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Das Tahiti-Projekt

Das Tahiti-Projekt

Die Zerstörung der Welt oder Leben im Ökoparadies? Begleiten Sie den Hamburger Spitzenjournalisten Cording auf seiner Reportagereise. Teil 20.

Die Bedrohung

Fertig! Cording blickte auf die Uhr: vier Uhr morgens. Gerade hatte er sich seinen fertigen Text noch einmal laut vorgelesen und festgestellt, dass er die Reportage guten Gewissens freigeben konnte. Es bedeutete, dass er sich wieder einmal erfolgreich durch das Dickicht der Ängste und Zweifel geschlagen hatte, das sich ihm vor jeder Schreibarbeit in den Weg stellte. Der gute Ausdruck wollte erobert sein, jeder gelungene Satz musste mit der Machete erkämpft werden. Schreiben ist Schwerstarbeit — jedenfalls für Leute, die etwas zu sagen haben. Dornröschen Tahiti war allerdings leichter zu gewinnen gewesen als vermutet. In nur zwei Nächten hatte er aus einem wuchtigen Materialblock von Informationen und Impressionen eine feinnervige Plastik geschält, der er jetzt den Namen „Otaheite“ verlieh und per Knopfdruck nach London beförderte.

Vier Uhr. Um diese Stunde begann sich in Deutschland die Dämmerung wie auf Katzenpfoten zu nähern. Auf Tahiti blieb man im Dunkeln sitzen, bis der neue Tag den Vorhang schlagartig beiseite zog. Eigentlich war sein Job erledigt. Warum machte er es nicht wie die Kollegen, von denen die meisten bereits abgereist waren? Warum war er so versessen darauf, die verbleibende Zeit bis zum Ablauf der Aufenthaltserlaubnis voll auszukosten? Du weißt warum, dachte er. Die Vorstellung, sich von Maeva trennen zu müssen, war unerträglich. Aber wie würden die restlichen Tage aussehen? Sie wären von Melancholie durchtränkt, an denen sich das Monster ihres Abschiedsschmerzes dicker und dicker mästen würde ... Cordings Entschluss stand plötzlich fest: Er würde mit der morgigen Maschine abreisen! Das war zwar nicht die eleganteste Lösung, aber für alle Beteiligten sicher das Beste.

Er überlegte, was ihn während der vergangenen drei Monate auf Tahiti am meisten beeindruckt hatte. Es war vor allem die Heiterkeit der Menschen, ihre gelassene Haltung, ihre Seelenruhe. Ihre Heiterkeit entsprach dem Lächeln, nicht so sehr dem Lachen. Dieses Lächeln war kaum wahrnehmbar; wahrnehmbar war lediglich das nicht umwölkte Gesicht. Die Polynesier schienen frei von ängstlicher Sorge, frei sogar noch von der Angst vor der Angst. Ihre maßvoll eingerichtete Lebensweise bot weniger Angriffsflächen für Attacken des Schicksals, als wüssten sie von Natur aus, dass die meisten Stürme nur über diejenigen herfallen, die ihre Segel zu weit ausspannen, wie Seneca es formulierte. Maeva würde seine überstürzte Flucht sicher richtig deuten und Nachsicht üben. Auch sie hatte sich doch lange genug an den Gedanken gewöhnen können, dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt war. Per Gesetz sozusagen. Die strengen Aufenthaltsgenehmigungen hatte ja nicht er zu verantworten!

Er nahm Block und Kugelschreiber zur Hand und begann Maeva einen Brief zu schreiben. Die Anrede ließ er zunächst dahingestellt.

„Du hast mich daran erinnert, dass zwischen Mann und Frau mehr möglich ist als emotionaler Vampirismus. Durch Dich habe ich gespürt, was Liebe ist. Ich meine eine Liebe, die frei ist von Wünschen und Verlustängsten. Eine solche Liebe will in jeder Sekunde neu erschaffen werden, weil sie weder Müdigkeiten duldet noch das Bedürfnis nach Sicherheit erfüllt ...“

So ein Schwachsinn! Er zerknüllte das Papier.

„Menschen wie Du sind durch eine feinstoffliche Folie vor Zerstörung geschützt, sie finden in jedem Alter zu einem strahlenden Ausdruck. Sie wissen, dass Liebe nicht die Vereinnahmung eines anderen Menschen bedeutet, sondern dessen Befreiung.“

Cording zerknüllte auch diesen Versuch. So wird das nichts. Warum stocherte er gestelzt im Dunkeln, anstatt die Ansprache einfach zu halten?

