Wenn nun jemand behauptet, er habe nie eine Beziehung zu einer dicken/dünnen, blonden, kleinen, dunkelhäutigen — Sie können hier beliebig tauschen — Frau gehabt, weil er sich von solcherlei Frauen nicht angezogen fühlt, dann nimmt das manche dicke/dünne, blonde, kleine, dunkelhäutige — was immer Sie hier lesen wollen — Frau hierzulande als Angriff auf ihre Person wahr. Sie fühlt sich dann gekränkt und möchte Satisfaktion. Oder doch zumindest Aufmerksamkeit. Der gesellschaftliche Diskurs spricht ihr diese auch zu und suggeriert der Gekränkten, dass sie ein Recht darauf habe, eben nicht gekränkt zu werden. Unliebsame Erfahrungen solle nämlich keiner mehr machen müssen: Eine bessere Welt funktioniere so. Doch besser wird dadurch gar nichts, im Gegenteil, man beschwört eine Alltagshölle herauf.
Kränkung und Diskriminierung
„Tut mir leid, dass du diese Erfahrung machen musstest“ — so hat Facebook einst jene „getröstet“, die einen lästigen „Freund“ blockierten. Leidige Erfahrungen machen und das bedauern: Die heutige Gesellschaft hat dazugelernt, sie möchte so was von Haus auf vermeiden. Keiner sollte demnach Erfahrungen machen, die unerfreulich sind. Das steckt letztlich hinter dem Diskurs: in allem, was unbequem ist, sofort eine Kränkung zu wittern. Kurz vor dem 90. Geburtstag von Dieter Hallervorden meldete sich dessen Sohn zu Wort. Er distanzierte sich von einigen Aussagen seines Vaters, die der in der ARD-Dokumentation „Hallervorden — Didi gegen den Rest der Welt“ gemacht hatte. Sein Vater suggeriere, so der Filius, dass man nicht mehr sagen dürfe, „was man denkt. Dabei darf man einfach nur nicht mehr sagen, was andere Menschen verletzt, was andere Menschen kränkt und was diskriminierend ist“.
Für diese Aussagen wurde Johannes Hallervorden in den Netzwerken gefeiert. Man beglückwünschte seinen vermeintlichen Mut, sich gegen den Vater zu positionieren, gegen diesen alten weißen Mann. Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich man dort annimmt, dass es genau so sei, wie der Sohn des Vaters kundtut: Man dürfe nicht mehr sagen, was andere kränkt.
Tatsache ist, dass man in Deutschland massiv daran arbeitet, diese Vorstellung zur Realität werden zu lassen. Vorbild: Großbritannien — dort gibt es so viele Prozesse zur sogenannten Hasskriminalität wie nirgends sonst auf der Welt. Im Jahr 2024 waren es 14.657 Fälle. In rund 86 Prozent dieser Fälle kam es zu Verurteilungen und teils auch zu Gefängnisstrafen. Nun ist nicht davon auszugehen, dass die Briten besonders anfällig für Hass wären.
Und betrachtet man die Einzelfälle, erkennt man schnell, dass es nicht um wirklichen Hass geht, sondern um die Sanktionierung von Menschen, die andere direkt oder indirekt, wirklich oder nur angeblich kränken.
So kann es passieren, dass man auf der Insel mit dem dortigen Rechtsstaat zu tun bekommt, wenn ein Kabarettist einen lustigen Tweet zu Frauen oder Homosexuellen absetzt oder eine besorgte Britin die mittlerweile aktenkundigen und in den Medien behandelten Fälle der Massenvergewaltigungen durch meist pakistanische Migranten thematisiert. Selbst wenn man „uneigentlich“ postet, das heißt, die eigentliche, nämlich die direkte Sprache meidet und zu satirischen Umwegen greift, kann das empfindliche Strafen nach sich ziehen.
Das, was in Großbritannien längst Realität ist, findet mancher auch hierzulande attraktiv. Meldestellen, die rassistische, sexistische oder andere Fälle erfassen, gibt es in der Bundesrepublik bereits. Die Meldefälle wachsen seit Jahren, auch wenn sie bisher überschaubar bleiben. So meldete die Antidiskriminierungsstelle für das letzte Jahr 11.405 Fälle, die dort „Beratungsanfragen“ genannt werden. Das ist der Rekordwert: Im Jahr 2019 waren es noch 4.247, und im Jahr 2021 wurden 7.750 Fälle gezählt. Wie viele dieser Anfragen zu juristischen Verurteilungen führten, ist nicht weiter dokumentiert; grundsätzlich strebt man aber an, auch Vorfälle zu melden, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen.
