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Die höchste Kunst

Die höchste Kunst

Wirklich lieben zu können, erfordert Selbstdisziplin und den ehrlichen Wunsch, zu geben. Teil 10 der Reihe „Persönliche Entwicklung“.

Liebe in verschiedenen Heilslehren, Philosophien und Religionen

Die Liebe steht im Zentrum vieler religiöser und philosophischer Traditionen, doch sie wird auf unterschiedliche Weise verstanden und gelebt.

Im Christentum gilt die Liebe als göttliches Prinzip und höchste Tugend. Sie zeigt sich in der selbstlosen Hingabe an Gott und den Mitmenschen. „Gott ist Liebe“ heißt es im ersten Johannesbrief — und diese göttliche Liebe (Agape) soll in den Gläubigen wirksam werden. Sie übersteigt persönliche Zuneigung und umfasst sogar die Feindesliebe, als Ausdruck universaler Güte. In der Bergpredigt sagt Jesus:

„Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, dem biete die andere auch dar.“
Matthäus 5,39

Jesus bezieht sich mit dieser Aussage auf das jüdische Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, das Moses zugeschrieben wird. Jesus geht jedoch über diese Regel hinaus und betont in seiner Lehre den Verzicht auf Vergeltung und Gewalt. Statt auf angetanes Unrecht mit gleicher Münze zu reagieren, soll der Mensch Frieden stiften und Böses mit Gutem überwinden. Diesen Appell sollten vornehmlich die Parteien in Deutschland beherzigen, in deren Parteinamen das Wort „christlich“ verwendet wird. „Kriegstüchtigkeit“ erlangen ist das krasse Gegenteil der Lehre Jesu.

Das Judentum sieht Liebe vor allem als eine Verpflichtung zur Treue, Fürsorge und Gerechtigkeit. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen“ sowie „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ sind Grundprinzipien jüdischer Ethik.

Das vielschichtige hebräische Wort für Liebe — „Ahavah“ – versteht sich als eine tätige, treue, verantwortliche Liebe, die sowohl Gefühl als auch moralisches Handeln einschließt. Betont wird eine Haltung, die sich im Tun zeigt — in sozialer Verantwortung und Mitmenschlichkeit.

Im Islam steht die Liebe zu Gott (maḥabba Allāh) im Mittelpunkt. Der Mensch soll Gott lieben, indem er seinen Willen erfüllt, ihm vertraut und seinem Weg folgt. Diese Gottesliebe ist die Quelle aller anderen Formen von Liebe. Sie ist nicht als gefühlsarm zu interpretieren, sondern wird als tiefe Herzensbindung verstanden. Die Liebe spielt eine zentrale, wenn auch oft spirituell verstandene Rolle. Liebe zu Gott zeigt sich im Glauben, im Gehorsam und im Mitgefühl gegenüber anderen. Liebe zwischen Menschen ist gut und wünschenswert, wenn sie auf Respekt, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit beruht. Sie darf aber nicht egoistisch, triebhaft oder vergötzend werden.

Zwei zentrale Herzensqualitäten im Buddhismus werden „Metta“ und „Karuna“ genannt, die eng miteinander verbunden und Teil des Weges zur Erleuchtung sind.

Metta bedeutet Freundlichkeit, liebende Güte oder auch wohlwollende Liebe.

Damit wird die bedingungslose, uneigennützige, glückwünschende Haltung allen Wesen gegenüber zum Ausdruck gebracht — ohne Anhaftung, Besitzdenken, Verlangen oder Bevorzugung. Sie richtet sich auf alle Lebewesen gleichermaßen: Freunde, Fremde und — wie auch bei Jesus — auf Feinde. Metta will, dass andere glücklich sind.

Karuna bedeutet Mitgefühl, und möchte, dass andere nicht leiden. Das Herz soll sich nicht abwenden, wenn es Leid sieht, sondern den Wunsch entwickeln, das Leiden zu lindern.

