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Es war falsch

Es war falsch

Der Verein „Pädagogen für Menschenrechte“ ruft mit einer Kunstaktion in Erinnerung, wie das Kindeswohl während der Corona-Jahre mit Füßen getreten wurde.

Das ganze Desaster der Coronakrise aufzudröseln – von einem Einzelnen wäre das nicht leistbar. So gibt es Menschen, die sich mit der medizinischen Seite der Krise befassen. Andere klären juristisch auf. Der Verein „Pädagogen für Menschenrechte“ (PfM) kämpft seit zwei Jahren für eine Aufarbeitung mit Blick auf Kinder. Im Juli feierte die politische Kunstperformance „Alles unter den Teppich kehren“ in Karlsruhe Premiere. Am 11. Oktober wird sie in Köln wiederholt.

Die Bereitschaft, aufzuarbeiten, was während dreier Krisenjahre geschah, ist alles andere als ausgeprägt. Im Gegenteil. Deutlich spürbar sind Bemühungen, echte Aufklärung zu verhindern. Der Kampf für eine Aufarbeitung erscheint von daher als jener von David gegen Goliath. PfM-Vorstandsmitglied Maja Garcia allerdings findet ein anderes Bild passender: „Wir sind die Erbse unter den vielen Matratzen.” Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an das Märchen von Hans Christian Andersen: Eine Prinzessin ist so sensibel, dass sie unter einem riesigen Stapel von Matratzen die klitzekleine Erbse spürt.

Für die „Pädagogen für Menschenrechte” soll endlich aussprechbar werden, was krampfhaft, darum das Motto ihrer Kunstaktion, „unter den Teppich” gekehrt ist. Kinder und Jugendliche, fordern sie, müssten endlich „offiziell” erfahren, dass das, was die Erwachsenen mit ihnen machten, was sie von ihnen forderten, grundfalsch gewesen war. Übergriffig. Eine massive Kindeswohlverletzung.

Die Stimme der Kinder wurde nicht gehört. Seelische Warnsignale ignoriert. Pädagogen agierten so, als sei ihnen das kindliche Leiden nicht bewusst. Oder als wäre es angesichts der „schrecklichen“ Krise gegenstandslos.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich nicht mehr Empörung ansammelt. Nicht mehr Zorn über das, was geschehen ist. Dabei war es einfach ungeheuerlich. In der Kunstaktion „Alles unter den Teppich kehren“ machen die „Pädagogen für Menschenrechte“ durch große weiße Kartons darauf aufmerksam. Auf den Kisten stehen Vergehen und ignorierte Begriffe. „RKI-Files“ ist auf einem Karton zu lesen. Auf anderen prangen die Worte „Ausgrenzung“, „Entmündigung“, „Empathielosigkeit“, „öffentliche Testung“, „Atemnot durch Masken“, „Stigmatisierung“ und „Panikpapier BMI“.

Unterm Teppich

Unter keiner Bedingung, scheint allgemeiner Konsens, soll hierauf in der Tiefe aufmerksam gemacht werden. Und so wandern die großen Kartons, geschubst von großen Besen, unter einen riesengroßen Teppich. In Karlsruhe geschah dies am 5. Juli 2025 auf dem Platz der Grundrechte. In Köln ist die Kunstperformance für den 11. Oktober auf dem Roncalliplatz geplant. In Karlsruhe beteiligten sich 50 Zuschauer daran, die Kartons schließlich wieder unter dem Teppich hervorzuklauben. In Köln hofft der Verein, noch viel mehr Menschen zum Mitmachen bewegen zu können.

War es Bequemlichkeit? Übermäßiger Gehorsam? Oder was sonst? Wie konnten vor allem Pädagogen zulassen, dass eine Vielzahl an Grund- und Menschenrechten während der Coronakrise mit einem Handstreich außer Kraft gesetzt wurden? Nun – die Anweisung kam von oben. Vom Staat. Und auch die Angst wurde sozusagen von oben herab „verordnet”.

Ohne sich näher zu informieren, ließen sich viele Angst machen. Zum Teil krankhafte Angst. Auch und gerade Pädagogen. Auch und gerade Lehrer. Auch und gerade Erzieherinnen in Kitas. Und auch Therapeuten, die auf Kinder und Jugendliche spezialisiert sind. Aus Angst fuhren sie schweres Geschütz gegen Kinder auf. Halfen sie mit, Maßnahmen zu organisieren, die Kinder entrechteten.

