Es gab Zeiten, da ging, wer Arbeit suchte, zum Arbeitsamt. Wer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, bekam Arbeitslosenhilfe; so konnten Selbstständige und vogelfreie Freie Durststrecken überstehen, ohne gleich in Armut zu fallen. Für Zeiten der Arbeitslosigkeit wurden Rentenbeiträge gezahlt, zwecks Alterssicherung. Menschen, die nicht erwerbstätig sein konnten, erhielten Sozialhilfe. Auch seinerzeit wurden Bedürftige nicht immer nett behandelt, doch das Grundrecht auf ein Existenzminimum wurde allen zugestanden.
Hartzige Zeiten — ein Rückblick
Anfang der 2000er-Jahre wird das bisherige System der Sozialhilfe umfassend reformiert, dank SPD und Bündnis 90/die Grünen. 2005 tritt das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ in Kraft. Es wird viel umgebaut und umbenannt. Arbeitslosenhilfe und Rentenbeiträge adieu: Jetzt gibt es Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II, kurz ALG I und ALG II. Bei der Bundesagentur für Arbeit, kurz Arbeitsagentur, erhalten Arbeitslose ALG I und seriöse Arbeitsangebote. Hat man keinen Anspruch mehr auf ALG I, heißt es: „Ab zum Jobcenter!“ Da gibt’s „Jobs“ und ALG II. Das Jobcenter ist die neue Resterampe des Arbeitsmarktes.
Jobs statt Arbeit
ALG II ist die neue Grundsicherung für Arbeitsuchende (sic) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auch ALG-I-Bezieher landen schon nach einem Jahr beim Jobcenter und bei ALG II und werden zu Hartzern. Sozialhilfe gibt es weiterhin als Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die bürokratischen Hürden für den Bezug werden erhöht, Hinzuverdienstmöglichkeiten erschwert, Leistungen auf Sozialhilfeniveau gedrückt, erlaubte Rücklagen — bürokratisch verhübscht „Schonvermögen“ — verringert und der Spitzensteuersatz gesenkt, zur Freude der Reichen.
Obwohl der Ausbau des Niedriglohnsektors Sinn und Zweck von Hartz IV ist, stellt eine aggressive armendiffamierende Meinungsbildungskampagne Arbeitslosigkeit, Niedrigeinkommen und Bedürftigkeit jeder Art als massenhaftes persönliches Versagen dar.
Dies soll sich 2025 in bewährter Form wiederholen.
Der Antrag
Wer einen ALG-II-Antrag stellt, muss bedürftig sein, darf nicht mehr besitzen als 150 Euro pro Lebensjahr, muss alle Bank- und persönlichen Daten preisgeben und mit dem Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt offenlegen, und zwar alle sechs Monate. Wer da „betrügen“ will, muss schon äußerst findig sein. Der Antrag, mit allen Formularen und Anlagen, umfasst leicht 50 Seiten. Selbst Studierte haben Mühe mit dem korrekten Ausfüllen.
Im Dickicht der Begrifflichkeiten und Formulare
Kenntnis der Gesetzeslage ist angebracht. Doch wer sich mithilfe einschlägiger Ratgeber einen Überblick verschaffen will, hat gut zu tun:
Antrag, Hauptantrag, Weiterbewilligungsantrag, Bedarfsgemeinschaft, Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, Bescheid, Mitwirkungspflicht, Sperrzeit, Zumutbarkeitskriterien, Grund- und Meldepflichten, Ortsanwesenheitspflicht, Eingliederungsvereinbarung, Verwaltungsakt, anrechnungsfähiges Einkommen, Eckregelsatz, Bußgeldregeln, Rechtsmittel, Rechtsfolgenbelehrung, Widerspruch, Unterstützungsleistung, Transferleistung, Ermessensleistung, Eingliederungsleistung, Entgeltersatzleisung, Arbeitsvermittlung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM), Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung, Subsidiaritätsprinzip, soziokulturelles Existenzminimum, Hilfe zum Lebensunterhalt, Lebensunterhaltsbedarf, einmaliger Bedarf, laufender Bedarf, besondere Bedarfe, Grundsicherung für Arbeitsuchende, im Alter, bei Erwerbsminderung, Sanktion.
Geduld!
Anträge und andere Unterlagen geben Erfahrene nur gegen Quittung im Jobcenter ab, denn nicht selten verschwinden dort Unterlagen.