Im Hinduismus ist Bhakti ein zentraler Begriff und bedeutet „Hingabe“, „Ergebenheit“ oder „liebende Verehrung“. Bhakti beschreibt eine Form spiritueller Liebe, in der der Mensch sich einer göttlichen Gestalt voller Herz, Gefühl und Vertrauen zuwendet. Bhakti ist nicht nur Emotion, sondern auch ein spiritueller Weg. Ziel ist es, durch liebevolle Beziehung zu Gott das Ego zu überwinden und Einheit mit dem Göttlichen zu erfahren. Die Liebe ist nach diesem Verständnis persönlich und gegenseitig. Der Mensch liebt Gott – und Gott liebt den Menschen. Sie ist frei von Berechnung oder Angst und entspringt reiner Sehnsucht und Vertrauen.

Im Daoismus wird Liebe nicht ausdrücklich moralisch gefasst, sondern als natürliche, spontane Ausdrucksform des Lebensflusses (Dao). Wahre Liebe ist sanft, nicht besitzergreifend, und folgt dem Prinzip des Nicht-Erzwingens (Wu Wei).

Im Konfuzianismus zeigt sich Liebe in Ren, der Menschlichkeit oder Güte. Im Kern bedeutet Ren eine herzliche, respektvolle und mitfühlende Haltung gegenüber anderen Menschen. Ren ist die Tugend, die alle anderen Tugenden trägt — der innere moralische Kern des Menschen. Ein Mensch mit Ren handelt nicht egoistisch, sondern mit Rücksicht, Empathie und moralischem Bewusstsein in Familie, Gesellschaft und Staat. Ach, hätten doch unsere Politiker mehr Ren.

In der griechischen Philosophie wird Liebe vielgestaltig betrachtet: Platon sieht in ihr ein Streben nach dem Schönen und Ewigen — ein Aufstieg von sinnlicher Begierde zu geistiger Erkenntnis des Göttlichen. Aristoteles betont die freundschaftliche Liebe (Philia) als notwendige Grundlage eines erfüllten und tugendhaften Lebens.

Der Humanismus schließlich betrachtet Liebe als Ausdruck menschlicher Würde, Freiheit und Verbundenheit. Sie ist die Kraft, die Menschen befähigt, über sich hinauszuwachsen, Verantwortung zu übernehmen und eine gerechtere, empathischere Welt zu gestalten.

Pseudoformen der Liebe

Nicht überall, wo Liebe draufsteht, ist Liebe drin. Viele Menschen tun unglaublich viel dafür, geliebt zu werden, aber sehr wenig für die Fähigkeit, selbst zu lieben. Viele machen sich „lieb Kind“, sie machen sich liebenswert, bemühen sich aber kaum darum, andere zu lieben. Diese passive Einstellung hat relativ wenig mit aktivem Lieben zu tun.
 
„Liebe ist eine Aktivität und kein passiver Affekt. Sie ist etwas, das man in sich entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt.“ (Erich Fromm)

Quelle: Fromm, E.: Die Kunst des Liebens, 43. Auflage, Ullstein Verlag; Frankfurt a.M./Berlin 1990

In den vier Artikeln über das Thema Liebe werden zum Teil Originalzitate von Erich Fromm aus seinem mehr als lesenswerten Buch „Die Kunst des Liebens“ verwendet, die durch Anführungszeichen und Kursivschrift gekennzeichnet sind. Ein wesentlicher Teil dieser Kapitel orientiert sich an dieser epochalen Lektüre, da nach Meinung des Autors nur wenig zu den Ausführungen Fromms hinzuzufügen ist. Kein anderes Werk hat meines Erachtens das Thema Liebe besser beziehungsweise tiefer erfasst, auch wenn man nicht alle Ansichten Fromms eins zu eins teilen muss.

Viele angebliche Liebesverhältnisse verkommen immer mehr zu reinen Marketingbeziehungen. Schöner Körper gegen finanzielle (und/oder emotionale) Sicherheit, und dergleichen! Das mag vielleicht eine wunderbare Austauschbeziehung sein, die jedoch wenig mit Liebe zu tun hat.

