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Das Utopie-Studium

Das Utopie-Studium

Interview mit einem Flensburger „Transformationsstudenten“ über notwendige gesellschaftliche Veränderungen.

Sie sind Transformationsstudent. Welche Universität bietet diesen Studiengang an und wie sieht der genau aus?

Der Studiengang „Transformationsstudien“ an der Europa-Universität in Flensburg beschäftigt sich mit Aussichten und Hintergründen einer sozialökologischen Transformation.

Im Rahmen des Studiums analysieren wir im ersten Schritt den Ist-Zustand in Bezug auf Klimawandel und Umweltbelastungen, soziale Krisen und Konflikte, unsere aktuelle Wirtschafts- und Lebensweise und die damit einhergehenden regionalen und globalen Verstrickungen und Probleme.

Die werden auf mehreren Ebenen zu einer Verschlechterung unserer Lebensgrundlagen führen, sofern grundlegende Zusammenhänge nicht verändert werden. Eine Transformation, so die These, wird also passieren, egal ob aktiv gestaltet oder durch innere und äußere Zusammenhänge erzwungen.

Im zweiten Semester beschäftigen wir uns mit einer Rückschau über gesellschaftlichen Wandel seit Beginn der Industrialisierung in verschiedenen Bereichen und wie diese miteinander zusammenhängen und durch was sie hervorgerufen wurden.

Im dritten Semester richten wir den Blick nach vorne und erarbeiten uns – vor dem Hintergrund der erfolgten Problemanalyse – einen Überblick über mögliche nachhaltige Zukunftsmodelle und gesellschaftliche Transformationsprozesse.

Und die Transformation wird es auf jeden Fall geben?

Ja. Aber welche Transformation?

Die Welt verändert sich immer. Nur haben wir es jetzt mit verschiedenen Krisen zu tun, die in einer Mannigfaltigkeit zusammenkommen, die vielleicht doch einzigartig ist, wenn man sich die ökologische Krise anschaut, aber auch politische und soziale Krisen, die zunehmend auch damit zusammenhängen.

Das heißt, der Klimawandel und Veränderungen der Umwelt stoßen immer öfter gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse an und damit verschiedene Krisen, die sich früher oder später auch in einem Ausmaß entladen werden, das wir uns kaum ausmalen können.

Was war Ihre Motivation, Transformationsstudent zu werden?

Ich habe ein enormes Interesse daran zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass wir uns gesamtgesellschaftlich in einer Situation befinden, die nicht die besten Zukunftsaussichten hat. Ich bemerke auch in meinem Freundeskreis immer öfter Gefühle der Ohnmacht, Zukunftsängste, Unsicherheiten.

Das hat mich bewogen, mehr darüber erfahren zu wollen, wie es momentan um die Welt steht. Was sind die Prozesse und wer sind die treibenden Akteure, die dazu geführt haben, dass wir uns in dieser Situation befinden?

Aber natürlich möchte ich auch herausfinden, was mögliche emanzipatorische und progressive Veränderungsprozesse in Gang setzen könnte.

Aus dem Grund ist für mich wichtig, wie Veränderung in der Vergangenheit stattfinden konnte und was es braucht, um solche positiven Transformationsprozesse anzustoßen.

Wir haben wohl alle ein hinreichendes Bild davon, was zu negativen Veränderungsprozessen führt. Was braucht es für eine positive Veränderung?

Das ist eine gute, aber auch schwierige Frage. Die Fakten sind ja, beispielsweise was den Klimawandel angeht, seit vier Jahrzehnten auf dem Tisch, wenn man an die ersten Berichte des Club of Rome denkt.

Deswegen ist das Problem nicht, dass wir zu wenig wissen. Sondern, dass wir ein Problem damit haben, dieses Wissen für eine positive Veränderung zu nutzen.