Oft vergehen Wochen, bis dem Erstantrag ein Bescheid folgt. Noch länger dauert es bis zur ersten Zahlung. Wer keine Rücklagen hat, kann mit der Mietzahlung schon in Schwierigkeiten kommen, bevor der Bescheid da ist.
Die Verfasserin dieser Zeilen musste während sechs Bezugszeiten fünf Mal anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen und zwei Mal die Hilfe eines Bürgermeisters, um Leistungen zu erhalten; mehrfach musste sie fast ein Vierteljahr ohne Zahlungen überstehen. Die fielen zudem häufig zu gering aus, einmal, weil ihre Akte verschwunden war ….
Selbst Juristen tun sich schwer
Mit fast jedem Bescheid flattert ein neues Problem ins Haus. Selbst Juristen tun sich schwer, die oft vielseitigen Berechnungen zu verstehen, und jeder zweite Bescheid ist fehlerhaft, zuungunsten der Armen. Zusätzlich eintreffende Änderungsbescheide machen das Verwirrchaos komplett. Die hier Schreibende erhielt in einem Jahr elf Bescheide und zehn Änderungsbescheide, gegen die zehn Widersprüche notwendig wurden.
Widerspruch
Wer — oft nur mit juristischer Hilfe — feststellt, dass die Leistung zu niedrig ausfällt, kann Widerspruch einlegen. Kommt es zur Klage, ist die Aussicht auf Erfolg zwar gut, doch die organisatorische, physische und psychische Mühsal von Anwaltssuche, Prozesskostenhilfeersuchen, Schriftverkehr und Gerichtsverfahren ist groß, und auch die Angst vor Repressalien.
Staatliche Ersparnisse
Komplizierte Bürokratie, mangelhafte Informationen, falsche Bescheide, Nichterreichbarkeit von SachbearbeiterInnen, lange Bearbeitungszeiten und verschwundene Unterlagen: Damit werden rund 40 Prozent der Anspruchsberechtigten von der Antragstellung abgehalten und aus dem Bezug vertrieben, insgesamt etwa 4,9 Millionen Menschen. Staatliche Ersparnis: 20 Milliarden Euro pro Jahr.
Hallo? Ist da jemand?
Zuständige im Jobcenter sind kaum erreichbar, Durchwahlen werden oft geheim gehalten. Harald Thomé, Referent für Arbeits- und Sozialrecht, erreicht die Veröffentlichung von 150 Jobcenter-Telefonlisten „zur Durchsetzung einer größeren behördlichen Transparenz und zum Abbau von Zugangshürden“. Doch am 8. Januar 2014 erklärt er: „Ich sehe das (…) Projekt als gescheitert an. Es scheitert an der Reaktion einer Reihe von Jobcentern, die diesen Zugang mit allen Mitteln unterbinden wollen.“ Thomé sieht sich und seine Familie physisch und finanziell „unmittelbar in ihrer Existenz bedroht“.
Am Restetisch der Nation
Das Recht auf Existenzminimum für ein menschenwürdiges Leben wird durch mittelalterliches Almosen ersetzt: Das Jobcenter scheut sich nicht, auf seiner Internetseite die darbenden Bedürftigen an die „Tafel“ zu verweisen.
Immer mehr holen sich ihr Essen nun am Restetisch der Reichen: Niedrigentlohnte, Singlemütter, Rentner, chronisch Kranke, Erwerbsgeminderte und pflegende Angehörige. Auch Schriftsteller, Künstler, freie Bühnen- und Medienschaffende und ja, mitunter auch ein Journalist stehen bei der Tafel in der Schlange, wo ehrenamtliche Helfer und Helferinnen selbstlos dafür sorgen, dass die Armen, wenn schon nicht genug zum Leben, wenigstens was im Bauch haben. 2,99 Euro pro Tag beträgt der tägliche Futtersatz für Kinder bei Hartz IV.
Mittelalterliche Almosen
Ohne Armentafeln würden Tausende Menschen in Deutschland hungern. Aber selbst das mittelalterliche Almosen scheint den Mächtigen noch zu viel des Guten: „Diese üppige Ausstattung des Regelsatzes mit Geld für Nahrungsmittel ist mit den Zielen der Sozialhilfe (…) nicht erklärbar. 68 Euro im Monat sind für eine ausreichende, gesunde, abwechslungsreiche Kost (…) ausreichend“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen im Jahr 2008. Hinweise auf den 68-Euro-Diätplan für die sozial Schwachen sind nur noch vereinzelt zu finden.