Angst und blinder Gehorsam scheinen die beiden entscheidenden Zutaten gewesen zu sein, die den Teig des bitteren Kuchens „Menschenrechtsverbrechen” aufgehen ließen. Die große, nicht zu besiegende Angst, die große Angst, die nicht besiegt werden sollte, nicht besiegt werden durfte, ließ nach Sicherheit streben. Sicherheit fand sich, vermeintlich, in einer Vielzahl an – zum Teil absurden – Regeln, einem Vorschriftengebirge.

Kinder wurden nach Hause geschickt. Die Schultüre fiel hinter ihnen ins Schloss. Sie wurden von der Schwelle gestoßen. Unabhängig davon, ob es ihnen im häuslichen Setting gut ging oder nicht. Ersatz wurde vor dem Bildschirm geschaffen. Dorthin waren die Kids dann auf Jahre verbannt. Allein das hat massive Folgen bis heute.

Ein besonderer Job

Der pädagogische Beruf, vor allem der Beruf des Lehrers, ist ein besonderer. Das ist etwas anderes, als wenn man seine Arbeitszeit damit verbringt, Plastiklöffel zu produzieren. Oder eine andere seelenlose Ware. Lehrerinnen und Lehrer stehen jungen Menschen gegenüber in der Verantwortung. Sie prägen sie. Sie entscheiden ein ganzes Stück weit über ihren Lebensweg mit.

Welche Aufgaben Lehrer haben, über das Unterrichten hinaus, darüber gibt es wohl wenig Divergenz. Lehrer möchten Schülern nicht irgendetwas einklopfen, wollen niemandem etwas ins Hirn hämmern. Sie möchten junge Leute zum kritischen Denken befähigen. Sie möchten sie zu mündigen Bürgern erziehen. Zu selbstständigen Persönlichkeiten, die ihr Leben im Griff haben.

Lehrer wollen keine Wesen heranzüchten, die, wenn sie etwas haben möchten, anderen um den Bart streichen. Statt sich selbstbewusst dafür einzusetzen. Mit Blick auf potentielle Arbeitgeber halten sie Schüler zwar auch dazu an, pünktlich und zuverlässig zu sein. Lehrer wollen jedoch keine Duckmäuser heranziehen. Keine Mitläufer.

Jedenfalls verbaliter wollen sie all das nicht. In der Ausbildung wird extra darauf hingewiesen, was ihr pädagogisches Ziel sein soll. „Kritisches Denken wird international als bedeutender Aspekt schulischer Bildung benannt“, sagt etwa Marcus Kohnen, der sich in Münster wissenschaftlich mit dem Schulwesen befasst. Während der Coronakrise waren alle hehren Ziele vergessen. Lehrer wurden zu Funktionären. Zum langen Regierungsarm. Selbst das Gleichheitsprinzip kickten sie in den Acker. Ungeimpfte Schüler wurden ausgegrenzt.

Plötzlich belohnten Pädagogen Duckmäuser- und Mitläufertum. Kritisches Denken und kritisches Infragestellen wurden im Ansatz vernichtet. Man heftete sich an die Hacken der Politik. Die erklärte: „Hinterfragen ist tabu!“ Die „Pädagogen für Menschenrechte” sprechen von kognitiver Dissonanz. Je stärker hehre Werte nach außen hin betont werden, konstatiert Maja Garcia, umso weniger werden sie ganz offensichtlich gelebt.

Alles zerbricht

Man denke an einen Baum. An einen Baum mit reichem Astwerk. Ein prächtiger Baum ist das. Jedes gute pädagogische Ziel steht für einen Ast. Klug sollen Kinder werden. Neugierig sollen sie sein und spielerisch die Welt entdecken. Frei wachsen sollen sie im Kontext Kita. In der Schule. Das Gute soll in ihnen geweckt werden. Mobbing ist tabu. Inklusion angesagt. Plötzlich legt einer die Axt an. Und ein Ast nach dem anderen bricht herab.

