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Die Ethik des Impfens

Die Ethik des Impfens

Nicht unsere Ideen bestimmen unsere Entscheidungen, sondern unser Menschenbild.

Es herrscht Endzeitstimmung. Über alle Kanäle werden apokalyptische Ängste geschürt. Nur Glaube und Gebet können uns jetzt noch retten. Gleich Priestern einer neuen Religion, mahnen Virologen ihre Schäflein, an „die Wissenschaft“ und ihre Heilsbringer zu glauben. Wir lauschen ihren von den Ministranten aus Politik und Journalismus assistierten Verlautbarungen wie der Predigt im sonntäglichen Gottesdienst. In langen Prozessionen stellen wir uns in Impfschlangen an, um der Strafe Gottes zu entgehen.

„Ein säkularisierter Messianismus“, so Gunnar Kaiser, „hat von uns Besitz ergriffen. An Stelle der Erwartung der Wiederkunft Jesu setzen wir den Messias der Coronaimpfung. Der Akt des Impfens ähnelt der Taufe, wobei der zweite, dritte oder vierte Impftermin als Kommunion oder Firmung fungiert. Als liturgische Kleidung trägt die Gemeinschaft der Gläubigen Mund-Nasen-Schutz, das ubiquitäre Desinfektionsmittel ist das neue Weihwasser.“

Impfen ist zu einem Dogma geworden, einem Lehrsatz, dessen Wahrheitsgehalt unumstößlich ist. Skeptiker und Kritiker werden an den Pranger gestellt, Ungläubige wie Häretiker dämonisiert und im Licht der Scheinwerfer öffentlich verbrannt. In düsteren Autodafés werden die selbstbestimmten und freien Wesen, die sich mittels Urteilskraft, Vernunft und Gefühl einen Überblick über eine Problematik zu verschaffen in der Lage waren, den Schauprozessen einer erbarmungslosen Inquisition übergeben.

Keine Schnittmenge

Vor diesem Hintergrund stellt Gunnar Kaiser die Frage nach der vor uns liegenden Zukunft. Was erhoffen wir uns? Gehören wir zu denen, die an eine wohlwollende und schützende Verwaltung des Menschen glauben, oder befürchten wir eine technokratische Gesundheitsdiktatur?

Vertrauen oder misstrauen wir einer Politik, die uns immer unselbständiger, immer kontrollierbarer, immer unterworfener macht? Welchem Team gehören wir an? Team Bill oder Team Mensch? (3)

Wer heute zum Team Misstrauen gehört, muss mit schweren Nachteilen rechnen. Das war nicht immer so. Früher gehörte Gesellschaftskritik zum guten Ton. Wir haben Erich Fromm gelesen, Herbert Marcuse und Neil Postman. Die Entwicklungen in Medizin und Pharmaindustrie haben wir kritisch hinterfragt, und in unseren Bücherregalen standen Hans Jonas‘ Technik, Medizin und Ethik und Jürgen Habermas‘ Die Zukunft der menschlichen Natur.

Heute riskieren wir nicht nur, als „Wissenschaftsleugner“ sozial ausgeschlossen, von Verwandten und Bekannten ausgeladen und von Freunden und Berufskollegen gemieden zu werden. Während das Team Vertrauen sich an seine Privilegien klammert, laufen wir Gefahr, unsere Arbeit und lukrative Aufträge zu verlieren. Ein Zusammenkommen beider Seiten scheint unmöglich. Es gibt keine Schnittmenge, kein Übereinkommen. Jeder verlässt sich auf „seine“ Experten, deren Aussagen er nicht überprüfen kann.

Utilitaristische oder deontologische Ethik?