„Ich verlange in jeder Sekunde nach Deiner Nähe — aber dann sitze ich neben Dir und wünsche, ich wäre unsichtbar wie der Wind, der Dir in die Haare wehen darf und Deine Lippen kühlt ...“

Merde alors! Sein theatralisches Gesülze ging ihm auf den Geist. Er warf sich voll bekleidet aufs Bett und schlief ein.

Als er fünf Stunden später mit verquollenen Augen zum Frühstück erschien, waren die Tische bereits abgeräumt. Alles was die Küche noch hergab, war das Pain Perdu, das verlorene Brot, wie die Franzosen es nannten. John Knowles schwor darauf, aber Cording hatte der Versuchung bisher ohne große Anstrengung widerstanden. Dabei schmeckten die gerösteten, in einer Melange aus Milch, Eiern, Zucker, Vanille und Butter gesättigten Scheiben gar nicht schlecht. Nachdem er gegessen hatte, ging er an die Rezeption und bat Anapa, ihn mit Omais Büro zu verbinden. Wenn er schon zu feige war, sich von Maeva zu verabschieden, so wollte er doch zumindest beim Präsidenten vorstellig werden, um Lebewohl zu sagen.

„Ich habe eine Nachricht für dich“, sagte Anapa, „der Anruf kam heute Nacht.“

Er reichte Cording einen Zettel. „Bitte dringend Mr. Mike Kühling in London anrufen!“, stand darauf. Eine Reaktion auf seine Reportage war das sicher nicht, denn der Anruf war bereits gegen zwei Uhr nachts erfolgt, als er noch mit den letzten Formulierungen rang.

Es dauerte eine Weile, bis Anapa die Verbindung hergestellt hatte.

„Na endlich erreiche ich dich!“, schimpfte Mike, als Cording den Hörer entgegennahm. „Für wann hast du deinen Rückflug gebucht?“

„Ich fliege morgen“, antwortete Cording leicht irritiert.

„Kommt nicht in Frage! Du bleibst wo du bist. Hast du verstanden? Du fliegst nicht eher, bevor ich es dir sage!“

„Warum regst du dich so auf, Mike, was ist denn los?“

„Nicht am Telefon. Versuch, irgendwo ein Faxgerät aufzutreiben. Sobald du fündig geworden bist, teilst du mir die Nummer mit und wartest dort, bis du meine Nachricht bekommen hast. Okay?“

„Ja sicher, aber ...“

„Beeil dich, die Angelegenheit ist von äußerster Wichtigkeit!“. Und schon hatte er aufgelegt.

Wenn sich der Chefredakteur von EMERGENCY gezwungen sah, mit einem seiner Mitarbeiter auf eine so vorsintflutliche Kommunikationsform wie das Fax auszuweichen, dann musste die Angelegenheit wohl von äußerster Wichtigkeit sein. Es bedeutete, dass er sich jeglicher Überwachung entziehen wollte. Die neuesten Technologien waren fest in Big Brothers Hand, aber das gute alte Faxgerät hatten die Schnüffler mit Sicherheit nicht mehr auf der Rechnung. Mike war schlau, das war er immer gewesen. Die Sache begann Cording zu interessieren. Er bat Anapa, in Papeetes Verwaltung nachzufragen, ob sie noch über einen funktionstüchtigen Faxanschluß verfügten, den er benutzen dürfte.

„Unser Hotel hat Fax“, sagte Anapa, „ich weiß allerdings nicht, ob die Verbindung noch steht.“

Er führte Cording in einen fensterlosen Raum, in dem sich allerlei Gerümpel stapelte, zwischen dem auch ein verstaubtes Panasonic-Gerät vor sich hin gammelte. Cording hob den Hörer ab. Die Leitung war intakt. Und sogar ein paar Bögen Papier lagen noch im Einzugsschacht.

„Na wunderbar“, sagte er, „wie ist die Nummer?“

„Keine Ahnung“, antwortete Anapa, „aber ich finde es heraus. Moment, hier steht es. Hier an der Seite, das müsste sie sein.“

Cording notierte die Zahlen und gab sie nach London durch. Es dauerte keine fünf Minuten, da würgte das alterschwache Gerät einen vergilbten Bogen Papier hervor.

„Unverzüglich Kontakt aufnehmen mit Professor Thorwald Rasmussen. Du findest ihn im Institute Ecologique du Pacifique. Er erwartet dich. Der Mann ist ein wenig paranoid, also vermassel es nicht“, las er.

