Die Zahlen sind dramatisch. Wie das Portal „German Foreign Policy“ berichtet, rollt eine Übernahmewelle über den deutschen Mittelstand, den kleinen wie den großen, hinweg.
„Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, von denen eine immer größere Zahl von der Pleite bedroht ist, treten tschechische und polnische Investoren als Käufer auf.“
Explodierende Energiekosten, unsichere Lieferketten, Liquiditätsengpässe — und zunehmend auch die Frage: Wer übernimmt eigentlich meinen Betrieb, wenn ich in Rente gehe — das sind die Tagessorgen von mittelständischen Unternehmen. Die klassischen Antworten — Verkauf an einen Investor, Fusion mit einem Konkurrenten oder Betriebsschließung — führen meist dazu, dass regionale Wertschöpfung verloren geht, Arbeitsplätze wegfallen und gewachsene Strukturen zerstört werden. Wenn die Investoren ihren Schnitt gemacht haben, wird die Firma geschlossen.
Zeitgleich verarmt die deutsche Mittelschicht. Mieten sind in vielen Städten in den letzten zehn Jahren um 40 bis 80 Prozent gestiegen, Energiekosten bleiben ein permanentes Unsicherheitsrisiko, Pflegeheimplätze kosten zwischen 3.500 und 5.000 Euro monatlich. Was in einem Leben aufgebaut wurde, wird im Alter binnen weniger Jahre aufgebraucht. Im Pflegefall verbleiben nach deutschem Sozialrecht 10.000 Euro „Schonvermögen“ und 500 Euro monatlich; das Haus ist verkauft, das Konto abgeräumt, falls nicht Kinder einspringen.
Die Krise des Mittelstands, die eine unmittelbare Folge der Zerstörung der Industrie ist, stellt eine systemische Gefährdung der deutschen Wirtschaft dar.
Der Mittelstand erwirtschaftet etwa die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung, stellt fast 60 Prozent der Arbeitsplätze und macht rund 99 Prozent aller Unternehmen aus. Wenn diese Basis erodiert, gerät das gesamte ökonomische Gefüge ins Wanken. Es handelt sich nicht um Naturgesetze „des Marktes“, sondern um absichtliche Folgen durch die Privatisierung sozialer Risiken — um nur ein Beispiel zu nennen.
Die aktuelle Krise ist nicht das Ende, sondern der Katalysator. Die Mächte, die unser Leben in den vergangenen Jahrhunderten maßgeblich bestimmt haben, gehen auf dem Zahnfleisch. Abgesehen von der Schaffung von Krisen, um sie zur umfassenden Kontrolle der Menschen auszunutzen, fällt ihnen nichts anderes mehr ein. Die gute Nachricht: Eine positive Veränderung braucht weder Gewalt noch Krieg. Sie erfordert konkrete Einstiegsprojekte, die über den Alltag hinausblicken — Initiativen, die beweisen, dass ein anderes Wirtschaften möglich ist.
Im demnächst erscheinenden Buch von Ulrich Gausmann und Peter Schmuck, „Wem die Welt gehören könnte. Eigentum in der Regionalgesellschaft“, haben beide ein Modell entwickelt, das einen anderen Weg aufzeigt: „Das Drei-Säulen-Modell der Regionalen Wirtschaftsgemeinschaft“. Es verbindet privates Unternehmertum mit gemeinschaftlicher Infrastruktur, auch in Mischmodellen und schafft so eine resiliente regionale Wirtschaftsstruktur, die weder auf staatliche Rettungspakete noch auf Konzernübernahmen angewiesen ist.
Die entstehende Regionalgesellschaft
Was in den öffentlichen Medien kaum thematisiert wird: Es gibt bereits zahllose erfolgreiche Initiativen einer entstehenden Regionalgesellschaft. Einzelne Akteure und Projekte mögen für sich allein nicht spektakulär erscheinen — eine Genossenschaft hier, eine SoLaWi dort, ein regionaler Pflegedienst anderswo. Doch mit einem Rundumblick auf das Ganze zeigt sich ein anderes Bild.
Seit einigen Jahrzehnten, insbesondere in den letzten Jahren, wächst subtil, aber stetig eine Bewegung heran, die regionale Ökonomien aufbaut — nicht als Rückzug ins Provinzielle, sondern als bewusste Alternative zur Dominanz globaler Finanzmarktlogik.
