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Die Klassenkampftradition der USA

Die Klassenkampftradition der USA

In der Linken wurde die Arbeiterklasse der USA oft als dumpf diffamiert, dabei führte das US-Proletariat radikale Kämpfe gegen Konzerne und Staat und ist ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen das globalistische US-Imperium. Teil 2/2

In Teil 1 wurden die Gründe für das Fehlen einer relevanten Arbeiterpartei in den USA besprochen, die Anfänge der US-Arbeiterbewegung herausgearbeitet, die Klassenkampfwellen am Ende des Ersten Weltkriegs, in den 1930er-Jahren sowie am Ende des Zweiten Weltkriegs beschrieben und schließlich die Institutionalisierung der Gewerkschaften analysiert.

Roll Back

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sank von 34 Prozent 1953 auf 25 Prozent 1973. Die Führungen etablierten die Gewerkschaften als eine Interessengruppe von vielen in das traditionelle politische System der Vereinigten Staaten. Als solche betrieben sie Service und Lobbying für ihre Mitglieder, konnten aber kaum den Anspruch stellen, eine Bewegung der Arbeiterklasse zu sein.

Folgerichtig hielt auch das schon überwunden geglaubte, engstirnige und bornierte Spartendenken wieder Einzug. Es etablierte sich im Wesentlichen ein zweispuriges Lohnsystem: Auf der einen Seite waren jene Industriearbeiter, die von Gewerkschaftserrungenschaften profitierten, auf der anderen Seite all jene, die von der Welle der Organisierung in den 1930ern nicht erfasst worden waren: landwirtschaftliche Arbeiter, Handelsbedienstete und in der Industrie das Proletariat der Südstaaten. Unbeachtet von den Führungen waren oft auch ethnische Minderheiten, Immigranten und Frauen. Exemplarisch für diese Politik der Gewerkschaftsbürokratien steht die bittere wie späte Erkenntnis von Harry Bridges, dem Chef der ehemals kämpferischen Hafenarbeiter der West Coast Longshoremen's Union (etwa: Gewerkschaft der Westküsten-Hafenarbeiter). Lakonisch stellte er im Rückblick auf sein Lebenswerk fest: „I sold out the working class to save my members“ (deutsch: Ich habe die Arbeiterklasse verraten, um meine Mitglieder zu retten).

An die Stelle des Solidaritätsprinzips, das auf industrieweite Verhandlungen setzt, um das Argument der Wettbewerbszwänge zu entkräften, trat immer mehr der Aufruf zur Produktivität und das Prinzip: mehr Konsum — mehr Arbeitsplätze.

Die Regierung war in diesem Zeitraum der beste Garant für mehr Arbeitsplätze, vor allem im militärisch-industriellen Komplex. So ergab sich auch eine relativ starke Bindung der Gewerkschaftsführung an die US-Außenpolitik, die die Vietnam-Ära überdauerte.

1973 gilt als Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg: Nach dem Zusammenbruch des Wechselkurssystems von Bretton-Woods setzte die Rezession ein. Nach einer relativ langen Phase des ökonomischen Wachstums und der Produktivitätssteigerungen brachen die Profite ein: Die Profitrate in den G7 fiel zwischen 1965 und 1980 von 25 auf 12 Prozent. Voll ins Rollen kommt die Offensive gegen die Arbeiterklasse unter Präsident Ronald Reagan: Die bisher schon zahmen Institution wie das National Labor Regulations Board (amerikanische nationale Arbeitsaufsichtsbehörde) oder die Occupational Safety and Health Administration (Bundesbehörde, die für Sicherheit am Arbeitsplatz zuständig ist) wurden weiter beschnitten, soziale Netze angegriffen.

Die ersten Tage der Reagan-Regierung ließen auch keinen Zweifel an der Stoßrichtung: Beim Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO wurde nach einer Frist von 48 Stunden die gesamte Belegschaft gefeuert — über 10.000 Menschen — und durch neue Arbeitskräfte und Militär ersetzt; die Entlassenen wurden außerdem mit einem zehnjährigen Anstellungsverbot belegt — eine existenzvernichtende Maßnahme.

