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Die Militarisierung der Gedanken

Die Militarisierung der Gedanken

Der „Operationsplan Deutschland“ versucht alle Bürger im Sinne einer Kriegsmentalität umzuerziehen. Exklusivauszug aus „Mit Russland“.

„Es ist an der Zeit, eine Kriegsmentalität anzunehmen“, fordert NATO-Generalsekretär Rutte im Dezember 2024. Politik und Militär arbeiten daran, für Verteidigung und Widerstandsfähigkeit die Denkweise, die Mentalität („Mindset“) der Bevölkerung den Kriegsszenarien anzupassen. Die Ukraine gilt hier als Vorbild. Was das auf deutsche Verhältnisse bezogen heißt, erklärt der höchste deutsche Soldat bei der NATO, Vier-Sterne-General Christian Badia:

„Unsere Gesellschaften müssen in der Lage sein, strategische Schocks, etwa einen langfristigen Stromausfall aufgrund eines Cyberangriffs auf die kritische Infrastruktur des Staates, bestehen und überwinden zu können. Dieser Wille zur Selbstbehauptung trägt zu einer glaubhaften Abschreckung bei. In der Ukraine sehen wir, wie das geht.“

„Die Hoffnung auf einen lange währenden Frieden in Europa sind (sic) 2014 bereits ins Wanken geraten und spätestens mit dem russischen Agieren im Februar 2022 erloschen.“ Mit dieser apodiktischen Feststellung begründet das „Grünbuch zur Zivilmilitärischen Zusammenarbeit 4.0“ (Grünbuch ZMZ 4.0) die umfassende Umstrukturierung des öffentlichen Sektors in der Phase des Noch-Nicht-Krieges. Das Grünbuch ist Bestandteil des geheim gehaltenen „Operationsplans Deutschland“. Er dient der gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorbereitung auf den Spannungs- beziehungsweise Kriegsfall. Akteure auf den verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden und in allen Feldern sollen auf die spezifischen Anforderungen in den jeweiligen Phasen hin orientiert werden. Das gilt für die Polizeien, Feuerwehren, das Technische Hilfswerk und andere mehr — auch für Unternehmen aller Größenordnungen und Wirtschaftsbereiche.

„Das Szenario: Innerhalb von drei bis sechs Monaten müssten 800.000 Soldaten von Nordseehäfen in den Niederlanden, Belgien und Deutschland nach Osten gebracht werden. Und mit ihnen mutmaßlich rund 200.000 Fahrzeuge, schweres Gerät, Lastwagen, Panzer auf Tiefladern, eine Kolonne von etwa 13.000 km Länge. Die A2 wäre die erste Wahl für diese Mammutverlegung. (…) Es ginge um Verpflegung, Unterbringung, Parkplätze, Frischwasser, Müllentsorgung.“

Der „Operationsplan Deutschland“ bietet Politik und Bundeswehr eine Gelegenheit, Bedrohungsnarrative zu verbreiten, ohne dass ihr teilweise propagandistischer Charakter unmittelbar wahrgenommen wird.

„Um den Ernst der Lage zu betonen, verweist (Oberstleutnant und Chef des Landeskommandos Hamburg, Anmerkung des Autors) Jörn Plischke auf Drohnenüberflüge und Ausspähversuche, Waffenlagerfunde und Attentatsplanungen auf Topmanager, Sabotage und Cyberangriffe, die ‚täglich und in steigender Frequenz‘ zu beobachten seien. ‚Shaping the Battlefield‘ nenne man das: ‚Russland hat angefangen, seinen Krieg vorzubereiten.‘ In vier bis fünf Jahren werde Russland willens und in der Lage sein, weiter nach Westen anzugreifen, berichtet Plischke unter Berufung auf die deutschen Nachrichtendienste. Und er malt ein düsteres Bild vom Tempo der Aufrüstung: ‚Russland produziert im Moment 25 Kampfpanzer pro Monat, Deutschland drei im Jahr.‘“

Mittels solcher Fake News können sich die Bedrohungsnarrative in den Köpfen festsetzen — die militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Deutschland, den europäischen Mitgliedsstaaten der NATO und Russland sehen anders aus (siehe Einleitung dieses Buches); das darzulegen würde allerdings den politischen Absichten der Initiatoren widersprechen.