Im Spannungsfeld zwischen dem Wirtschaftssystem auf der einen Seite und dem gesellschaftlich-ökologischen System auf der anderen Seite käme es darauf an, Veränderungen hervorzurufen, die die Menschen als Zugewinn wahrnehmen und nicht als Reaktion auf einen drohenden Untergang.

Damit meine ich notwendige, sozial-ökologisch verträgliche Veränderungen und Einschränkungen auf struktureller und individueller Ebene, die niemand als Verzicht wahrnimmt, sondern als einen Zugewinn an Lebensqualität.

Ich glaube, dass darin einer der Schlüssel liegt: durch positive Gegenbeispiele den Mehrwert herauszuarbeiten und so auch die große Mehrheit vom Sinn der Veränderung zu überzeugen.

Sehen Sie sich in Ihrem Studiengang positive Beispiele an, die den Beweis erbringen, dass Transformation gelingt?

Diesen Beweis, dass es klappt, den gibt es ja noch nicht, wenn wir von Transformation sprechen. Aber natürlich schauen wir uns Projekte an, die weltweit, regional oder im nationalen Rahmen stattfinden und in denen vieles funktioniert. Aber da bin ich bis jetzt noch nicht soweit vorgeschritten.

Sie sind jetzt der zweite Jahrgang dieses neuen Studiengangs. Wie viele Transformationsstudenten gibt es insgesamt?

Das sind um die 60 Leute, insgesamt, in beiden Jahrgängen.

Was ist das für eine Truppe, die sich da in Flensburg zusammengefunden hat?

Danke, dass Sie das fragen. Ich war nämlich auch total überrascht über die Leute, die ich da kennen gelernt habe. Ich war überrascht von ihren positiven Einstellungen, von dem Zusammenhalt, von ihrem unbändigen Veränderungswillen, von der Kooperation statt Konkurrenz.

Also, die Menschen in diesem interdisziplinären Studiengang kommen aus den verschiedensten fachlichen Bereichen. Diese Interdisziplinarität, also die Verknüpfung verschiedenster Disziplinen, macht das gemeinsame Lernen und Arbeiten extrem spannend und ist sehr bereichernd.

Viele Mitstudierende denken und handeln mit einem großen Maß an Empathie und haben Lust, Sachen anzupacken und zum Positiven zu verändern. Die sich auch gegen diesen lähmenden Mainstream stellen wollen, die bereit sind, zu machen, auszuprobieren, zu scheitern, wieder neue Sachen auszuprobieren. Leute, die keine Lust haben, alles zu zerreden und erst die Weltformel herauszufinden, bevor sich etwas ändert.

Die Grundstimmung ist, dass es nicht um ein rein intellektuelles Erkennen geht, sondern Ihr wollt selber aktiv transformieren, sozusagen Transformer sein oder werden?

Im Uni-Kontext ist es natürlich so, dass man schon die Themen überwiegend theoretisch und wissenschaftlich bearbeitet und analysiert. Das ist in dem gegenwärtigen Universitäts-System auch schwer zu verändern.

Trotzdem sind im Studiengangskonzept Elemente vorgesehen, die ein „Selbst-aktiv-werden“ fordern und so die Möglichkeit geben, außerhalb der Uni-Blase Projekte durchzuführen und Ideen zur Veränderung zu verbreiten.

Der Vorteil und das, was mir so Spaß macht, ist, dass die Leute über die Uni hinaus versuchen, sich zu vernetzen und abseits des Studiums erstmal kleine Projekte in Flensburg und anderen Orten anzustoßen. Wir versuchen, Selbstwirksamkeit zu erfahren und ins Handeln zu kommen. Wenn wir das Gelernte dafür verwenden können, umso besser.

Sie haben vor diesem Studium bereits ein Studium in einer ganz anderen Richtung absolviert?

Ich habe ein Studium des Chemie-Ingenieurswesens hinter mir und auch zwei Jahre in diesem Beruf gearbeitet.

Mir fehlte in diesem Arbeitsverhältnis aber die Sinnhaftigkeit, vor allem, wenn man sich nebenbei viel mit den zuvor angesprochenen großen Themen beschäftigt und einen Drang zur Veränderung entwickelt.