Es herrschte dicke Luft bei Global Oil. Wenn Robert McEwen allen Anstand vergaß und seine Gesprächspartner in die Rauchschwaden einer kubanischen Zigarre einhüllte, herrschte im Konferenzraum der Konzernzentrale eine Atmosphäre, gegen die sich das jüngste Gericht wie ein Kaffeekränzchen ausgenommen hätte. Zu Gast waren der Energieminister der Vereinigten Staaten, sein Kabinettskollege vom Finanzressort sowie der Chef des NSA. Thema: was darf der Präsident wissen? Darf er überhaupt etwas von dem Unternehmen erfahren? McEwen lehnte das entschieden ab. Präsident Selby war nicht der Mann, um sich an die Spitze einer solchen Mission zu stellen. Er war als Moralist angetreten und er nahm diese Rolle sehr ernst.

Politik ist etwas für Weicheier, dachte McEwen, während Energieminister Ray Manzarek nichts unversucht ließ, um die Runde davon zu überzeugen, dass es allemal besser wäre, seinen obersten Dienstherrn so schnell wie möglich einzuweihen, anstatt ihn weiterhin auszuschließen. Seiner Meinung nach ließe sich Selby durchaus auf ihre Seite ziehen, dann wäre der Global-Oil-Coup kein krimineller Akt mehr, sondern eine von der Staatsmacht legitimierte Aktion.

McEwen fragte sich, warum er sich diesen Mist überhaupt anhörte. Jeder im Raum wusste, dass Selby nur deshalb im Weißen Haus saß, weil Global Oil es so gewollt hatte. Die Vorgängerregierungen hatten sich angesichts der Naturkatastrophen, die das zusammenbrechende Ökosystem in immer größerer Zahl auslöste, allzu fadenscheinig der internationalen Klimaallianz verweigert und sich stattdessen weiterhin vor den Karren der US-Wirtschaft spannen lassen. Es war höchste Zeit geworden, die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Demokratie wieder herzustellen.

Selby war angetreten, mit Korruption und Ignoranz Schluss zu machen. So etwas musste unterstützt werden, wenn man nicht riskieren wollte, dass die demokratische Fassade dieses Staates vollends in sich zusammenbrach, hinter der es sich so vortrefflich wirtschaften ließ. Aber Selbys Saubermann-Image war auch der Grund, weshalb die Südpazifik-Mission an ihm vorbeilief. Dass Manzarek kalte Füße bekam, war ebenso verständlich wie gefährlich. McEwen fragte sich nur, wie gefährlich. Wenn Typen wie Ray nervös wurden, konnte man sich nie sicher sein, wie viel das gezahlte Bestechungsgeld aufwiegen würde. Er gehörte zu den schlicht gestrickten Menschen, die ihr schlechtes Gewissen auf Dauer nicht ertragen.

„Der Präsident könnte doch in die Offensive gehen und unser Recht bei den Vereinten Nationen einfordern“, bemerkte der Energieminister kleinlaut.

„Herrgott noch mal, Ray!“, unterbrach Finanzminister Hubert Brill seinen lamentierenden Kollegen. „Der Präsident wird dem Unternehmen nicht zustimmen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Damit handelt er in höchstem Maße unverantwortlich, aber das müsste man erst mal schaffen, ihm klarzumachen.“

„Unverantwortlich?“, Manzarek stutzte. „Moment mal, Hubert, hab ich das eben richtig verstanden? Ein amerikanischer Präsident, der sich an die internationalen Abmachungen hält, handelt in deinen Augen unverantwortlich?!“

„In diesem Falle, ja.“

„Und unsere illegale Aktion im Südpazifik, die ist demnach im höchsten Maße verantwortlich, nehme ich an?“

„Richtig.“

„Ich verstehe“, sagte Manzarek, obwohl er in Wirklichkeit nichts mehr verstand.

„Die Wahrheit ist ein Tyrann, Ray“, unterbrach McEwen. „Man kann sich den Zeitpunkt nicht aussuchen, an dem sie einem dienlich ist. Im übrigen sind wir keine Gangster, sondern Patrioten! Was dem Vaterland dient, das ist auch gut und richtig.“

„So ist es!“, bestätigte Brill. „Als Energieminister solltest du eigentlich wissen, in welcher Lage wir uns befinden“, hakte er nach. „Beschissen wäre noch milde ausgedrückt.“

