaktstelle leitet, welche Funktion die Kontaktstelle und der Volkskongress haben. Er erklärt: „Die Kontaktstelle ist ein Ort, wo der Volkskongress als Organisation und die Delegierten direkten Kontakt mit den Menschen aufnehmen können, um sich mit ihnen zusammenzusetzen und Meinungen auszutauschen. Der Volkskongress des Bezirks ist eine der Basisorganisationen im Bezirk Beilun. Die Delegierten haben die Verantwortung, die Menschen zu kontaktieren, in Wohnviertel zu gehen, Menschen im Bezirk anzuhören und deren Meinungen an entsprechende Abteilungen der Stadt-Regierung weiterzuleiten.
Sie kommen auch regelmäßig zur Kontaktstelle. Delegierte veröffentlichen im Fahrerhaus ihren eigenen „QR-Code“ und ihr Foto mit Namen. Indem sie den QR-Code mit dem Handy scannen, können die Menschen ihre Meinungen an die Delegierten schicken. Kleine Probleme können oft rasch gelöst werden, bei größeren sind die Delegierten die Verbindungsstelle zu den verantwortlichen Abteilungen der Stadt und behalten die Probleme bis zur Erledigung in Evidenz. Die zuständigen Abteilungen der Bezirks- oder Stadtregierung sind verantwortlich für die Implementierung der Vorschläge. Anschließend holen die Delegierten bei der Bevölkerung Feedback ein, ob sie mit den Ergebnissen zufrieden sind.
Kommunale Wohnviertel-Probleme im Bezirk Jiangbei
Der Bezirk Jiangbei kann auf eine lange Geschichte zurückschauen. Die Kolonialherren errichteten im 19. Jahrhundert am Yongjiang-Fluss, nicht weit vom Wohnviertel Zhuanqiaoxiang, Handelszentren, die heute als Bar-Meile restauriert sind. Es ist ein etwa 30 Jahre altes Viertel. Viele junge Familien zogen damals in die neuen Gebäude, inzwischen wurden sie zu Senioren. In der Wohnanlage gibt es eine drei Stock hohe Plattform, unter der sich Geschäfte befinden und auf der die neun Wohngebäude gebaut wurden. Die Einwohner müssen drei Stock über die Plattform steigen, wenn sie ihre Wohnungen erreichen wollen. Das war für die Bewohner vor 30 Jahren kein Problem, aufgrund des steigenden Alters wurde es jedoch zum Problem. Die Einwohner äußerten den großen Wunsch, einen Aufzug von der Straßenebene bis zur obersten Plattform zu installieren.
Hausbesuche
Ich besuchte einige Bewohner in ihren Wohnungen, alle Wohnungen waren sehr gepflegt, die Menschen haben ein gemütliches Zuhause. Ich wurde mit Tee versorgt und fragte sie nach ihren Wünschen.
Alle meinten, sie wohnen sehr gerne in diesem Viertel, da es viele Einkaufsmöglichkeiten gibt und die Luft aufgrund des nahen Yongjiang-Flusses sehr gut ist.
Sie wünschen sich aber dringend die Fertigstellung des Aufzugs. Ein 80 Jahre alter Mann erklärte mir die Vorgeschichte. Er las vor zwei Jahren in einer Lokalzeitung, dass die Regierung von Ningbo ein Programm aufgesetzt hat, in alten Wohngebäuden Aufzüge einzubauen. Er sprach mit der Verantwortlichen des Nachbarschaftskomitees und am selben Tag waren Beamte der zuständigen Regierungsabteilung zur Besichtigung der Gegebenheiten vor Ort und meinten, es müsse grundsätzlich möglich sein, dort einen Aufzug zu installieren. Der lokale Volkskongress übernahm die weitere Koordination.
