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Die Angriffsdoktrin

Die Angriffsdoktrin

Die Vorbereitung zum Töten im Zuge der neuen Kriegstüchtigkeitsagenda ist nie eine unschuldige Sache — Waffen, die man hat, wollen auch angewandt werden.

Das Märchen von der reinen Verteidigung

Offiziell dient die Aufrüstung der „Abschreckung“. Doch wer sich die jüngsten Beschaffungen anschaut, sieht schnell, dass es um weit mehr geht als um den Schutz eigener Grenzen. Mittelstreckenraketen, Marschflugkörper, F-35-Kampfjets mit atomarer Teilhabe, all das sind keine Waffen für die Verteidigung eines Ackerstücks in Mecklenburg-Vorpommern. Das sind Projektionswaffen: Systeme, die tief im gegnerischen Territorium Ziele angreifen können.

Es ist, als würden wir der Bevölkerung eine Feuerwehr verkaufen, die in Wahrheit schwer bewaffnet vor Nachbars Garage steht, „nur für den Fall“.

Der schleichende Strategiewechsel

Bis vor wenigen Jahren war die Bundeswehr offiziell auf Landes- und Bündnisverteidigung ausgelegt. Auslandseinsätze waren politisch umstritten, Kampfeinsätze tabu. Mit der „Zeitenwende“ hat sich das Bild radikal verändert.

Heute wird offen über „präventive Schläge“ gesprochen, über „aktive Verteidigung“ — ein Euphemismus, der in der Militärsprache seit jeher bedeutet, dass man nicht wartet, bis der erste Schuss fällt.

Die Beschaffung neuer Waffensysteme passt exakt in dieses Raster:

  • F-35: Stealth-Bomber mit Reichweite weit ins russische Hinterland.
  • Marschflugkörper Taurus (beziehungsweise geplante Alternativen): Präzisionsschläge auf Hunderte Kilometer Distanz.
  • Eurodrohnen und bewaffnete UAVs: Ideal für „gezielte Tötungen“ außerhalb eigener Grenzen.

Die Rache-Logik

Viele in der Politik und den Thinktanks sprechen es nicht offen aus, aber sie denken in diesen Kategorien: „Russland hat die Ukraine angegriffen, wir müssen zeigen, dass wir zurückschlagen können.“

Diese Rache-Logik ist brandgefährlich. Sie verlagert die Rolle Deutschlands von einem Akteur, der Konflikte diplomatisch zu lösen versucht, hin zu einem militärischen Player, der im Ernstfall nicht nur reagiert, sondern agiert.

Das Narrativ „Wir wollen ja gar nicht“ ist trügerisch. Staaten rüsten nicht jahrzehntelang auf, um ihre Waffensysteme dann in der Garage verstauben zu lassen. Politische Realitäten ändern sich, Regierungen wechseln, und die Versuchung, teure militärische Kapazitäten „zu nutzen“, ist historisch gesehen hoch.

Die Doppelmoral der NATO

Während Berlin behauptet, es ginge um reine Verteidigung, betreibt die NATO seit Jahren Operationen weit außerhalb ihres eigentlichen Bündnisgebietes. Libyen, Afghanistan, Syrien, alles Einsätze, die mit Landesverteidigung nichts zu tun hatten.

Wer also glaubt, dass die neuen deutschen Waffensysteme ausschließlich zur Sicherung des Baltikums gedacht sind, ignoriert diese Realität. Sie sind Teil einer Gesamtstrategie, die geopolitische Interessen mit militärischer Macht absichert, ob in Osteuropa, im Nahen Osten oder darüber hinaus.

Medien als Begleitmusik

Die großen Medienhäuser leisten ihren Beitrag, indem sie die Idee von der „wehrhaften Demokratie“ unkritisch wiederholen. Kaum jemand stellt die entscheidende Frage: Warum brauchen wir Offensivwaffen, wenn wir uns nur verteidigen wollen? Stattdessen werden die Bürger mit Angstnarrativen konditioniert: „Putin könnte …“, „Russland plant …“. Jede kritische Nachfrage wird reflexhaft als „Verharmlosung“ oder „Propaganda“ diffamiert.

Das Ergebnis: eine öffentliche Debatte, in der Militarisierung als Normalität erscheint und in der es schon als Tabubruch gilt, über Alternativen zu sprechen.

Vom Handelsstaat zum Frontstaat

Deutschland war jahrzehntelang erfolgreich, weil es auf Diplomatie, Handel und wirtschaftliche Verflechtung setzte. Diese Strategie hat uns Wohlstand und politische Stabilität gebracht. Heute bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung: weg vom Handelsstaat, hin zum Frontstaat.

Ein Frontstaat produziert keine Diplomaten, er produziert Soldaten. Er lebt nicht vom Ausgleich, sondern von der Konfrontation. Er misst seinen Erfolg nicht an Handelsbilanzen, sondern an militärischen Kapazitäten.

Und er akzeptiert stillschweigend, dass Konflikte nicht verhindert, sondern vorbereitet werden.

Das Risiko des Kontrollverlusts

Mit jeder neuen Waffe, die wir anschaffen, geben wir auch ein Stück Kontrolle ab, an Bündnispartner, an Rüstungskonzerne, an strategische Doktrinen, die in Washington oder Brüssel entworfen werden. Wenn die politische Lage kippt, wenn die NATO beschließt, dass ein „präventiver Einsatz“ im Bündnisinteresse ist, dann werden diese Systeme nicht in einem deutschen Museum landen. Sie werden genutzt. Und dann stehen wir mitten in einem Konflikt, den wir nicht begonnen haben, aber für den wir das Werkzeug bereitgestellt haben.