Da liegen sie nun am Boden. Astlos hebt sich der Baum vor blassblauem Himmel ab. Keiner will das sehen. Niemand guckt hin. Bis heute. Eben dagegen wehren sich die „Pädagogen für Menschenrechte”, sagt Vorstandsmitglied Sascha Frick: „Wir möchten, dass eine Auseinandersetzung stattfindet, bevor der Diskursraum gänzlich zerstört ist.“

Die Vereinsmitglieder sind mutig. Braucht es doch dieser Tage weit mehr als Aufgeschlossenheit, um öffentlich in politischen Kunstperformances für eine Aufarbeitung von Grundrechtsverletzungen während der Coronakrise einzutreten. Viele tun dies nicht, fürchten sie doch um ihren Posten.

Man weiß ja, wie es Kritikern ergeht. Fast jeder aus der Lehrerschaft kennt jemanden, dem ein Disziplinarverfahren drohte. Oder der disziplinarische Maßnahmen über sich hat ergehen lassen müssen. Dennoch, so Sascha Frick: „Ich stehe hier und kann nicht anders.”

„Light“ ist nicht drin

Ihn – wie die anderen insgesamt 67 Mitglieder des Vereins – drängt es, auf das begangene Unrecht aufmerksam zu machen. Eine Aufarbeitung „light” mit Blick auf, wie es immer so schön heißt, „künftige Pandemien“ lehnen sie ab. Nichts darf, was Kinder und Jugendliche betrifft, länger ignoriert, nichts weiterhin verschleiert werden. „Warum geht man überhaupt davon aus, dass es bald wieder eine Pandemie geben wird?”, fragt Maja Garcia.

Die „Pädagogen für Menschenrechte“ sind nicht aufständisch. Nicht rebellisch. Radikal sind sie lediglich in dem Sinne, dass sie an die Wurzel des Problems heranmöchten. Grund- und Menschenrechte anzugreifen, sagen sie, geht nicht. Grundrechte sind verbindlich. Sie müssen jederzeit gelten. Auch und gerade in Krisenzeiten.

Was aus den Coronamaßnahmen folgte, ist brachial. In der Selbsthilfe-Szene zum Beispiel boomen gerade Gruppen für junge Menschen mit Depressionen. Internetsucht hat deutlich zugenommen. Ebenso Essstörungen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll. In Kitas wird beklagt, dass es immer mehr verhaltensauffällige Jungen und Mädchen gibt. Nach außen allerdings wird dies kaum sichtbar. Die Entwicklung geht fast lautlos vonstatten.

Recht auf Unversehrtheit

Vieles gäbe es noch immer in Bezug auf die Coronakrise auseinanderzufächern. Vieles noch zu analysieren.

Die „Pädagogen für Menschenrechte” bleiben streng bei ihrer Sache. Beim Unrecht, das Kindern und Jugendlichen widerfuhr. Sie maßen sich keine epidemiologische Einschätzung an. Keine Aussage darüber, ob die Coronaimpfung ein Heilsbringer war. Ob sie überhaupt etwas gebracht hat. Oder geschadet hat. Völlig unabhängig davon pochen sie auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Ganz besonders in Bezug auf Kinder.

Viele Menschen möchten die ganze Geschichte vergessen. Einige behaupten, sich gar nicht mehr so recht an alles entsinnen zu können, was während „Corona“ geschah. Einige wenige reden zaghaft. Und meist um den heißen Brei. Nach wie vor gibt es sogar etliche, die sich darüber auslassen, dass es weiterhin derart viele „Verschwörungstheoretiker” gibt. Noch immer ist das Gros der Bürger davon überzeugt, dass Politiker damals nach bestem Wissen und Gewissen agierten. Vor allem letztere Überzeugung wird kultiviert. Was hätte das denn aber auch zur Folge, dämmerte der Verdacht auf, dass die Damen und Herren womöglich genau wussten, was sie taten?

Die „Pädagogen für Menschenrechte” beharren darauf: Jeder sah und jeder wusste, wie massiv in die Grundrechte eingegriffen worden war. Dass dem so gewesen ist, müsse endlich laut geäußert werden. Die Opfer müssen wissen, warum sie damals gelitten haben. Und zum Teil bis heute leiden. Natürlich ist all das schmerzhaft, sagt Therapeutin Kerstin Bahrfeck, Mitglied im Verein. Wer traumatisiert ist – und die Gesellschaft sieht sie als traumatisiert an –, müsse jedoch durch den Schmerz hindurchgehen. Nur so, unterstreicht sie, kommt man zur Wahrheit. Nur so wird man wieder heil.


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