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Die Regenbogen-Burka

Die Regenbogen-Burka

Im Feminismus der 1970er-Jahre ging es noch darum, Frauen sichtbarer werden zu lassen — in der heutigen genderneutralen Sprache verschwinden sie gänzlich.

Von feministischer Seite interpretierte man die generische Ansprache als ungerecht. Frauen würden „unsichtbar“ gemacht. Einerseits war dies nachvollziehbar, denn wer von Nobelpreisträgern spricht und die Nobelpreisträgerinnen nicht erwähnt, erzeugt zumindest implizit den Eindruck, es gäbe keine Nobelpreisträgerinnen, weil in den Rollenklischees für Frauen Nobelpreise nicht vorkommen. Wer allerdings zum Friseur geht, weiß genau, dass Friseure rollengemäß eher Frauen sind.

Unsichtbar mit Gendersprache — sichtbar ohne Gendersprache

Im Osten Deutschlands war die gesamte Problematik unbekannt. Frauen waren in nahezu allen Berufen tätig und sichtbar. Auf gesonderte Benennung legten sie ausdrücklich keinen Wert und wunderten sich über den Sprachfuror der westdeutschen Schwestern, die offenbar zu glauben schienen, dass ihre soziale Stellung im Wesentlichen der Sprache geschuldet sei. Die (West-)Frau, so die Erklärung, würde viele Berufe ohne explizite Nennung der weiblichen Endung gar nicht für sich in Betracht ziehen.

Im Osten hingegen, und auch im englischen Sprachraum, war Frauen intuitiv klar, dass das Erzeugen einer sprachlichen Fremdgruppe oder Outgroup, das sogenannte Othering, auch Alterisierung (2), keineswegs der Weg in eine egalitärere und mithin gerechtere Gesellschaft ist, sondern das genaue Gegenteil. Ungeachtet jeder Wokeness wählen amerikanische Schauspielerinnen noch heute oft die Bezeichnung „Actor“ statt „Actress“ für sich (3).

Frauen, die sprachlich anders behandelt werden wollen und auf Sonderbehandlung pochen, werden nicht in der sprachlichen Norm und Normalität ankommen, sondern immer die Anderen bleiben, denen man sprachlich alle nachteiligen Konnotationen anheftet, die die Genderrolle „Frau“ mit sich bringt (4).

Eine BundeskanzlerIN kann sprachlich nie Gleiche unter Gleichen sein. Sie bleibt auf ihr Geschlecht reduziert, die Frau, die Ausnahme, die — historisch betrachtet von einer überlegenen Gruppe — als andersartig Klassifizierte. Philosophen, Ethnologen und Soziologen haben das Phänomen des Otherings immer wieder als Ausgangspunkt von Diskriminierung beschrieben. Bei der Konstruktion der Polarität Geimpfte versus Ungeimpfte konnte man unmittelbar beobachten, wie Machthaber die Ungeimpften zu Außenseitern erklärten.

Schafft Sprache wirklich Wirklichkeit?

Sozial- und Sprachwissenschaftler der sprachkonstruktivistischen Schule behaupten, Worte hätten Priorität in der Reihenfolge von Sprache, Denken und Wirklichkeitsbild. Durch andere Worte würden sich folglich Genderrollen aufweichen lassen. Beweisbar ist das nicht. Es gibt sogar Hinweise auf eine gegenteilige Entwicklung. Getrieben von Medien, Social Media, Werbung und gruppendynamischen Effekten ist momentan ein Wiederaufleben von Geschlechtsstereotypen zu beobachten (5). Zwischen Sprachen ohne Genera wie Türkisch, und Sprachen, die bis zum Nachnamen gegendert sind wie Russisch, scheinen keine Unterschiede bezüglich der Geschlechtsrollen zu bestehen.

Vertreter der kognitiven Linguistik haben mit allerlei Experimenten dennoch zu beweisen versucht, dass man beim generischen Maskulinum zuerst an Männer denkt. Doch so simpel ist die deutsche Sprache nicht. Die Frage nach einer bestimmten Person konnte auch im Osten ohne Gendersprache geschlechtsspezifisch gestellt werden. „Wer ist dein Lieblingsschriftsteller?“, lautet eine beliebte Frage, mit der bewiesen werden soll, dass das Maskulinum nicht generisch ist (6). Tatsächlich ist es in dieser Frage nach einer konkreten Person mit einem konkreten Geschlecht tatsächlich nicht generisch, sondern spezifisch.

Allerdings hätte sich im Osten niemand gewundert, wenn als Antwort eine Frau genannt worden wäre. Denn wenn das Maskulinum generisch verwendet wird, kann es auch in einer spezifischen Fragestellung generisch verstanden werden. Die Schriftstellerin kann Teil der Gruppe der Schriftsteller sein. In einer gegenderten Sprechweise ist das nicht möglich.

Je stärker die Sprache gegendert wird, umso schwächer wird der generische Charakter des Maskulinums.