Kann die Ethik uns helfen, aus der Sackgasse herauszufinden? Welche Möglichkeiten ergeben sich für uns aus der philosophischen Disziplin, die sich mit den Prinzipien der Moral auseinandersetzt? Grundsätzlich, so Gunnar Kaiser, unterscheidet die ethische Argumentation zwei Prinzipien: die utilitaristische und die deontologische Theorie. „Mit Utilitarismus bezeichnet man ein Denken, dessen oberstes Prinzip jeder ethischen Antwort in der Überlieferung beruht, dass das Handeln eines moralischen Subjekts die Freude (den Nutzen, das Wohlergehen) steigern und/oder das Leid (den Schmerz) verringern sollte.“

Dem gegenüber steht der Kategorische Imperativ Immanuel Kants, der davon ausgeht, dass nicht eine Handlung oder Charakterstärke moralisch gut oder schlecht zu bewerten ist, sondern allein der Wille, von dem sie angetrieben werden: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können.“

Während es in der Pflichtethik allein um die Absicht geht, bezieht sich der utilitaristische Ansatz auf die Folgen einer Handlung. Wenn zum Beispiel eine Lüge dazu führt, dass Freude gesteigert und Leid vermindert wird, dann gilt das moralisch als gute Tat. Wenn also die Impfung nützlich ist, dann ist sie moralisch zu bevorzugen. Forscher, deren Studien dem Paradigma widersprechen, sind zu ignorieren und zu diffamieren. Im Prinzip dürfen wir alles tun, von dem wir uns Nutzen versprechen. Der Zweck heiligt alle Mittel.

Die utilitaristische Ethik lässt die Menschenwürde außer Acht, denn Würde ist ein Begriff, der sich der Messbarkeit entzieht. „Wer Menschen wie ein Werkzeug behandelt und sie nicht zugleich in ihrer Eigengesetzlichkeit achtet, handelt damit unmoralisch, ganz gleich, was die erzielten Ergebnisse für Freude und Nutzen in die Welt bringen mögen oder wieviel Leid sie verhindern mögen. Wenn ich durch die Versklavung eines einzelnen Menschen die ganze Welt retten könnte, wäre diese Tat immer noch moralisch falsch, weil ich eben nicht die Würde dieses einzelnen Menschen als unantastbar beachtet habe.“

Die Entscheidung, welcher Ethik wir angehören, ergibt sich nicht aus dem Studium philosophischer Schriften, sondern daraus, welchem Team wir angehören:

Vertrauen wir dem System oder misstrauen wir ihm? Für unsere Position suchen wir uns die passende Ethik und greifen entsprechend nach den Informationen, die unsere Weltsicht bestätigen. Neutralität gibt es hier nicht. Wir sind entweder dafür oder dagegen.

Welche Strömung wir ergreifen, hängt davon ab, was für ein Mensch wir sind, wie wir uns definieren und welches Bild wir uns vom Menschen machen.

Wehe! Wehe!

Als Teile einer Gesellschaft, in der Waren und Dienstleistungen wie eine religiöse Verheißung angepriesen werden, sind wir zu Zauberlehrlingen geworden, die riskieren, von ihrem Hexenbesen aus dem Labor gefegt zu werden. Im Bestreben nach der Optimierung des menschlichen Körpers hat sich das Werkzeug vom Menschen gelöst und richtet sich schließlich gegen ihn. Nicht wir bestimmen unser Leben. Unser Leben wird von Biotechnik bestimmt.

Wie der Heilige Gral wird die Erlösung bringende Impfung angepriesen. Sie soll uns gesund machen, und wenn schon nicht gesund, so doch zumindest nicht krank. Und wenn schon nicht nicht-krank, dann wenigstens nicht testpositiv oder dann krank, wenn wir unser marodes Gesundheitssystem überlasten könnten. Mit der Biotechnologie werden der Sozialtechnologie Tür und Tor geöffnet, unter deren prüfendem Blick wir in Solidarische und Egoistische, pflichttreue Staatsbürger und empathielose Rebellen, Risikogruppen und Superspreader, Geimpfte und Ungeimpfte eingeteilt werden.

Ein neues, unheilvolles Klassensystem ist dabei, sich herauszubilden, das dem Fortschritt verpflichtet ist und auch vor Gentechnik und Reproduktionsmedizin nicht Halt macht. „Die neue, entgrenzende Moral sieht dann so aus: Wenn technischer Fortschritt das Wesen des Menschen, gar seine Humanität ausmacht, dann ist jeder Widerstand gegen Technologie inhuman.“ Die neue Moral gibt vor, man solle sich keine Sorgen machen, die Regeln niemals hinterfragen, nicht auf Nebenfolgen und Kollateralschäden achten und der Wissenschaft vertrauen.

