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Der Schlüssel zur Heilung

Der Schlüssel zur Heilung

Gopal Norbert Kleins Methode der Traumatherapie kann Menschen helfen, mit sich ins Reine zu kommen, und dient damit auch dem Frieden in der Welt.

Ein Kind, das aus dem Mutterleib kommt, spürt seine eigenen Begrenzungen nicht. Es ist noch Teil der Mutter, des Großen, des Ganzen, dem es entsprungen ist. Erst mit der Zeit formt sich das Gegenüber, das andere, das Fremde, das, was es braucht, um Begegnung zu ermöglichen. Der Tropfen nimmt Konturen an. Hierzu braucht es Berührung, Reibung, Begegnung. Ohne Begegnung, ohne Gegenüber kann sich nichts Neues entwickeln, kein neues Leben geboren werden.

Ohne dich kann ich mich nicht erkennen. Du bist mein Spiegel. Du bringst in mir zum Vorschein, wer ich wirklich bin. Mit der Begegnung werden wir uns quasi selbst geschenkt. Sie erst macht uns richtig lebendig. Und uns gleichzeitig das Leben schwer. Doch wer genau schaut, der erkennt nicht nur das Entwicklungspotenzial, das in unseren Begegnungen steckt. Er wird gewahr, dass eine dauerhafte Heilung von den tiefen Verletzungen, die wir mehr oder weniger alle in uns tragen, nur gemeinsam möglich ist.

Unerfüllte Sehnsucht

Für den Traumatherapeuten Gopal Norbert Klein ist heute nahezu jeder Mensch von Bindungs- und Entwicklungstrauma betroffen (1).

Trauma entsteht dadurch, dass wir uns als Kind im Kontakt mit unseren Eltern nicht in Ordnung fühlen. Ich bin nicht richtig so, wie ich bin. Ein Mensch, der das von sich glaubt, befindet sich unterschwellig in einem ständigen Alarmzustand. Die meisten Menschen bemerken es gar nicht. Doch wäre unsere Gesellschaft sonst in einem solch desolaten Zustand?

Gäbe es die Verwicklungen und Konflikte, die heute an der Tagesordnung sind? Lebten wir sonst in einem System, das auf den Mechanismen von Kampf, Flucht und Totstellen beruht und dessen Ideal maximale äußere Leistungsfähigkeit und Selbstbetäubung sind?

Auf der einen Seite stehen machtlose Bürger und Verbraucher, auf der anderen Mächtige, die ihren Einfluss aufgrund ihrer eigenen Traumastrukturen in weiten Teilen missbrauchen. Überall fehlt es an echter Kommunikation. Es gibt keinen wirklichen Austausch zwischen Regierung und Bevölkerung, Konzernleitung und Belegschaft, Medien und Zuschauern. Ohnmacht, Hilflosigkeit und Bedürftigkeit auf der einen Seite, Wut und Hass auf der anderen und Angst auf beiden Seiten.

Dabei wollen wir wohl alle frei von Leiden sein und glückliche Beziehungen führen. Nur: Wie stellen wir das an? Wir wollen Konflikte beenden, doch wie machen wir das? Wir wünschen uns stabile und erfüllende Partnerschaften, aber wie geht das? Wie überwinden wir Stress, Ängste, Depressionen und Süchte? Können wir uns vorstellen, wie es wäre, wenn plötzlich immer mehr Menschen anfingen, in Kontakt miteinander zu treten, sich einander zu offenbaren und ein gesundes Miteinander zu schaffen? Wenn sich also von innen her ein Wandel vollzöge, der sich immer weiter ausbreitet und dem sich auch Wirtschaft und Politik nicht entziehen können?

Zwischen Autonomie und Verschmelzung

In unserer Gesellschaft, so Gopal Norbert Klein, gehört es nicht zum Standard, sich ehrlich mitzuteilen, innere Regungen wahrzunehmen und anderen gegenüber zu äußern. Wir sind es nicht gewohnt, im Umgang miteinander gütig und zärtlich zu sein, Bedürfnisse von Kindern zu bemerken und frei von eigenen inneren Unebenheiten darauf zu reagieren. Die Kernursache dieser Probleme und unseres Leidens liegt darin, dass wir als Kinder unsere natürlichen Bedürfnisse nicht richtig äußern konnten oder uns sogar für unsere Existenz schämten. Als Erwachsene zeigen wir uns nicht mehr und teilen uns nicht mehr mit.

