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Der Sektenhammer

Der Sektenhammer

Die Ausgrenzung neuer Denk- und Lebensformen gibt es nicht erst seit „Corona“. Durch Selbstkritik und die Schulung von Friedensfähigkeit können wir ihr begegnen. Exklusivabdruck aus „Die heilige Matrix“.

Das Projekt hatte sich in ein Forschungsprojekt verwandelt. Wir betrieben Gemeinschaftsforschung, Heilungsforschung, Kunstforschung. Alles zusammen nannten wir Lebensforschung. Die Schöpfung erschien uns als ein Kunstwerk, in dem dauernd neue Facetten zu entdecken waren.

Wenn man nicht mehr mit der alten Brille schaute, sah man neue Bilder, wir brauchten dafür keine halluzinogenen Drogen. Es gab eine tiefe Resonanz zwischen Denken und Wirklichkeit. Wir waren in der Lage, durch eine Veränderung unserer Gedanken andere Wirklichkeiten abzurufen.

Diese Erkenntnisse nutzten wir für ungewöhnliche Heilungsvorgänge. Um im Inneren eines Menschen einen Heilungsvorgang zu bewirken, kann es genügen, an einer einzigen Schlüsselstelle sein „Weltbild“ zu verändern; die sogenannte Wirklichkeit wird ihm daraufhin anders entgegentreten. Krankheiten, die mit den bewussten oder unbewussten Glaubenssätzen des alten Weltbildes zusammenhängen, werden verschwinden. Ein alter Wutknoten kann sich auf der Stelle lösen, wenn der erlösende Gedanke beziehungsweise die erlösende Information in den Organismus eintreten kann.

Diesen Zusammenhang, der uns bis heute leitet, nannten wir „objektive Magie“. Wir fanden das Prinzip des „kaleidoskopischen Umschlags“ von der Matrix der Angst in die Matrix des Lebens. Wie beim Kaleidoskop genügte eine kleine Drehung, um ein fertiges Muster in ein anderes fertiges Muster zu verwandeln. Alles schien als latentes Muster, als „Blaupause“ schon vorhanden zu sein. Um diese Vorgänge regelrecht zu üben, benutzten wir Musik, Gesang und Malerei. Wir errichteten Kunstateliers und bauten einen Musikkeller. Wir übten uns in systematischer Grenzverschiebung.

Im Winter, wenn die Teiche nicht gerade zugefroren waren, legten wir uns zur Meditation ins Eiswasser und blieben dort bis zu dreißig Minuten liegen. Wir hatten entdeckt, wie sehr das, was mit uns geschah, von uns selbst abhing, von unseren Gedanken, unseren Ängsten, unseren Grenzvorstellungen. In Wirklichkeit gab es keine Grenzen. Wir entdeckten vor allem den sogenannten Feldeffekt, ein Kernstück der heutigen politischen Theorie: Man braucht nicht alles selbst zu können, wenn man in einer funktionierenden Gruppe lebt. Wenn ein einziges Mitglied der Gruppe eine Grenze verschoben hat, können alle anderen diese Grenzverschiebung ebenfalls vollziehen. Es genügt, wenn die Information für diese Möglichkeit durch eine einzige Handlung abgerufen worden ist.

Wir gerieten in eine zunehmende Neugier und Begeisterung. Für viele begann zum ersten Mal in ihrem Leben eine echte Forschung und eine bewußte Anteilnahme an den Geheimnissen des Lebens. Sie erprobten sich in Feuerläufen, Absprüngen und anderen Mutübungen. Sie interessierten sich für Biologie und Physik, für Philosophie und Geschichte. Wir entdeckten neue Methoden der Bodensanierung im Energiegewebe der Erde. Wir entdeckten die Radiästhesie, das Geheimnis von Wünschelruten und Pendeln, die Realität von Dingen, die wir bisher ins okkulte Abseits geschoben hatten. Es gelang uns, alte Rohrleitungen zu finden, die 80 cm unter der Erde lagen.

Wir sahen den Zusammenhang von Ökologie und Geomantie und entwickelten weitreichende Konzepte zur Erdheilung, vorerst noch als Gedankenexperiment, denn wir hatten noch keine Möglichkeit, die Dinge in die Tat umzusetzen. Wir erkannten die Bedeutung des Wassers als grundlegendem Informationsträger des Lebens und fingen an, uns dafür zu interessieren, an was für Plätzen der Erde die alte Menschheit ihre sakralen Stätten errichtet hatte. Wir begannen, alte Quellen zu studieren und altes Menschheitswissen neu zu durchdenken.