In den 1980ern war dann der Arbeitskampf weitgehend defensiv. Unternehmer „forderten“ von Arbeitern in fast allen Industriezweigen Zugeständnisse. Eine Reihe von Streiks endete mit schwerwiegenden Niederlagen, oft nach Aussperrungen und Einsetzung von Streikbrechern — so etwa bei Greyhound oder Eastern Airlines.

Die neuen Rahmenbedingungen veränderten auch hier die Kampfformen. Seit den 1970er-Jahren war ein Zurückgehen von wilden Streiks bemerkbar. Das Vertrauen in militante Kämpfe sank nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Rückendeckung seitens der Gewerkschaftsführungen. In der Defensive wurde das Augenmerk auch oft eher auf die Sicherung von Arbeitsplätzen als auf Lohnerhöhungen gelenkt.

Eine der neuen Taktiken, die vor allem der Notwendigkeit, die bremsende und verräterische Bürokratie zu umgehen, geschuldet war, war ein Rückgriff auf Frühformen der amerikanischen Arbeiterbewegung. Die sogenannte In-Plant-Strategy bemühte sich um die Nutzung von spezifischem Wissen und Fähigkeiten der Arbeiter, um die Produktion zu hemmen, oft in Verbindung mit Solidaritätskomitees außerhalb der offiziellen Gewerkschaftsstrukturen. Dabei starteten meist einzelne Arbeiter bestimmte Aktionen, die dann kollektiv verbreitet wurden. Propagandamöglichkeiten während der Arbeit und in Pausen wurden genutzt.

Eine weitere Taktik bestand in der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, Gemeinden und lokalen politischen und sozialen Gruppen zur Bildung reformistisch orientierter politischer Koalitionen in der regionalen Politik, speziell um den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern. Dabei ging es um Maßnahmen wie Solidarität mit Streikenden, Demonstrationen, auch finanzielle Unterstützung. Manchmal gab es ausgedehnte Konsumentenboykotts, um Streiks zu unterstützen.

Viele der Aktionen waren durchaus riskant, da sie zunehmend illegalisiert wurden.

In dieser Phase kamen die Versäumnisse der Gewerkschaftspolitik voll zum Tragen. Aufgrund der regionalen Beschränkung der Verträge war es Unternehmen ein leichtes, die Produktion in Gebiete zu verlagern, in denen weniger Tradition des Klassenkampfs existierte und gewerkschaftliche Strukturen schlechter verankert waren. Fast alle großen Autowerke beispielsweise eröffneten Niederlassungen in den Südstaaten, so sie nicht die Produktion überhaupt ins Ausland verlagerten. Größere Mobilität wurde den Unternehmen zusätzlich durch Freihandelsabkommen wie NAFTA ermöglicht.

Neuaufschwung in den 1990er-Jahren

Die Situation in den 1990ern war etwa wie folgt geprägt: Das Jahr 1995 stellte mit 32 Streiks von über 1.000 Streikenden das Nachkriegstief dar — ein Achtel der Streiks von 1975; die Anzahl gewerkschaftlich organisierter Mitglieder erreichte mit 15,5 Prozent den niedrigsten Stand seit 1936; das Reallohnniveau fiel seit den 1970ern um 15 Prozent. Es kam auch zu einem immer stärkeren Anstieg ungeschützter Arbeitsverhältnisse auf 35 Prozent im Jahr 1997. Kürzungen mussten im Bereich von Pensionen, Kranken- und Sozialversicherung hingenommen werden.

Der verstärkte Druck von unten auf die Gewerkschaftsführungen zeigte sich 1995 im Führungswechsel in der AFL-CIO (American Federation of Labor/Committee for Industrial Organization). Das Bewusstsein über die Lahmheit der Führung drückte sich zunächst in einigen Rücktrittsaufforderungen an den seit 1979 amtierenden Präsidenten Lane Kirkland aus. Bei der Wahl 1995 wurde mit John Sweeney, dem Präsidenten der Service Employees International Union (Internationale Dienstleistungsgewerkschaft) ein Gegenkandidat aufgestellt, dessen Kampagne stärker als bisher von der Basis geführt wurde und erfolgreich war.

