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Es werde Ware

Es werde Ware

Menschen werden gedrängt, ihre eigene Abschaffung voranzutreiben.

„Im Zentrum der pädagogischen Schulentwicklung stehen in den kommenden Jahren die Themen ‚Faschisierung‘, ‚Leistungsbeurteilung‘ und ‚Unterrichtsgefässe und -formen‘. Den erhöhten Anforderungen an die faschistischen Kompetenzen begegnen wir mit der flächendeckenden, alle sechs Klassenstufen umfassenden Einführung von BYOD (‚Bring Your Own Device‘). Sämtliche Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler werden ab dem Schuljahr 2021/22 ihr eigenes faschistisches Gerät im Unterricht einsetzen können.

Unser Ziel ist die ‚faschistische Mündigkeit‘ der uns anvertrauten jungen Menschen. Sie umfasst drei Aspekte: erstens die für die Studierfähigkeit notwendigen faschistischen Kenntnisse und Fertigkeiten (‚fascist skills‘); zweitens das für den reflektierten Umgang mit faschistischen Mitteln notwendige informatikspezifische Basiswissen (‚fascist literacy‘) sowie die Reflexion der gesellschaftspolitischen, rechtlichen, ökonomischen, ökologischen und gesundheitlichen Dimensionen der Faschisierung (faschistische gesellschaftliche Reife); und drittens das für die bewusste Wahl zwischen faschistischen und analogen Lehr- und Lernmethoden (‚Denken und Handeln in Alternativen‘) grundlegende didaktisch-methodische Repertoire.“

Das steht im Grußwort des Direktors eines anerkannten Gymnasiums der Schweiz anlässlich des Jahresberichts 2020. Entzündet sich berechtigte Empörung an der Diskrepanz zwischen Darstellung und Wirklichkeit, so bleibt es hier zu recht ruhig. Der Text, 2020 verfasst, bildet die Wirklichkeit gut ab.

Und doch ist Anlass zur Kümmernis. Dass die Menschen nicht merken, was dieser Text aussagt und dass ein Direktor einer Schule das schreiben kann, ohne danach seine Schule gleich schließen zu müssen, hat einzig mit einer Begriffsverwendung zu tun, die es erlaubt, die anthropologische Konstante des Faschismus losgelöst von der Last der historischen Szenerie weiter und schließlich zu Ende zu pflegen. Ein Wort, mehrfach vorkommend, ist durch ein anderes ersetzt. Was ich hier als Anfang gesetzt habe, ist, so ließe sich es auch sagen, die Variante ohne neoliberalen Neusprech.

In der offen gelegten Variante würde der Text empören, aber nicht seines Inhalts wegen, sondern weil man weiß: „Faschismus“ ist schlecht. Er steht für das Böse von damals. Und das wiederum weiß der über die Landessender informierte Mensch, weil alles, was nicht ins Machtnarrativ passt, und alle, die sich irgendwie störend verhalten, sich nicht impfen lassen und nicht glauben wollen, dass die Russen einen Staudamm sprengen, um ihre eigene Bevölkerung auf der Krim vom Trinkwasser abzuschneiden, mit Wörtern wie „Nazis“, „antisemitisch“ und „faschistisch“ gekennzeichnet werden.

Und so kommt es, dass der Text in diesem Grußwort das Obige sagt, aber mit einem anderen Wort, nämlich einem sauberen, modernen, korrekten, ja gar visionären und zukunftsverheißenden, technologischen Wort und also gewissermaßen mit einer anderen Technologie, eben jener Technologie, die seit Jahrzehnten mit Glühen in den Augen als Zukunft gepriesen wird und als Endlösung aller Probleme.

Um zu erkennen, dass die Originalvariante des obigen Textes, die gleich folgen wird, mit der hier anfänglich gesetzten inhaltlich identisch ist, wenngleich über ein Wort geglättet, braucht es ein paar erkenntnistheoretische Anstrengungen ― nicht des Fingers, sondern des Gehirns. Solche Anstrengungen sind eine Zumutung, das versteht sich.