Was folgte, war eine leidenschaftliche Aufzählung aller Faktoren, die zu der miserablen Weltwirtschaftslage geführt hatten. Von explodierenden Energie- und Rohstoffpreisen war die Rede, von einer sprunghaft ansteigenden Inflation, vom Rekordleistungsbilanzdefizit, von Derivat- und Hedgefondsproblemen, von der Unruhe auf den Devisenmärkten, insbesondere, was den Dollar betraf. Brill wies auf die Folgen des russischen, indischen und chinesischen Konsumrausches hin, der den Klimawandel in den letzten Jahren extrem beschleunigt hatte, welcher nun rund um den Erdball eine Kette von Naturkatastrophen provozierte, die die Finanzmärkte immer wieder aufs Neue erschütterten. Er erwähnte auch die geplatzte Immobilienblase, die der US-Wirtschaft seiner Meinung nach das Genick gebrochen hatte.

„Für die Amerikaner war ihr Haus ja in erster Linie ein Spekulationsobjekt“, sagte Brille. „Die meisten hatten auf eine Wertsteigerung ihrer Immobilie vertraut und entsprechende Kredite und Hypotheken aufgenommen. 2,3 Billionen Dollar waren auf diese Weise zusätzlich in den Binnenmarkt geflossen, elf Prozent unseres gesamten Haushaltsvolumens! Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes musste demnach fatale Folgen für die Volkswirtschaft mit sich bringen. Massenentlassungen, Lohnkürzungen — und damit dramatische Einbrüche in der Nachfrage. Schau dich im Land um, Ray: erkennst du noch unsere gute alte Zivilgesellschaft? Ich nicht, ich sehe nur Verbrechen und Anarchie. Auf dem Land haben Bürgermilizen die Aufgaben von Polizei und Nationalgarde übernommen, die Städte drohen unkontrollierbar zu werden. Warum ist das so? Ich sag dir warum: weil die Menschen nicht mehr in der Lage sind, zu konsumieren!“

McEwen drückte die Zigarre aus. Er wollte das als Friedensangebot gewertet wissen.

„Früher ließ sich das Problem in den Griff kriegen“, setzte Brill seinen Monolog fort, „zumindest kurzfristig. Durch die Orchestrierung von Kriegen und Terrorismus zum Beispiel. Diesmal wird die Überlebensstrategie der Finanzoligarchie aber nicht fruchten. Es drohen nämlich die Rohstoffe auszugehen, auf denen ein Wirtschaftswachstum nun einmal gründet. Seit dem Putsch in Saudi-Arabien zahlen wir uns dumm und dämlich für Öl. Die neuen Machthaber dort haben nicht nur den Export gedrosselt, sie liefern den spärlichen Rest auch noch vorzugsweise nach Europa, das durch den Ausfall der Atomkraft nach den Blowouts von Ignalina und Fessenheim erheblich geschwächt worden war. An der Politik der Araber ist nicht zu rütteln. Sie schwingen den Ölhammer als Retourkutsche. Kein Wunder, nach all den Demütigungen, die wir den islamischen Staaten zugefügt haben.

Fassen wir also zusammen: Die Vereinigten Staaten von Amerika pfeifen auf dem letzten Loch, während die europäische Konkurrenz sich erholt und dabei ist, sich mit Russlands Ressourcen im Rücken einen Vorsprung zu sichern, der die USA und China als die Länder mit dem größten Energieverbrauch verdammt arm aussehen lässt. Wenn wir uns und der Welt nicht allergrößten Schaden zufügen wollen, müssen wir handeln, und zwar sofort!“, Er machte eine dramatische Pause und schaute in die Runde.

„Im Südpazifik lagern Milliarden Tonnen metallischer Knollen auf dem Meeresboden. Eine Schatztruhe voller Kupfer, Nickel und Kobalt, um nur einige der so dringend benötigten Rohstoffe zu nennen“, fügte er an Manzarek gewandt hinzu. „Die Internationale Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen aber weigert sich beharrlich, diese Schätze zum Abbau freizugeben. So what! Wenn dem so ist, muss man sie sich eben ohne Einverständnis holen! Die Vorkommen würden es uns ermöglichen, eine Brücke in die Zukunft zu bauen. In dreißig Jahren werden wir auf den Gebieten der regenerativen Energien und der alternativen Materialen enorme Fortschritte erzielt haben — nicht zuletzt dank so patriotisch gesinnter Unternehmen wie Global Oil!“

Eine beeindruckende Vorstellung, wie McEwen fand. Wenn man den Finanzminister reden hörte, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Welt einzig und allein deshalb untergehen musste, damit der Rhetoriker Hubert Brill auferstehen konnte.

