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Die Gehorsamsschule verlassen

Die Gehorsamsschule verlassen

Das von drei mutigen Unternehmerinnen gegründete Schweizer Schulprojekt Campus Vivere gibt Anlass zum Nachdenken, was Schule heute sein soll.

Der Baum ist unser großer und wichtiger Begleiter. Er spendet uns nicht nur Schatten und bietet uns Schutz, sondern versinnbildlicht unser Heranwachsen. Wie der Baum braucht der Mensch Wurzeln, um sich in der Erde zu verankern und von dem zu ernähren, was sie uns großzügig zur Verfügung stellt. Die Wurzel wird zum Stamm, wird kräftig, bildet sich zur Krone mit komplex verzweigtem Astwerk, lässt Blätter wachsen, Knospen, Blüten und schließlich Früchte. Vögel, Geschöpfe des Himmels, lassen sich in der Krone nieder und bauen ihr Nest. In dieser Begegnung erst lernen wir uns selber kennen.

Campus Vivere, der erste internationale freie Lernort nach humanitärem Völkerrecht, hat den Baum zum Logo gewählt (1). Tanzenden Menschen mit emporgestreckten Armen gleich richtet sich der Stamm auf und entfaltet die sich mit buntem Blätterwerk ausbreitende Krone. Gegründet wurde Campus Vivere als Antwort auf die Zwänge und Beschränkungen der Corona-Zeit 2021 im Schweizer Kanton Thurgau als Homeschooling-Gemeinschaft mit Tagesstruktur. Anstatt um einen Kampf gegen die auferlegten Maßnahmen geht es hier um ein beherztes Engagement auf neuen Wegen.

Drei Unternehmerinnen mit pädagogischem, therapeutischem, musikalisch-kreativem und spirituellem Hintergrund haben ein Entwicklungsprojekt ins Leben gerufen, das Potenzialentfaltung, Gemeinschaft und Nachhaltigkeit fördert sowie die Verinnerlichung von Inhalten durch Erfahrungslernen, emotionale Bildung, Bewegung und Kreativität. Das Projekt orientiert sich an dem Gedanken der Menschheitsfamilie, in der die Kinder zu selbständigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten heranwachsen und alle Mitglieder sich auf Augenhöhe begegnen.

Geplant ist Lernen an verschiedenen Standorten. Hier erleben die Schülerinnen und Schüler wahre Gesichter anstatt Masken, natürliche, intrinsische Motivation statt Gehirnwäsche, die Förderung individueller Talente statt gleichmachenden Drills. Es gibt Raum für die Entwicklung von Sinn und die Stärkung von Selbstständigkeit und Selbstwert. Zielvision ist eine aktive, lebendige und generationenübergreifende Lebens- und Lerngemeinschaft, in der die Generationen ihre Erfahrungen miteinander austauschen und gemeinsam Garten und Tiere achtsam umsorgen.

In the box

Das Projekt inspiriert. Hier soll es keine Personen geben, sondern Menschen, keine Klassen, sondern Gemeinschaft, keine Fächer, sondern freies Lernen. Damit das gelingt, müssen wir uns aus den Indoktrinationen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte lösen, die ein paternalistisches, hierarchisches und auf Gehorsam und Folgsamkeit aufgebautes Bildungssystem in uns hinterlassen haben.

Um zu gewährleisten, uns zu eigenständigen, toleranten und dem Vater Staat nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen, wurde 1919 in Deutschland die Unterrichtspflicht zur Schulpflicht. Kurz darauf begannen die Vorbereitungen zum Zweiten Weltkrieg. Seit 1933 sind die Bildungsinhalte dem bis heute gültigen und zwischen Hitler und dem Vatikan beschlossenen Reichskonkordat unterworfen.

Vor allem die beiden letzten Jahre haben die Gefängnishaftigkeit der staatlichen Bildungseinrichtungen offengelegt, das dem Leben in einem Hochsicherheitstrakt gleicht, aus dem es kein Entkommen gibt.