Auf Quizniveau soll das hier indes nicht absinken ― dennoch würde es mich Wunder nehmen, wie vielen Lesern bereits an dieser Stelle klar ist, durch welches schöne Wort das Wort „faschistisch“ ersetzt im Original ist, denn diese Erkenntnis wäre nun eben eine, gegen die mit allen Mitteln seit mindestens 40 Jahren gearbeitet wird, und es wäre Balsam zu wissen, hätte diese Arbeit bei einigen noch nicht angeschlagen. Nun also der Text, wie er wirklich im Jahrbuch zu finden ist:

„Im Zentrum der pädagogischen Schulentwicklung stehen in den kommenden Jahren die Themen ‚Digitalisierung‘, ‚Leistungsbeurteilung‘ und ‚Unterrichtsgefässe und -formen‘. Den erhöhten Anforderungen an die digitalen Kompetenzen begegnen wir mit der flächendeckenden, alle sechs Klassenstufen umfassenden Einführung von BYOD (‚Bring Your Own Device‘). Sämtliche Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler werden ab dem Schuljahr 2021/22 ihr eigenes digitales Gerät im Unterricht einsetzen können.

Unser Ziel ist die ‚digitale Mündigkeit‘ der uns anvertrauten jungen Menschen. Sie umfasst drei Aspekte: erstens die für die Studierfähigkeit notwendigen digitalen Kenntnisse und Fertigkeiten (‚digital skills‘); zweitens das für den reflektierten Umgang mit digitalen Mitteln notwendige informatikspezifische Basiswissen (‚digital literacy‘) sowie die Reflexion der gesellschaftspolitischen, rechtlichen, ökonomischen, ökologischen und gesundheitlichen Dimensionen der Digitalisierung (digitale gesellschaftliche Reife); und drittens das für die bewusste Wahl zwischen digitalen und analogen Lehr- und Lernmethoden (‚Denken und Handeln in Alternativen‘) grundlegende didaktisch-methodische Repertoire.“

Digitalisierung als Ausrottung des Subjekts

Bevor ich Kernstellen dieses Grußwortes in das einbette, was mit uns Menschen seit geraumer Zeit geschieht, zwei Einschübe vorneweg:

Digital kommt von „digitus“, lateinisch für Finger. Beim Bezug handelt es sich um einen metaphorischen, das ist offensichtlich, wobei die Reduktion vom ganzen Körper auf den Finger entscheidend ist.

Gleichwohl lagert eine konkrete Bedeutung mit ein, indem die menschliche Tätigkeit auf das Tun der Finger reduziert wird. indes, um den Finger als solchen geht es nicht. Die Digitalisierung ist keine Fingerkunst. Sie ist gar keine Kunst, sondern ein binäres System. Das Binäre ist die technologische Umsetzung einer Reduktion, die das menschliche Handeln bildlich und ― zumindest als Etappe ― auch konkret auf den Finger begrenzt.

Die Reduktion auf Nullen und Einser stellt eine ― vom Standpunkt des Subjekts aus ― Maximalbündelung dar. In einer digital gebündelten Welt ist alles Teil des Bundes, weil auch dem, das abfällt beziehungsweise sich unterscheidet als anderes, die Bestimmung allein vom binären System her zukommt. Alles, was keine Bestimmung im Rahmen der digitalen Systematik hat, ist nicht. Hat kein Sein. Folgerichtig wird alles ― und wirklich alles ― digitalisiert. Und weil das meiste nicht reinpasst, wird die Welt eng, ein Un-Ort. Es gilt, was jeder historische Faschismus angepeilt hat: Eine digitale Welt ist eine eindimensionale Welt ― die totale Ordnung.

Die scheinbar gegebene zweite Dimension ist nur eine Bestimmung der einen. Im Digitalen gibt es kein Außerhalb. Was als Data nicht gespeichert werden kann, ich wiederhole mich, ist nicht. Eine Dimension ohne jedes Weitere aber löst sich selbst auf, streicht sich als Dimension, streicht sich ― zumindest für ein Bewusstsein ― als System, zersetzt sich selbst (für ein dahindämmerndes Bewusstsein ist es zuletzt einfach noch ohne jede Qualität). Das ist der Zustand, den der Wertewesten aktuell erreicht hat (den aber auch andere Zivilisationen mit digitaler Bündelung erreichen).