Es ist in unserer Zeit nicht nur so, dass Männer mit dicken Geldbeuteln sich hübsche „Spielgefährtinnen“ angeln. Nein, auch vermögende Frauen halten sich vermehrt junge, gutaussehende Liebhaber, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden, und hat es auch früher vereinzelt schon gegeben. Nur, mit Liebe hat das wohl kaum etwas zu tun. Das ist eher so eine Angebots- und Nachfrageangelegenheit, die zumindest mit einer „romantischen Liebe“ wenig gemein hat. Damit das jeweilige Angebot, zum Beispiel das weibliche, auch stimmt, wird bereits mit 20 Jahren der Busen vergrößert, werden Lippen aufgespritzt, und derlei mehr. Als die Musikerin Cher einmal gefragt wurde, wie alt sie sei, soll sie geantwortet haben: „Welcher Teil von mir?“

Einige Männer hängen sich noch mehr in ihre Arbeit rein, um attraktiver für die Damen- beziehungsweise Lebenspartnerwelt zu werden, weil sie anscheinend der Ansicht sind, nur durch Geld das „große Glück“ in Form eines schönen Lebenspartners zu finden. Andere laufen sechs Mal pro Woche in die Muckibude, um sich eine attraktive Hülle zu verschaffen, und glauben, so besser auf der Lebenspartnerbörse landen zu können. Steckt vielleicht mangelndes Selbstwertgefühl hinter solchen Denk- und Verhaltensweisen? Innere Schönheit scheint erst einmal nicht so wichtig beim Partner zu sein, zumal man sie nicht herzeigen kann.

Einige Menschen beziehen Liebe lediglich auf die Zuneigung zweier Personen, insbesondere auf die Liebe zwischen Mann und Frau, und wundern sich über das häufige Versagen ihrer Beziehungen. Wenn Sie Ihre Liebe auf ein Objekt beziehungsweise Subjekt reduzieren, wird es wahrscheinlich auch nicht gelingen, eine liebevolle Partnerschaft zu entwickeln, da wahres Lieben eine generelle, universelle Fähigkeit eines Menschen darstellt. Nur auf eine oder wenige Personen bezogen, ist diese Art der Liebe nichts anderes als „erweiterter Egoismus“ und führt möglicherweise zu einer „Einsamkeit zu zweit“.

„Wenn ich einen Menschen wahrhaft liebe, so liebe ich alle Menschen, so liebe ich die Welt, so liebe ich das Leben. Wenn ich zu einem anderen sagen kann: ‚Ich liebe dich‘, muss ich auch sagen können: ‚Ich liebe in dir auch alle anderen, ich liebe durch dich die ganze Welt, ich liebe in dir auch mich selbst.‘“

„Liebe ist nicht in erster Linie eine Bindung an eine bestimmte Person. Sie ist eine Haltung, eine Charakter-Orientierung, welche die Bezogenheit eines Menschen zur Welt als Ganzem und nicht nur zu einem einzigen ‚Objekt‘ der Liebe bestimmt.“

Im Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist der wahre Charakter der Liebe als eine generelle Haltung beschrieben, die weit über eine Zweier-Beziehung hinausgeht.

Liebe ist auch kein „Objekt“, das einem zur richtigen Zeit zugeflogen kommt, wenn man nur den richtigen Partner findet. Insbesondere Frauen sehen sich gerne Liebesfilme an oder ziehen sich Liebeslieder und -romane rein und meinen dann, wahre Liebe in diesem Herz-Schmerz-Spektakel zu erkennen.

Diese „sentimentale Liebe“ der zerfließenden „Konsumentin“ zeugt jedoch lediglich von der Sehnsucht nach Liebe und ist ein oftmals spärlicher Ersatz für die eigene Unfähigkeit zu lieben.

„Ich vergöttere diese Frau“, „Ich bete diesen Mann an“… Mann oh Mann, Frau oh Frau, hier handelt es sich vermutlich um einen Fall mangelnden Selbstwertgefühls und/oder mangelnder Selbstliebe. Auch so eine Pseudoliebe! Überlegen Sie sich doch einmal, was da abgeht! Wenn ein Mensch eine andere Person abgöttisch liebt, dann doch nur, weil er sich selbst nicht genug liebt. Ein so strukturierter und fühlender Mensch meint, ein wahrhaft liebender Mensch zu sein, hat meines Erachtens jedoch ein Identitätsproblem. Er kompensiert seine Unfähigkeit, sich selbst zu lieben, mit seiner Liebe zu dieser idealen Person, was natürlich nicht lange gutgehen kann, weil nun mal keine Person perfekt ist. Wenn dann die Erwartungen des Fehlgeleiteten nicht erfüllt werden, sucht der Enttäuschte sich eben eine neue Projektionsfläche für seine eigentliche Unfähigkeit zu lieben, und meint, hier wieder die große Liebe zu erleben. Ja, und in dieser anderen Person verliert er sich dann erneut, weil er bei sich selbst nichts findet. Schwierig, schwierig! Hier handelt es sich eher um eine Form von Schwäche und weniger um eine Stärke, wie der abgöttisch Liebende vielleicht vermuten mag.