Wir bauten eigenwillige Gärten und entwickelten fantasievolle Kompostierungsverfahren. Als das Gemüse reif war, konnte es vorkommen, dass wir vor lauter Eifer vergaßen, es zu ernten. Es fing an zu blühen. An Stelle des Gemüsegartens hatten wir dann einen herrlichen Blumengarten. Blühen — Befruchtung — Samen — Keimung — Wachstum: Was für eine wunderbare neue Welt! Wir kauften starke Mikroskope, um tiefer hineinzublicken in die Geheimnisse der Schöpfung.

Wir merkten, sahen und rochen es förmlich, dass alles in einem großen, unerschöpflichen Zusammenhang steht. Wir begannen zu begreifen, dass eine menschliche Gemeinschaft nur funktionieren kann, wenn sie diese Zusammenhänge in ihr Leben aufnimmt. In den überlebensfähigen Gemeinschaften der Zukunft muss die soziale Ordnung mit der kosmischen Ordnung verbunden sein. Auch zwischenmenschliche Konflikte sind letztlich nur lösbar im Schutze einer Gemeinschaft, die mit den kosmischen Kräften verbunden ist. In dieser Verbindung schwindet die Angst und wächst das Bewusstsein von der universellen Gemeinschaft.

Höheres Bewusstsein ist umfassenderes Vereintsein, sagte Teilhard de Chardin. Es gab Zeiten, da spürten wir jeden Tag die Wahrheit dieses Satzes. Wir spürten den universellen Zusammenhang aller Lebewesen und begannen, uns tiefere Gedanken zu machen über unsere Ernährungsgewohnheiten, besonders über die Frage des Fleischessens. Nachdem wir unsere Ideologien und vorgefertigten Werte abgelegt hatten, kamen wir jetzt nach und nach auf neuem Wege zu sehr alten, vielleicht ewigen Werten zurück. Du sollst nicht töten: Dieses ethische Wissen hatte es schon einmal auf der Erde gegeben; es wurde jetzt wieder wach in seiner ursprünglichen Tiefe.

Wir fingen an, es auch im Umgang mit Kleinlebewesen bei der Gartenarbeit zu beachten. Tief im Inneren aller Dinge gab es etwas Heiliges, das man pflegen und schützen musste. Tief in uns selbst gab es ein heiliges Wesen, welches in Resonanz stand mit dem heiligen Kern aller anderen Wesen. Wir waren alle keine besonders frommen Menschen, aber wir begannen tatsächlich mit religiösen Zeremonien, die uns früher nur peinlich vorgekommen wären. Es entstanden neue Umgangsformen untereinander und mit aller Kreatur. Liebe war keine Phrase mehr. Sie war eine echte Kraft geworden, die stark an unserer Heilungsarbeit beteiligt war.

Nachts konnte man manchmal nicht schlafen wegen der bewegenden neuen Erfahrungen. Eines Nachts waren — ohne irgendeine Verabredung — um drei Uhr alle 38 Mitglieder der Gruppe in der großen Bibliothek, unserem Wohnzimmer, versammelt. Alle waren irgendwann wieder aufgestanden, um zu sehen, was die anderen taten. Es geschah immer etwas, auch nachts. Man wollte nichts verpassen. Die Welt war in Bewegung geraten.

Die Projektmitglieder fingen an, immer früher aufzustehen, ohne dass es ihnen irgendjemand verordnet hätte. Eine alte Freude war zurückgekommen, die wir noch gut aus der Kindheit kannten: die Freude auf den nächsten Tag. Wir merkten, dass es bei allen Tätigkeiten im Grunde um dasselbe ging, nämlich um die Wiederentdeckung des Lebens in allen Dingen, um die Verbundenheit mit dem großen Ganzen und um die Zusammengehörigkeit aller Dinge. Wir befanden uns auf den Spuren der heiligen Matrix — und in manchen glücklichen Augenblicken standen wir voll verbunden mitten in ihr. Dann geschahen die sogenannten Wunderheilungen, wo wir begriffen, wie das Heile und das Heilige zusammenhängen.