Anders gesagt: Auch Sachverhalte, die gar keine Relevanz für einen Richter haben können, möchte man festhalten und damit schon indirekt Verhalten ahnden, das nicht justiziabel ist.
Auch so lässt sich das Anwachsen der Vorfälle bewerkstelligen. Angesprochen sollen sich dann solche fühlen, die eine Kränkung erfahren haben, welche aber ohne strafrechtliche Konsequenzen für den Kränkenden abgehen — noch!
Überempfindlichkeit: Ein anderes Wort für Egozentrik
Die 11.405 Beratungsanfragen, die die Antidiskriminierungsstelle präsentiert, sind also ein Sammelsurium aus Meldungen, die eine Berechtigung haben mögen, und solchen, die bestenfalls subjektiv-gefühliger Natur sind. Weshalb sollen Letztere erfasst werden, wo sie doch ohne Gewicht für den momentanen Rechtsstaat sind? Offenbar ist es nötig, bloße Kränkungsopfer ohne Rechtsansprüche zu mobilisieren, um dem britischen Modell Tür und Tor zu öffnen.
Denn wenn die Stimmung im Land so angespannt wird, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden sollte, so lässt sich früher oder später ein Staat herstellen der genau so vorgeht, wie es der britische Staat seit einigen Jahren tut: Alles, was dazu geeignet ist, andere zu kränken, wird dann zu einem per Sprech- oder Schreibakt begangenen Verbrechen aus Hassmotiven umdefiniert und die Bevölkerung langfristig zu mehr Zurückhaltung domestiziert.
Dass Regime, die dem Volk gar keine Nischen mehr lassen, sich selbst das Wasser abgraben, hat man vor einigen Wochen in Großbritannien gesehen, als angeblich drei Millionen Menschen im ganzen Land dem Hooligan Tommy Robinson und seinen Protesten gegen Migration folgten. Die britische Regierung treibt die Menschen in die Arme dieses Mannes und eben nicht nur, weil die Migrationspolitik auf der Insel zu Unruhe führt und teils katastrophale Folgen wie Massenvergewaltigungen zeitigte, von denen mittlerweile selbst die Mainstreampresse berichtet. Sondern eben auch, weil sie den Bürgern jeden Raum raubt, in dem sie sprechen können, wie es ihnen beliebt. Notorische Kränkungsopfer wurden gewissermaßen von der britischen Regierung zu Blockwarten befördert. Sie sollen rege melden, wenn einer der Untertanen Seiner Majestät über die Stränge schlägt; die Überempfindlichen sorgen für ein bedrückendes Klima und haben aus Großbritannien — einst der Ort, an dem die freie Rede als eines der wichtigsten Güter der Demokratie betrachtet wurde — einen Platz gemacht, an dem nur noch die Gedanken frei sind. Jedenfalls solange man keinen Weg findet, auch diese transparent zu machen.
Dieser Trend ist in Europa allerorten zu spüren, auch wenn er sich nicht überall so ausgeprägt zeigt wie im Vereinigten Königreich. In Deutschland ist diese Grundstimmung bei den Eliten aus Politik, Medien und Kunstbetrieb ebenso deutlich erkennbar. Sie machen sich immer wieder zu Advokaten der Überempfindlichen und deuten Kränkung als eine Form der Körperverletzung, die man einhegen muss. Die Überempfindlichen werden in Stellung gebracht, um die freie Rede einzuhegen und so jedes offene Wort zu einem Risiko zu machen, das dann vielleicht nicht mehr eingegangen wird. Die Überempfindlichkeit ist eine übermäßige, oft unangemessene Reaktion auf Reize, die normalerweise harmlos sind; oft ist sie Folge psychischer Probleme, immer aber auch Ausdruck starker Egozentrik. Der Überempfindliche deutet sich selbst als Mittelpunkt der Welt, alles in seinem Umfeld geschieht nur im Kontext seiner Existenz, daher nimmt er auch alles als persönlichen Angriff wahr, auf den er freilich reagieren muss — selbst dann, wenn das, was er wahrnimmt, eigentlich nichtig wäre in der objektiven Schau. Er gibt sich gekränkt und zeigt so seinem Umfeld, wie tief getroffen er ist.