Ray Manzareks Widerstand schien gebrochen, zumindest für den Moment. Wahrscheinlich hatte es dieses kleine Gewitter an schlagkräftigen Argumenten gebraucht, damit er wieder in den Spiegel schauen konnte.

„Ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist, Ray“, ergriff schließlich Robert McEwen das Wort, „aber die Schürfarbeiten in der Südsee haben längst begonnen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Über die Notwasserung des chinesischen Transportflugzeuges vor Tahiti mache ich mir keine Sorgen, das lässt sich als Navigationsfehler verkaufen. Im Übrigen bleibt es dabei: das Unternehmen wird sowohl von Peking als auch von uns weiterhin auf höchster Geheimhaltungsstufe behandelt.“

„Wie viele Hebetanker wird Global Oil denn insgesamt bauen lassen?“, fragte NSA-Chef Francis D. Copland, der dem Gespräch bisher eher desinteressiert gelauscht hatte.

„Laden Sie mich doch mal zum Abendessen ein“, antwortete McEwen süffisant, „dann verschweige ich Ihnen ein wichtiges Staatsgeheimnis. In zwei Jahren“, fügte er versöhnlich hinzu, „sind es vierundzwanzig. Vierundzwanzig gefräßige Schatztruhen, aufgereiht im polynesischen Mangangürtel wie auf einer Perlenkette ...“ Nachdenklich spielte er mit dem Aschenbecher. „Was ist jetzt mit diesem dänischen Wissenschaftler, Francis? Wie weit sind Ihre Nachforschungen gediehen?“

„Wir haben verlässliche Hinweise, dass sich Rasmussen nach Tahiti abgesetzt hat“, antwortete Copland.

„Nach Tahiti?!“

McEwen fasste es nicht. Wie konnte es sein, dass ein einzelner Mann die Nationale Sicherheitsbehörde derart an der Nase herumführte? Bisher hatte er sich damit getröstet, dass es die Medienkonzerne der Welt nicht wagen würden, Rasmussens Geschichte ohne Rücksprache mit Global Oil zu veröffentlichen. Aber nun war der Kerl auf Tahiti, wo man sogar ohne Anmeldung vom Präsidenten empfangen wurde.

„Stellen Sie fest, was da schief gelaufen ist“, donnerte McEwen. „Aber lassen Sie den Mann am Leben. Ich will wissen, wer was weiß. Wofür bezahle ich Sie eigentlich?“

Seine letzte Bemerkung zeigte die erwartete Wirkung. Aufgeblasene Arschlöcher wie Copland, die ihre Ämter nur auf Zeit bekleideten, mussten gelegentlich daran erinnert werden, was wahre Macht bedeutete. Wahre Macht. Das war es doch worum es ging, allein darum. Aber angesichts der karrieresüchtigen Duckmäuser in Politik und Wirtschaft warf das Spiel keinen wirklichen Lustgewinn mehr ab. Die Sache im Südpazifik hingegen versprach noch einmal aufregend zu werden. Es war gut möglich, dass er sich nicht nur mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten anlegen musste, sondern darüber hinaus mit der UNO und mit der ganzen jaulenden Weltgemeinschaft! Irre, was man sich heutzutage alles leisten konnte, wenn man das nötige Kleingeld besaß.

McEwen fragte sich, wieso die angeblich so aufgeklärte Menschheit einigen ihrer Mitglieder immer wieder einen Freifahrtschein für Schweinereien ausstellte. Wollten die wahrhaft Mächtigen nicht eigentlich in die Schranken verwiesen werden, anstatt unkontrolliert ihrer teuflischen Fantasie frönen zu müssen?

„Ich habe keine Zeit, mich mit einem durchgeknallten Professor zu beschäftigen“, polterte unvermittelt los, als wollte er seine düsteren Gedanken des Feldes verweisen. „Ich muss mich um das kümmern, was ich am besten kann. Was ich damit sagen will, Francis: tun Sie es auch!“



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Quellen und Anmerkungen:

*Die Erklärungen der im Roman verwendeten Fachbegriffe sowie Hinweise für interessierte Leser auf weiterführende Literatur oder Webseiten befinden sich im Buch. Obwohl das „Tahiti-Projekt“ ein Zukunftsroman ist, sind die in ihm dargestellten technischen Lösungen und sozioökologischen Modelle keine Fiktion: sie existieren bereits heute! Das einzig Fiktive ist die Annahme, dass irgendwo auf diesem Planeten tatsächlich mit konkreten Veränderungen in Richtung auf eine zukunftsfähige Lebensweise begonnen wurde.

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