Wir näherten uns der ganz realistischen Vision eines gewaltfreien Lebens in einer neuen Form menschlicher Gemeinschaft. Wir näherten uns einer Dankbarkeit und einer Naherwartung, wie wir sie noch nie erlebt hatten. Jetzt wussten wir: Eine heile Welt ist machbar, sie ist keine Illusion. Natürlich verspürten wir auch einen unbändigen Drang, dieses Wissen zu verkünden, denn „wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“.

Es entwickelte sich die Vision einer großen Vernetzung solcher Gemeinschaften, es entwickelte sich der Traum eines gewaltfreien Zusammenlebens mit aller Kreatur, der Traum einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Wir wussten tief, dass wir nicht die Ersten und nicht die Einzigen waren, die diesen Traum kannten. So entstanden die größeren Umrisse des Projekts Meiga.

Der Sektenhammer

Dann kam der Sektenhammer. Man begann uns zu denunzieren und die schlimmsten Gerüchte über uns zu verbreiten. Ich muss die Ereignisse in kurzen Zügen beschreiben, um aufzuklären über ein Stück Wirklichkeit, das wir bis dahin unterschätzt hatten: den Sektenwahn. Die Art, wie man gegen uns vorging, ist kein Einzelfall, sondern fast ein Normalfall, wenn es um grenzüberschreitende neue Projekte geht.

Ich muss darauf hinweisen, dass von vielen neuen Entwicklungen — im kulturellen wie im technologischen Bereich — kaum noch positive Nachrichten zu erhalten sind, weil ihre Träger durch ähnliche Methoden isoliert und ausgeschaltet worden sind. Ich bitte alle Freunde einer menschenwürdigen geistigen Kultur, an dieser Aufklärungsarbeit mitzuwirken.

Eines Morgens, Anfang Juli 1985, erschien in der Lokalzeitung einer Nachbarstadt ein ganzseitiger Artikel über die „Sex-Sekte“ von Schwand, unser damaliger Wohnort im Schwarzwald. Man berichtete von Sexorgien, Kindesentführung und Befehlshierarchie. Darin war alles enthalten, was sich ein durchschnittlicher Zeitungsleser unter einer Sekte vorstellt.

Jetzt begann eine Kettenreaktion. Über vierzig Zeitungen brachten den Bericht, schrieben ungeprüft voneinander ab und erfanden laufend neue Delikatessen. Unzucht mit Abhängigen, Kindesmissbrauch, Aufforderung zum Sex mit Kindern — es gab keine Grenze mehr. In einer großen Berliner Zeitung kam ein Bericht, wie die Sektenmitglieder tagsüber vollgepumpt mit Drogen in der Sonne liegen und sich allen möglichen Ausschweifungen hingeben.

Wir hatten keine Möglichkeit, die Kettenreaktion zu stoppen, wir scheiterten an den Paragrafen der Pressefreiheit und an Geldmangel. Noch dazu waren wir betroffen und konnten nicht gleich souverän reagieren. Wir erlebten jetzt hautnah, wie es sich anfühlt, zu den Denunzierten zu gehören. Es dauert eine Zeit, bis man Verleumdungen mit Humor und dem entsprechenden Abstand sehen und auch verstehen kann.

Zehn Jahre lang rollte die Lawine. Es wurde mit solchem Eifer gegen uns gewütet, dass wir hellhörig wurden. Wer stand dahinter? Warum weigerten sich die Redaktionen so beharrlich, eine Meldung von uns selbst abzudrucken? In wessen Schutz standen sie, dass sie solche Falschmeldungen riskieren konnten? Wir hatten wenig Möglichkeiten zur Richtigstellung. Auftritte auf Veranstaltungen, Vorträge auf Tagungen, Seminare auf dem Kirchentag, Vorträge in Universitäten — alles wurde kurzfristig abgesagt. Wir erhielten ein öffentliches Berufsverbot.

Was hier ablief, entsprach exakt dem Drehbuch jeder Sektenverfolgung. Uns wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt, die Behörden forderten eine überzogene Steuerrückzahlung der letzten drei Jahre, die Möglichkeiten des Gelderwerbs sanken gegen Null. Befreundete Lehrer wurden versetzt, unsere Kinder von Mitschülern drangsaliert, Büchertische demoliert, Tagungsschilder entfernt, Plakate abgerissen oder mit Hetzparolen verziert. Nachts mussten wir Wachen aufstellen. Gewalt lag in der Luft.