Und was ist das für eine Sache mit dem Verliebtsein? Viele Menschen verwechseln diesen Zustand mit Liebe.

*„Ein unbändig starkes Gefühl, die gegenseitige Fremdheit weicht einer Einheit, ja, das ist wahre Liebe, zusammen heben wir die Welt aus den Angeln! Wir haben uns endlich nach so langer Suche gefunden und werden uns nie, nie wieder trennen! Letztendlich haben wir den von uns abgespaltenen Teil, unsere andere Hälfte doch noch entdeckt, wir sind endlich wieder eins!“ *

Wenn dann die Hüllen der Partner fallen (und ich meine damit nicht Kleidungsstücke!), der Lack der Verliebtheit abgeblättert ist und die Hormone nicht mehr verrücktspielen, die Phase der grenzenlosen Hingezogenheit, in der wir Bäume ausgerissen haben und uns unserer Liebe bis in alle Ewigkeit sicher waren, sich dem Ende nähert, die Schwächen beider Partner sichtbar werden — dann ist die Fähigkeit zu lieben gefragt. Sollte diese Fähigkeit bei beiden Partnern nicht vorhanden sein, versucht vermutlich jeder „das Beste“ daraus zu machen. Frauen beginnen häufig, ihren Partner ändern zu wollen, und Männer verfallen oftmals wieder in ihre alten Strukturen. Für die Liebe müssen nun beide Partner aktiv etwas tun und nicht passiv abwarten, bis sie kommt. Ein nicht ganz einfaches, aber auch nicht unmögliches Unterfangen!

Trugschlüsse

Männer wie Frauen unterliegen oftmals Irrtümern in Sachen Liebe und Partnerschaft. Die folgenden Ausführungen, die sich ausschließlich auf die Beziehung zwischen zwei Partnern beziehen, versuchen zu verdeutlichen, dass es sich bei bestimmten Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen — nach Meinung des Autors — um Trugschlüsse handelt.

„Wenn ich es schaffe, dass mein Partner seine „störende(n)“ Eigenart(en) ablegt, haben wir eine perfekte Beziehung.“

In dieser „Sportart“ üben sich nach meiner Erfahrung insbesondere Frauen recht gerne, aber auch einige Männer neigen dazu. Sie vergessen manchmal schnell, in wen sie sich damals verliebt haben, und legen sich ein Bild zurecht, dem ihr Partner möglichst nahekommen soll. Und schon beginnen sie, am anderen zu feilen und versuchen, ihn zu verändern. In meinen Augen spiegelt das in den meisten Fällen eine geringe Wertschätzung und eine mäßige Achtung des Partners wider. Die Reaktion des Partners auf diese Erziehungsversuche lässt oftmals nicht lange auf sich warten. Er trotzt, hört vielleicht gar nicht mehr zu, explodiert auch hie und da, weigert sich, den Forderungen seines doch nur „gutmeinenden“ Partners nachzugeben, und ignoriert die vielleicht auch liebevollen Versuche, ihn zu erziehen — und das mit Recht!

Nehmen Sie Ihren Partner so, wie er ist! Es ist nicht Ihre Lebensaufgabe, ihn zu ändern, das steht Ihnen in meinen Augen auch nicht zu.

Es gibt doch mehr liebenswerte Eigenschaften an Ihrem Partner als Makel, oder? Na sehen Sie. Und mit seinen „weniger guten Seiten“ können Sie sich doch arrangieren, solange sie sich als gleichwertige Partner respektieren, oder?

