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Erziehung zur Anpassung

Erziehung zur Anpassung

Unser Bildungssystem lehrt vor allem Gehorsam.

Natürliche Entwicklung

Kleine Kinder lernen durch Nachahmung der Menschen, denen sie sich verbunden fühlen. Das geschieht automatisch. Leben und Lernen sind eins. Im Grundschulalter sollten die Kinder ein inneres Bedürfnis haben, die elementaren Kulturgüter wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Verstehen der Welt um uns herum zu lernen. Die Kinder haben beobachtet und erlebt, dass die Erwachsenen, ihre Vorbilder, diese Kenntnisse für ihr Leben brauchen. Also wünscht sich jedes Kind, sie auch zu beherrschen. Dies ist eine wichtige Entwicklung in Richtung Autonomie.

In der Pubertät verschiebt sich der Fokus etwas. Die Jugendlichen vergleichen sich untereinander und suchen Vorbilder, die ein paar Jahre älter sind. Sie lieben Herausforderungen, testen Grenzen aus und verbessern ihre kommunikativen Fähigkeiten und Alltagskompetenzen.

In der Legebatterie

Diese natürliche Entwicklung hat allerdings eine Problemzone: die als Bildungsanstalt getarnte Legebatterie, in der jedes Kind einen Großteil seiner Zeit verbringen muss.

Zwar lehnen viele Eltern die Massentierhaltung bei den Produzenten ihrer Frühstückseier ab, doch legen sie weniger Wert auf die „artgerechte Haltung“ ihrer Kinder im Schulsystem.

Dort sitzen die Kinder sechs bis acht Stunden pro Tag auf ihren „Stangen“, die – Dank der modernen Pädagogik – in kommunikativer U-Form angeordnet sind.

Bildungsexperten diskutieren unentwegt darüber, welche Art Legemehl in der intellektuellen Fütterung besonders produktiv sein könnte. Einige Bundesländer sind sogar stolz darauf, dass in ihren Ställen die Legehühner in 12 Jahren mehr Eier legen, als ihre Artgenossinnen in anderen Teilen Deutschlands in 13 Jahren. Um bei den Schülern so ein Ergebnis zu erreichen, müssen sie das Stillsitzen mit Buch vor dem Schnabel allerdings auch noch zu Hause weiter praktizieren.

Dabei lernen die Kinder, nicht nur viele Eier zu legen, sondern auch normierte, denn die Eier müssen ins vorgegebene Raster des Bewertungsschemas passen. Wer goldene Eier produziert, landet ziemlich schnell im Suppentopf. Den Luxus, sich von der Masse abzuheben, soll man sich bitte erst nach dem Unterricht erlauben. Das passt nicht ins System.

Eltern spielen dieses Spiel nicht nur bereitwillig mit. Sie spielen auf ihrer gesamten Klaviatur aus Belohnungen, Drohungen und Strafen, damit ihr Kind ein erfolgreiches Legehuhn wird.

Nicht aus Freude an der Prozedur, sondern von ehrlicher Fürsorge getrieben, dass der Sprössling später alle Chancen haben soll, ein erfolgreiches und glückliches Leben zu führen. Genauso sehen es die Lehrer.

Idealerweise werden gesunde Kinder eingeschult, die gerne lernen, spielen, kommunizieren, sich bewegen und Späße machen. Nun ist es die schwierige Aufgabe der Lehrer, aus diesen Kindern gute Legehennen zu formen. Also unterdrücken sie während der Unterrichtszeit alle natürlichen Bedürfnisse, die zur kindlichen Entwicklung gehören. Interesse und Lerneifer dürfen sich nur auf die vom Lehrer gerade vorgegebene Fragestellung beschränken. Wer abschweift, bekommt das als Unfähigkeit attestiert, sich auf das Thema zu konzentrieren.

Wo kämen wir auch hin, wenn 30 SchülerInnen ihre individuellen Ideen einbringen würden? Wir sind hier schließlich in der Massentierhaltung! Der Lehrplan für das Schuljahr ist voll. Er enthält die von Bildungspolitikern für besonders wichtig erachteten Themen. Das muss man natürlich alles wissen, um ein gebildeter und erfolgreicher Mensch zu werden. Da bleibt keine Zeit mehr für Eskapaden.