In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre erlebte die amerikanische Arbeiterbewegung dann einen neuen Aufschwung. 1997 streikten bei der privaten Zustellfirma UPS 185.000 ungeschützte Beschäftigte für Festanstellung und Sozialversicherung. Durch Blockaden der Auslieferung muss UPS Verluste in Milliardenhöhe hinnehmen und schließlich den Streikenden deutliche Zugeständnisse machen: 20.000 neue Vollzeitarbeitsplätze und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.

1998 verhindern wochenlange Streiks bei General Motors (GM), nachdem der Konzern Milliardenverluste schreibt, Fabrikschließungen und Lohnkürzungen. Ebenfalls mit Erfolgen enden 1998 ein 69-tägiger Streik bei Boeing und Arbeitsniederlegungen bei Bell Atlantic (Telekommunikation). Im Jahr 2000 streiken bei der Telefongesellschaft Verizon 85.000 Beschäftigte gegen, unter anderem, angeordnete Überstunden, die Arbeitsbedingungen in den Call Centers und für die Einrichtung von Gewerkschaften. Nach zwei Wochen Streik und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikposten und der Polizei musste Verizon schließlich in die Knie gehen und den Forderungen der Beschäftigten in allen Punkten nachkommen.

Von etwas mehr als einer Palastrevolution kann durchaus gesprochen werden: Man versuchte aus den Kämpfen an der Basis der letzte Jahrzehnte zu lernen; insbesondere wurden Versuche zur groß angelegten Organisierung verstärkt. Aus den Erfolgen wurde allerdings keine weitere Offensive der Arbeiterklasse, da die Gewerkschaftsbürokratie fest an die Demokratische Partei gebunden war und man der Regierung von Bill Clinton (1993 bis 2001) keine übermäßigen Probleme machen wollte. Der fortgesetzten Erodierung sozialer Sicherheitssysteme unter Präsident Clinton wurde in der Folge kaum Widerstand entgegengesetzt. Und die Gewerkschaften machten weiterhin Wahlkampf für die Demokraten.

Gleichzeitig gab es in der US-Arbeiterbewegung immerhin auch einige internationalistische Ansätze: Die US-Gewerkschaften der Elektro- und Elektronikindustrie arbeiteten stärker mit den entsprechenden mexikanischen Gewerkschaften zusammen. Seit Mitte der 1990er-Jahre in den USA die alte korrupte Gewerkschaftsführung durch eine jüngere und kämpferischere ersetzt wurde, gab es dort systematische und erfolgreiche Versuche, die zehn Millionen lateinamerikanischen Lohnabhängigen in den USA zu organisieren — etwa die Wäschereibeschäftigten und die Erdbeerpflückerinnen in Kalifornien, in deren Bereichen auch massive Streiks geführt wurden, oder die Reinigungskräfte, deren Kampf Ken Loach 2000 zum Film „Bread and Roses“ inspirierte.

An den Mobilisierungen gegen die kapitalistische Globalisierung in Seattle im November 1999 beteiligten sich starke Kontingente von Transport-, Metall- und Hafenarbeitern, in Québec im April 2001 Zehntausende Arbeiter aus Kanada, aber auch aus den USA und aus Mexiko.

Die letzten 20 Jahre

Auch nach der Jahrtausendwende gingen die Klassenauseinandersetzungen in den USA weiter. Ausmaß, Intensität und Erfolge waren wechselhaft. Die folgenden Beispiele haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

2002 traten die Hafenarbeiter an der Westküste der USA in den Streik. Er stellte sowohl für den US-Handel mit Asien als auch für die Versorgung der US-Truppen im Irak eine Bedrohung dar und wurde von Präsident George W. Bush per Dekret beendet. 2003 streikten in Kalifornien 70.000 Beschäftigte des Lebensmittelhandels gegen ihre miserablen Arbeitsbedingungen. 2005 legten die Beschäftigten der New Yorker Verkehrsbetriebe die Arbeit nieder, woraufhin ein Gericht den Streik als illegal beendete und der Gewerkschaft eine tägliche Strafzahlung von einer Million Dollar androhte.