Der Fortschritt frisst seine Kinder

Das wahre Problem hierbei ist nicht die Technik, sondern der moralische Status quo der Gesellschaften, die die prometheische Kraft entfesseln. Mittels Technik erhebt sich der Mensch über sich selbst und wird gleichzeitig von dieser Technik unterjocht. Die Impfung spielt hierbei eine zentrale Rolle. Sie ist die Drehscheibe, über die, so der österreichische Publizist Gerald Ehegartner, die Verschmelzung von Mensch und Maschine bis hin zur Reduzierung des Menschen auf ein willenloses Datenpaket vorangetrieben wird.

Wie das Tier, dem es nicht um Freiheit und Selbstbestimmung geht, sondern um Sicherheit und Versorgung, fragt der neue Mensch nicht nach höheren Werten. Indem er zu einem restlos erklärbaren Objekt wird, stirbt der Homo sapiens sapiens als vernunftmäßig beseeltes Wesen. Denn die Biopolitik sieht den Menschen als zoé, als zoon politikon, dessen nacktes Überleben allein Sache des Staates ist.

Die Eroberung des Körpers reduziert den Menschen „zum Mittel in einer endlosen Reihe von Mittel-Zweck-Relationen: Zweck ist die Volksgesundheit und das bloße Am-Leben-Sein der Massenmenschen (...), Mittel ist die Impfung.“ Auch vor unserem Geist macht die Kolonialisierung der Körper nicht halt. Er wird uns förmlich ausgetrieben. Wir sind Rädchen im Getriebe, mehr oder weniger nützliche Ressourcen, defekte Maschinen, die regelmäßig upgedatet werden müssen.

Dem Individuum bleibt fortan kein Refugium mehr. Im moralfreien Raum bewegt sich der auf seinen Körper reduzierte Mensch zunehmend durch die Herrschaftsstrukturen einer nicht hinterfragbaren Biomacht.

Wir werden zu mehr oder weniger glücklichen Sklaven eines Biowohlfahrtsstaates, die die am Horizont erscheinende schöne neue Welt dankbar begrüßen. Wollen wir das?

Sind wir bereit, uns den neuen Göttern „Wirtschaftswachstum“, „materieller Wohlstand“, „innere Sicherheit“, „rechtsstaatliche Ordnung“, “demokratisches Staatswesen“ und „soziale Gerechtigkeit“ zu opfern? Oder wollen wir freie Menschen sein, die bereit sind, sich auch in aussichtslos scheinenden Lagen gegen den Verfall zu stemmen und für ihre Freiheit einzusetzen, auch wenn es uns in unserer bisherigen Geschichte bisher so gut wie nicht gelungen ist, unsere Individualität zu leben?

Staatsfeinde

Was wählen wir? Social Distancing, pauschale Einsperrungen, Quarantänelager, Zensur und Faktenfinder? Geben wir uns dem Kontroll- Überwachungs-, Nachverfolgungs-, Datensammel- und Digitalisierungswahn hin, mit dem das Kollektiv den Einzelnen verschlingt? Unterwerfen wir uns der Biomacht und der Impfung als Methode der technischen Naturbeherrschung? Zünden wir die Bombe, weil wir es können? Oder werden wir zum „Staatsfeind“, der die Freiheit des Individuums gegen die Zumutungen des biopolitisch agierenden Kollektivs verteidigt?

Als Staatsfeinde galten im vergangenen Jahrhundert diejenigen, die vor der Doppelnatur der Nukleartechnik gewarnt haben. Ob Impfung oder Atomkraft – beide zeugen von dem unstillbaren Verlangen des Menschen, sich die Welt untertan zu machen. Wie getrieben sind wir davon, das Gegebene in etwas Gemachtes zu verwandeln, das Natürliche in etwas Künstliches, das uns letztlich zu unselbständigen Mündeln macht. Denn wir sind nie von uns aus gesund. Wir müssen es immer beweisen. Nie sind wir von uns aus frei, so gesetzestreu und unbescholten wir auch sind. Den Launen bürokratischer Verordnungen unterworfen, die uns unsere Rechte nach Belieben zu- und absprechen können, werden wir zu leblosen Objekten der Verwaltung.