Natürlich stand auf der einen Seite die Notwendigkeit, einer bezahlten Arbeit nachgehen zu müssen. Aber eben in einem für mich wenig sinnvollen Bereich, in dem ich arbeitete trotz meines Bewusstseins für die drängenden Probleme unserer Zeit. Nach meiner Einschätzung produzierte ich dort keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Das hat für mich nicht gut zusammengepasst.

Ich habe mich dann entschieden, noch einmal eine Auszeit zu nehmen und dieses Zweitstudium zu beginnen. Auch, um für mich selbst herauszufinden, in welcher Richtung ich vielleicht mit dem Wissen aus meinem vorherigen Studium mehr bewegen kann. In einer Richtung, die ich für sinnvoll erachte.

Ich würde also nicht sagen, dass mein erstes Studium des Chemie-Ingenieurwesens und das zweite der Transformationsstudien sich ausschließen. Für mich ist es mehr eine persönliche und berufliche Weiterentwicklung, um dann auch mit dem Blick des Ingenieurs Veränderungsprozesse in den dafür notwendigen Bereichen anzustoßen.

Um das Verhältnis von Technologie zu Ökologie gibt es eine polarisierte Auseinandersetzung. Es gibt die Elon-Musk-Fraktion, die glaubt, man könne die Welt durch großtechnische Lösungen retten. Und es gibt die eher romantische Fraktion, die sagt „Maschinen Pfui! Chemie! Städte Pfui!“. Das ist vielleicht überspitzt dargestellt. Aber wo sehen Sie die Grenzen und die Möglichkeiten der Technologie?

Das ist eine große Frage, über die ich kurz nachdenken muss.

Sagen wir so: Ich bin auf der einen Seite davon überzeugt, dass es einen großen technologischen Wandel geben muss. Wenn wir etwa an die Energiesysteme denken. Dieser Wandel ist in einzelnen Bereichen auch mehr oder weniger schon angestoßen worden, auch wenn die Entwicklung viel zu langsam voranschreitet, um zum Beispiel das Pariser Klimaziel zu erreichen. Hier identifiziere ich für Technologie sinnvolle und notwendige Wachstums- und Veränderungsfelder.

Aber natürlich ist die Rolle von Technologie auch kritisch zu hinterfragen.

Die Gleichsetzung beziehungsweise Reduktion von gesellschaftlicher Entwicklung mit technologischem Fortschritt geht nicht auf, und da sehe ich auch im öffentlichen Diskurs eine ganz starke Fraktion, die alle Probleme rein technologisch auf den altbekannten Wachstumspfaden lösen möchte.

Man muss aber die begrenzte Belastbarkeit des Gesamtsystems Planet Erde anerkennen und aus diesem Grund zum Beispiel neben dem notwendigen Umbau unseres Energiesystems in anderen Bereichen Lösungen abseits von rein technischen Erneuerungen suchen.

Ein reiner Technikoptimismus geht deshalb in die falsche Richtung.

Der Gründer und Inspirator Eures Studiengangs ist Harald Welzer, der aus einer sozialpsychologischen Ecke kommt. Wie erleben Sie den Einfluss dieses Denkansatzes auf die Transformationsstudien?

Das schließt an die vorherige Frage an, inwiefern Technik als alleiniges Fortschrittsziel gelten kann. Hier ist die Sozialpsychologie ein entscheidender Baustein. Denn wir haben eben kein Wissensproblem. Wir haben ein Handlungsproblem.

Wie tickt der Mensch, dass er Veränderungen annimmt? Was muss geschehen, dass er selbst aktiv verändert? Sind es die positiven technologischen Utopien, die jemanden motivieren, zu verändern? Oder ist es nicht vielleicht doch so, dass wir uns davon blenden lassen und den notwendigen Wandel damit verschlafen, indem wir Technikoptimisten nachlaufen?

