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Dem Schmerz ein Zuhause geben

Dem Schmerz ein Zuhause geben

Emotionale Verletzungen, die nicht anerkannt und verarbeitet werden, beeinträchtigen unser soziales Zusammenleben — Heilung geschieht, wenn wir mit Liebe die Seelen von Menschen berühren.

„Jemand, der einem anderen einen Schaden zugefügt hat, muss seine Tat verleugnen und die damit verbundenen Gefühle unterdrücken. Beliebt ist es, die Schädigung herunterzuspielen und sich selbst als unschuldig darzustellen. Damit wird die Verantwortung abgelehnt und ein gutes Gewissen wird demonstriert. Die Opfer werden verachtet, und solche Menschen neigen dazu, sich selbst als Opfer darzustellen. (...) Die abgespaltenen Gefühle der eigenen Opfererfahrung machen blind für die Realität (...). Das führt dazu, dass die Betroffenen gefühllos gegenüber sich selbst werden und immer empfindungsloser anderen gegenüber. Aus Opfern werden Täter, die weder ihr Opfer- noch ihr Täter-Sein wahrhaben möchten.“

Die Erkenntnisse aus der Traumaforschung zu Täter-Opfer-Dynamiken sind interessant, weil sie uns zeigen, dass es nicht so ist, wie wir bisher glaubten. Wir denken noch immer „Dort sind die Bösen, die Täter“ und „Hier sind wir, die Guten, die Opfer“. Was aber, wenn es doch nicht so einfach ist?

Was, wenn das Gute und das Böse in Wahrheit zwei Seiten einer Medaille sind, deren gemeinsamer Nenner aus Leid und Ohnmacht besteht, unterdrücktem Schmerz, der die einen zu Machterwerb und -missbrauch, die anderen hingegen in Unterwerfung und Gehorsam treibt?

Ja, es ist wichtig, Täter zu benennen, und dass diese die Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Ebenso wichtig ist es, Opfer anzuerkennen und zu schützen. Doch das allein reicht nicht. Denn wie der Psychotraumatologe Franz Ruppert im Interview mit Jens Lehrich sagte, war jeder Täter irgendwann auch selbst einmal Opfer, und wird ein Opfer, das seine Traumatisierung nicht aufarbeitet, später selbst zum Täter — zumindest an sich selbst.

Somit ist der Satz von Dieter Duhm ein wichtiger Wegweiser für alle, die einen Beitrag zu einer friedlicheren Welt oder, besser gesagt, einer friedlicheren Menschheit leisten möchten — und sich dabei nicht in blinder Rebellion verlieren oder die Gewaltspirale weiter anfeuern wollen:

„Eine Revolution, die nicht im Inneren stattgefunden hat, kann auch im Äußeren nicht gelingen.“

Diese Revolution beginnt, wenn wir uns nicht länger von uns und unserem Schmerz ablenken und unsere Herzen und Seelen auch für den Schmerz anderer öffnen. Wo wir lernen, uns unserer eigenen Stärke und Wahrhaftigkeit wieder zu bemächtigen, diese zu leben und gesunde Grenzen zu setzen. Und dennoch, ohne uns im Mitgefühl mit den Kräften der Dunkelheit zu verlieren, auch deren Leid zu würdigen vermögen.

Dann wird verständlich und ergibt Sinn, was bereits Goethe seinen Mephisto zu Protokoll geben ließ — denn die Existenz von Not und Bedrängnis provoziert unser Wachsen und Werden, provoziert unsere Kraft:

„Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Den Weg dorthin weist uns Traumatherapeutin und Bestseller-Autorin Dami Charf. In ihrem Video „Dem Schmerz ein Zuhause geben“ erklärt sie:

„In so vielen Menschen ist so viel Schmerz. (…) Wenn wir Schmerz nicht fühlen wollen, fängt er an, sich in uns zu verselbstständigen. Unsere Aufgabe ist es, dem Schmerz ein Zuhause zu geben. Und das nicht nur in uns, sondern auch für den Schmerz der Menschen um uns herum. Die Spuren aus vergangenem Schmerz bestimmen unser Verhalten und unser Denken. Dies bedeutet, dem Schmerz einen Raum geben, dass er auch einmal da sein darf, wir weinen können und dabei gehalten werden oder uns selbst halten.