Gekränkte Prätorianer
Diese „Kränkungsopfer“ vollziehen eine Form emotionaler Erpressung. Denn die Empfindung von Kränkung kennt kein Argument: Schließlich kann man schlecht behaupten, dass das Gegenüber gar nicht gekränkt sei; was weiß man denn schon vom Innersten seines Gegenübers? In den letzten Jahren hat sich diese Reaktion zu einer kuriosen Form „politischer Teilhabe“ gemausert, weil es attraktiv ist, Aufmerksamkeit zu erhalten, ohne dass man sich mit leidigen Gegenargumenten befassen muss. Plötzlich erpressten die Überempfindlichen den öffentlichen Raum und zerstörten mit dieser toxischen Art von Aufmerksamkeitserregung jede noch vorhandene Debattenkultur. Da sie gekränkt wurden, waren die moralischen Attribute bereits vergeben. Schuld und Unschuld waren verteilt, sodass die Debatte nur ein Ziel haben könnte: die Wiedergutmachung des vermeintlichen Unrechts und, besser noch, die Sensibilisierung der Gesellschaft, damit so ein Vorfall sich nie wieder ereignen kann.
Die Regierenden haben erkannt, dass sie diese Ressource fruchtbar machen können, um ihre eigene Empfindlichkeit zu schützen: Sie wollen Kritik minimieren und eine Gesellschaft größtmöglicher Zufriedenheit simulieren.
Diese Simulation ist der letzte Ausweg, denn Zufriedenheit mit wirklichen Mitteln herzustellen, durch eine Politik, die Zuspruch findet, kommt den Protagonisten gar nicht erst in den Sinn. Von ihrer Warte aus scheint es zu genügen, wenn alles nach Zufriedenheit aussieht, auch wenn es keine Zufriedenheit ist. Kritiker stören da bloß. Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen, halten sie für Totengräber ihrer Zufriedenheitssimulation. Wenn diese Leute lernten, dass eine allzu freie Äußerung schlimme Konsequenzen haben kann, würden sie künftig vielleicht schweigen. Die überempfindlichen Egozentriker, die schnell gekränkt und beleidigt sind, könnte man als die Prätorianer dieses Gedankens betrachten. Sie sind zudem intensiv mit sich selbst beschäftigt, sie merken nie und nimmer, dass sie als Agenten der Zerstörung der Meinungsfreiheit fungieren.
Der gekränkte Mensch mag ja im privaten Kontext eine Berechtigung für seine Empfindung haben — wenngleich hier anzumerken ist, dass man zunächst einmal eine Kränkung annehmen muss. Ebenso steht es jedem frei, sich proaktiv nicht in so einen destruktiven Zustand zu begeben, was wohlgemerkt eine gewisse Reife voraussetzt. Dennoch kann man es verstehen, wenn jemand, der von seiner Liebsten betrogen wurde, sich wirklich tief gekränkt fühlt. Schließlich verliert er mit diesem Vertrauensbruch einen Bezugspunkt in seinem Leben, vielleicht sogar seine ganz persönliche Mitte. Aber wie kann jemand, zum Beispiel ein Schwuler, gekränkt sein, wenn ein ganz und gar fremder Mensch, dessen bürgerlicher Name noch nicht mal bekannt ist, bei X ein bisschen über Schwule frotzelt? Dieser Vorgang meint ihn doch nicht mal persönlich.
Wie arrogant kann man sein, sich selbst so in den Mittelpunkt zu stellen und eine Kränkung vorzugeben? Diese Form von Mitteilungsbedürfnis sollte die Gesellschaft geflissentlich ignorieren, denn sie ist nicht demokratischer Natur, sondern egozentrischer — und damit ein privater Feldzug und kein gesellschaftlicher.
Mit notorisch Gekränkten lässt sich kein Staat machen. Mit ihnen trägt man Staaten ab.

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