In die mentale und organisatorische Vorbereitung auf den Kriegsfall werden Schulen, Universitäten und auch Kindertagesstätten („kindgerecht“) einbezogen.

Stillgelegte Bunker sollen wieder in Betrieb genommen werden. Das Gesundheitswesen muss auf die Notwendigkeiten im Falle eines Krieges ausgerichtet werden. Auch hier herrschen hinsichtlich der Dimensionen dessen, was im Kriegsfall auf das Land zukäme, noch keine realistischen Vorstellungen.

„(D)ie ganze Bundeswehr, die Sanität, einschließlich der Krankenhäuser und der Ärzte, werden sich im Spannungsfall ausschließlich um die Bundeswehr, die NATO, die Front und die Verwundeten kümmern. Gleichzeitig beobachten wir jetzt die Pläne für eine bundesweite Krankenhausreform und die Diskussion darum. Es werden Kapazitäten abgebaut. Also haben wir weniger zivile Krankenhäuser. Auch hier kommt die Diskussion auf: Der Pfleger im Krankenhaus war vielleicht mal Sanitäter bei der Bundeswehr. Der geht dann als Reservist in den Einsatz. Wer aber übernimmt im Krankenhaus seine Aufgabe? Das ist die harte Einzelfallfrage. (…) Falls die Abschreckung nicht funktioniert und es tatsächlich zu einem bewaffneten Konflikt an der Ostflanke käme, dann rechnet man konservativ mit 1000 Verwundeten pro Tag. Diese müssten dann über die Rettungskette nach Deutschland zurückgebracht und irgendwo in Deutschland versorgt werden. Da reichen die fünf Bundeswehrkrankenhäuser nicht aus, diese Verwundeten kommen in die zivilen Krankenhäuser. Und da muss man sich darauf einstellen, dass der schwer verwundete Soldat zuerst behandelt wird, der Blinddarm-Patient später. Auf diese Aspekte muss man die Bevölkerung so vorbereiten, dass sie es versteht.“

Vertieft wird die Vorbereitung auf den Krieg im Alltag durch das „Grünbuch ZMZ 4.0“, das die „Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0 im militärischen Krisenfall“ thematisiert. Es geht um die „Integration militärischer Unterstützung in zivile Prozesse“. Dabei ist Ergebnis dieser Analyse, dass das deutsche Krankenhauswesen diesen im „Grünbuch ZMZ 4.0“ detaillierter dargestellten Herausforderungen nicht gewachsen ist. Weder seien die Kapazitäten annähernd ausreichend noch die Qualifikationen des ärztlichen Personals.

Bundeswehrkrankenhäuser werden aus der allgemeinen Versorgung herausgenommen. Zudem sollen die verletzten Soldaten in zivilen Krankenhäusern und Kliniken vorrangig behandelt werden. Von den geschätzten 1.000 Patienten täglich werden, so die Schätzungen, ein Drittel intensivpflichtig und 22 Prozent „vermehrt pflegebedürftig“ sein. Veränderte Verletzungsmuster, „sehr viele Gefäß- und Amputationsverletzungen“, seien zu erwarten, das zeigen die Erfahrungen aus der Ukraine. In Deutschland ist allerdings die Versorgung von Kriegsverletzungen nicht Teil der chirurgischen Ausbildung. „Regionale Versorgungseinschränkungen der Zivilbevölkerung“ seien unvermeidlich:

„Für die Versorgung einer großen Anzahl Verletzter wird zwingend auf zivile Versorgungsstrukturen zurückgegriffen werden. Diese sind bereits aktuell sehr be- bzw. überlastet. In der aktuell diskutierten Reform der Notfallversorgung ist eine Ausrichtung des Systems auf zusätzliche Patienten aus einem bewaffneten Konflikt nicht vorgesehen. Eine öffentliche Diskussion über eine daraus folgende Reduzierung des Versorgungsniveaus findet nicht statt, die Bevölkerung ist auf diese nötige Priorisierung nicht ausreichend vorbereitet.“

Die Bedrohung „wächst mit jedem Tag“

Wenn vom „Operationsplan Deutschland“ die Rede ist, werden die Bedrohungsszenarien von den Militärs deutlich ausgemalt.