2005 gerieten die Gewerkschaften in eine organisatorische Krise. Die mitgliederstarken Verbände des Öffentlichen Dienstes (SEIU), der LKW-Fahrer (Teamsters) und der Nahrungsmittelbranche (UFCW) und damit ein Drittel der Mitglieder spalteten sich vom der AFL-CIO ab, deren Hochburgen die Automobil- und Stahlbranche blieben. Die Ausgetretenen kritisierten, dass die AFL-CIO keine brauchbaren Antworten für die drängenden Probleme der unter Globalisierungsdruck geratenen Arbeitnehmerschaft habe. Statt für die Beschäftigten zu kämpfen, verschwänden Millionen wertvoller Mitgliedsbeiträge in teuren politischen Kampagnen für den Wahlkampf von Politikern der Demokratischen Partei.

In den darauffolgenden Jahren gab es trotz der Spaltung immer wieder intensiv geführte Arbeitskämpfe, etwa 2006 in der Fleischindustrie oder 2007 bei Harley-Davidson. Ebenfalls 2007 legten bei General Motors 73.000 Beschäftige an 89 Standorten die Arbeit nieder.

2008 streikten die Beschäftigten beim großen Autozulieferer American Axle um den Tarifvertrag. Im selben Jahr traten 27.000 Mechaniker beim Flugzughersteller Boeing in einen unbefristeten Streik, um bei dem Großkonzern, der Milliardenprofite machte, endlich wieder Lohnerhöhungen durchzusetzen. Und ebenfalls 2008 führten die Hafenarbeiter der US-Westküste einen offen politischen Streik durch, eine achtstündige Arbeitsniederlegung gegen den Irak-Krieg.

2011 streikte in Kalifornien das Pflegepersonal der Krankenhauskette Kaiser und führte damit einen der größten Arbeitskämpfe im Gesundheitswesen durch. 2012 fand bei der Kaufhauskette Walmart, dem Marktführer, eine erfolgreiche Arbeitsniederlegung für Verbesserungen bei Lohn und Krankenversicherung statt. 2013 fanden die bisher massivsten Streiks im Fast-Food-Sektor statt, bei denen ein Stundenlohn von 15 Dollar und eine gewerkschaftliche Organisierung gefordert wurden.

2015 haben 6.550 Arbeiter in 15 Raffinerien und Öl-Terminals, unter anderem bei Shell und ExxonMobil, die Arbeit niedergelegt. Sie kämpften gegen die personelle Unterbesetzung und dafür, dass frühere Sicherheitsstandards wieder eingehalten werden. Betroffen von den Streiks waren die Bundesstaaten Kalifornien, Indiana, Ohio, Kentucky, Texas, Louisiana und Washington. Es war der größte Arbeitskampf in der Ölindustrie seit 35 Jahren.

Ebenfalls 2015 haben die 20.000 Hafenarbeiter der Westküste über neun Monate einen Bummelstreik durchgeführt, also Dienst nach Vorschrift gemacht. Sie wehrten sich damit gegen Personalabbau und Arbeitszeitverdichtung. Der Streik hatte massive Auswirkungen auf die weltweiten Produktionsketten und die Importe aus Asien, die über die 29 Häfen der Westküste in die USA kommen.

2016 gab es Abwehrkämpfe des Pflegepersonals in Minnesota sowie beim Telekommunikationskonzern Verizon. Beim Pflegepersonal sollte die Krankenversicherung verschlechtert werden. Verizon wollte Tausende von Arbeitsplätzen abbauen und die Kosten für Krankenversicherung und Renten den Arbeitern aufzubürden, wogegen 40.000 Beschäftigte die Arbeit niederlegten.

Im Januar 2017 begann die Präsidentschaft von Donald Trump. Viele erwarteten nun eine massive Zunahme von Streiks — einerseits weil ein gewerkschaftsfeindlicher Milliardär womöglich eine besonders arbeiterfeindliche Politik fahren würde, andererseits weil die den Demokraten nahestehenden Gewerkschaftsapparate gegenüber Trump weniger zurückhaltend sein würden als gegenüber Barack Obama.