Waren wir zu weit gegangen in der Provokation? Hätten wir vor allem im sexuellen Bereich unsere Thesen vorsichtiger, weicher, bescheidener formulieren müssen? Wahrscheinlich ja. Es war nicht nur der latente Faschismus der Gesellschaft, sondern es waren auch von uns begangene Fehler, die jetzt auf uns zurückschlugen.

Wir befanden uns ganz offensichtlich in einer Lehre neuer Art. Als wir in Freiburg einen Fernsehauftritt hatten, konnten wir nicht das Innere des Hauses betreten, weil es verriegelt war durch eine Kette junger Leute. Zwei von ihnen verteilten Flugblätter mit der Behauptung, dass wir zur sexuellen Gewalt gegen Frauen aufgerufen hätten. Die Verteiler waren Gestalten wie wir selbst früher, als wir wegen Vietnam oder Notstandsgesetzen Straßen und Schulen blockierten. Warum hatten sie sich so leicht gegen uns aufhetzen lassen? Wer hatte sie auf die Straße geschickt? Sie glaubten wahrscheinlich an das, was sie taten, weil sie von uns nur die entstellten Zitate kannten.

Langsam sprach es sich herum, dass die Nachrichten falsch waren. Es gab immer mehr Journalisten, die an der Wahrheit der Verleumdungen zu zweifeln begannen, aber sie konnten uns nicht helfen. Sie hatten von vornherein den Auftrag, einen Verriss zu bringen. Wenn sie doch den Mut hatten, positiv zu berichten, wurde anstelle ihres Berichts ein anderer abgedruckt. Interviews mit angesehenen Zeitungen durften nicht abgedruckt werden, wenn dadurch ein positives Bild über unser Projekt hätte entstehen können. Stattdessen erschien dann ein Interview mit einem bekannten Sektenpfarrer. Er gab das christliche Versprechen: „Die mache ich fertig.“ — Wir haben alle diese Vorgänge dokumentiert in dem Buch „Sommercamp im Wilden Westen“.

Neben den Verleumdungen gab es eine zweite Tendenz: Man fing an, uns zu dämonisieren. Wir hatten ein großes, dreijähriges Gruppenexperiment erfolgreich durchgeführt, hatten an mehreren Orten Projekte und Ateliers aufgebaut, hatten uns ein Schiff bauen lassen für die Erforschung der Kommunikation mit Walen und Delphinen. Die Denunzianten waren sich einig darüber, dass so etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Nur eine Sekte, eine Geheimorganisation mit einer dubiosen Ausstattung von Macht und Geld konnte, so glaubte man, zu solchen Dingen in der Lage sein. Der Sektenguru, gemeint war ich, habe sich, so hieß es, im Süden eine Yacht gekauft, um sich rechtzeitig auf die Kanarischen Inseln absetzen zu können. Ich fand diese Rolle beinahe schmeichelhaft.

Als im Jahre 1989 die Berliner Mauer fiel, als die damalige Sowjetunion unter Michail Gorbatschow einen weiteren Schritt in Richtung Perestroika unternahm, startete eine Gruppe unseres Projekts eine größere Aktion für die Lieferung von Hilfsgütern in russische Krankenhäuser und Kinderheime. Mithilfe großzügiger Transportunternehmen wurden diese Aktionen erfolgreich durchgeführt. Wir mussten dann die Aktionen stoppen, weil in der deutschen Presse vor ihnen gewarnt wurde: Es handle sich um Tarnaktionen einer dubiosen Psychosekte. Was für eine merkwürdige Welt! Dabei hatten wir nichts anderes vor als zu helfen.

Wir hatten jetzt so gut wie keine Möglichkeiten mehr; auch für die Arbeiten auf dem eigenen Gelände wurde keine Genehmigung mehr erteilt. Der Bau einer biologischen Pflanzenkläranlage galt als Tarnaktion und wurde behördlich untersagt. Möglichkeiten der Richtigstellung in den Medien gab es kaum, weil sich die meisten Zeitungen weigerten, sie abzudrucken. Wir wussten, dass wir immer noch viele Freunde hatten, aber die hielten sich bedeckt und hofften, dass wir die Sache gut überstehen würden.