Sie können das auch gerne anders sehen.

Ihr Partner ist in Ordnung, so wie er ist. Das sind seine „Eigen-Arten“. Er kennt sich in seiner Welt gut aus und fühlt sich darin wohl — und Sie sich in Ihrer. Und das ist gut so und sollte auch so bleiben, oder nicht?

In einem späteren Abschnitt wird noch auf die „Achtung“ der Freiheit des anderen als Bestandteil einer „reifen Liebe“ eingegangen.

„Friede, Freude, Eierkuchen“

Kein Streit, und die Liebe hält ewig! Mitnichten! Die Dauerharmoniker, die mit aller „Gewalt“ versuchen, einen Streit zu vermeiden, zahlen einen hohen Preis. Notwendige Konflikte werden nicht ausgetragen, oder ein Partner hat schon resigniert, macht schönes Wetter zum miesen Spiel, sagt nur noch „Ja, ja“, und so weiter. Das soll eine liebevolle Partnerschaft sein? Erstens mal total langweilig, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht ausdiskutiert werden, und außerdem absolut abträglich für eine Beziehung. Eine gesunde, konstruktive Streitkultur gehört zu einer guten Partnerschaft wie ein reinigendes Gewitter zu einem ausgeglichenen Wetter.

Anders sieht die Lage aus, wenn ständig gestritten wird, und das wegen jeder Kleinigkeit. Ständige Harmonie ist nicht echt und ständiger Streit zerstört. Ein gesundes und liebevolles Verhältnis zwischen den Partnern herrscht, wenn ein Disput wegen ernstzunehmenden Störungen und nicht wegen Nichtigkeiten vom Zaun gebrochen wird. Werden Kompromisse angestrebt, wird die Meinung des anderen als gleichwertig akzeptiert, dann trägt ein konstruktiver Konflikt zur persönlichen Entwicklung beider Partner und zu einer tieferen Beziehung bei.

Echte Größe zeigt sich auch im Verzeihen — was den meisten Menschen sehr schwerfällt. Verzeihen tut beiden gut, dem Verzeihenden und dem, dem verziehen wurde.

Fehler passieren. Wenn jemandem durch einen anderen Ungemach entstanden ist, das nicht aus Vorsatz und Heimtücke resultiert, sollten diese Fehler anderen Menschen verziehen werden.

Weit entwickelte Menschen gehen einer notwendigen Auseinandersetzung nicht aus dem Weg, sondern versuchen schnellstmöglich die Störung in der Beziehung zu bereden und nach Möglichkeit zu beheben.

„Wenn ich meinen Traumpartner gefunden habe, dann wird alles gut.“

Nicht aufwachen, weiter träumen! „Es“ wird sowieso nicht gut. „Sie“ müssen dafür sorgen, indem Sie die Fähigkeit, selbst zu lieben, entwickeln. Und den Traumpartner gibt es — wie der Name schon sagt — nur in Ihren Träumen, ab und zu in der Werbung und auf manchen Partnerportalen. „Ich warte auf den Ritter in der goldenen Rüstung auf dem weißen Pferd, der mich auf Händen trägt und mir das Glück auf Erden bereitet.“ Glauben Sie nicht, der hat auch noch was anderes zu tun, zum Beispiel Drachen zu töten?

Liebe ist eben kein Objekt, das Ihnen zugeflogen kommt oder auf einem weißen Pferd daherreitet.

Es ist natürlich wunderbar zu träumen, und das sollen Sie ja auch. Wenn Sie aufgewacht sind, können Sie sich wieder der Realität zuwenden, die alles andere als grau ist, aber vielleicht nicht ganz so bunt wie Ihre fantastischen Träume. Ihren Traumpartner werden Sie in der Wirklichkeit jedenfalls nicht finden, aber einen Menschen, der zu Ihnen passt. Alle Menschen sind mit der Rolle des Traumpartners hoffnungsvoll überfordert, da sie Schwächen, eigene Bedürfnisse und eigene Lebensvorstellungen haben.