Hartz IV bedeute nicht Armut, behauptete im Jahr 2018 Gesundheitsminister Jens Spahn. 2018 betrug der Eckregelsatz für Erwachsene 416 Euro im Monat. Wie schlecht muss es Menschen gehen, die es sich, wie so gern behauptet, damit „bequem machen“? Und wer ist da eigentlich wirklich „sozial schwach“?
„Vorrang für die Anständigen“
In der Broschüre „Vorrang für die Anständigen“ schreibt 2005 der damalige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement (SPD): *„Biologen verwenden für Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen leben, übereinstimmend die Bezeichnung ‚Parasiten‘*“. Wie steht das noch mal im Grundgesetz? „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Grundgesetz, Artikel 1 (1)).
... und mehr staatliche Ersparnis
Bis zu 50 Prozent der als faul diffamierten Leistungsbezieher sind alleinerziehende Mütter und ihre Kinder.
Anders als oft behauptet, kommen Elterngeld und Alimente nicht auf die Stütze für Mama und Kind obendrauf, sondern werden als anrechnungsfähiges Einkommen wieder abgezogen vom Regelsatz, ebenso das Kindergeld. Millionäre dürfen das Kindergeld behalten — Bedürftige nicht. Staatliche Ersparnis nur beim Kindergeld: 49,5 Milliarden in zehn Jahren. So steht es in einem Bericht der *taz * von 2018. Aktuelle Berechnungen? Ich fand keine.
Einladendes Jobcenter
Schneller als Antragsbearbeitung und Geldauszahlung erfolgt bei Hartz IV die „Einladung beim Fallmanager“. Nichterscheinen gilt als pflichtwidriges Verhalten. „Die Leistung kann danach — auch mehrfach nacheinander oder überschneidend — gekürzt werden oder ganz entfallen“, heißt es in einer Rechtsfolgenbelehrung für Betroffene.
Beim strafbewehrten Zwangstermin legt der Fallmanager der Kundschaft eine Eingliederungsvereinbarung (EV) zur Unterschrift vor, gern mit einer übrigens widerrechtlichen Sanktionsandrohung für den Fall der Nichtunterschrift. Wird die freiwillige Unterschrift unter die EV verweigert, so werden die darin festgelegten „Pflichten“ per Verwaltungsakt (VA) zwangsangeordnet. Der feine Unterschied: Gegen einen VA kann man klagen, bei freiwilliger Unterschrift unter die EV ist keine juristische Gegenwehr möglich. Aber wer weiß das schon? Wer kennt schon all die juristischen Finessen? Wer verrät sie den Ahnungslosen? Viele trauen sich nicht allein zum Amt, sondern nur mit Zeugen, mit Begleitschutz — so auch die hier Schreibende. Und alle, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, leben in Angst vor Sanktionen. Diese Angst ist mehr als berechtigt, die Bedrohung existenziell.
Sanktionen
„Die Regierung kalkuliert mit Einsparungen von 170 Millionen Euro durch Sanktionen, in Zahlen übersetzt bedeutet das 150.000 Vollsanktionen pro Jahr“, schrieb Harald Thomé, eines der Gründungsmitglieder des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins „Tacheles“ e. V., im Jahr 2023.
Kein Geld mehr für nix und nicht mehr krankenversichert …
Wer vollsanktioniert ist, hungert. So manche Tafel gibt mittlerweile nur noch alle zwei Wochen etwas aus; es werden ja immer mehr dort, und es sind doch längst zu viele!
Wer „vollsanktioniert“ ist, hat kein Geld mehr für ein S-Bahn-Ticket, kann nicht mehr zur Dumpinglohn-Arbeitsstelle zu fahren, nicht zum Arzt und nicht zum Kinderarzt, denn wer „auf Null“ ist, ist auch nicht mehr krankenversichert und sitzt spätestens nach der Stromsperre in Dunkelheit und Kälte, kann nicht mehr waschen, nicht mehr kochen, dem Baby kein Fläschchen mehr warmmachen.
Bei den Schwangerschaftsberatungsstellen der Caritas gehen in nur drei Monaten über 5.500 Beschwerden von schwangeren Frauen ein, von denen viele auf „Null“ gekürzt wurden. Der Link dazu ist außer Funktion, nur sein Titel legt noch Zeugnis ab von dem Skandal.