Mein zweiter Einschub erzählt das Gleiche von einer ganz anderen Warte aus (noch gibt es Subjekte, die das können): Aufbewahrte Restexemplare, die man als Trophäen von der Ausrottung abgezogen hat, werden in Zoos ausgestellt. Man kennt das von Tigern, Pandas und Co. Dass dort drin die Welten, die man draußen zerstört hat, wieder imitiert werden ― Serengeti-Kulissen et cetera ―, gehört zur Siegergestik. In alten Landgasthöfen hängen gelegentlich noch die Geweihe von Hirschen an Wänden. Auch das hat Verwandtschaft mit dem Ausstellen im Zoo. Dass jemand hinschaut, ist Teil des Arrangements.

Nun aber die Frage: Wer schaut die Restexemplare an, wenn es sich dabei um Subjekte handelt, Subjekte, deren Rolle ja bislang das Bewundern der Trophäen war? Antwort: Ware. Für die flächendeckend durchgezogene „Warenwerdung“ der Menschen verweise ich auf Byung-Chul Hans „Psychopolitik“ und meine Lektüren darin (1).

Hier sei nur Folgendes herausgestellt: Subjekt handeln im Raum, greifen ein, verändern. Cyborgs aber klicken mit dem Finger, klicken also mit der Versinnbildlichung der Reduktion, setzen Smileys ab, liken. Der Raum dabei bleibt untangiert (den braucht Bill Gates nämlich für seine Agrarplantagen und Pisten für seine Privatjets). Nichts wird verändert, vor allem kein Machtgefüge. Dass für diesen Zoogang der Hintern sich nicht vom Sitz wegbewegt, versteht sich. Ware hat am Ende keinen Hintern. Biomasse ist gleichmäßig sediert, gechippt und über 5, bald 6G in sicheren Händen. Alles am Vormals-Subjekt ist in sicheren Händen, das Denken weitgehend konditioniert (man ist ordentlich weit gekommen, noch ganz ohne Gehirnscanner), noch bevor es direkt gelenkt werden braucht.

Viel muss die Künstliche Intelligenz (KI) gar nicht mehr leisten ― und das ist der Trick mit dem KI-Wunder: Nicht die Unermesslichkeit dieser Intelligenz, sondern die vorgängige Sedierung der Vormals-Subjekte, die Verzwergung ihres Geistes und ihres Denkens ― Wikipediasierung, um es euphemistisch auszudrücken ― ist es, was die KI aus Sicht der Zwerge wie Himalaya-Gebirgsketten erstrahlen lässt.

Und wenn ich von „denken“ spreche, so ist auch das schönfärberisch: Denken, in einer von allen Differenzen und Begriffen befreiten beziehungsweise gesäuberten Welt, in der nur die eine Haltung ― Haltungsjournalismus, Haltungsdemokratie, Haltungsdasein ― gilt, unterscheidet sich, was die Gehirnleistung betrifft, nicht von Klicken oder Scheißen. Und ob sie noch scheißen oder klicken, die ausgerotteten Subjekte: Das sei hier nur rhetorisch gefragt.

Auf zur frohen Wanderschaft

Tauche ich nun in das Grußwort ein, so tauche ich zum Kern: „Bring Your On Device“. Bring deine Versklavung selber mit. Bei ihrer Ausrottung dürfen ― aufgefordert, ein Befehl ― die Subjekte ein letztes Mal Mündigkeit spielen: selber Mitbringen. Früher hat man zum Feiern den Kuchen selbst mitgebracht. Bezeichnenderweise setzt der Direktor im Grußwort die Anforderungen voraus. Man hat ihnen zu begegnen wie einer Naturgewalt.

Allerdings sind diese Anforderungen keine Naturgewalten, vielmehr sind sie identisch mit dem, was zur Begegnung mitgebracht werden soll: Devices. Dem Digitalen muss, so ist das Lehrpersonal und die Schülerschaft aufgefordert, mit selbstmitgebrachtem Digitalem begegnet sein. Der „Anvertraute“ ― dazu gleich mehr ― soll sozusagen von innen heraus das Gleiche mitbringen, was von außen als Anforderung an ihn tritt. Bereits auf operativer Ebene ist die Differenz dahin. Bezeichnend für eine allumfassende Bündelung.