Die Kinder sehen das meistens auch ein. Nur leider können sie nach einigen Stunden unnatürlichen Stillsitzens die Urkräfte der Entwicklung nicht immer bändigen. Einige Kinder zappeln auf ihrem Stuhl hin und her, unterhalten sich mit dem Sitznachbarn oder schreiben Zettelchen, piksen ihren Vordermann mit dem Stift in den Nacken oder schrauben den Füller des Freundes auf, um zu sehen, ob er dabei genauso kleckst wie der eigene.

Der Lehrer ist dafür verantwortlich, dass jedes Kind in seinem Unterricht genügend lernt. Insbesondere muss während der Unterrichtszeit Ruhe herrschen, damit bemühte Kinder nicht von den Lebenszeichen um sie herum abgelenkt werden.

Ein Lehrer, der seine Klasse „nicht im Griff hat“, ist in der Außenwahrnehmung ein Versager. Er muss also die unkonzentrierte Meute disziplinieren, koste es, was es wolle. Und es kostet viel.

Je später die Uhrzeit, desto weniger hilft interessanter Unterricht. Dann wird der Katalog der Drohungen und Strafen ausgepackt. Hilft auch das nicht weiter, wird die psychologische Keule herausgeholt. Kinder haben am meistens Angst davor, vor ihren Mitschülern bloß gestellt zu werden. Darin unterscheiden sie sich nicht von Erwachsenen. Für den Schüler bedeutet das Erniedrigung, für den Lehrer ist es Notwehr.

Hartnäckige Fälle von Würde-Bewusstsein nennt man „Machtkampf“. Kurzfristig gewinnt diesen immer der Schüler, wenn er konsequent bleibt. Langfristig behält aber der Lehrer die Oberhand, da er den Schüler zum Ende des Schuljahres bewertet. Geben ihm zwei Lehrer die Note „mangelhaft“, wird der Schüler nicht versetzt. Sozial gesehen eine sehr unangenehme Situation. Und zusätzlich eine besondere Erniedrigung, da die gesamte Umgebung aus Familie, Verwandtschaft, Nachbarn, Freunden und neuen Mitschülern dann den Sitzenbleiber für dumm hält.

Noten sollten ein Instrument sein, um Schülern eine Orientierung zu geben, wo sie fachlich stehen und wie sie sich verbessern können. Wird aber nicht die Schulleistung, sondern der Mensch an sich bewertet, hat das fatale Folgen für die menschliche Entwicklung. Leider neigt der gesellschaftliche Konsens dazu. Zum Beispiel ist die Tatsache, ein Hauptschüler zu sein, ein Stempel, der den Betroffenen schmerzlich bewusst ist. Er führt zu einem von Hoffnungslosigkeit geprägten Kompensationsverhalten. Ein Teufelskreis entsteht, denn damit entspricht der Jugendliche den Vorurteilen, die er aufgedrückt bekommen hat.

Konkurrenz statt Empathie

Lehrer bewerten einzelne Schüler oft relativ zu ihren Mitschülern. So entsteht in der Klasse ein Konkurrenzgedanke, wo natürlicherweise ein Zugehörigkeitsgefühl sein sollte. Besonders übel wird die Situation, wenn Schüler die Mechanismen des psychologischen Drucks und der Abwertung, die Schule und Elternhaus fälschlich als „Motivation“ verstehen, übernehmen und sie gegen Mitschüler anwenden. Sei es, um Stress abzubauen oder aus unreflektierter Imitation. An den Folgen von sozialer Ausgrenzung bis hin zum Mobbing leiden die Opfer noch jahrelang, manchmal ein ganzes Leben.