In der Realität stellte sich das weniger eindeutig dar. In Trumps Amtszeit boomte die Wirtschaft, das Ausmaß an Beschäftigung erreichte neue Rekorde und erfasste auch die unterste Schichten der Arbeiterklasse. Trumps „America First“-Politik und seine Sanktionsdrohungen an Konzerne, die die Produktion ins Ausland verlagern, hatten eine gewisse Wirkung. Die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften ermöglichte in etlichen Sektoren verbesserte Löhne. Dementsprechend gab es bei großen Teilen der Lohnabhängigen eine gewisse Zufriedenheit und in den Kernschichten der Arbeiterklasse nur wenige größere Streiks.

Eine relevante Ausnahme war 2019 der Streik um den Tarifvertrag von 46.000 Beschäftigten bei General Motors, den ersten seit zwölf Jahren. Dass 2018 dennoch 485.000 Beschäftigte an Streiks beteiligt waren — so vielen wie seit 1986 nicht mehr —, lag an Lehrerstreiks in vielen Bundesstaaten. Die Arbeitssituation des Lehrpersonals hatte sich nicht spezifisch unter Trump verschlechtert. Dass es ausgerechnet 2018 so aktiv wurde, dürfte wohl politische Gründe gehabt haben, nämlich die besonders nachdrückliche Ablehnung Trumps durch die linksliberale Lehrerschaft.

2020 begann das Coronaregime, unter Joe Biden dann noch mal verschärft, das mit seiner Einschränkung der Grundrechte Klassenkampfaktivitäten weitgehend verhinderte. Darüber hinaus wollten die Gewerkschaftsführungen einer Regierung der Demokratischen Partei nicht übermäßig schaden.

Erst ab 2022 wieder nahmen die Streiks wieder zu. Spezielle Brennpunkte waren dabei Konzerne, die die globalistische Agenda besonders betreiben und besonders von ihr profitieren.

Im Frühjahr 2022 konnten Beschäftigte am ersten Amazon-Standort, Lager JFK8 in Staten Island, die Etablierung einer Gewerkschaft durchsetzen — gegen massiven Druck, Einschüchterungen und rechtliche Kampagnen der Konzernleitung. Ähnliche Kämpfe mit Arbeitsniederlegungen fanden bei Starbucks und Apple statt. Im selben Jahr hatte die Biden-Regierung einen Streik der Eisenbahner per Dekret unterdrückt.

Im Sommer 2023 folgte schließlich eine regelrechte Streikwelle. Im Juni gab es wieder einmal Bummelstreiks an der Westküste, die sowohl Häfen in den USA als auch in Kanada umfassten. In der Autoindustrie spitzte sich die Situation unter dem Druck von der Basis ab Mitte September zu einem Streik zu. Die regierungsfreundliche Führung der United Auto Workers (UAW) versuchte, den Ausstand auf wenige Werke der Big Three, also GM, Ford und Stellantis, zu beschränken. Der Unmut an der Basis war groß, beim Zulieferer Lear in Indiana wurde bereits zuvor ein von der UAW ausgehandelter Vertrag von 75 Prozent der Beschäftigten abgelehnt.

Beim Paketzusteller UPS setzte die Gewerkschaft für 340.000 Beschäftigte eine gewisse Erhöhung der Stundenlöhne und eine Abschaffung der Kameras in den Fahrerkabinen durch. Der Abschluss blieb allerdings deutlich unter den Erwartungen, und viele Beschäftigte misstrauten den bekannt gegeben Ergebnissen der Urabstimmungen. Konfrontiert mit Kritik richtete der Sean O‘Brien, der Vorsitzende der Teamsters-Gewerkschaft, eine Ansage an andere Logistikkonzerne:

„Dies ist die Vorlage dafür, wie Arbeitnehmer landesweit bezahlt und geschützt werden sollten, und nicht gewerkschaftlich organisierte Unternehmen wie Amazon sollten besser aufpassen.“

Resümee

Trotz einer langen Tradition militanter Kämpfe hat es das US-Proletariat nie zu einer großen politischen Interessensvertretung, einer spezifischen Arbeiterpartei gebracht. Das politische System der USA war und ist geprägt von den beiden großen Parteien der Konzerne, die Politik für das Kapital und das US-Imperium machen.