Ich glaube heute nicht mehr, dass bezahlte Drahtzieher und Agenten hinter der Kampagne standen. Ich glaube, wir haben einfach die wunden Punkte in unserer Gesellschaft, echte Schmerzstellen, zu heftig berührt. Welche Schmerzstellen das sind, geht ja aus den vorigen Kapiteln dieses Buches deutlich genug hervor. Wir hatten die Abwehrsysteme gestört, die von verletzten Menschen errichtet werden, um sich vor einer Wiederkehr der inneren Schmerzen — vor allem im Bereich von Liebe, Sex und Partnerschaft — zu schützen.

Unsere Gesellschaft leidet, wir alle leiden immer noch an jener fatalen Grundstruktur, auf unbewältigte Konflikte mit Ausgrenzung und Gewalt zu reagieren, wie sie schon Wilhelm Reich beschrieben hat in seiner „Massenpsychologie des Faschismus“ und Theodor Adorno in seinem Werk „Die autoritäre Persönlichkeit“. Diese Haltung, die wir in unserer revolutionären Zeit einmal als „faschistoid“ bezeichnet haben, ist keine Frage der politischen Parteizugehörigkeit, sondern die Frage einer geschichtlich entstandenen menschlichen Struktur — und die zieht sich durch alle politischen Lager.

Eines der Argumente, die immer wieder gegen uns vorgebracht wurden, lautete, wir seien eine Tarnorganisation und Nachfolgeorganisation der berüchtigten AAO-Kommune, die von dem österreichischen Maler und Aktionskünstler Otto Mühl gegründet worden war.

Tatsächlich hatte ich in den Siebzigerjahren einige Male diese ungewöhnliche Kommune besucht. Ich war abgestoßen und fasziniert zugleich, denn ich hatte bis dahin noch kein Projekt angetroffen, das sich dermaßen offen und radikal mit dem sexuellen Thema auseinandersetzte.

Ich lernte Otto Mühl als einen sehr radikalen Menschen und Künstler kennen. Mir gefielen seine Wahrheitsliebe, seine kompromisslose Art und sein grandioses, unbestreitbares Künstlertum, mich störte sein undurchschauter Hang zu vorschnellem Urteil und Despotismus. Zu viele Themen einer sensibleren spirituellen, ökologischen und humanen Kultur waren hier ausgeklammert, als dass es zu einer Zusammenarbeit hätte kommen können. Ich besuchte die Kommune zum letzten Mal im November 1979, also vor 21 Jahren, seitdem gingen wir sehr verschiedene Wege.

Mit der Sektenkampagne begann für uns der schwierigste — und vielleicht wichtigste — Teil unserer Arbeit. Jetzt, wo es im Äußeren kaum noch positive Verbindungen gab, mussten wir im Inneren eine neue Richtung gewinnen. Die Matrix der Gewalt war überall. Sie war auch noch in mir selbst, wie ich an meinen inneren Reaktionen merkte. Wenn wir ihr entgehen wollten, mussten wir eine neue Art finden, auf sie zu reagieren, und eine behutsamere Form für die Vermittlung der neuen Inhalte. Wir alle sind Aspekte des einen Seins und Teile desselben Kontinuums.

Immer steckt in unseren Gegnern ein Aspekt von uns selbst und in uns ein Teil von ihnen.

Damit begann ein neues Nachdenken. Wir befanden uns ja in einer Art von existenzieller Grundlagenforschung, die alles einbeziehen sollte, was im Leben wichtig war. Der Sektenhammer wurde jetzt Gegenstand unserer Forschung.

Von jetzt an mussten wir die Realität dieser menschlichen Strukturen in unsere Arbeit einbeziehen. Die Friedensarbeit hatte eine neue Dimension erhalten, sie musste in der Lage sein, den latenten Faschismus vom Kern her zu überwinden. Dazu gehörten auch die Reste der Gewaltmatrix in uns selbst. Es gab noch Impulse von Angst, Wut und Abgrenzung in uns selbst, die in Resonanz standen mit der kollektiven Struktur unserer Gesellschaft. Es ist gefährlich, fast selbstmörderisch, die heißen Punkte einer Gesellschaft zu berühren, solange in einem selbst noch unverdaute Ängste und Projektionen sitzen.

