Einfluss im Schatten der Wohltätigkeit
Die Bruderschaft agiert selten direkt, fast nie unter eigenem Namen. Stattdessen nutzt sie islamische Kulturzentren, Bildungsvereine und Wohltätigkeitsorganisationen, um ihre Agenda zu verbreiten. In vielen Fällen gelingt es ihr, diese Strukturen tief in die jeweilige Gesellschaft zu verankern – mit dem Effekt, dass sich ihre ideologische Arbeit jeglicher Kontrolle weitgehend entzieht.
Europäische Regierungen reagieren inzwischen. In Frankreich etwa hat der Nationale Sicherheitsrat unter Präsident Emmanuel Macron am 8. Juli ein Maßnahmenpaket beschlossen, das sich gezielt gegen Netzwerke der Muslimbruderschaft richtet. Im Zentrum: der Entzug finanzieller Ressourcen, die Auflösung verdächtiger Organisationen und die lückenlose Überwachung von Geldflüssen.
Frankreich setzt zudem auf Prävention: Imame sollen künftig staatlich ausgebildet werden, damit Predigten nicht länger von ausländischen oder extremistischen Einflüssen geprägt sind.
Auch religiöse Literatur aus dem Umfeld der Bruderschaft soll einer strengen Prüfung unterzogen werden.
Langfristige Strategie statt offener Gewalt
Die Muslimbruderschaft stellt aus Sicht deutscher Sicherheitskreise eine besondere Herausforderung dar. Ihre Methode: keine Gewalt auf den Straßen, keine Anschläge – sondern ein ideologischer Langzeitplan. Bereits 2018 warnte das Magazin Focus Online, dass der Einfluss der Muslimbrüder auf lange Sicht „gefährlicher als der des Islamischen Staates“ sein könnte.
Der Verfassungsschutz bestätigt diese Einschätzung. Während Terrorgruppen wie der IS auf Eskalation setzen, verfolgt die Bruderschaft ein anderes Ziel: die allmähliche Transformation von Gesellschaft und Politik durch religiös-ideologische Unterwanderung.
Demokratische Institutionen werden nicht angegriffen, sondern umgedeutet. Das macht die Bewegung so schwer fassbar – und in ihrer Wirkung umso nachhaltiger.
Eine zentrale Rolle spielt dabei in Deutschland die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD) mit Sitz in Köln. Nach außen gibt sie sich als religiös-sozialer Träger, tatsächlich aber sehen Verfassungsschützer sie als strategisches Zentrum der Bruderschaftsaktivitäten.
Burkhard Freier, Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, bezeichnete die IGD als Teil eines weit verzweigten Netzwerks, das besonders auf junge Muslime aus der arabischen Diaspora ziele. Diese würden durch religiöse Bildung und soziale Angebote ideologisch geformt – nicht mit plakativen Forderungen, sondern mit kultureller Nähe und einem starken Gemeinschaftsgefühl.
Tarnstrukturen, gezielte Ansprache, schleichender Einfluss
Keine großen Namen, keine lauten Auftritte – und doch ist die Muslimbruderschaft in Deutschland gut organisiert. Laut einer Studie des European Center for Counterterrorism vom April 2025 handelt es sich um ein vielschichtiges Geflecht – Vereine, Bildungsstätten, religiöse Träger. Alles rechtlich sauber, alles sozial eingebettet. Und doch folgen viele dieser Strukturen einer klaren ideologischen Linie.
Ein Beispiel: die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş. Eine der größten islamischen Organisationen Europas – und seit Jahren in der Kritik. Ihre Verbindung zur Bruderschaft ist dokumentiert, auch wenn man sich öffentlich davon distanziert.
Auch das Islamische Zentrum München gehört dazu. In den 60er-Jahren gegründet – mit direktem Bezug zur Bruderschaft. Inzwischen ist daraus ein Umfeld gewachsen: Moscheen, Jugendarbeit, Bildungsangebote. Vieles davon wirkt bürgerlich, doch die Ausrichtung bleibt klar religiös-konservativ – mit politischen Untertönen.
Besonders stark ist das Netzwerk in NRW, Berlin, Bayern, Baden-Württemberg. Dort ist man aktiv – aber nicht offensiv. Keine Konfrontation, keine öffentlichen Debatten. Stattdessen: Freizeitprogramme, Hausaufgabenhilfe, Frauenkurse. Integration mit Agenda.
Ideologischer Ursprung und Eskalation der Gewalt
Die Muslimbruderschaft, 1928 in Ägypten von dem Lehrer Hassan al-Banna gegründet, verstand sich selbst nie nur als spirituelle Bewegung. Vielmehr verfolgte sie von Beginn an ein gesellschaftspolitisches Programm: die Islamisierung aller Lebensbereiche – inklusive Staat, Rechtsprechung und Erziehung.
Schon in den 1940er-Jahren trat die Bewegung in eine neue Phase ein. Der sogenannte „Geheime Apparat“ – eine militärisch organisierte Untereinheit – übernahm gezielte Gewalttaten.
1948 wurde Ägyptens Premierminister Mahmoud an-Nukrashi Pascha von einem Mitglied der Bruderschaft ermordet. Der Weg in den politischen Extremismus war damit offen sichtbar geworden.
Der Bruch kam in den 1950er-Jahren – und er war tief. Sayyid Qutb, einst Lehrer, dann Gefängnisinsasse, entwickelte in Haft eine Gedankenwelt, die den Kurs der Muslimbruderschaft grundlegend veränderte. In seinem Buch „Zeichen auf dem Weg“ formulierte er ein klares Feindbild: die säkulare Gesellschaft. Für Qutb war sie nicht nur gottlos – sie war unislamisch, illegitim, krank. Der Westen: moralisch zersetzt. Die Demokratie: eine Täuschung. Der einzige Weg: ein Staat unter islamischem Recht. Und: notfalls mit Gewalt.
Diese Gedanken fielen auf fruchtbaren Boden. Zunächst in Ägypten, später weit darüber hinaus. Die „Islamische Dschihadbewegung“, gegründet von Aiman az-Zawahiri, dem späteren Al-Qaida-Chef, bezog sich direkt auf Qutbs Theorien. Genauso wie die „Islamische Gruppe“, die 1981 Präsident Anwar as-Sadat erschoss – aus religiöser Überzeugung, nicht aus politischer Kalkulation.
Auch der sogenannte „Islamische Staat“ folgt Qutbs Linien: Die totale Ablehnung weltlicher Ordnung. Der Aufbau einer „gläubigen Avantgarde“. Und der Glaube, dass Gewalt nicht nur erlaubt, sondern geboten sei – wenn sie dem Aufbau eines islamischen Herrschaftsmodells dient.
Eine unterschätzte Gefahr
Die Muslimbruderschaft ist keine klassische Terrororganisation. Doch gerade deshalb ist sie gefährlich. Ihre Stärke liegt in der Strategie der Geduld, der Anpassung und der langen Frist. Sie tritt nicht mit Sprengstoffgürteln auf, sondern mit Bildungsprogrammen, Jugendarbeit und Gemeindefesten – und schafft es so, sich in demokratische Gesellschaften einzunisten, ohne sofort als Bedrohung wahrgenommen zu werden.
Doch hinter dieser Fassade steht ein ideologischer Apparat, der nicht mit den Werten einer offenen Gesellschaft vereinbar ist. Wer diese Gefahr ignoriert, läuft Gefahr, sie zu spät zu erkennen.

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