Aus dem Grund ist interessant, was die Sozialpsychologie dazu sagt. Sie zielt auf das Innere des Menschen und der Gesellschaft ab, um zu untersuchen, was braucht der Mensch, um sich zu verändern?

Was braucht der Mensch dazu?

Wir haben vorhin über kleine Projekte gesprochen. Die haben in ihrer Einzelheit keinen großen Impact auf die große gesellschaftliche Veränderung. Aber das ist ein wichtiger Ansatz unter mehreren: die Entwicklung von positiven Gegenbeispielen.

Auch wenn diese Projekte vielleicht kurz- oder mittelfristig ein Nischendasein fristen, können sie Menschen dazu bewegen, sich anzuschließen und Hoffnung machen, dass nicht alles alternativlos ist.

Gleichzeitig braucht es regionalere Strukturen, gerade wenn es um Energieproduktion und verteilung, Nahrungsversorgung und dergleichen geht. Neben positiven Aspekten wie einer größeren Energieautonomie könnte eine Rückkehr zu grundsätzlich regionaleren Strukturen Arbeitsplätze schaffen, die Umwelt durch eine Reduzierung von Transportwegen entlasten, im Rahmen der Globalisierung ausgelagerte soziale und ökologische Kosten verringern – und damit ein Stück weit unsere imperiale Lebensweise auf kosten anderer beenden – und in Krisenzeiten ein resilienteres System darstellen.

Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass es für emanzipatorische Veränderungen neben der individuellen Ebene auf der größeren, strukturellen Ebene großflächigen gesellschaftlichen Druck geben muss. Angefangen bei einer breiten Aufklärung über die aktuelle Problemlage mit samt ihren Ursachen und globalen Verflechtungen, eine Analyse, die die aktuellen Macht- und Herrschaftsverhältnisse wieder sichtbar werden lässt, finanz-kapitalistische Zusammenhänge und ihre globalen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt verdeutlicht.

Diese systemische Analyse kann aufzeigen, wer von den bestehenden Verhältnissen profitiert und Veränderungen in Richtung einer sozial-ökologisch gerechteren Welt durch vorgeschobene, scheinbare Alternativlosigkeiten blockiert.

Die gerade im Kontext der neuen Umweltbewegung aufkommende Politisierung, vor allem der jüngeren Generation, sollte also den Zeitpunkt und die Öffentlichkeit nutzen und neben den sozial-ökologischen Forderungen wie Nachhaltigkeit, Kohleausstieg, Degrowt, also Postwachstum die Diskussion über die Machtverhältnisse mit aufnehmen.

Wie viele Transformationsstudenten gibt es pro Semester?

Dieses Jahr sind wir mit 40 gestartet.

Gibt es einen Numerus Clausus oder andere Zugangsbeschränkungen?

In der Anfangsphase war der Studiengang zulassungsfrei. Wie das weitergeht, wenn der Andrang größer wird, kann ich nicht sagen. Voraussetzung war ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium in Form eines Bachelor-Abschlusses.

Ist das weltweit der erste Studiengang dieser Art oder gibt es Vorbilder?

Es gibt andere Universitäten, an denen ähnliche Studiengänge existieren. Mir bekannt sind folgende Projekte: in Spanien, in Barcelona heißt der Studiengang Social Transformations and Innovation, in Italien, in Bozen kann man Ökosoziales Design studieren, in den Niederlanden, in Rotterdam DRIFT und in Skandinavien. In Braunschweig kann man Transformation Design studieren

Ich finde es auf jeden Fall positiv, dass in dieser Richtung auch an anderen Universitäten etwas passiert.

Ich finde erstmal wichtig, Menschen den Raum zu geben, dass sie sich mit alternativen Entwicklungsmöglichkeiten beschäftigen und dann hoffentlich auch in verschiedenen Feldern Veränderungsprozesse anstoßen und diese eines Tages mehrheitsfähig machen können.

Vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg!


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