Der größere ökonomische Spielraum des US-Kapitalismus und die scharfe Repression gegen die Arbeiterbewegung und Sozialisten spielten hier eine wichtige Rolle. Das weitgehende Fehlen einer proletarischen Klassenpartei bewirkte, dass die US-Gewerkschaften über ein überproportionales Gewicht in der Arbeiterbewegung verfügten und immer noch verfügen. Ihre staatstragende Rolle führte dazu, dass viele wichtige Klassenkämpfe auch neben den Gewerkschaftsstrukturen entstanden und in der Regel schnell wieder in sich zusammenbrachen, da es an einer beständigen politischen Perspektive meist fehlte.

Während in Westeuropa die vor allem Sozialdemokratien für die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die kapitalistische Herrschaft sorgten, waren das in den USA die Gewerkschaftsapparate. Sie sind überwiegend an die Demokratische Partei gebunden.

Diese Bindung ist derzeitein zentrales Problem für die US-Lohnabhängigen, denn die Demokraten sind aktuell die Hauptpartei des US-Kapitals, des US-Imperiums und der globalistischen Agenda, die sich gegen die arbeitende Bevölkerung in allen Ländern richtet.

Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, dass sich die große Mehrheit der US-Arbeiterklasse von den Demokraten abgewandt hat. Viele haben ohnehin nie an den Wahlen teilgenommen, weil sie wissen, dass beide großen Parteien gegen sie arbeiten. Und viele hatten zuletzt Donald Trump gewählt, als Protest gegen die globalistischen Eliten und in Unterstützung der „America First“-Politik. Tatsächlich hatte Trump die Wahl 2016 in der Arbeiterklasse gewonnen.

Dass ein Milliardär wie Trump in der Arbeiterklasse derart punkten konnte, hat auch viel mit dem Versagen der Linken zu tun: Die allermeisten US-Linken segeln im Fahrwasser der Demokratischen Partei. Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von der Arbeiterklasse abgewandt. Stattdessen sind sie hoffnungslos in akademische woke Diskurse, hysterische Identitätspolitik und politisch korrekte Sprachverbotsorgien verstrickt. Sie bedienen diverse politische Agenden der Globalisten und sind finanziell und ideologisch mit dem medialen, universitären und politischen Mainstream verwoben.

Die Lohnabhängigen spüren sehr gut, dass diese Linken auf der anderen Seite stehen. In Kontrast zu den spalterischen Diskursen um „race“ und „gender“ kämpfen bei UPS, Amazon oder in der Automobilindustrie Schwarze und Weiße, Frauen und Männer gemeinsam gegen die ausbeuterischen Praktiken der Konzerne, deren Managements sich plakativ Wokeness und Diversity verschrieben haben.

Die USA sind nicht nur die globale Hegemonialmacht, die weltweite Führungsmacht des neoliberalen Kapitalismus, der Weltpolizist gegen aufmüpfige Staaten und Völker, sondern auch eine Klassengesellschaft mit inneren Widersprüchen. Sowohl die lange Tradition von heftigen Klassenkämpfen als auch die Arbeitskämpfe der letzten Jahre zeigen das Potenzial der US-Arbeiterklasse als Verbündete von Widerstandskämpfen gegen das US-Imperium und den Globalismus.

Der globalisierte Kapitalismus ist ein mächtiges System, dessen Eliten weltweit schalten und walten. Aber er ist aufgrund der ökonomischen Vernetzung auch ein anfälliges System. Die Hafenarbeiter der US-Westküste, ein gut organisierter und gut verdienender Teil der US-Arbeiterklasse, haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, wie die Produktions- und Lieferketten des Systems angegriffen werden können; die Beschäftigten von UPS, Amazon oder Apple haben gezeigt, wie auch diese Konzerne, die zu den großen Profiteuren des Globalismus zählen, von innen heraus angegriffen werden können.