Ein anderes Deutschland ist möglich

Die Frage ist nicht, ob wir uns verteidigen dürfen. Die Frage ist, wie wir Sicherheit definieren.

  • Sicherheit kann bedeuten: Rüstung, Abschreckung, Bündnistreue.
  • Sicherheit kann aber auch bedeuten: Diplomatie, Energieautonomie, wirtschaftliche Resilienz.

Wir haben uns entschieden, den ersten Weg zu gehen. Noch ist Zeit, umzusteuern. Aber dazu braucht es politischen Mut, und den sieht man in Berlin derzeit nicht. Stattdessen sehen wir Duckmäusertum, Hörigkeit gegenüber den USA und ein blindes Mitlaufen in einem Spiel, dessen Regeln nicht wir schreiben.

Wir rüsten nicht nur auf, um uns zu verteidigen. Wir rüsten auf, um anzugreifen, wenn es die geopolitische Lage verlangt. Wer das leugnet, ignoriert die Natur der Waffensysteme, die wir beschaffen, und die Strategien, in die wir eingebettet sind.

Die Zeitenwende ist keine Verteidigungsoffensive. Sie ist die stille Transformation Deutschlands zu einem Akteur, der Kriege führen kann. Und das ist eine Entwicklung, die man nicht schönreden darf.

Historische Parallelen — Verteidigung als Deckmantel für Angriff

Wer glaubt, dass die aktuelle Aufrüstung rein defensiv motiviert sei, sollte einen Blick in die jüngere Geschichte werfen. Immer wieder wurde das Schlagwort „Verteidigung“ genutzt, um Kriege zu legitimieren, die in Wahrheit offensive Ziele verfolgten.

Irak 2003 — Prävention als Vorwand

Der Irakkrieg ist das Paradebeispiel dafür, wie ein militärischer Angriff als „Selbstverteidigung“ verkauft wird. Die US-Regierung unter George W. Bush behauptete, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen und plane, diese einzusetzen. Das war gelogen, wie später sogar von US-Behörden eingeräumt wurde. Trotzdem wurde der Krieg begonnen. Offiziell war es eine „präventive Verteidigungsmaßnahme“. In Wahrheit ging es um geopolitische Kontrolle und Ölinteressen. Diese Logik, zuerst zuschlagen, bevor der Gegner stark wird, taucht heute wieder in militärischen Konzepten auf, auch in Europa.

Kosovo 1999 — Humanitäre Rhetorik als Kriegsgrund

Der NATO-Einsatz im Kosovo wurde als humanitäre Intervention zur Verhinderung eines Genozids“gerechtfertigt. Doch später stellte sich heraus, dass die Lage komplexer war und die Eskalation auch durch die NATO-Strategie selbst befeuert wurde. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder räumte Jahre später offen ein, dass der Einsatz völkerrechtswidrig war. Trotzdem wurde er politisch und medial als moralische Pflicht verkauft, wieder unter dem Banner der Verteidigung, diesmal der „Menschenrechte“.

Afghanistan 2001 — Artikel 5 und der globale Krieg

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aktivierte die NATO erstmals den Bündnisfall nach Artikel 5. Der Einsatz in Afghanistan wurde als direkte Selbstverteidigung dargestellt. Doch schon nach kurzer Zeit ging es nicht mehr um die Jagd auf Al-Qaida, sondern um einen umfassenden „Nation Building“-Einsatz, der 20 Jahre dauerte und mit dem ursprünglichen Verteidigungsziel kaum noch etwas zu tun hatte.

Libyen 2011 — Vom Schutz zur Zerstörung

Die Resolution des UN-Sicherheitsrats erlaubte 2011 in Libyen lediglich eine Flugverbotszone, um Zivilisten zu schützen. Doch daraus wurde schnell eine massive Bombenkampagne, die zum Sturz von Muammar al-Gaddafi führte. Wieder wurde ein Verteidigungsauftrag, Schutz der Bevölkerung, in eine offensive Regime-Change-Operation verwandelt.

Das Muster

In all diesen Fällen war die öffentliche Kommunikation identisch:

  • Zuerst wird eine Bedrohungslage inszeniert oder dramatisiert.
  • Dann wird erklärt, man müsse „verteidigen“ oder „schützen“.
  • Schließlich wird militärisch gehandelt, oft weit jenseits der eigentlichen Verteidigungslogik.

Heute sehen wir dieselben rhetorischen Muster in der „Zeitenwende“-Politik: „Kriegstüchtigkeit“, „Schutz der Freiheit“, „Verteidigungsbereitschaft“. Wer die Geschichte kennt, erkennt die Gefahr: Verteidigung ist ein dehnbarer Begriff, der schnell zur Legitimation von Angriffen wird.

Warum das heute relevant ist

Wenn Deutschland heute F-35-Bomber, Marschflugkörper und bewaffnete Drohnen beschafft, dann sollten wir nicht naiv glauben, dass diese Systeme ewig ungenutzt bleiben. Die politische Schwelle für ihren Einsatz sinkt erfahrungsgemäß, sobald sie vorhanden sind.

Wer die Geschichte kennt, muss fragen: Bereiten wir uns wirklich nur auf Verteidigung vor oder auf die Option, in einem Konflikt auch offensiv zu handeln?


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Quellen und Anmerkungen:

„Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“

Beschaffungen mit Offensiv-/Projektionsfähigkeit

Bewaffnete Drohnen (Heron TP/Eurodrohne)

NATO-Einsätze außerhalb klassischer Bündnisverteidigung

Historische Belege (Kosovo, Irak)

Deutsche Rüstungsausgaben/Rang

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