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Dem Leben vertrauen

Dem Leben vertrauen

Sanfheit und Hingabe können heilen, was durch Verhärtung aus dem Lot geraten ist.

Wir leben in einer wilden Zeit. Alte Machtstrukturen brechen ein, die Arten sterben, das Wasser steigt und die Pole sind dabei, sich umzudrehen. Bald wissen wir buchstäblich nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Es braucht Mut, sich in einer Zeit, in der wir individuell und kollektiv die Orientierung verloren haben, zurechtzufinden und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Ich gehöre zu den optimistischen Naturen und gelte gemeinhin als eine Art unverwüstliches Stehaufmännchen: Meine Jugendliebe heiratet meine Freundin, ich ziehe mit einem mittellosen Opernsänger nach Frankreich. Als dieser sich wiederum in die Freundin verliebt — nicht in die gleiche —, ziehe ich nach Hamburg zurück, unterschreibe den vor mir liegenden Vertrag zur Verbeamtung nicht und fange noch einmal allein in Südfrankreich an. Ganz von vorn. Ohne Geld. Ohne Job. Mit Vertrauen in meine Entscheidung.

Ein paar Tage vor meiner zweiten Hochzeit bekomme ich die Diagnose Brustkrebs. Ich überwinde die Krankheit. Allein dafür werde ich oft als mutig und stark angesehen. Doch es ist nicht mein Verdienst, ein optimistisches Naturell zu haben und die Dinge tendenziell positiv zu sehen. Ich habe es mir nicht erkämpft, gesund zu werden. Im Gegenteil. Es war keine Anstrengung, kein Zähnezusammenbeißen, kein Kopf-Hoch-Du-Schaffst-Das-Schon.

Heilung durch Hingabe

Ich fand den Zugang zu meiner Heilung nicht in Strenge und Härte, sondern in Weichheit, Nachgiebigkeit und Hingabe. Der Mut, den ich heute brauche, meine Angst zu überwinden, kommt nicht in heldenhaftem Gewand daher, sondern als zarte, kaum hörbare Stimme. Hab Vertrauen, flüsterte sie. Hör auf, Widerstand zu leisten und nimm das, was da ist, so wie es ist.

Da ist eine Krankheit, eine verlorene Liebe, eine tiefe Verletzung. Da ist Arbeitslosigkeit, Verlust, Mangel, Konflikt, Zerstörung. Da ist Angst, Trauer, Wut. Sie sind da. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und sie ungeschehen machen. Doch ich kann aufhören, gegen sie anzukämpfen und ihnen damit die Möglichkeit geben, sich aus sich selbst heraus zu verwandeln.

Der Mut, die eigenen Grenzen anzuerkennen

Nicht ich bin es, die die Dinge verändert. Wer bin ich zu glauben, das Geschehen in der Welt auch nur um einen Millimeter verschieben zu können? Wir gehen ja gerade daran zugrunde, dass wir glauben, die Dinge kontrollieren zu können.

Wir können uns einbilden, Macht zu haben. Doch eine einzige Böe, eine Welle, ein Beben genügen, in Sekundenschnelle die Anstrengungen von Generationen zunichte zu machen.

Sich dieser Realität zu beugen erfordert Mut. Es erfordert Mut, hinzusehen und seine eigenen Grenzen zu respektieren.

Es braucht viel Mut anzuerkennen, dass man sich geirrt hat, sich hat täuschen lassen, und sehr viel Mut zuzugeben, dass man im Unrecht war, und dafür um Vergebung zu bitten. Und so braucht es weit mehr Mut, weich zu sein als hart, sich zu ergeben, statt die Säbel zu wetzen.

Verantwortung für die eigene Entscheidung

Mit diesem Sich-Ergeben ist nicht gemeint, das Steuer aus der Hand zu geben und andere machen zu lassen, sondern: das Unwetter mit entsprechend gesetzten Segeln zu durchqueren. Ich kann am Wind segeln oder gegen den Wind kreuzen — in jedem Fall nutze ich die Gegebenheit für mich und stelle mich nicht gegen sie. Ich erkenne die Situation an, wie auch immer sie gerade ist, und orientiere mich an ihr, um eine neue Richtung zu wählen. Ich lasse ab davon, Wettergott spielen zu wollen, und vertraue mich einfach dem Leben an.

Das erfordert Mut. Es ist kein Abwälzen der eigenen Verantwortung auf eine außenstehende Macht, sondern im Gegenteil deren vollkommene Annahme. Ich wähle meine Haltung. Kraft meines freien Willens entscheide ich mich dafür, ob ich den Widerstand wähle oder die Hingabe und mache niemand anderen für die Konsequenzen verantwortlich als mich selbst.

Die Lösung in der Vereinigung

In den Krisensituationen, die mir bisher in meinem Leben begegnet sind, konnte ich nur dann Frieden, Harmonie und damit Heilung finden, wenn ich den Mut aufbrachte, den Widerstand aufzugeben und damit die Spaltung. Was es auch war: Ich habe nie die Lösung im Trennenden gefunden, im Kampf, im Konflikt, in der Zerstörung, doch immer in der Vereinigung und im Zusammenspiel.

So wie ich den Krebs überwand, indem ich es aufgab, gegen ihn in den Krieg zu ziehen und damit Angst und Stress zu nähren, so versuche ich es seitdem mit allem, was mir begegnet. Ich erfahre immer wieder, dass die Ereignisse nicht gegen mich gerichtet, sondern Überbringer von Botschaften sind. Das, was mit mir passiert, hat etwas mit mir zu tun. Es hilft mir nicht, dagegen anzugehen. Was mir hilft, ist, die Information zu entschlüsseln.

Vom Diabolischen zum Symbolischen

So können wir vom Dia-bolischen, vom Bösartigen, Trennenden, zum Sym-bolischen, zum Hinweisenden, Vereinenden gelangen.

Meine Krankheit hat mich auf einen ungelösten Konflikt in mir aufmerksam gemacht. Von dem Moment an, in dem ich mich ihm zuwandte, konnte er sich auflösen — und mit ihm das Symptom. Es ist ja nichts weiter als der Überbringer einer Information: Sieh her. Kümmere dich um mich.

Dazu musste ich nichts weiter tun, als mich zu öffnen, durchlässig zu werden und weich, und dabei dem Leben zu vertrauen, dem Guten, dem Schönen und dem Wahren, dem Höchsten, das ich mir vorstellen kann. Seitdem glaube ich, dass hierin der Schlüssel für die Lösung aller Probleme liegt. Das mag idealistisch erscheinen, naiv, zu einfach. Doch eines ist gewiss: Von mir erfordert es Mut — und es hat mir geholfen.


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