Um als Kinder zu überleben, haben wir entweder gelernt, die Bindung zu unseren Bezugspersonen zu opfern und uns in die Eigenständigkeit zu flüchten, oder unseren authentischen Selbstausdruck zu opfern und uns so zu verbiegen, dass wir die Bindung zu den Eltern retten können. Im ersten Fall blenden wir die anderen aus und im zweiten uns selbst. Beide Bewegungen führen zu ungesunden Beziehungen, in denen wir uns entweder zurückziehen und isolieren oder abhängig und süchtig werden. Für beide gibt es verschiedene Heilungswege, doch dasselbe Ergebnis — das ist vollständiger Kontakt.

Der Autonomietyp zieht sich zurück, ist häufig alleine, beschäftigt sich mit seinen Gedankenwelten, Büchern, Ideen, Philosophien und träumt von Freiheit und Unabhängigkeit. Der Verschmelzungstyp sucht unentwegt Kontakt, ist ständig mit der Lebenswelt anderer beschäftigt, hat ein mangelndes Gespür für die eigenen Bedürfnisse und träumt von der großen wahren Liebe. Für den Autonomietyp beginnt Heilung damit, zu bemerken, dass er mehr Distanz und Unabhängigkeit möchte, und genau das mitzuteilen. Für den Verschmelzungstyp beginnt Heilung damit, wahrzunehmen, dass er mehr Nähe und Verbindlichkeit möchte, und ebenfalls genau dies immer wieder ehrlich mitzuteilen.

Voraussetzung: sich sicher fühlen

Unser autonomes Nervensystem verfügt über drei Hauptstränge: den für die Aktivierung der Leistungs- und Handlungsbereitschaft des Körpers zuständigen Sympathikus, den dorsalen Zweig des für Dämpfung, Betäubung und Erstarrung zuständigen Parasympathikus und den ventralen Zweig des Parasympathikus, der für Regeneration und Wohlbefinden zuständig ist, den Vagusnerv. Der Vagus kommt im Wesentlichen immer dann ins Spiel, wenn wir uns wohl und sicher fühlen.

Sicherheit erfahren wir vor allem durch Bindung; das hat evolutionäre Gründe. Zusammenarbeit und Akzeptanz geben uns Stabilität. Entsprechend blicken wir auf die Welt. Wir sehen die Dinge immer durch die Brille unserer Physiologie.

Wenn wir also in die Welt schauen, sehen wir in Wirklichkeit den Zustand unseres Nervensystems und unserer Glaubenssätze.

Ist der Vagus aktiv, erscheinen uns die Dinge machbar. Wir blicken zuversichtlich in die Welt. Im Flucht- und Kampfmodus hingegen erscheint sie uns bedrohlich, gefährlich und beängstigend.

Nun gibt es viele Anleitungen dazu, wie wir den Vagus aktivieren und trainieren. Doch hier, so Gopal Norbert Klein, liegt nicht die Lösung. Wir können meditieren, Geräte kaufen und Yoga, Entspannungsübungen und spirituelle Energiearbeit machen, so viel wir wollen: Unser Organismus hat kein Bedürfnis nach Vagusübungen, sondern nach Kontakt, Nähe und tiefen Beziehungen. Heilung geschieht immer im Bindungskontext. Und nur dort. Da Trauma und die entsprechenden Spannungen im Bindungskontext entstanden sind, können sie auch nur im Bindungskontext heilen.

Gemeinsam heilsam

In Beziehungen haben wir fünf Möglichkeiten, mit dem umzugehen, was der Kontakt mit anderen Menschen in uns auslöst: Wir können versuchen, den anderen zu beeinflussen und zu manipulieren, damit er sich so verhält, dass unverarbeitete Gefühle in uns erst gar nicht aufkommen. Oder wir können unsere Emotionen ausagieren, herumschreien und alles kaputtmachen. Wir können uns zurückziehen und meditieren und hoffen, dass die unangenehmen Gefühle uns verlassen, was jedoch nur ganz selten funktioniert und nicht verhindert, dass die grundlegende Traumatisierung und die alten Beziehungsmuster bei der nächsten Gelegenheit wieder hochkommen.

