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Die Drusen unter Beschuss

Die Drusen unter Beschuss

In Syrien haben Übergriffe der sunnitischen Mehrheit auf Andersgläubige eine neue Dimension angenommen.

Die Sorgen der Bevölkerung sind nicht unbegründet. Schon im März 2025 erschütterten Berichte über Massaker an mehr als 1.700 Alawiten die syrische Küstenregion. Damals machten Beobachter dschihadistische Gruppierungen verantwortlich, die mit der neuen Übergangsregierung kooperieren sollen. Nur wenige Wochen später scheint sich die Gewaltspirale weiterzudrehen — diesmal trifft es die Drusen. Internationale, lokale und auch UN-nahe Organisationen hatten die Ereignisse an der Küste dokumentiert. Nun kehrt sich das Blatt, doch das Muster bleibt erschreckend ähnlich.

In Jaramana, südlich von Damaskus, kam es im April 2025 zu Gewaltausbrüchen gegen Drusen, nachdem eine Tonaufnahme verbreitet wurde — die sich später laut BBC als gefälscht herausstellte. Sie wurde einem drusischen Geistlichen zugeschrieben, der angeblich den Propheten Mohammed beleidigt hatte. Dieses gefälschte Audio löste eine neue konfessionelle Krise aus, auf deren Grundlage extremistische Milizen mit Tötungen, Gewalt und Plünderungen begannen.

Gewalt, Ermittlungen und Dementis

In der Nähe der Hauptstadt Damaskus brach in Jaramana konfessionell motivierte Gewalt gegen die drusische Minderheit aus. Es gab Racheaktionen trotz der Veröffentlichung einer Erklärung des drusischen Geistlichen Marwan Kiwan, der leugnete, Urheber des Audios zu sein, das den Propheten des Islam beleidigen sollte. Trotzdem kam es in mehrere Regionen zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen.

Die frisch eingesetzte Regierung Syriens reagierte nicht auf die Zurückweisung des Geistlichen, stattdessen kündigte sie eine Überprüfung an zwecks Klärung der Authentizität der ersten Aufnahme — jener Aufnahme also, die den bewaffneten Konflikt in den drusischen Vierteln von Jaramana entfacht hatte. Die Gewalt weitete sich anschließend auf weitere Regionen aus. Die Washington Post berichtete, dass es zahlreiche Tote und Verletzte gab, nachdem drusische Kämpfer in Syrien auf Regierungstruppen trafen, die im Auftrag der neuen Regierung gegen Zivilisten vorgingen.

Warum werden die Drusen ins Visier genommen?

In der neuen syrischen Führung spielen die Gruppen eine entscheidende beziehungsweise zentrale Rolle, die sich aus der früheren Nusra-Front entwickelt haben — einer Bewegung, die einst zur Al-Qaida gehörte. Heutzutage tritt sie unter dem Namen Hai’at Tahrir al-Scham auf. Es wird berichtet, dass einige Mitglieder dieser Gruppierung eine stark religiös geprägte Sichtweise vertreten und Minderheiten wie Drusen und Alawiten ausschließen oder sogar offen ablehnen.

Diese Entwicklung hat zu Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen geführt — ein weiterer Hinweis darauf, wie sich die sozialstrukturellen Verhältnisse Syriens mitten im politischen Wandel verändert haben.

Die neue syrische Regierung unter dem Übergangspräsidenten Ahmad al-Shar’a bestritt, dass ihre offiziellen Streitkräfte an Angriffen auf Drusen in Jaramana, ländlichen Regionen von Damaskus oder anderen Gebieten beteiligt gewesen seien. Allerdings verübten regierungsnahe Milizen Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen, geschützt durch Führungskräfte in Damaskus, die zuvor gegen das alte Regime kämpften, das im Dezember 2024 gestürzt wurde.

Die deutsche Plattform Deutsche Welle veröffentlichte am 3. Mai 2025 neue Informationen zu den konfessionellen Angriffen auf die Drusen und bestätigte dabei den Tod von über 80 Menschen — obwohl führende Drusen sowie Vertreter der Zivilgesellschaft die beleidigende Aufnahme öffentlich verurteilten.