An unserer Bereitschaft, uns an den Leib und unter die Haut gehen zu lassen wird deutlich, wie viele Menschen heute bereit sind, sich technokratisch beherrschen zu lassen und ihre Individualität und schließlich auch ihr Menschsein abzugeben. Noch sehen viele das nicht. Doch eines ist sicher: „Wir wissen nun, dass wir in unsere Situation nicht durch eine unglückliche Verkettung von Umständen geraten sind: Das Beben, so namenlos und monumental-unmenschlich es auch erscheinen mag, ist nicht zufällig ‚ausgebrochen‘.“

Great Reset oder Renaissance?

Noch können die Seiten gewechselt werden. Noch haben wir einen freien Willen, eine Seele, ein Bewusstsein. Noch gibt es eine Alternative. Wir müssen nicht in einer technokratisch verwalteten Biosecurity-Gesellschaft mit regelmäßigen verpflichtenden und digital kontrollierten Immunsystem-Updates dahinvegetieren. Wir müssen diese neue Normalität nicht wählen. Der Great Reset kann ganz anders ablaufen, wenn wir, so Gunnar Kaiser, dazu bereit sind, in einen Raum der Reflexion und der Stille zu treten, in dem wir erkennen: „Die Prämissen sind falsch, unter denen wir derzeit genötigt werden, die Impffrage zu beantworten.“

Zu glauben, es gäbe keine Optionen, macht uns unfrei und damit jede moralische Entscheidung unmöglich. Entledigen wir uns dieser Vorstellung. Verlassen wir die Passivität und werden wir aktiv. Wir sind nicht zur Ohnmacht verdammt! „Wir selbst müssen mit unermüdlicher Anstrengung dafür sorgen, dass der Himmel aufklart. Dass wir das können, haben einzelne mutige Vorreiter gezeigt, zeigt die Bereitschaft zur Unterstützung dieser Einzelnen und zeigen auch die massenhaften friedfertigen Proteste gegen die Alternativlosigkeit der Vorgänge.“

Wir sind jetzt als Individuen gefragt. Wofür sind wir hier!? Zweifeln wir das Welt- und Menschenbild an, nach dem wir nichts als arme Sünder sind, optimierte Affen, Wölfe, Virenschleudern! Holen wir uns unseren Geist zurück und lassen wir den Gedanken zu, dass wir hinters Licht geführt wurden. Drehen wir uns um und wenden wir uns der Lichtquelle zu. So sehen wir klar.

Treten wir aus dem Schatten unserer Ohnmacht heraus. Wir sind nicht das, was man uns sagt. Wir müssen uns nicht verheizen lassen und denjenigen als Futter dienen, die in Wirklichkeit nichts schaffen und nur zerstören können. Sie nähren sich von unserer Energie, denn sie brauchen uns, um ihre Maschinen programmieren zu können.

Entziehen wir jenen die Energie, die sich von unserer Schaffenskraft ernähren, und nutzen wir sie für uns selbst. Es gibt so viel zu tun! Befreien wir den Geist aus der Flasche. Ist er einmal draußen, gibt es kein Zurück mehr. Dann ist der Rubikon überschritten. Auf der einen Seite stehen die, die sich der toten Materie verschrieben haben. Sie sind in ihr gefangen, denn sie glauben an nichts anderes. Sie werden mit ihr untergehen. Auf der anderen Seite stehen die, die ihrer lebendigen Natur folgen und sich in Freiheit erheben. Wem schließen wir uns an?


Gunnar Kaiser „Die Ethik des Impfens: Über die Wiedergewinnung der Mündigkeit


Quellen und Anmerkungen:

(1) Gunnar Kaiser: Der Kult. Über die Viralität des Bösen, Rubikon Betriebsgesellschaft 2022
(2) Gunnar Kaiser: Die Ethik des Impfens. Über die Wiedergewinnung der Mündigkeit, Europa Verlag 2022
(3) Sven Böttcher: Wer, wenn nicht Bill? Anleitung für unser Endspiel um die Zukunft, Rubikon Betriebsgesellschaft 2021


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In ihrem Berliner Tagebuch sammelt die Autorin Alltagsimpressionen, die Schrecken bergen, aber immer wieder auch aufblitzende Schönheiten im Kleinen.