Wir können versuchen, die aufkommenden Gefühle zu unterdrücken, sie vor den anderen zu verbergen und damit auch schwerwiegende gesundheitliche Probleme riskieren. Oder wir können den anderen ehrlich mitteilen, was in uns los ist.

Diese fünfte Möglichkeit ziehen die wenigsten in Betracht. Es ist ein gesellschaftliches Tabu, sich ehrlich mitzuteilen und anderen zu sagen, was wir gerade wirklich fühlen und denken. Doch genau hierin liegt die Lösung.

Der Kern des Problems ist es, nicht zu wagen, unsere Ängste mitzuteilen, etwa dass der andere etwas Schlimmes macht, wie zum Beispiel uns zu bedrohen oder zu verlassen. Solange diese aus der Kindheit stammenden Erfahrungen nicht mitgeteilt werden, sind sie unterschwellig rund um die Uhr aktiv und erzeugen sowohl Stress im Körper als auch Reinszenierungen in den Beziehungen. Hier kann das ehrliche Mitteilen (EM) helfen. Es geht nicht darum, etwas an einer Situation zu ändern. Die Lösung liegt im Mitteilen an sich.

Es gibt weder etwas zu tun noch zu lernen. Heilung entsteht, indem zwei erwachsene Menschen kommunizieren, was in ihnen los ist. Sie sprechen darüber, welche Körperempfindungen, Gefühle und Gedanken sie in sich wahrnehmen. Für den Autonomietyp bedeutet das, auf Menschen zuzugehen und mitzuteilen, wie er sich fühlt. Für den Verschmelzungstyp bedeutet es zu warten, weniger aktiv auf Menschen zuzugehen und dabei die eigenen Bedürfnisse und Empfindungen mitzuteilen.

„Heilung“, so Gopal Norbert Klein, „setzt dann ein, wenn du diese alten Muster, mit denen du Bindung und wirkliche Beziehung verhinderst, hinter dir lässt und bis auf Körper- und Zellebene die Erfahrung eines entspannten, ehrlichen und nährenden Kontakts zu anderen Menschen gemacht hast. Das beginnt, sobald die inneren Gefühle jeweils mitgeteilt werden. Im ersten Fall das Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit. Im zweiten Fall das Bedürfnis nach Zuwendung und Verschmelzung.“

EM in der Praxis

Im Wesentlichen gibt es im Menschen drei Erlebnisebenen: Körperempfindungen, Gefühle und Gedanken. Geäußert wird, was auf den jeweiligen Ebenen gerade in uns los ist, ohne uns damit zu identifizieren. Wir sind nicht unsere Gefühle und unsere Gedanken! Wir haben sie. Sie ziehen durch uns hindurch und verschwinden wieder. Dieser Abstand erlaubt es, zu wirklichen Lösungen zu kommen. Die Wirkung, so Gopal Norbert Klein, ist phänomenal.

Konkret sieht das so aus, dass man, ohne auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet zu sein, sagt: In meinem (Bauch, Hals, rechten Knie und so weiter) spüre ich (Entspannung, Schmerzen, Leichtigkeit und so weiter). Ich fühle im Moment (Trauer, etwas Unklares, Wut, nichts, Freude und so weiter). Mein Kopf denkt gerade, dass (ich falsch bin, alles doof ist, xyz sehr nett ist und so weiter).

Das ist alles. Alles kann mitgeteilt werden, solange es sich um Ich-Botschaften handelt. Hierfür ist ein bestimmter Rahmen notwendig, eine sichere Umgebung, in der geübt und praktiziert wird. Voraussetzung ist, dass alle Beteiligten einander wohlgesonnen sind und sich weiterentwickeln wollen. Jeder Teilnehmer teilt sich eine begrenzte Zeit mit. Es gibt keinen Dialog. Der jeweils andere hört nur zu, ohne zu interpretieren, ohne zu analysieren, ohne zu bewerten. In stiller Aufmerksamkeit.

Echt jetzt

Dann, wenn wir den Kontakt mit anderen Menschen als sicher erleben und die Erfahrung machen, so sein zu können, wie wir sind, egal, was wir gerade denken oder wie wir uns fühlen, kann Heilung geschehen. Hierfür ist es nicht relevant, was wir früher erlebt haben. Wir müssen auch nicht versuchen, uns daran zu erinnern.