Demnach griffen bewaffnete Gruppen die mehrheitlich drusische Stadt Jaramana an. Beobachter vermuten, dass einige der Angreifer in Verbindung mit den offiziellen Sicherheitskräften der Übergangsregierung standen — ein Hinweis auf ähnliche Ereignisse wie an der Küste, wo bewaffnete Gruppen im Namen des Regimes Vergeltungsaktionen durchführten, bevor die Regierung intervenierte und die Vorfälle verurteilte.

Die Antwort der Drusen

Die Drusen lehnten es ab, sich ihrem Schicksal zu ergeben und nur als Zahlen in der Liste der Opfer zu erscheinen. Sie bildeten bewaffnete Gruppen, um sich gegen die Angriffe der extremistischen, regierungsnahen Milizen zu verteidigen. In Suwaida sowie in den bei Damaskus gelegenen Städten Jaramana und Sahnaya kam es in der Folge zu heftigen Kämpfen mit weiteren Toten und Verletzten.

In drusischen Gebieten kam es zudem zu Demonstrationen gegen die syrische Übergangsregierung, die die schweren Übergriffe auf die Minderheit geschehen ließ — insbesondere nach Angriffen auf Wohnheime von Studenten und neuen Gewalttaten gegen die drusische Bevölkerung. Dies führte schließlich dazu, dass soziale und religiöse Führungspersönlichkeiten der Drusen internationale Schutzmaßnahmen für Minderheiten in Syrien forderten.

Nach zahlreichen Spannungen kam es schließlich zu einem Abkommen über Waffenruhe und Gewaltverzicht in Suwaida und ländlichen Gebieten von Damaskus. Dieses wurde in Anwesenheit von drusischen Scheichs und Anführern aus mehrheitlich drusischen Regionen Syriens erzielt.

Doch viele Orte wie Jaramana, Sahnaya und Ashrafiyat Sahnaya, in denen hauptsächlich Drusen leben, mussten bereits einen hohen Preis für den Konfessionalismus zahlen — ähnlich wie die Küstenprovinzen Latakia und Tartus im März 2025. Die Täter dieser Übergriffe blieben bisher straffrei, was auf die Gefahr weiterer sektiererischer Verbrechen hindeutet, solange keine strafrechtlichen Konsequenzen folgen.

Angriffe zeigen die Zerbrechlichkeit Syriens

Die jüngsten Angriffe auf drusische Gemeinden in Jaramana, Sahnaya und Suwaida — nur kurze Zeit nach den blutigen Übergriffen auf alawitische Dörfer an der Küste — werfen ein grelles Licht auf die brüchige Realität im heutigen Syrien.

Immer deutlicher wird: Die neue Regierung in Damaskus scheint kaum in der Lage zu sein, radikale Gruppierungen in ihren Reihen zu bändigen. Vielmehr gewinnt der Eindruck an Gewicht, dass manche dieser Gruppen gezielt eine konfessionell motivierte Agenda verfolgen — eine Entwicklung, die das ohnehin fragile gesellschaftliche Miteinander im Land weiter gefährdet.

Für viele Menschen in Syrien wird damit das Gefühl stärker, dass nicht nur ihre Sicherheit, sondern auch der jahrzehntelange Versuch eines friedlichen Zusammenlebens zunehmend auf dem Spiel steht.

Die Angst der Minderheiten aus Drusen, Christen und Alawiten greift bereits auf Teile der sunnitischen Mehrheit über, die befürchten muss, dass radikale Gruppen, die das Zusammenleben ablehnen, die Kontrolle übernehmen. In einem Land, das historisch für seine Offenheit und Vielfalt bekannt war, wirft die anhaltende konfessionelle Gewalt eine dringliche Frage auf: Kann dieses Land seine einende Identität zurückgewinnen — oder steuert Syrien unter der Herrschaft der Extremisten auf eine noch düsterere Zukunft zu?


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