Hochentwickelte Menschen suchen ihre Partner nicht, sondern finden sie. Sie können auch sehr gut alleine leben, da sie sich selbst lieben und sich selbst genug sind. Wenn sie eine Beziehung eingehen, geben sie viel von ihrer Liebe ab. Weniger entwickelte Menschen suchen Partner und versuchen, ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Sie flüchten sich in eine Beziehung aus der Unfähigkeit heraus, sich selbst zu lieben, und erwarten vom neuen Partner, er möge die eigenen Defizite kompensieren. Das wird ihr Partner aber nicht, da er ein ebenfalls Hilfe- und Liebesuchender ist. Hochentwickelte und weniger Entwickelte stoßen immer auf ihresgleichen. Das Gesetz der Anziehung. Allein sein zu können, ist ein positiver befriedigender Zustand, Einsamkeit ein negativer und unbefriedigender — bei Menschen, die noch nicht so weit sind.

Wenn es Ihnen nicht gut geht, dann hat es in erster Linie mit Ihnen selbst zu tun. Lieben Sie sich vielleicht nicht genug, haben Sie vielleicht zu wenig Selbstachtung? Wenn Sie sich selbst mehr Wertschätzung widerfahren lassen, brauchen Sie auch keinen Traumpartner mehr, den es auch gar nicht gibt. Gute Partner lieben und schätzen sich selbst, und geben dem anderen etwas davon ab. Zufriedene und weit entwickelte Partner kämen auch ganz gut alleine durch das Leben, sind aber froh, dass sie sich haben.

„Ein guter Partner liest mir jeden Wunsch von den Lippen ab und ist immer für mich da.“

Nein, liest er nicht, und er ist außerdem auch noch für sich selbst da! Ihr Partner befindet sich nämlich genauso wie Sie sehr häufig in seiner eigenen Vorstellungs- und Gefühlswelt und lauert nicht sekündlich auf Ihre verbalen oder nonverbalen Signale, um all Ihre Bedürfnisse befriedigen zu können. Sie dürfen sich glücklich schätzen, wenn Ihr Partner im Großen und Ganzen fühlt und weiß, was Sie glücklich macht, und Ihre ausgesprochenen und auch unausgesprochenen Wünsche oftmals erfüllt. Selbstverständlich gehört zur Liebe reifer Menschen auch, den anderen so weit wie möglich zu (er)kennen, soll aber nicht heißen, dass er deswegen keine eigenen Bedürfnisse mehr hat.

Ihr Partner muss auch nicht ständig um Sie „rumschwänzeln“, um Ihnen ja alles recht zu machen. Und selbst wenn er Ihnen so ziemlich alles recht machen würde, wäre das sicherlich noch nicht genug! Die Band U2 lässt grüßen:

„I gave you everything you ever wanted, it wasn't what you wanted!”
(„Ich habe dir alles gegeben, was du je wolltest, aber es war nicht das, was du wolltest!“)

Soll Ihr Partner sein „Ich“ wegen Ihnen komplett aufgeben? Wollen Sie so ein armseliges Menschlein ohne ausreichende Selbstliebe, nur geboren, um Sie glücklich zu machen?

Er kann Ihnen doch nur von seinem Ich etwas abgeben, wenn er eines hat, wenn er es aufbauen kann und er sich auch selbst liebt. Außerdem denke ich, dass man eines Menschen, der einem alle Wünsche erfüllt, schnell überdrüssig wird. Aber ich kann Sie beruhigen, solche Partner gibt es nach meiner Erfahrung nicht, zumindest nicht mehr nach der Verliebtheitsphase und auch nicht bei Amazon.

„Ich opfere mich auf für meinen Partner, dann wird alles gut.“

Sie, genauso wie Ihr Partner, haben das Recht auf Ihr eigenes Leben, auf Ihre eigenen Wertvorstellungen und müssen nicht ständig für andere da sein, sondern auch und vor allem für sich. Soll heißen, es ist genauso fruchtlos, sich für den anderen „aufzuopfern“, wie umgekehrt. Sie sind kein Opfer, genauso wenig wie der andere, sondern gleichwertiger Partner!