Wer weiß schon, dass es in Deutschland etwa 8.000 Genossenschaften gibt? Tendenz steigend.
Diese entstehenden Regionalgesellschaften bauen auf einem Schlüsselprinzip auf: Eigentum in eigener Verfügung, verbunden mit Selbstbestimmung über das eigene Leben und Teilhabe an einer humanen Gesellschaft.
Das Drei-Säulen-Modell ist eine Systematisierung dieser Einstiegsprojekte.
Es überwindet die alte (Schein-)Alternative „privat oder gemeinschaftlich“ durch eine durchlässige, abgestufte Eigentumsordnung. Der Grundgedanke ist einfach: Was jemand alleine besser kann, bleibt privat. Was gemeinsam effizienter ist, wird gemeinschaftlich organisiert. So ist die Struktur.
Die erste Säule bildet den privaten Betriebskern. Hier bleibt alles beim Unternehmer: die Geschäftsführung, das Kerngeschäft, die unternehmerischen Entscheidungen. Keine Enteignung, keine erzwungene Vergemeinschaftung. Das persönliche Unternehmertum wird anerkannt und geschützt — rechtlich abgesichert durch bewährte Formen wie Einzelunternehmen, GmbH, Vereine oder Stiftungen. Auch vor dem Zugriff des Staates durch den „Lastenausgleich“.
Die zweite Säule organisiert die gemeinschaftliche Infrastruktur auf regionaler Ebene. Teure Produktionsmittel, die von mehreren Betrieben genutzt werden können — eine CNC-Fräse, die die Tischlerei nur einmal im Monat braucht — gehören einer regionalen Unternehmer-Genossenschaft. Ebenso Energieerzeugung, Gebäude, Fuhrpark oder Ausbildungsstätten. Das Prinzip: Jedes Mitgliedsunternehmen erwirbt Anteile entsprechend seiner Nutzung, hat aber unabhängig von seinem Kapitalanteil nur eine Stimme. Grundstücke verwaltet eine Bodenstiftung, die sie per Erbbaurecht langfristig — jedoch ohne Spekulationsmöglichkeit — an Unternehmen vergibt.
Besonders die regionale Energieversorgung wird zum Schlüsselfaktor für die Unabhängigkeit des Mittelstands. Statt weiterhin den volatilen Energiemärkten und ihren Preiskapriolen ausgeliefert zu sein, können Unternehmen gemeinsam in Biogasanlagen, Photovoltaikanlagen, Blockheizkraftwerke oder Windkraftanlagen investieren. Eine Energiegenossenschaft betreibt die Anlagen, verteilt den Strom an die Mitgliedsunternehmen und ermöglicht den Betrieben planbare Energieautonomie. Was heute noch als Kostenfaktor die Existenz bedroht, wird zur kalkulierbaren Gemeinschaftsinvestition.
Die dritte Säule ist der innovative Verbindungsbereich, in dem sich Privates und Gemeinschaftliches durchdringen. Ein Beispiel dafür ist das Modell der „Bank im eigenen Unternehmen“.
Viele Unternehmer kennen das Problem: Klassische Versicherungslösungen für Mitarbeiter sind teuer, intransparent und entziehen dem Unternehmen Liquidität. Die Renditen sind mager, die Mitarbeiter bleiben trotzdem nicht länger — und im schlimmsten Fall haftet das Unternehmen, wenn die Versicherung pleitegeht, da das Unternehmen immer für die zugesagten Betriebsrenten haftet, nicht Allianz & Co.
Dieses Kapital bleibt durch eine eigene Bank im Unternehmen nutzbar — als zusätzliche Liquidität, investiert in Sachwerte oder sogar als Darlehen an das eigene Unternehmen. Die Mitarbeiter erhalten eine verbindliche Zusage auf Altersversorgung, die nicht von maroden Versicherern abhängt. Und das Unternehmen baut gleichzeitig Eigenkapital auf. Die Altersrente sinkt nicht — sie steigt.
Weitere Elemente in diesem Verbindungsbereich sind:
- Verbrauchergenossenschaften: Abnehmer organisieren sich als Einkaufsgemeinschaft und geben den Unternehmern durch langfristige Abnahmeverträge Planungssicherheit.
- Gemeinsame Maschinen- und Anlagengenossenschaften: Teure Produktionsmittel werden gemeinschaftlich angeschafft und genutzt, wodurch Investitionskosten auf mehrere Schultern verteilt werden.