Für die Zeugnisnote ist die „mündliche Mitarbeit“ wichtig. Damit sollen auch die Kinder wert geschätzt werden, die im schriftlichen Ausdruck oder in Prüfungssituationen nicht ihr volles Potential entfalten können. Das ist an sich eine gute Absicht. In der Praxis führt es aber dazu, dass viele Kinder versuchen, ständig die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zu ziehen. Sie haben „gelernt“, dass es nicht reicht, etwas zu wissen. Sie müssen es auch aussprechen. Es gibt Lehrkräfte, die erwarten, für ein „sehr gut“, dass der Finger immer oben ist. Das wissen ehrgeizige Schüler, auch wenn sie nichts zu sagen haben. Reden ist in der Schule immer besser als Schweigen. Für den Rest des Lebens gilt das eher nicht.

Der „geheime Lehrplan“

Hat der Schüler nun erfolgreich das Schulsystem durchlaufen und ist stolzer Besitzer eines Schulabschlusses, hat er folgendes gelernt:

  • Um Erfolg zu haben, muss ich erraten, was von mir gefordert wird, und das im Sinne der Autorität erfüllen.
  • Wer sich nicht anpasst, wird erniedrigt.
  • Hartnäckiger Widerstand führt zum Entzug der Zukunftschancen.
  • Mein Selbstwertgefühl ist von äußerer Bewertung abhängig.
  • Ich muss besser sein als die anderen. Diese sind Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt.
  • Ich muss ständig auf mich aufmerksam machen, auch wenn ich nichts zu sagen habe.
  • Für kreative Gedanken, die über die vorgegebenen Grenzen hinausgehen, ist keine Zeit.

Erste-Hilfe

Was können Eltern tun, um ihr Kind zu unterstützen?

Im Normalfall werden sie das Schulsystem nicht ändern und auch die Lehrer ihrer Kinder nicht. Aber Eltern haben den größten Einfluss auf ihre Kinder, auch wenn die pubertären Provokateure ihnen das Gegenteil vermitteln wollen. Mit wenigen Worten ist manchmal schon viel erreicht. Entscheidend ist: Eltern sollten ihre Haltung und ihr Wertesystem, das wahrscheinlich in ihrer eigenen Schulzeit geprägt wurde, überdenken.

Wer nicht gerade auf eine bayerische Grundschule geht oder in der Abschluss- beziehungsweise Abiturprüfung steckt, braucht nicht ständig gute und sehr gute Noten. Erst recht nicht in der Pubertät.

Es gibt noch ein Leben neben der Schule, wo Kinder mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt kommen und sich ausprobieren können. Dort können sie auch besser kreative Ideen verwirklichen.

Ist ein Kind schüchtern oder mag aus anderen Gründen im Unterricht nicht ständig etwas sagen, ist das völlig in Ordnung. Es gibt nicht nur das Unterrichtsgespräch, sondern auch andere Methoden im Unterricht. Welche mag Ihr Kind besonders?

Ermuntern Sie Ihr Kind, anderen zu helfen, um sich dann gemeinsam mit den Mitschülern über gute Noten zu freuen. Empfindet das Kind seine eigene Note als ungerecht, bedenken Sie, dass Lehrer nicht alles im Blick haben können. Noten sind in den meisten Fällen nicht objektiv, ziemlich irrelevant und kein Grund, sich zu ärgern.

Gilt Ihr Nachwuchs als „schwierig“, sollten Sie das Kind daran erinnern, dass Lehrer auch Menschen mit Gefühlen sind. Das ist Jugendlichen oft nicht bewusst. Oder belasten Ihr Kind zurzeit besondere Umstände? Andererseits trifft man auch auf „schwierige“ Lehrkräfte. Die SchülerInnen können in der Klassengemeinschaft versuchen, die Hintergründe des Lehrerverhaltens zu verstehen und dann ein freundliches Gespräch suchen.

Am wichtigsten ist, dass Sie mit Ihrem Kind im Gespräch bleiben, ohne aufdringlich zu sein. Bewerten Sie ihr Kind nicht, sondern zeigen Sie ihm Perspektiven auf und lassen das Kind dann entscheiden, wie er oder sie auftretende Probleme gerne angehen möchte. Menschen lernen durch Versuch und Irrtum, und – nach einer anstrengenden und wahrscheinlich konfliktreichen Zeit – können Sie stolz sehen, wie ein selbstbewusster Mensch den Hühnerstall verlässt, der bereit ist, sich den Herausforderungen zu stellen, die das Leben bereit hält.



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