„Erst kommen die Bedürfnisse meines Partners, und dann meine.“

Das ist doch eine äußerst fragwürdige Einstellung. Was glauben Sie, wie lange das gutgeht? Ein Scherbenhaufen von Enttäuschungen, unbefriedigten Bedürfnissen, unerfüllten Wünschen, eine innere Leere würde irgendwann vor Ihnen liegen. Damit tun Sie weder sich noch Ihrem Partner einen Gefallen. Wer viel von sich aufgibt, kann auch seinem Partner nicht mehr viel von sich geben.

„Wir haben eine tolle Beziehung, weil wir alles zusammen machen – ein Herz und eine Seele.“

Ja, fragt sich nur, wie lange noch! Man kann einen Menschen mit seiner Liebe und mit gegenseitigem „Aufeinandersitzen“ auch erdrücken. Ja, am besten noch im gleichen Büro arbeiten und immer gemeinsam Kaffee trinken gehen, damit man auch schön alles zusammen macht. Goodbye Beziehung! Affenliebe, kann ich da nur sagen! Wo bleibt da die Achtung vor der Freiheit des anderen? Beziehungs- und liebestötende Klammerei kann und wird nicht gutgehen.

„When love kills love“, wie die Rockgruppe Scorpions dieses Drama besingt. Jeder Mensch braucht seinen Freiraum, eine Zone, die keiner betreten darf. „Ja, aber die Zeit, in der wir uns kennengelernt haben, war doch soooo schön. Alles, alles haben wir zusammengemacht und wir waren soooo glücklich. Warum ist das heute nicht mehr so?“ Weil jede Beziehung Phasen durchmacht und die Phase der Schwärmerei auch irgendwann ihr Ende findet! Jedem Partner muss es möglich sein, seinen eigenen Interessen nachzugehen, die sich nie hundertprozentig mit denen des anderen decken. Gestatten Sie ihm diesen Freiraum nicht, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn er sich seine Freiräume schafft und sich innerlich zurückzieht, denn äußerlich lassen Sie es ja nicht zu!

Zu viel vermeintliche „Liebe“ und Gemeinsamkeit kann und wird die „gewähnte“ Liebe irgendwann töten.

Es gibt sicherlich keine zwei Menschen auf dieser Welt, die exakt die gleichen Bedürfnisse haben. Der eine steht auf Sekt, die andere auf Selters, der eine auf argentinisches Steak, die andere auf Fitnesssalat, der eine möchte lieber schweigen, die andere lieber reden, die eine powert sich gerne aus, der andere liebt seine Couch, die eine geht gerne ins Kino, der andere gerne in die Kneipe. Ist doch wunderbar, solange es auch gemeinsame Interessen gibt! Wäre es nicht sterbenslangweilig und nervig, wenn beide immer die gleichen Wünsche hätten und alles zusammen unternehmen würden? Seien Sie froh, dass Sie beide unterschiedliche Steckenpferde, Vorlieben und Geschmäcker haben, und geben Sie Ihrem Partner genügend Freiraum dafür. Ihre Beziehung wird es Ihnen danken!

Dann haben Sie doch auch mehr Zeit für sich, und die gemeinsamen Momente haben eine ganz andere Intensität, wenn Sie nicht ständig zusammenhängen, oder? Ist doch inflationär, diese irreale und ungesunde Verbundenheit, und hat mit reifer Liebe absolut nichts zu tun!

„Wenn ich geliebt werde — und dafür tue ich alles —, ist und wird alles gut.“

Gehören Sie auch zu dem Typ Mensch, der so ziemlich alles macht, um geliebt zu werden? Sollte man nicht eher lernen, den anderen zu lieben? Wie eingangs dieses Artikels schon kurz angeschnitten, beschreibt der Sozialpsychologe Erich Fromm in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ in beeindruckender Weise, dass viele Menschen das Problem der Liebe darin sehen, geliebt zu werden, und nicht in der eigenen Fähigkeit zu lieben. Sie versuchen alles, um liebenswert zu erscheinen. Damit verlagern sie das Problem der Liebe auf ihre Partner, die sie ja lieben sollen. Der Partner soll’s dann richten. Nur, der ist wahrscheinlich genauso drauf und versucht auch so einiges, um geliebt zu werden. Wer liebt dann eigentlich? Beide sind mit diesem Anspruch überfordert.