Denn das, worunter wir leiden, erschaffen wir uns tagtäglich in jedem Moment neu, indem wir Distanz zu anderen oder zu uns selbst schaffen und unterschwellig glauben, dass von jemandem, der uns nahekommt, grundsätzlich eine Gefahr ausgeht.

Diesen unbewussten Mechanismus gilt es zu überwinden. Beim ehrlichen Mitteilen kommt der Teil von uns, der nie gesehen wurde, mit der Außenwelt in Kontakt und kann ins Erwachsenenbewusstsein integriert werden. Hierbei geht es nicht um die Inhalte dessen, was gesagt wird. Es geht um den Austausch an sich und welche Tiefe dabei erreicht wird. Egal, was da ist, Liebe, Wut, Ablehnung, Ignoranz, Freude, Eifersucht, Hass, Bewunderung, Mitgefühl — das, was kommuniziert wird, stellt das gleiche Maß an Nähe her.

Bei einem Streit reicht es meistens aus mitzuteilen, was gerade an Gefühlen da ist. Es muss nicht geklärt werden, wie es zu dem Streit kam. Die Lösung ist nicht der oder die andere, sondern das Mitteilen. Egal, was auftaucht. Es geht auch nicht darum, gute Zustände zu erreichen, sondern das Verhältnis zum Menschen und letztlich zur ganzen Welt tiefgreifend neu auszurichten. Indem wir die Erfahrung von Sicherheit machen, während wir in Kontakt mit anderen Menschen sind, erlaubt das dem Körper, jahrzehntelang festgehaltene Spannungen zu lösen.

Endlich Frieden

Das Nervensystem kann die Entwicklung auf der Beziehungsebene nachholen, die als Kind nicht möglich war. Das ist der Vagus-Schlüssel. Letztlich, so Gopal Norbert Klein, gibt es nur zwei Kernemotionen: Wut und Traurigkeit. Das ehrliche Mitteilen führt uns dahin, beide zu kommunizieren, ohne es prinzipiell als gefährlich zu erleben. Sobald wir das lernen, sobald wir unsere Wut und unsere Traurigkeit ehrlich mitteilen, haben letztlich alle Probleme der Welt ein Ende.

Denn jeder Mensch, der sein Trauma heilt, trägt dazu bei, dass unsere zutiefst traumatisierte Gesellschaft ebenfalls nach und nach heilen kann. Es ist keine Nabelschau, kein Egoismus, kein überflüssiges Beiwerk, sich mit den eigenen Regungen und Empfindungen auseinanderzusetzen. Es ist der Schlüssel zum Frieden in der Welt!

Die Antwort auf das Waffengeklirr und die Absurditäten da draußen ist nicht der Rückzug nach innen. Es ist eine Bewegung auf die Menschen zu, mit denen wir in Kontakt stehen.

Diese Kontakte wahrhaftig und echt werden zu lassen, ist der Weg der Heilung. Er beginnt damit, dass wir mit unseren Lebenspartnern sprechen, mit den Menschen, die uns nahestehen und zu denen wir genug Vertrauen haben, uns mit unseren wahren Gefühlen und Gedanken zu zeigen. Auf die Initiative von Gopal Norbert Klein bilden sich überall auf der Welt Gesprächsgruppen und Netzwerke, die den Traum einer friedlichen Welt Wirklichkeit werden lassen.

Mag die Bewegung noch größtenteils unsichtbar sein, die sich im aktuellen Chaos gebildet hat. Mag auf der Oberfläche Krieg herrschen. Unter dem Radar und jenseits der Scheinwerfer gibt es Menschen, die erkannt haben, dass die Gemeinschaft als Ganzes nur glücklich sein kann, wenn jedes einzelne Mitglied glücklich ist. Auch wenn diese Wirklichkeit vielen noch verborgen ist: Sie ist schon da und offenbart sich denen, die sich mit ihr beschäftigen.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Gopal Norbert Klein: Der Vagus-Schlüssel zur Traumaheilung. Wie „Ehrliches Mitteilen“ unser Nervensystem reguliert, Gräfe und Unzer 2022
(2) https://www.traumaheilung.net/

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