- Bodenstiftungen: Grundstücke werden per Erbbaurecht langfristig gesichert und dem Spekulationsmarkt entzogen, was Standortsicherheit für Jahrzehnte schafft.
Ein Beispiel:
Eine Bäckerei mit zwölf Mitarbeitern. Vor drei Jahren stand sie vor dem Aus: Energiekosten von 4.000 Euro monatlich, Konkurrenz durch Discounter, Nachwuchsprobleme, ungeklärte Nachfolge. Heute sieht es so aus:
Eine Photovoltaikanlage der regionalen Genossenschaft auf dem Dach deckt 70 Prozent des Eigenverbrauchs. Ersparnis: 2.000 Euro pro Monat.
- 200 Haushalte werden über eine Verbrauchergenossenschaft direkt beliefert — sichere Abnahme, faire Preise, keine Zwischenhändler.
- Ein Ausbildungsverbund mit drei anderen Betrieben teilt die Ausbildungskosten.
- Die eigene Bank hat nach drei Jahren 64.800 Euro aufgebaut; davon wurden 40.000 Euro für neue Öfen genutzt. Die Ersparnis gegenüber Versicherungen: 18.000 Euro über drei Jahre.
- Die Umwandlung in eine Stiftung ist vorbereitet — die Nachfolge geregelt, ohne dass verkauft werden muss.
Das Unternehmen ist zukunftsfähig, die Mitarbeiter sind motiviert und langfristig gebunden, die Kundschaft bleibt treu, und die Liquidität hat sich verbessert.
Das Drei-Säulen-Modell ist keine rechtliche Grauzone. Es basiert vollständig auf deutschem Recht: Genossenschaftsgesetz, Stiftungsrecht, Erbbaurechtsgesetz, Betriebsrentengesetz. Die Rechtsformen sind seit Jahrzehnten bewährt — nur ihre Anwendung auf regionale Wirtschaftsstrukturen ist neu.
Was das Modell attraktiv macht, ist der Sicherheitsgewinn für alle Beteiligten:
Unternehmer profitieren von stabilen Standortkosten durch Erbbaurechte, geteilten Investitionsrisiken bei teuren Anschaffungen, langfristigen Abnahmeverträgen und Liquidität durch eigene Bank im Unternehmen. Die Nachfolge lässt sich regeln, ohne den Betrieb verkaufen zu müssen.
Mitarbeiter haben sichere Arbeitsplätze in regional verwurzelten Betrieben, stabile, auskömmliche Altersrenten statt unsicherer Versicherungsversprechen, Zugang zu Weiterbildung und die Möglichkeit, selbst Genossenschaftsanteile zu erwerben.
Verbraucher bekommen Versorgungssicherheit durch regionale Produzenten, stabile Preise ohne Spekulation, nachvollziehbare Qualität und Mitsprache bei der Produktgestaltung.
Kommunen sichern Steuereinnahmen, reduzieren Sozialkosten durch weniger Arbeitslosigkeit und profitieren von privaten Investitionen in öffentlich nutzbare Güter.
Das Drei-Säulen-Modell fordert uns auf, vertraute Denkgegensätze zu überwinden. Es ist weder klassischer Kapitalismus noch Kollektivwirtschaft, sondern eine Form, in der Eigentum nicht länger Ausschluss anderer bedeutet, sondern Verantwortung für das Gemeinwohl einschließt.
Unternehmer, Mitarbeiter und Verbraucher stehen sich nicht als Gegner gegenüber, sondern agieren als Mitgestalter regionaler Wertschöpfung. Zentrale Frage dabei: Wie optimieren wir den Nutzen für alle Beteiligten?
Das Drei-Säulen-Modell ist keine Weltformel, die alle Probleme löst. Aber es ist eine konkrete, rechtlich abgesicherte und praktisch erprobte Alternative zur scheinbar alternativlosen Logik von Shareholder Value, Fremdkapitalzwang und Standortverlagerungen. Es zeigt: Der Mittelstand muss nicht sterben. Er kann sich neu organisieren — und damit eine Wirtschaft aufbauen, die regional verwurzelt, sozial gerecht und ökonomisch resilient ist.