Eine ganze Generation wurde durch Isolation, Instrumentalisierung, Überwachung, Hausarrest, Bewegungsmangel, Bloßstellung, Massentestungen, Zwangsmaskierung und Zwangsimpfung schwer traumatisiert. Verhaltensstörungen, Lerndefizite, Konzentrationsprobleme, Vereinsamung, Übergewicht, Angstzustände, Depression bis hin zum Selbstmord nahmen Autoritäten, Lehrer- und Elternschaft billigend in Kauf.

So wurden die Kinder und Jugendlichen von den Erwachsenen verraten. Die Eltern wollten ihre Ruhe, die Lehrer fanden es toll, dass die Schüler so gut mitmachten, und die Akademiker bleiben stumm. Nur ganz wenige wagten es, gegen den Strom zu schwimmen. Ihre Entscheidung haben sie oft mit ihrer Gesundheit und letztlich mit dem Ausstieg aus dem Bildungssystem bezahlt. Übriggeblieben ist eine Masse, die sich wie ein geschmeidiger Kuchenteig weiter formen lässt und nicht erkennt, wes Geistes Kind die Einrichtungen sind, denen die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft ausgeliefert werden.

In die Leere gehen

Die Gründerinnen des Campus Vivere haben den Mut, um des Kindeswohls Willen auszusteigen, und stellen sich die elementaren Fragen des Lebens: Was brauchen junge Menschen wirklich? Welche Fähigkeiten brauchen sie neben den Grundfertigkeiten lesen, schreiben und rechnen? Auf welchem Boden wachsen die höchsten Werte, die wir uns vorstellen können? Welche Nahrung brauchen Frieden, Harmonie und das bedingungslose Annehmen eines Menschen, die Vermittlung des Gefühls, genau richtig zu sein und seinen Platz zu haben in der Welt?

Als Pädagogin stelle auch ich mir diese Fragen. Seit über dreißig Jahren bin ich in verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Bildungseinrichtungen als Sprachlehrerin tätig, beziehungsweise war es, bevor ich als Ungeimpfte meine Arbeit aufgeben musste. Was brauchen wir wirklich für unsere Ent-Wicklung, also für das, was bereits in uns angelegt ist und zum Leben erweckt werden will? Wie kommen wir von der fixen Idee los, immer wieder Dinge in uns hineinstopfen zu wollen, anstatt uns zu leeren von dem Ballast, den man uns aufgebürdet hat?

Entsprechend habe ich einen Großteil meiner Lehrtätigkeit damit verbracht zu versuchen, meinen Schülern und Studenten Mut zu machen, den Frust vorangegangener Lernerfahrungen zu überwinden und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu fassen. So viele Menschen fühlen sich unbegabt und schleppen ein Selbstbild mit sich herum, dass ihnen nichts anderes übriglässt, als sich in stupide Abläufe und lebensfeindliche Systeme zu fügen. Denn während ihrer gesamten Schulzeit hat ihnen niemand gesagt, dass sie ein besonderes Wesen mit einzigartigen Talenten und Begabungen sind.

Von Anfang an werden wir im Sinne dessen, was gerade angesagt ist, „gefördert“ und lernen, kaum dass wir laufen können, uns in Klassen einzuordnen und Anweisungen zu befolgen. Wir werden mit Informationen geradezu bombardiert und durch ein System von Belohnung und Bestrafung so konditioniert, dass uns unsere natürliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit schon in den ersten Lebensjahren abhandenkommen.

In unseren Köpfen wächst die Idee heran, dass aus uns „einmal etwas werden soll“, so, als seien wir noch nicht genug. Man muss uns zurechtziehen, so hinbiegen, wie man uns haben will, weil wir es alleine nicht schaffen würden.

