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Der alte Bauer weint

Der alte Bauer weint

Wenn der Wald erkrankt, leidet auch der Mensch.

Gestern war der Harvester da. Das, was einmal sein Wald war, ist jetzt eine hässliche Steppenlandschaft. Er weint über seinen Wald, der nicht mehr ist.

Der alte Bauer ist inzwischen fast 75. Zeit seines Lebens war er fast täglich in seinem Wald. Schon als ganz kleines Kind hat ihn der Ur-Opa mitgenommen, wenn Bäume gepflanzt werden mussten. „Das sind die Bäume, die du, wenn du groß bist, fällen wirst“, hat er zu ihm gesagt. „In der Zwischenzeit musst du gut auf unseren Wald aufpassen“, hat er zu ihm gesagt. Der Ur-Opa hat ihm gezeigt, worauf zu achten ist und wie man die jungen Triebe vor dem Verbiss durch Rehe schützen konnte. Und vom Opa hatte er dann gelernt, wie man Bäume fällt. Zuerst mit den Pferden, dann später, als ein bisschen Geld da war, mit dem Traktor.

Jeden einzelnen Baum in seinem Wald hat er gekannt, von jedem Baum hat er gewusst, wann es Zeit war, ihn zu fällen. Jeden Winter ging es in den Wald, um die Bäume zu fällen, die man verkaufen wollte oder zum Heizen benötigte. Und im Sommer wurde dann immer wieder nachgepflanzt, damit auch die Ur-Enkel etwas zum Fällen haben würden.

Den Empfehlungen der Bauernkammer vor vielen Jahren, doch möglichst viele Fichten zu pflanzen, weil sie schnell wuchsen und daher schnellen Ertrag bringen würden, war er nicht gefolgt.

Mischwald, das hatte ihm noch der Ur-Opa beigebracht, war die gesündeste Waldform. Am wenigsten gefährdet vor Schädigungen durch die Natur. So hatte auch der Opa gesagt.

Daran hatte er sich gehalten. Auch wenn es weniger Geld brachte. Darum ging es ihm ja nicht.

Zwischendurch wurde der Wald „aufgeräumt“, das Unterholz reduziert, unnötiger Nachwuchs, dem das Licht fehlen würde, entfernt. Viele, viele Stunden Arbeit waren da im Laufe seines Lebens zusammengekommen. Ob Sommer oder Winter — im Wald gab es immer etwas zu tun. Auch als er in Rente ging, hörte er damit nicht auf. Schließlich hatten „die Jungen“ jetzt keine Zeit mehr für den Wald. Sie mussten ihr Geld in irgendwelchen Firmen verdienen, weil man als kleiner Bauer längst nicht mehr von der eigenen Hände Arbeit leben konnte.

Den Hof oder den Wald verkaufen wollten sie nicht. Schließlich war es der Hof, den man vom Ur-Opa übernommen hatte. Also weitermachen im Nebenerwerb wie die meisten im Dorf. Darüber war er nun fast 75 geworden.

Und dann waren sie gekommen. Die Stürme. Die Trockenheit. Die Käfer. Die Pilzkrankheiten. Fast alle Bäume in seinem Wald litten darunter. Fichten, Buchen, Eschen, Eichen — fast keine Baumsorte war verschont worden. Und während sie anfangs noch gemeinsam in der Familie versucht hatten, einzelne kranke Bäume rauszuholen, mussten sie den Kampf letzten Endes doch aufgeben. Die Urlaube von Sohn und Enkel hatten nicht gereicht, und er allein war nicht in der Lage, den Kampf gegen die Käfer zu gewinnen. Jeden Tag in den Wald zu gehen, weitere kranke Bäume zu finden und nichts dagegen tun zu können, tat so weh. Er war einfach zu alt, um noch mit dem Traktor und dem Rückewagen allein zu arbeiten. Die alten Knochen gaben es nicht mehr her. Also bestellten sie den Harvester.

Dass der seinem Wald nicht gut tat, wusste er. Dafür brauchte er keine Klugscheißer aus der Stadt, die ihm etwas von „Boden verdichten“ erzählten. Das hatte er schon mehrfach gehört. „Gierige“ Bauern würden den Harvester holen, um den Wald auszubeuten. Was für ein Witz, was sollte er denn machen? Die kranken Bäume stehen lassen und Ärger mit den Nachbarn riskieren? Einige waren schon angezeigt worden, weil sie das Käferholz nicht rausgeholt hatten. Und nachdem die meisten anderen Bäume in seinem Wald auch krank waren … was sollte er tun??? Die ganzen Klugscheißer kamen ja nicht zum „freiwilligen Waldeinsatz“. — Nicht dass er annahm, mit diesen Anzugträgern etwas anfangen zu können. Bürohengste können nur in den seltensten Fällen Traktor fahren, vom Umgang mit Seilwinden ganz zu schweigen.

Gestern war er nun da. Der Harvester. 33 Euro muss er pro Festmeter bezahlen. Vom Sägewerk bekommt er zwischen 35 und 40 Euro. Für gesundes Holz hätte er 85 Euro bekommen. Ja. So gierig ist er. 2 bis 7 Euro „Gewinn“ für die Arbeit von 60 Jahren.

Der alte Bauer weint. Aber nicht wegen des Geldes. Sein Leben, sein Wald war zerstört. Was weiß so ein Städter schon.


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