Drei Schlüsselbereiche für regionale Resilienz
Drei Bereiche kristallisieren sich dabei als besonders wirksam heraus, um regionale Wirtschaftsstrukturen zu stärken:
Ambulante Pflege als regionales Geschäftsmodell
Während stationäre Pflege zur Armutsfalle geworden ist, bietet ambulante Pflege („Schwester Agnes“) eine Chance für regionale Unternehmen. Pflegedienste, organisiert als Genossenschaften oder in Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft, können mehrere Vorteile verbinden: Sie schaffen sichere Arbeitsplätze vor Ort, ermöglichen älteren Menschen das Verbleiben im gewohnten Umfeld und sind deutlich kostengünstiger als Heimunterbringung.
Ein ambulanter Pflegedienst in genossenschaftlicher Struktur kann mit der regionalen Infrastruktur-Genossenschaft kooperieren: gemeinsame Fahrzeuge, gemeinsame Verwaltung, gegenseitige Absicherung. Unternehmer können so auch für die Pflege ihrer eigenen Mitarbeiter und deren Angehörigen vorsorgen — als Teil eines umfassenden regionalen Sicherungsnetzes. Die Pflegekräfte selbst werden durch die eigene Bank langfristig gebunden, was dem chronischen Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirkt. Die Wertschöpfung bleibt in der Region. Alle profitieren.
Regionale Energieversorgung als Autonomiefaktor
Regionale Energiequellen sind eine ökonomische Chance für regionale Selbstorganisation. Eine Genossenschaft, die auf den Dächern ihrer Mitgliedsunternehmen Photovoltaikanlagen betreibt, macht die Betriebe unabhängiger von Energiepreisschwankungen. Blockheizkraftwerke können Abwärme aus Produktionsprozessen nutzen und mehrere Betriebe gleichzeitig versorgen. Windkraftanlagen in ländlichen Regionen, genossenschaftlich betrieben, bringen die Wertschöpfung zurück in die Region. Hinzu kommen Biogasanlagen.
Das entscheidende Prinzip: Statt Energie als Ware zu kaufen, wird sie zur gemeinschaftlichen Infrastruktur. Die Investitionskosten werden auf viele Schultern verteilt, die Ersparnisse kommen allen zugute. Etwa 200 regionale Beispiele innovativer Konzepte und Geschäftsmodelle erfolgreicher Energiewendedörfer können öffentlich eingesehen werden:
Netzwerkaufbau als Überlebensstrategie
Einzelkämpfertum funktioniert im heutigen Wettbewerb nicht mehr. Mittelständler brauchen Netzwerke — aber nicht die abstrakten Business-Clubs und Verkäufer-Veranstaltungen der Unternehmensberaterwelt, sondern konkrete, verbindliche Kooperationen mit messbarem Nutzen.
Der Aufbau regionaler Wirtschaftsnetzwerke folgt klaren Prinzipien:
Erstens: Vertrauen durch gemeinsame Projekte. Kleine, überschaubare Kooperationen schaffen Vertrauen. Die gemeinsame Photovoltaikanlage, der geteilte Maschinenpark, der Ausbildungsverbund — jedes erfolgreiche Projekt stärkt das Netzwerk.
Zweitens: Subsidiarität. Was ein Betrieb alleine besser kann, bleibt beim Betrieb. Nur was gemeinsam effizienter ist, wird geteilt. Das schützt die unternehmerische Autonomie.
Drittens: Regionale Verankerung. Netzwerke funktionieren am besten, wenn die Akteure sich kennen, sich regelmäßig sehen können und in derselben Region verwurzelt sind. Vertrauen entsteht durch Nähe.
Viertens: Rechtliche Verbindlichkeit. Netzwerke brauchen Strukturen. Die Genossenschaft bietet den rechtlichen Rahmen, der Sicherheit gibt, ohne Flexibilität zu nehmen.
Diese Netzwerke sind keine netten Nebenprojekte — sie sind die Lebensversicherung für den Mittelstand. In einer Zeit, in der Großkonzerne über globale Lieferketten, riesige Einkaufsvolumina und politischen Einfluss verfügen, kann der einzelne Mittelständler nur durch Vernetzung mithalten.
Manchmal sind die besten Antworten nicht die lautesten — sondern die durchdachtesten.
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Quellen und Anmerkungen:
Mehr Informationen zur praktischen Umsetzung des Modells finden Sie bei der Utopie-Akademie.