So kommt es, dass sich erwachsene Menschen aktuell ohne zu murren sagen lassen, wie sie sich die Hände zu waschen und die Nase zu putzen haben. Den Gehorsamstest der letzten Jahre haben sie mit Bravour bestanden. Ihre Sinne sind so abgestumpft und ihre Gehirne von allen möglichen Informationen derart besetzt, dass sie gar nicht sehen können, worum es in der staatlich geregelten Bildung eigentlich geht: die gezielte Unterwerfung und Versklavung der gesamten Menschheit.

Ausgebrochen

An der Nadel unseres technischen Fortschritts sind wir zu einer Art Riesenbabys degeneriert, die praktisch nichts mehr selber können. Wenn man uns den Saft abdreht, sind die meisten von uns komplett hilflos. Was machen wir, wenn das Licht ausgeht? Auf welche Energien greifen wir zurück? Wie verhalten wir uns, wenn unsere Smartphones nicht mehr funktionieren, unsere Autos nicht mehr fahren und die Supermarktregale leer sind? Wären wir dazu in der Lage, uns unser Essen selbst zu beschaffen? Könnten wir uns einen Unterschlupf bauen, uns warmhalten und unsere Kleidung flicken?

Können wir überhaupt auch nur richtig atmen, so, dass unser ganzer Körper ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird? Können wir noch kochen? Würden wir wilde Kräuter und die Früchte in Wald und Wiesen erkennen? Können wir uns an den Sternen orientieren? Wissen wir, welcher Vogel wann singt und welche Pflanze wann blüht?

Können wir uns noch Dinge merken? Haben wir eine Ahnung davon, welches Kraut gegen welche Krankheit gewachsen ist? Wissen wir, was uns wirklich Freude macht? Können wir unsere Gefühle und Bedürfnisse identifizieren und sie anderen mitteilen, anstatt sie ihnen als Anschuldigungen und Rechtfertigungen um die Ohren zu schlagen? Können wir Frieden, Freude und Freiheit?

Das zu ermöglichen ist die Hausaufgabe, die die Erwachsenen für die Kinder zu erledigen haben. In der neuen Schule lernen wir, was wirklich zählt. Wir lernen es zusammen, ohne Oberlehrer, ohne Einteilung in Klassen, ohne unzusammenhängend zusammengewürfelte Fächer, ohne Chronometer, der uns ständig unterbricht. Nicht das Pausenklingeln taktet unseren Tag, sondern unser natürlicher Wissensdrang. In organisch sich bildenden Gruppen kommen Kinder und Jugendliche, junge und alte Menschen zusammen, experimentieren gemeinsam und tauschen ihre Erfahrungen aus, ohne dass jemand benotet und kategorisiert wird.

Niemand ist einem anderen Menschen über- oder unterlegen. Alle sind verschieden und alle sollen es sein. Jeder ist, wer er ist, und genau richtig so, wie er ist. Das zu erforschen ist die einzige wirkliche Aufgabe, die wir im Leben haben. Das ist Evolution: sich aus sich selbst heraus entwickeln, evolvere: sich herausrollen. Diese Art von Entwicklung braucht kein Klassendenken, keine Einteilung in Fächer und keine Reduktion auf die Person. Sie braucht Menschen.

Menschen sind mehr als das, was in ihren Papieren steht. Sie sind nicht ihr Ausweis, nicht ihre Uniform, nicht der Stempel, den man ihnen aufdrückt. Menschen sind nicht an Privilegien gebunden, die man ihnen wie Appetithäppchen zuwirft, um sie bei Laune zu halten, nicht an Gesetze, die man über ihre Köpfe hinweg beschließt. Menschen sind frei. Personen sind im System gefangen. Menschen haben die Fähigkeit zu erkennen, dass das System nur in ihrem Kopf existiert. Sie wissen: Wenn sie ihr Denken ändern, dann ändert sich ihre Realität.