… doch der Staat spart daran
Wer glaubt, nur bei Pflichtverletzungen werde sanktioniert, irrt. Das offizielle Existenzminimum, das zum Leben ohnehin kaum reicht, wird gern auch „nach Quote“ gekürzt, sachgrundlos und willkürlich. So werden Anspruchsberechtigte diszipliniert oder aus dem Bezug vertrieben.
Die staatliche Ersparnis durch Leistungskürzungen beträgt 1,7 Milliarden Euro in zehn Jahren. Und was ist mit dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums?
*„Das BVerfG hat im Februar 2010 entschieden: Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20. Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“*.
Nutzloser Widerspruch
„Na ja, dann muss man sich halt wehren.“ Wenn das so einfach wäre! Widerspruch hat bei einer Vollsanktion keine aufschiebende Wirkung. Ist die Strafkürzung ausgesprochen, bleibt sie in Kraft bis zum rechtskräftigen Gerichtsurteil; bis dahin können Jahre vergehen. Vollsanktion bedeutet Panik, Krankheit, Obdachlosigkeit, existenziellen Ruin. Es gab auch Todesfälle; eine Frau kam bei einem Wohnungsbrand ums Leben, verursacht durch Kerzen, nachdem sie die Stromrechnung nicht zahlen konnte.
Nutzloses Urteil?
Am 5. November 2019 erklärt das das Bundesverfassungsgericht die Komplettstreichungen des Existenzminimums für verfassungswidrig. Erlaubt sind „nur“ noch 30-prozentige Kürzungen.
Fußfesseln für Arbeitslose
Und wie steht es bei Hartz IV mit dem Recht auf Freizügigkeit (Grundgesetz Artikel 11)? Wer Leistungen bezieht, unterliegt der Ortsanwesenheitspflicht, darf seinen Wohnort werktäglich über Nacht nur auf Antrag und mit Erlaubnis des Jobcenters verlassen. Als Aufstockerin reiste die Autorin während Hartz-IV-Zeiten zu einer auswärtigen Lesung und musste sich am Ende der Veranstaltung das Geld für die Rückfahrt vom Publikum leihen, weil der Anteil für Verkehr im Hartz-IV-Regelsatz — 34,66 Euro — nur für die Hinfahrt reichte.
Hier ein Hinweis, der 2025 wieder dringend nötig wird: „Aufstocken“ heißt nicht, dass man zum Selbstverdienten obendrauf noch das volle ALG II geschenkt bekommt, egal, wie oft das behauptet wird.
Aufstocken heißt: Das Einkommen wird vom Regelsatz abgezogen, bis auf 100 Euro, der als Arbeitsanreiz für die Taugenichtse dienen soll. In Fachsprache: „Die Differenz zwischen Bedarf und angerechnetem Einkommen stellt die Höhe der Aufstockung zum ALG II dar“.
Die „Ortsanwesenheitspflicht“ scheint den Mächtigen 2005 jedoch nicht zu genügen. 2005 empfahl der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU): „Die elektronische Fußfessel bietet auch Langzeitarbeitslosen die Chance, zu einem geregelten Tagesablauf zurückzukehren“.
Hartz IV — die Schreckenskammer der Gesellschaft
„Hartz IV“ war die Schreckenskammer der Gesellschaft; absurd, brutal, kontraproduktiv, menschenverachtend und teilweise rechtswidrig. Doch Hartz IV ist längst Vergangenheit. Ende 2022 kam das Bürgergeld.
„Dieselbe Kacke, nur mit Schleife drum“: Das Bürgergeld
Das Bürgergeld sollte ja besser werden als Hartz IV. Großzügiger. Freundlicher. Netter.
Schon im Vorfeld zitierten Insider allerdings hämisch-prophetisch den alten Spruch: „Aus Raider wird Twix — sonst ändert sich nix.“ Die Antragstellung jedenfalls war nicht einfacher geworden als vordem bei Hartz IV. Auszufüllen waren, wie zuvor:
Hauptantrag Bürgergeld, Anlage WEP, Anlage KI, Anlage KdU, Anlage EK, Einkommensbescheinigung, Arbeitsbescheinigung, Anlage VM, Anlage VE, Anlage HG, Anlage SV, Anlage MEB, Anlage BB, Anlage SE, unter Umständen noch Anlage UH1, UH2, UH3 oder UH4. Nicht zu vergessen die Veränderungsmitteilung und der Weiterbewilligungsantrag.
