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Die neue Innerlichkeit

Die neue Innerlichkeit

Die Totalüberwachung dominiert bereits unsere gesamte Außenwelt — nun dringt sie final in unsere Körper ein.

Es ist das Zeitalter einer Neuen Innerlichkeit angebrochen.

Nachdem Mr. Global alle unsere Straßen, unsere Plätze und unsere Häuser fotografiert hat, schickt er uns Alexa ins Haus.

Die ist aber am Ende gar nicht nötig, denn wir haben die kleinen Überwachungskameras, die mit dem Gehäuse aus gebürstetem Aluminium samt angebissenem Apfel drauf, bereits eigenhändig angeschafft. Diese tragen wir immer mit uns herum, auf diese werfen wir morgens den ersten Blick, schauen alle Viertelstunde nach, was wir machen sollen, und legen sie dann abends nebens Bett. Und immer wieder streicheln wir das Ding und kichern und lächeln, wenn wir draufschauen.

Mr. Global hat die Kameras erfunden. Er sitzt hinter einem Ein-Weg-Spiegel auf der anderen Seite und beobachtet. Er ist ein Menschenfreund und lenkt uns ab und an in die richtige Richtung — das nennt sich Nudging.

Mr. Global liebt amerikanische Ausdrücke.

Die Kameras sagen uns nun stets und immer, was zu tun ist. Es gibt auch größere Kameras zum Auf-den-Schoß-Nehmen und noch größere für an die Wand. Alle Kameras heißen zusammen Social Media.

Niemand kann länger als 24 Stunden ohne sie leben.

Können wir sie nicht in die Hand nehmen, nicht berühren, so werden wir traurig. Wir fühlen uns leer.

Nun hat sich Mr. Global etwas Neues ausgedacht: Die Kameras sagen uns jetzt, dass wir alle sterben werden.

Das ist ganz schrecklich. Die Kameras zeigen ganz viele blutrote Zahlen und Lastkraftwagen mit Toten. Wir hier in Deutschland kennen graue Lkws mit Toten gut und erschrecken sehr.
Auch die Welt kennt die Lkw aus den Nazi-Filmen, das weiß Mr. Global.

Mr. Global ist schlau.

Die Kameras sagen, dass ein Virus alle Menschen töten wird. Außer alle Menschen — aber auch alle — lassen sich retten. Wenige Tropfen eines Heilmittels reichen schon aus. Die Kameras zeigen uns nette Leute, die diese Tropfen herstellen. Wir sind so begeistert, dass wir diese Wohltäter sogleich mit Orden behängen.

Mr. Global freut sich.

Die Kameras sagen: Wenn wir den Piks bekommen, dann sind wir auf immer geheilt.

Wir stehen dafür Schlange. Nach dem Piks beginnt eine Neue Innerlichkeit. Wir brauchen die Kameras kaum noch. Wir transformieren uns nämlich von selbst. So ganz im Innern und von innen heraus. Der Krieg gegen das Virus ist gewonnen. Nur dann und wann brauchen wir eine kleine Erinnerung. Die Kameras nennen das Booster. Und weil nun alles innen ist, nennen wir das auch so. Jetzt haben wir den Tod besiegt und brauchen keine Kirchen mehr. Wir sind erlöst!

Aber Mr. Global bleibt wachsam.

Es gibt immer noch eine paar wenige Kranke, die den Piks nicht wollen. Aber das ist zu heilen. Diese paar wenige, so sagt das Leben, sagen die Social Media, sagen die Kamera, sind die Nazis. Die sind nämlich nie ganz verschwunden. Die hatten sich nur in Netzwerken versteckt. In bösen Netzwerken.

Mr. Global ist zufrieden.

Nun wissen alle, was zu tun ist, und wer wer ist. Die Menschen streicheln immer noch ihre Bildschirme, sie stehen immer noch Schlange, sie brauchen nicht mehr in die Kirchen zu gehen, sie sind heimgekehrt ins Homeoffice, sie schauen auf ihre riesigen Bildschirme ...

Auf der anderen Seite des Ein-Weg-Spiegels lächelt Mr. Global. Doch noch ist er auch besorgt. Noch immer gibt es Kranke und die erzählen von Konzernen, die sprechen von Dollarströmen, die sprechen von Kriegen und Geheimdiensten, die sagen:

„Geimpft sind wir stärker ... konzernabhängig.“


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