Schule machen

So ist die Basis geschaffen für eine Schule, die das Lebendige in den Mittelpunkt stellt: Vivere! Leben! Diesem neu aufkeimenden Leben, den Initiativen, die sich überall und auf der ganzen Welt bilden, ist nichts entgegenzusetzen. Es wird sich seinen Weg bahnen. Das Neue wird kommen. Das Alte muss gehen. Doch bevor eine neue Tür aufgeht, muss eine alte Tür geschlossen werden. Hier müssen wir uns entscheiden: Was wollen wir wirklich? Wollen wir unsere Kinder, die, die wir am meisten lieben, weiter einem Bildungssystem überantworten, das zum Verbrecher an den jungen Seelen geworden ist? Oder wagen wir es, freie Schulen für freie Menschen ins Leben zu rufen?

Machen wir aus der Schule etwas anderes als das, als was sie aktuell definiert wird: „eine Lehranstalt, in der der schulpflichtigen Jugend eine planmäßige und systematische, von Lehrern geleitete Bildung und Erziehung vermittelt wird, die vom Bildungsziel der Gesellschaftsordnung abhängig ist“ (2). Der Begriff geht auf das griechische Wort schole zurück: Muße, freie Zeit, Arbeitsruhe. Wie so vieles wurde er in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden verdreht, verzerrt und besetzt, bis die ursprüngliche Bedeutung verlorenging.

Seien wir müßig. Ruhen wir uns aus. Nehmen wir uns freie Zeit. Werden wir nutzlos.

Die Kieler Professorin für evangelische Theologie Sabine Bobert erinnert an ein Gleichnis des chinesischen Philosophen Laotse (3). Auf einer freien Fläche steht ein alter, knorriger Baum. Alle anderen Bäume um ihn herum sind abgeschlagen. Man hat sie als Brennholz benutzt und zum Bauen von Möbeln. Aus dem knorrigen Baum aber konnte man keine Bretter machen. So blieb er stehen. Zunächst waren die Menschen befremdet und enttäuscht von dem Baum, der es wagte, so zu sein, wie er ist. Doch dann kamen sie, um sich in seinem Schatten zu versammeln.

Das ist es, was Schule zu vermitteln hat: Ziehen wir die Uniform aus. Nehmen wir die Masken runter. Werfen wir die Papiere, die uns zu überwachten Objekten machen, in den Mülleimer. Funktionieren wir nicht mehr. Spielen wir keine Rolle mehr. Gehen wir nach draußen in den Wald, suchen wir uns den knorrigsten, ältesten Baum, umarmen wir ihn und setzen uns ihm zu Füßen. Lauschen wir seinem Blattwerk. Er hat uns viel zu erzählen.

Das ist es, was Kinder in einer lebendigen Schule erfahren: die Stärkung und Kräftigung ihrer Wurzeln und ihrer Flügel. Die kleinen Menschen sind schon fertig und müssen nicht erst gargekocht werden. Ihre Sinne sind voll ausgebildet. Anstatt sie zu verwirren und zu verkleben, bekommen sie die Möglichkeit, sie voll und ganz auszuprobieren und zu entfalten. Hierbei müssen sie niemandem gefallen und niemandem dienlich sein. Sie dürfen ganz sie selbst sein. So werden aus ihnen Erwachsene, um deren Stamm herum und unter deren Krone sich die Menschen nur allzu gerne versammeln werden.

Möge das Beispiel des Campus Vivere Schule machen. Mögen Projekte Erfolg haben, die sich mutig, menschlich und lebendig auch am Rande der Legalität bewegen. Mögen sie die Anfangsschwierigkeiten überwinden und ihre Samen in die ganze Welt hinausschicken. Und mag die Saat aufgehen, in der Schweiz, in Deutschland, überall dort, wo Menschen leben, denen ihre Kinder wirklich am Herzen liegen.


Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.campus-vivere.com
(2) https://www.dwds.de/wb/Schule
(3) https://www.youtube.com/watch?v=bvhX2AJ7rmw


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