Ein anderes, immer wieder als Beweis angeführtes Experiment fragt die Probanden, ob zwei Sätze sinnvoll zusammengehören: „Die Sozialarbeiter kamen aus dem Bahnhof. Wegen des warmen Wetters trugen einige Frauen keinen Mantel.“ Hier erschließt sich der Zusammenhang zwischen Frauen und Mänteln nicht. Somit erkennen die Probanden völlig zu Recht die Kombination der Sätze als nicht sinnvoll. Studien dieser Art weisen problematische Studiendesigns auf, nicht selten rekrutieren sich die Probanden aus einem akademischen Milieu und sind politisch voreingenommen. Die gemessenen Effekte sind im Alltag irrelevant (7).

Je mehr „feministisch“, umso weniger feministisch

Mit dem Sieg der Postmoderne über die Biologie und der Entdeckung immer neuer Geschlechter wurde die feministische Linguistik, die Frauen „sichtbar“ machen wollte, und mit ihr sämtliche Argumente, Studien und Rechtfertigungen hinfällig. Denn alle Formen, die nur Frauen und Männer nennen, machen nun alle anderen, nicht biologischen Geschlechter unsichtbar. Neutrale generische Formen und Formulierungen sind der neueste Trend: Neutral und gerecht Formulierende verwenden in der Schriftsprache den Doppelpunkt mit „:innen“ für alle Geschlechter, auch jene zwischen Frau und Mann, gesprochen als Glottisschlag wie der Wortabstand zwischen „von innen“.

Man darf gespannt sein, wann die vielen neuen Geschlechter sich in dieser Lücke unwohl fühlen und eine noch gerechtere Form fordern. Schillernde Vorschläge wie die generischen Endungen „-x“ oder „-ens“ sorgten bereits für Aufsehen (8, 9). Auch Bezeichnungen für weibliche Körperteile werden inzwischen neutralisiert (10), aus Rücksicht auf Besitzer dieser Körperteile, die sich durch deren herkömmliche Benennung unwohl fühlen. Ein Interessenkonflikt zwischen Besitzern dieser Körperteile, die sich ihrerseits durch die neuen Bezeichnungen unwohl fühlen, ist unvermeidbar.

Ein exkludierendes Machtinstrument

Von einer nachvollziehbaren Forderung nach der Nennung von Frauen hat sich die Gendersprache zu einem elitären, exkludierenden sozialen Marker entwickelt, mit hohen Empörungspotenzial und nicht enden wollenden Ansprüchen. Frauen sind wie zum Hohn nun wieder unsichtbar und nur „mitgemeint“.

Wenn man nach der Lesart der feministischen Linguistik der 70er Jahre davon ausgeht, dass sie in einer generischen Form nicht ausreichend repräsentiert sind, verschwinden sie nun gänzlich unter der Regenbogen-Burka.

Zweifelsohne sind Wörter und Sprache mächtige Propagandainstrumente, mit deren Hilfe die halbe Welt in Panik versetzt werden kann. Das Geschlechterverhältnis scheint sich allerdings weniger durch kreatives Sprechen und Wortendungs-Voodoo beeinflussen zu lassen als durch reale Lebensverhältnisse, die Geschlechtsrollen immer wieder formen und verändern, während die Sprache relativ stabil bleibt.

Kontrollgruppe ohne Gendern

In Deutschland sind wir in der außergewöhnlichen Situation, Teil eines gigantischen gesellschaftlichen Experiments mit einer sprachlich „unbehandelten“ Kontrollgruppe zu sein:

In den ostdeutschen Ländern ohne feministische Sprachhygiene herrscht noch über 30 Jahre nach der Wende ein egalitäreres Geschlechterverhältnis. Die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern sind kleiner, und mehr Frauen sind berufstätig (11), während im Westen nach Jahrzehnten feministischen Spracheifers viele Frauenthemen ungelöst und Genderrollen nach einer relativ liberalen Phase in den 80er Jahren fröhliche Urständ feiern.

Es wird Zeit, dass wir uns von der sinnfreien Beschäftigung mit Symbolpolitik verabschieden, die wirklichen Ungerechtigkeiten erkennen, benennen und ihnen entgegentreten.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.rechtschreibrat.com/amtliches-regelwerk-der-deutschen-rechtschreibung-ergaenzungspassus-sonderzeichen/
(2) https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/othering-5894
(3) https://www.sagawards.org/fyc/iamanactor
(4) https://www.uni-ulm.de/in/psy-soz/forschung/forschung/stereotype-threat/
(5) https://www.srf.ch/news/wirtschaft/gender-marketing-rosa-und-hellblau-gender-marketing-bringt-milliarden-ein
(6) https://www.fr.de/politik/sprache-gender-sternchen-gesellschaft-interview-90047574.html
(7) https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/gendern-welches-problem-viele-studien-zur-gendersprache-haben-18215081.html
(8) https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/wie-genderforscherin-lann-hornscheidt-ihren-vorschlag-begrundet-3561067.html
(9) https://youtu.be/DpqEcD0oKsA?t=44
(10) http://www.phsa.ca/transcarebc/Documents/HealthProf/Gender_Inclusive_Language_Clinical.pdf
(11) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gleichstellung-deutsche-einheit-frauenquote-gleichberechtigung-1.5031856


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