Das „Selber-Mitbringen“ ― eine Tätigkeit, eine Handlung, „Auf zur frohen Wanderschaft!“ ― suggeriert: Da ist ein Subjekt, das noch über Fäden verfügt, die es in der Hand hält. Allerdings ist damit keine Wahl verbunden, vielmehr handelt es sich um einen Befehl zur Versklavung (die ― das ist durchaus sedativ abgesichert ― als solche nicht empfunden wird, fröhlich und beglückt kommen die Kleinen mit den Geräten ins Schulzimmer gestürmt).

Konkret sind diesen Devices die Muster des Digitalen bereits eingeschrieben. „Deine eigenen Geräte mitbringen“ ist also verdrehtes Sprechen: Was da mitzubringen ist, hat mit „eigen“ nichts zu tun (es ist kostengünstiger, wenn der Schüler die Versklavungsinstrumente selber kauft). Die Usurpation beziehungsweise der Tod der Emanzipation ist als Geste aus dem Innern gesetzt. Logisch, dass da niemand an böse Mächte glaubt und alles, was von Macht spricht, zur Hexerei wird: Verschwörungstheorie.

Es sind also die Muster der Versklavung, die als Form der Autonomieausübung, kurz: als Freiheit ausgegeben werden. Die Freiheitssuggestion (Wanderlust, Aufbruchstimmung: Bring Your Own Devices) indes ist essenziell für den ganzen „Process“. Sie garantiert, dass keine Kritik (Kritik? ― Was ist das? Das ist doch dieses „Putinverstehen“.) an Zentren der Macht aufkommt, wobei diese Zentren parallel zum Suggestionsaufbau ohnehin unsichtbar gemacht wurden und werden. Zur Präzisierung:

Kritik könnte theoretisch ohnehin nur bei Subjekten aufkommen, die noch nicht gänzlich zur Ware geworden sind.

Ist die Warenwerdung abgeschlossen, haben diese Sätze hier in diesem Beitrag alle keine Bedeutung mehr.

Der Direktor setzt also die digitale Mündigkeit voraus. An diesem Ziel gibt es nichts mehr zu bestimmen. Mündigkeit aber qua binäres ― und also geistloses ― System bedeutet per se das Ende des Subjekts und damit der Mündigkeit. Und so wird die Auslöschung der Mündigkeit ― ohne Realsatire geht kein „Process“ ab ― in diesem Grußwort (wer grüßt in ein paar Jahren wen noch?) als Mündigkeit verkauft.

Irgendwie raffiniert und unerhört plump zugleich ― wie die ganze Zivilisation, in der wir leben. Mündig ist, wer die Mündigkeit tilgt. Das ist der Inhalt des Satzes, denn „digitale Mündigkeit“ ist ein Oxymoron, und wie diese Tilgung praktisch Gestalt annimmt, kann einsehen, wer sich Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (zum Beispiel) anschaut oder den Spiegel aufschlägt.

Die Verdrehungen (selber mitbringen, Auslöschen der Mündigkeit als Mündigkeit) erscheinen in einem ethischen, ja gar sakralen Rahmen: Zur Selbstversklavung aufgefordert und gelöscht werden die, die der Institution, die sich die Auslöschung der Mündigkeit zum Ziel setzt, „anvertraut“ worden sind. Anvertrauen: dieses Wort aus reformierten Kirchgemeindeblättern scheint mir in der Tat nicht schlecht gewählt, wenn man allein schon an einen Calvin denkt und was dieser vorbereitend für den westlichen Wertekatalog und für die Mündigkeitszerstörung geleistet hat.

Wenn auch das Analoge schon digital ist

Die Bündelung als solche wird im Grußwort des Direktors explizit herausgehoben: „Sämtliche Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler“. Da gibt es kein Entrinnen. Außerdem wird das ganze Vorhaben unter „unser Ziel“ gefasst. Unser: das Ziel einer Wir-Instanz, eines Bundes. Zuletzt führt der Direktor die „Allumfasstheit“ des Digitalisierungsprozesses, auf drei Ebenen (Heilige Dreiheit) aufgefächert, inhaltlich vor.