Und die Klassenwidersprüche des US-Kapitalismus werden auch nicht geringer werden. Einerseits erodieren seit 2022 und mit dem Aufstieg der BRICS-Staaten die globale Dominanz der USA und die Macht ihrer Währung, mit der die US-Regierungen lange Zeit die eigenen ökonomischen Probleme auf andere abwälzen konnten. Andererseits haben die USA haben massive systemische Probleme:

Die Infrastruktur — Brücken, Dämme, Eisenbahnen, Autobahnen, U-Bahnen — im Land ist alt und zerbröckelt, viele Städte verfallen. Die Staatsverschuldung ist riesig. Der Dollardrucker läuft auf Hochtouren. Aber der Drucker stottert. Die Ent-Dollarisierung der Weltwirtschaft bringt das System ins Wanken.

In den USA sind mehr als 150 Millionen Menschen in Niedriglohnjobs und Armut gefangen. Keiner von ihnen hat mehr als 1.000 Dollar an Ersparnissen. Auf jeden arbeitslosen US-Amerikaner, der auf Jobsuche ist, kommen vier, die das bereits aufgegeben haben. Die Folgen der aktuellen Inflation, die es auch in den USA gibt, sind klar: Die Obdachlosigkeit erreichte 2023 ein Rekordniveau.

Seit zwei Jahrzehnten steigt die Zahl der Drogenabhängigen. Über 100.000 US-Amerikaner sterben jährlich an einer Überdosis. Im gesamten Vietnamkrieg sind 58.000 US-Soldaten gestorben. Soziologen haben für die hohe Rate an Selbstmorden und Überdosis bereits einen eigenen Begriff geprägt: Tod aus Verzweiflung.

Traditionelle und fundamentale soziale Netze wie Ehe, Familie und auch Kirchen oder Vereine wurden seit Jahrzehnten demontiert. Der Queer-Aktivismus könnte in den USA, wie der indische Geopolitik-Journalist S. L. Kanthan meint, die Entwicklung in Richtung einer entwurzelten, desorientierten und vereinsamten Gesellschaft beschleunigen. Das „Social Engineering, das die Eliten auf die Amerikaner losgelassen haben“, sei der Grund, warum die USA „eine psychisch kranke“ Gesellschaft seien. Die Vereinigten Staaten haben mit Abstand den höchsten Verbrauch an Antidepressiva und Psychopharmaka weltweit.

Zudem kämpfen die USA mit schlimmen Epidemien: 75 Prozent der Bevölkerung haben ernsthafte Gewichtsprobleme, sie sind fettleibig (43 Prozent) und übergewichtig (32 Prozent). Die chronischen Krankheiten sind astronomisch. Ein Großteil der Bevölkerung ist von Big Pharma abhängig.

Angesichts dieser Zustände kein Wunder, dass das Lied „Richmen North of Richmond“ von Oliver Anthony, das den ganzen Frust der unteren Klasse hinausschreit, gerade in den USA so viral ging. Riesige Volksmassen in den USA sind höchst verzweifelt. Das Land ist zutiefst polarisiert. Die Spannungen sind groß, soziale Explosionen möglich. In welchem Verhältnis Klassenkampf, Aufruhr, Bürgerkrieg und Repression zueinander stehen werden, ist nur schwer abzusehen.
Die lange Tradition von Klassenkampf und Widerstand unter den US-Lohnabhängigen wird auch in Zukunft wieder zum Tragen kommen. Der niedergehende US-Imperialismus wird immer weniger ökonomische Möglichkeiten haben, die Konflikte zu befrieden.


Quellen und Anmerkungen:

Literaturhinweis:

Jeremy Brecher: Streiks und Arbeiterrevolten, Amerikanische Arbeiterbewegung 1877-1970, 1975
Stanley Aronowitz: From the Ashes of the Old: American Labor and America‘s Future, 2000
Howard Zinn: A People‘s History of the United States: 1492 to Present, 2001


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