Schon bald nach Einführung des Bürgergeldes meinte ein Betroffener: „Dieselbe Kacke, nur mit Schleife drum!“ Auch die Mächtigen fanden das Bürgergeld nicht gut, allerdings aus anderen Gründen: Es war ihnen zu nett und zu teuer. Also weg damit!
Einsparungen und wozu sie dienen
„Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren (in Europa) aufgebaut“, verkündete Gerhard Schröder 2005 stolz — und enthüllte damit Sinn und Zweck von Hartz IV. Die Milliarden-, Millionen- oder Soundsoviel-Prozent-Einsparungen, die künftig mit der neuen Grundsicherung erreicht werden sollen, haben noch einen anderen Sinn und Zweck: Es wird dringend Geld gebraucht, für … ach, das führt hier zu weit …
Aus Alt mach Neu: Die „neue Grundsicherung“
Neu?
Der Name ist nicht neu, Grundsicherung hieß das auch schon bei Hartz IV. Die SPD ist auch wieder eifrig mit dabei. Ebenfalls nicht neu, nur wieder hochaktuell ist die politische und mediale Hetze gegen Notleidende.
Doch wer sind die angeblichen Faulpelze? 5,4 Millionen Bürgergeldempfänger gibt es derzeit. 1,5 Millionen davon sind Kinder. Apropos Kinder: Wie hoch ist eigentlich der Kinderfuttersatz beim Noch-Bürgergeld? Meine Recherche läuft ins Leere: „Auf der Webseite werden geplante Wartungsaufgaben durchgeführt“.
2,1 Millionen Bürgergeldempfänger sind „anderweitig beschäftigt“, sprich: sie befinden sich in arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen oder Ähnlichem, sind arbeitsunfähig, alleinerziehend, pflegen Angehörige oder arbeiten regulär für lausigen Lohn, der zum Leben nicht reicht. 1,8 Millionen haben mindestens ein sogenanntes Vermittlungshemmnis wie zum Beispiel Schwerbehinderung.
Bleiben 232.000 Menschen, die relativ schnell eine Arbeit aufnehmen könnten. Indem man diese kleine Gruppe knüppelt, sollen Milliarden eingespart werden. Ähm — wie viele Milliarden noch mal genau? Hm. Schwierig. Aber mit den altbewährten Vollsanktionen lässt sich da vielleicht was rausholen! Wen kümmert schon das Bundesverfassungsgericht mit seinem Sanktionsurteil von 2019?! Der Betroffene urteilt kurz und knapp: „Dieselbe alte Kacke; nur größer und ohne Schleife jetzt.“
Die wahren Sozialschmarotzer
Zurück zu frühneuzeitlichen Leib- und Hungerstrafen also? Jawoll! Schließlich muss etwas gegen den Sozialmissbrauch unternommen werden! Ach ja? Wie groß ist der denn eigentlich?
„Ein Report des Bundesrechnungshofs zeigt: Nicht Bürgergeldempfänger, sondern Steuerbetrüger kosten den Staat jährlich Milliarden“, schreibt die Frankfurter Rundschau am 5. September 2025.
„Der Bundesagentur für Arbeit zufolge entstand 2023 durch Bürgergeld-Missbrauch ein Gesamtschaden von etwa 260 Millionen Euro. Dagegen stellten die Steuerfahndungsstellen aller Länder im selben Jahr 2,5 Milliarden Euro sicher, was laut BRH nur die Spitze des Eisbergs [sein dürfte](https://www.fr.de/wirtschaft/nehmen-den-staat-auf-allen-ebenen-aus-bericht-entlarvt-deutschlands-wahre-sozialschmarotzer-zr-93691262.html)“.
Reicher Mann und armer Mann
„Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“, sagt Bundeskanzler Friedrich Merz 2025. Wir? Wen meint der Bundeskanzler eigentlich mit „wir“? „Millionär predigt Verzicht“, titelt die junge Welt.
Die reichsten 3.600 Menschen in der EU besitzen so viel wie die ärmsten 181 Millionen Menschen zusammen; das entspricht ungefähr der Gesamtbevölkerung Deutschlands, Italiens und Spaniens.
Und bei ZDFheute ist zu lesen: „Der Anteil für das Bürgergeld ist gemessen am Bundeshaushalt in zehn Jahren von 14 Prozent auf zehn Prozent gesunken“.
Es ist, als habe Bertolt Brecht die folgenden Zeilen nicht 1934, sondern erst heute geschrieben:
„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an.
Und der arme sagte bleich: „Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich“. 
 
  
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