Wesentlich förderlicher und natürlich auch ungleich schwerer wäre es, zu lernen, den anderen zu lieben. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Fähigkeit zu geben, und damit ist nicht Aufrechnen gemeint — „Gibst du mir das, gebe ich dir das“ —, sondern auch mal selbstloses Geben, ohne die Gabe als Opfer zu empfinden.

„Liebe ist der Wunsch, etwas zu geben und nicht zu erhalten“, hat Bertolt Brecht einmal gesagt. Ein schönes Vorbild hierfür ist die Mutter-Kind-Liebe, die zumindest zu einem großen Teil bedingungslos ist.

Bei Vätern ist Liebe und Anerkennung oftmals an Bedingungen geknüpft, da sie häufig Erwartungen an ihre Sprösslinge hegen. Wirklich lieben kann auch nur der Mensch, der sich selbst liebt. Nur dann kann er auch viel von seiner Liebe abgeben.

Arbeiten Sie lieber an sich und an Ihrer Partnerschaft. Erwarten Sie nicht nur vom anderen die Behebung Ihrer Defizite an Liebe, Anerkennung und Aufmerksamkeit. Umgekehrt gilt das selbstverständlich auch für Ihren Partner. Sie sind nicht geboren, um all seine Erwartungen zu erfüllen. Sie sind nicht ausschließlich Erfüllungsgehilfe für sein glückliches Leben. Sie sollten beide Ihre Schwächen akzeptieren und sich gegenseitig helfen, aber auch an sich denken. Dann ist Liebe möglich.

„Banale Alltagsprobleme können unserer Beziehung nichts anhaben — dafür ist unsere Liebe zu stark!“

Von wegen! Ständige Nörgelei, der Streit ums liebe Geld, der Job, unterschiedliche Auffassungen über Ordnung und Engagement bei der Haushaltsführung, die Erziehung der Kinder, unterschiedliche Freizeitgestaltung, unterschiedliche Vorstellungen über Sex in (und außerhalb) der Beziehung und dergleichen — der ganz normale Alltagswahnsinn eben — können eine anfangs gute Beziehung und vielleicht auch Liebe schnell zum Kippen oder sogar zum Scheitern bringen, wenn die Fähigkeit, wahrhaft zu lieben, nicht entwickelt wurde.

Fazit

Die Beherrschung der „Kunst der Liebe“ zeugt von einer hohen Entwicklungsstufe eines Menschen und setzt auch genau diese voraus.

Lieben zu können, erfordert nach Erich Fromm die Fähigkeit, wirklich zu geben, sowie Selbstdisziplin, da auch „Lieben“ wie jede andere Kunst nur erlernt werden kann, wenn man zielorientiert und strukturiert einiges dafür tut.

Weiterhin sind Mut, Demut und der feste Glaube an das Gelingen des Vorhabens zur Entwicklung dieser aktiven Fähigkeit des Liebens vonnöten.


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Quellen und Anmerkungen:

Ende März und Anfang April 2025 wurden meine beiden Bücher
„Die Friedensuntüchtigen“ und „Im Taumel des Niedergangs“ veröffentlicht.
https://www.amazon.de/Taumel-Niedergangs-Demokratischer-wirtschaftlicher-Deutschlan
ds/dp/B0F32JS87R/ref=sr_1_1?
Rezension zu diesem Buch: https://www.manova.news/artikel/abwarts
https://www.amazon.de/Die-Friedensunt%C3%BCchtigen-Kriegstreiber-Deutschland-Europa/dp/B0F3XG6Q8Z/ref=sr_1_1?__mk_de_

Rezension zu diesem Buch: https://wassersaege.com/blogbeitraege/buchrezension-die-friedensuntuechtigen-von-uwe-froschauer/

Ende September 2024 erschien das Buch „Gefährliche Nullen — Kriegstreiber und Elitenvertreter“.
https://www.amazon.de/Gef%C3%A4hrliche-Nullen-Kriegstreiber-Elitenvertreter-Deutschlands/dp/B0DJ374G6K/ref=sr_1_2?__mk_de_

Hier der Link zur Rezension des Buches:
https://www.manova.news/artikel/die-nieten-festnageln

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