Die Friedensarbeit im Äußeren kann nur so weit wirksam werden, wie du wirklichen Frieden geschaffen hast in deinem Inneren.

Und wirklichen Frieden findest du durch die restlose Überwindung von Angst und Hass. Diese Wahrheit konnte nicht ernst genug genommen werden, denn sie entschied über Erfolg oder Misserfolg jeder Friedensarbeit. Hätte die öffentliche Verleumdungskampagne nicht bei uns selbst diese innere Resonanz negativer Gefühle und Gedanken hervorgerufen, so hätte sie sich wahrscheinlich nicht so lange halten können.

Hätten wir der Verleumdung mit Souveränität und Humor begegnen können, so hätten wir sie viel leichter für unsere Ziele nutzen können. Wir verstanden uns als Friedensarbeiter und steckten plötzlich selbst voller unfriedlicher Gedanken. Wir hatten im Sinne der Heilung handeln wollen und hatten dabei einige Prinzipien der Heilung verletzt: vor allem das Prinzip, dass man nur heilen darf, wenn die Heilung gewünscht wird.

Wir hatten auch gegen ein neues Prinzip der kommenden Revolution verstoßen: dass sie nämlich auf leisen Sohlen kommt und nicht gleich ihre Ziele auf öffentliche Fahnen schreibt. Wir hatten schließlich die inneren Machtverhältnisse falsch eingeschätzt. Wir wussten noch nicht wirklich, in welchem Maße man mit den höheren Mächten der heiligen Matrix verbunden sein muss, um gegen die Matrix der Gewalt mit Erfolg agieren zu können.

Dieser Lernprozess dauert immer noch an. Politische Arbeit im Sinne der Erschaffung einer neuen globalen Friedenskraft verlangt von den Akteuren eine innere Veränderung, die man nur durch die Arbeit selbst ermessen und verstehen kann. Und heute weiß ich, warum die Revolutionen bisher gescheitert sind: weil ihre Träger diese Veränderung an sich selbst nicht vollzogen haben.

In einer unserer Morgenandachten (in: Sabine Lichtenfels: Quellen der Liebe und des Friedens) lesen wir über den Umgang mit dem scheinbaren Feind:

Du kannst sicher sein, dass ehemalige Freunde unter denen sind, die dich heute bekämpfen.

Du kannst sicher sein, dass ehemalige Feinde unter denen sind, die dich heute lieben.
Du kannst sicher sein, dass du einmal bekämpft hast, was dich heute bekämpft.
Es kann auch sein, dass du selbst einmal jemand gewesen bist, den du heute zu deinen Feinden zählen würdest.

Du kannst sicher sein, dass auch deine Feinde deiner eigenen Entwicklung dienen, wenn du mit der Weltenseele verbunden bleibst.

Dauerhaft gibt es nur den Weg der Aussöhnung, denn es gibt nur ein Sein.
Erkenne den Feind in dir. Erkenne den Feind in deinen besten Freunden und lerne ihn zu besiegen — und du wirst deinen potenziellen Freund erkennen in deinen Feinden.
Gib ihrem hassenden Blick keine Nahrung durch deine Angst. Wisse, dass auch aus ihrem Hass eine unerfüllte Liebessehnsucht nach Leben ruft.

Aus Angst entsteht Enge; aus Enge entsteht Gewalt.
Es ist wichtig, dass du zunächst einmal still wirst. Ohne dass du wirklich still geworden bist in dir, gibt jede Reaktion nur weitere Nahrung.

Gib dem Feuer des Hasses, der aus der vernichtenden Leidenschaft kommt, keine Nahrung durch deine zu frühe Wut.

Du kennst die Ausweglosigkeit einer Wut, wo du wie eine Marionette an deinen Emotionen hängst, zur Genüge. Längst hast du deine Macht abgegeben.

Der heilige Zorn hasst nicht. Er hängt nicht fest an der Kette der Reaktionen. Er kommt zu dir, wenn du still genug geworden bist.( ...)

Erkenne, wie du selbst in deinen Gedanken und Worten noch die Gegensätze herausgefordert hast. (...)

Hole die Kraft ganz zu dir zurück. (...)

Die beste Quelle zu dieser Verwirklichung ist dein Humor und deine unbeirrbare Lebensfreude.



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