Behörden müssen ihm binnen sieben Tagen die Anfragen beantworten. Die Abgeordneten haben bei „Night Chats“ mehrmals mit Vertretern der Einwohner, Vertretern des Aufzugsunternehmens, Vertretern des Bezirks und des Büros für Wohnungsbau über die Installation des Aufzugs diskutiert und auch Untersuchungen gemacht. Die endgültige Entscheidung fiel sehr rasch. Bis zum Baubeginn dauerte es jedoch zwei Jahre, denn die technischen Vorprüfungen und Vorarbeiten durch diverse Abteilungen der Regierung waren komplex. Es mussten Strom-, Wasser- und Gasrohre verlegt werden, die Feuerwehr musste die Sicherheitsanforderungen festlegen und die Bewohner mussten zustimmen.
Die Bewohner wählten selbst die Aufzugfirma aus. Am 29. September 2024 wurde der Aufzugbau begonnen und Anfang 2025 fertiggestellt. Die Baukosten betragen 400.000 RMB, circa 54.000 Euro. Die Hälfte der Baukosten übernimmt die Stadt Ningbo. Die Bewohner müssen selbst nichts zum Bau des Aufzugs beitragen, 95 Familien profitieren von dieser Vereinbarung. Ich fragte den alten Mann, wer die restlichen und laufenden Kosten für Strom, Reinigung, Wartung, et cetera bezahlt. Er sagte, das sei noch nicht entschieden und würde heute Abend im Rahmen des „Night Chat“ des Bezirks-Volkskongresses diskutiert.
Der „Night Chat“ - ein „Runder Tisch“ am Abend
Abends fand dann der im Haus öffentlich angekündigte „Night Chat“ mit Bewohnern, dem Technischen Projektleiter des Bauunternehmens, der Bauabteilung des Bezirks, Vertretern des Nachbarschaftskomitees und Abgeordneten des Volkskongresses statt. Ich wurde eingeladen, am „Night Chat“ teilzunehmen. Auf der Tagesordnung standen die restliche Finanzierung, Wartung und die Pflege des Aufzugs sowie eventuelle Störungen der Bewohner durch die Bauarbeiten. Der Vorschlag der Aufzugsfirma für die Bezahlung der restlichen Bausumme und Strom- und Wartungskosten war folgender: Die Aufzugfirma finanziert vor, die Bewohner zahlen 15 Jahre lang monatlich 60 RMB (circa 8 Euro) pro 2-Personenhaushalt, zusätzliche 15 RMB (circa 2 Euro) für eine zusätzliche Person im Haushalt und die Firma gewährt 15 Prozent Rabatt bei jährlicher Vorauszahlung. Ältere Bewohner, die nicht mehr sehr mobil sind, müssen nichts bezahlen, die Aufzugsfirma sieht das Projekt als eines der Öffentlichen Wohlfahrt.
Die Bewohner nahmen dieses Angebot gerne an, da sie die Errichtung vorweg nichts kostet und die laufende Belastung zur Kapitaltilgung und Wartung nicht hoch ist. Die Kostenbeteiligung der Bewohner bewirkt eine größere Identifikation mit dem Projekt und stärkeres Engagement bei dessen Kontrolle. Ich erlebte wieder eine sehr informative, sachliche, lösungsorientierte und freundliche Diskussion.
Resumée
Die mir entgegengebrachte Gastfreundschaft durch die Delegierten des Volkskongresses in Ningbo war sehr hoch. Ich konnte völlig frei meine Gesprächspartner aussuchen und befragen.
Die Erfahrungen, die ich bei meinem Besuch der „Praxis-Basis der Volksdemokratie des gesamten Prozesses“ in Shanghai-Hongqiao und nun auch in Ningbo gemacht habe, zeigten mir, dass die Menschen in die Gestaltung ihres Lebens und Umfelds sehr eng eingebunden sind. Die Delegierten sind sehr bemüht, das Leben der Menschen zu verbessern und auftretende Wünsche und Probleme einer Lösung zuzuführen.
Die Stimmung und der positive Umgang bei den großen Besprechungen waren ein beeindruckendes Erlebnis. Dass alles gemeinsam in demokratischer offener Diskussion entschieden wird, ist ein vorbildlicher Prozess.

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