Die Tendenz zu trösten ist sehr stark. Wir wollen etwas tun, wenn jemand leidet. Doch das Beste, das wir tun können, ist einfach da zu sein. (…) Deshalb macht es die ganze Welt weicher und berührbarer, wenn wir bereit sind, unseren eigenen Schmerz zu fühlen und zu betrauern. Wir können nicht den Schmerz der Welt schultern und heilen, aber die Personen um uns und uns selbst.“

Dami Charf nimmt uns an die Hand und zeigt auf, wie einfach wir zum Frieden beitragen können. Indem wir uns selbst und unseren Liebsten zuhören und dem Drang widerstehen, sie durch tröstende Worte zum Schweigen zu bringen. Indem wir den Schmerz da sein lassen und ihm gemeinsam Raum geben — voranschreiten und den ersten Schritt gehen: uns selbst öffnen und anderen dabei helfen, dasselbe zu tun.

„Die Korrekturen, die für die Erde notwendig sind, an sich selbst vollziehen. Die Korrekturen, die an anderen nötig sind, ebenfalls an sich selbst vollziehen. Dies bedeutet Heilungsarbeit für die Erde, denn es erzeugt das notwendige Feld. Dieses Vollziehen an sich selbst ist der entscheidende Schritt zur Aneignung (...) (wahrer) Macht. Je mehr dieser korrigierenden Schritte wir an uns selbst vollzogen haben, desto mehr menschliche Allgemeingültigkeit besitzen wir, und diese Allgemeingültigkeit ist ein Synonym für (spirituelle) Macht und für die Kraft der Heilung“ (Dieter Duhm).

Oder, um es mit Franz Ruppert zu sagen:

„Wenn alle Menschen, ob Opfer oder Täter, über das sprechen würden, was ihnen jetzt noch unsagbar erscheint, und offen dafür wären, dass all das ans Licht kommen darf, was sie zu Tätern oder Opfern hat werden lassen, wäre die Psychiatrie in ihrer heutigen Form bald überflüssig. Und wenn es Eltern gelänge, sich ihre eigenen Traumata und Verstrickungen anzusehen und aufzulösen, wäre das die beste Therapie für ihre oft sehr belasteten Kinder. Es wäre zugleich die wirkungsvollste Präventionsmaßnahme, um der Angst, dem Hass, der Verzweiflung, der Verwirrung und der Gewalt in der nächsten Generation den Nährboden zu entziehen. Die gemeinsame und öffentliche Beschäftigung mit den Ursachen psychischer Verletzungen und seelischer Verstrickungen und ihren generationsübergreifenden Nachwirkungen in Gruppen veränderungsbereiter Menschen kann ein neues Bewusstsein schaffen für das Zusammenleben von Männern und Frauen, Eltern und Kindern und den Menschen in einer Gesellschaft. Denn, was wir heute tun, kann noch in 100 Jahren Wirkungen haben — wir tragen dafür die Verantwortung im Guten wie im Schlechten. Wir sollten uns den Polaritäten von Mann und Frau, Täter und Opfer, Macht und Ohnmacht gemeinsam neu stellen, um neue Lösungen zu finden. Ein Herz für die Täter zu haben, hilft den Opfern. Die Ohnmacht anzuerkennen, macht offen für Hilfe. Die Wahrheit bringt den Wahn zum Verschwinden. Die Liebe heilt die seelischen Wunden. Heilung geschieht, wenn wir mit Liebe die Seelen von Menschen berühren.“

Dami Charf dazu in ihrem Artikel „Über den Schmerz“:

„Das ist die wahre Heldenreise des Lebens, auf der wir in unsere Abgründe tauchen, um uns selbst wiederzufinden — und unsere Liebe, die Verbundenheit, unsere Lebendigkeit und Freude wieder ans Licht zu holen. Damit wir heilen können und mit uns ein kleines bisschen auch diese Welt.“




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