Auch wenn offiziell davon ausgegangen wird, dass sich Russland nicht zeitgleich zum Krieg in der Ukraine militärisch gegen europäische Nachbarstaaten wenden wird, halten Militärs auch das nicht für ausgeschlossen. Russland ist gefährlich und unberechenbar, lautet die Grundannahme.

Generalleutnant Joachim von Sandrart, Befehlshaber des Multinationalen Korps Nordost der NATO in Szczecin (Stettin), sieht die Lage so:

„Russland hat gezeigt, dass es bereits parallel zum Krieg gegen die Ukraine in eine Rekonstituierungsphase getreten ist. Und es sind längst nicht alle Kräfte Russlands in der Ukraine gebunden. Es besteht bereits jetzt ein Potenzial, das es Moskau ermöglichen könnte — sicherlich limitiert in Raum, Zeit und Kräfteansatz —, einen weiteren Konfliktherd zu entfachen, unter anderem auch gegenüber der NATO. Diese Bedrohung ist existent. Und sie wächst mit jedem Tag. (…) In dem Maße aber, wie Russland weitere Ressourcen freimachen könnte, weil es zum Beispiel in der Ukraine von Angriff auf Verteidigung der besetzten Gebiete umschalten würde, erhöht sich für andere Flanken und Fronten automatisch die Bedrohung. Deswegen müssen wir dringend und konsequent nachlegen. In dieser Phase befinden wir uns jetzt.“

Als Hintergrundfolie dient eine angeblich idyllisch-naive Vergangenheit („Bullerbü“), in der die Bedrohungen ausgeblendet worden seien und die im Nachhinein von manchem Militär zum Albtraum stilisiert wird. „Die sogenannte Friedensdividende entpuppt sich heute als Fata Morgana, die fast schlimmere Auswirkungen auf den Zustand der Streitkräfte und unsere Sicherheit hatte als ein bewaffneter Konflikt“, behauptet Generalleutnant von Sandrart. Welche Folgen ein Krieg auf den „Zustand der Streitkräfte“ gehabt hätte — Tote, Verwundete, zerstörte Städte und Infrastruktur et cetera —, führt der Offizier nicht aus.

Die aktuelle Lage mache vor diesem Hintergrund einen Mentalitätswechsel nötig. Der „Feind heißt Russland“, so das Mantra. Russland, so die Erzählung, ist der internationale Unruhestifter schlechthin. „Russland würde sich nach einem Sieg gegen die Ukraine niemals zufriedengeben. Putin will eine neue Weltordnung, am besten ohne freiheitliche Gesellschaften, wie wir sie im Westen haben“, lässt Generalinspekteur Breuer verlauten. Die Schilderungen sind zum Teil grobschlächtig und offensichtlich „Propaganda für Arglose“. Immer wieder wird pauschal auf Sabotageakte, auf Angriffe auf die öffentliche Infrastruktur verwiesen. Ob die Verursacher im Einzelnen identifiziert wurden und, wenn ja, ob sich die Spuren tatsächlich auf russische Auftraggeber zurückverfolgen lassen, ist offensichtlich nachrangig. Dass Russland nicht verantwortlich ist, ist der Ausnahmefall, wird suggeriert. In einem Zeitungsinterview erklärt der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Michael Giss:

„Er (Otto Normalverbraucher) kann sie (hybride Angriffe, Anmerkung des Autors) spüren, wenn bei der Deutschen Bahn Anlagen gehackt werden oder auch physisch durch Sabotageakte kaputt gemacht werden. Dann wird der ICE-Verkehr in Norddeutschland vielleicht einen Tag lahmgelegt. Dann sagt man zwar nicht, dass das Russland war, sondern man sagt, dass es eine technische Störung war. In der Kommunikation ist man ein bisschen zurückhaltend nach außen, um die Gesellschaft nicht zu verunsichern. Natürlich ist nicht jede Zugstörung auf Russland zurückzuführen. Aber auch so etwas passiert.“

Klar ist, „der Gegner“, also Russland in Person seines Präsidenten Putin, ist verantwortlich für verloren gegangenes Grundvertrauen in demokratische Institutionen, politische Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung. Die Lösung: den Richtigen glauben — nicht „allen möglichen Kanälen und Medien und Plattformen“. Vertrauen — das bleibt unausgesprochen, ist aber gemeint — haben in erster Linie die Obrigkeit und die Leitmedien — eben nicht „alle möglichen“ — verdient.

„Wenn ich misstrauisch bin und nicht mehr jenes Grundvertrauen habe, dass Informationen, die ich bekomme, einfach stimmen, dann passt das in die großen Strategien dieser hybriden Angriffe hinein. Man will Unsicherheit verbreiten in jeder Hinsicht. Man will gesellschaftliche Unsicherheit verbreiten. Man will eine Gesellschaft mit Fake News spalten, mit Blödsinn, den man irgendwo hineinstreut, und am Ende wird es irgendjemand glauben. (…) Was Putin am meisten fürchtet, das ist die Geschlossenheit einer liberalen Gesellschaft in Westeuropa oder sogar in Gesamteuropa, das möchte er nicht. Bisher waren wir immer geschlossen, die NATO und die EU, wir haben auch in Deutschland immer das politische, gesellschaftliche Miteinander in anständigen linken und rechten Grenzen gelebt. Hier den Spaltpilz zu setzen und solche Systeme aufzuweichen, sie auseinander verbringen (sic), das ist ein ganz wesentlicher Hebel von Putins Strategie. (…) Im weiteren Kernbereich der hybriden Angriffe werden Fake News systematisch betrieben. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mit einem prüfenden, kritischen Automatismus an Informationen herangehen. Dieser muss uns sagen: Ich muss diese Nachricht noch mal prüfen. Stimmt das, was gesagt wird, wirklich? Wir müssen kritischer sein gegenüber Informationen, die wir auf allen möglichen Kanälen und Medien und Plattformen jeden Tag bekommen.“

Ohne ein Erweckungserlebnis kommt man allerdings hier auch nicht weiter. „Man muss ein bestimmtes Gespür entwickeln und Augen öffnen, dann sieht man sehr viel“, so Kommandeur Giss.

Die Kriegstüchtigkeit soll auch durch zwölf „Heimatschutzregimenter“ erreicht werden — Einheiten von Reservisten, die im Kriegsfall Schutz und Sicherung von Infrastruktur — Verkehrswege, Sicherung des Lebensmittelbedarfs et cetera — übernehmen sollen. Die Bundeswehr rief dazu auf, „sich als Heimatschützer zu bewerben. Die Kampagne unter der Federführung von Brigadegeneral Stöckmann (in Hessen, Anmerkung des Autors) war die mit Abstand erfolgreichste in Deutschland, insgesamt meldeten sich rund 2.600 Reservisten und 500 ungediente Männer und Frauen, um zum Schutz der verteidigungswichtigen Infrastruktur beizutragen“, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). In Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern sind die meisten US-amerikanischen Soldaten stationiert. Wenn im Spannungs- oder Kriegsfall 800.000 Soldaten an die Ostfront verlegt werden, kommt diesen Ländern eine besondere Bedeutung zu. „Deshalb spielt Hessen auch in den Aufmarschplänen des Pentagon eine zentrale Rolle“, so die FAZ.



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