Die Tatsache, dass dabei auf Stufe 3 suggeriert wird, es gäbe ein Abwägen zwischen Digitalem und Analogem (also einem Anderen), mag zunächst erstaunen, aber das Erstaunen währt kurz. Auch wenn der Direktor an die faschistischen Muster, die in seinem Text einlagern, niemals gedacht haben mag (hat er nicht), so „weiß“ er ― als bereits im Prozess der Überführung zum Apparat vorangeschrittene Instanz ― dass auf dieser Stufe 3 gefahrlos von „analog“ gesprochen werden kann.

Denn das Analoge auf dieser Stufe ist nichts weiter als eine Bestimmung des Digitalen selbst. Die Vormals-Subjekte, die der Form nach noch Körper sind (sollten diese auch schon künstlich umgebaut, „gechippt“ oder mit Nanotechnik ausgestattet sein), sind als das Digitale selbst mitbringende „Warenwesen“ nicht erreichbar für Analoges. Ihr Analoges ist lediglich eine Funktion des Digitalen und grundsätzlich des Technologischen. Anders ausgedrückt: Dieses Analoge, worüber abzuwägen das Grußwort auffordert, ist bereits ein Analoges jenseits des Nullpunktes.

Wenn die Bündelung zu sich kommt

Das Subjekt wird ausgerottet. Und das wird als Bildungsprogramm verkauft und niemand empört sich, obgleich/weil - beides gilt zugleich ― alle, die das lesen, zwar nicht begreifen, aber voraussetzen, dass hier das Normale, die anthropologische Norm ausgeschrieben ist. Banal. Digitale Technik, ja, das ist halt eine Anforderung der Zeit. Das „weiß“ man ohne Tiefgang, eindimensional, plakativ. Ergebnis einer Konditionierung ― Haltungsdasein. Bündelung (Bund, Rute: lateinisch „fascis“) ist das Erste und das Letzte, was den Menschen treibt. Dem Bund ― vor allem, wenn er seine Kehrseite als Rute zeigt ― entgegenzutreten, treibt nur einen winzigen Teil der Menschheit in den Widerstand, die meisten flüchten vor der Rute in den Bund, der diese Rute ist.

Die Bündelung über die Digitalisierung aber ist die vollkommene Bündelung, bei der das Wesen einer jeder Bündelung (nichts soll außerhalb sein) „zu sich kommt“. Anders gesagt: Mit der Digitalisierung findet die Bündelung zu sich selbst. Theoretisch ließen sich zwar weitere Stufen denken.

Aber insofern es dabei nicht mehr um Subjekte geht, die gebündelt werden ― die sind durch die digitale Bündelung ihr Subjektsein losgeworden ―, sind weitere Etappen nicht mehr Teil einer Subjektgeschichte, also eines Bewusstseins, sondern Teil einer „Warengeschichte“, die jetzt im Augenblick noch als Warengeschichte von einem Subjektstandpunkt aus gekennzeichnet und unterschieden werden kann, im Grunde aber und ― sollte die Megamaschine nicht rechtzeitig noch im- oder explodieren ― außerhalb von Geschichte und Bewusstsein zu liegen kommt, weil der Bündelung einzig und allein das Funktionieren folgt, ein Funktionieren, das auch seinen etwaigen Zusammenbruch nicht von einem Punkt außerhalb registrieren kann. Die Metaebene, die für selbstlernende Künstliche Intelligenz reklamiert wird, ist immer Teil der Funktion, nie außerhalb.

So we can float away

Insofern wird die Digitalisierung mit der ihr inhärenten Eigenschaft, Subjekte aufzugreifen und in Nullen und Einser aufzulösen, die Endetappe sein. Dieses Aufgreifen, dieses Überführen in Ware ist naturgemäß auf psychologische beziehungsweise konditionierende Maßnahme angewiesen. Die Auslöschung respektive der Wunsch danach, mag zwar eine anthropologische Konstante sein, aber ebenso ist im Subjekt ― wie in allem, was ist ― Widerstand angelegt. Den gilt es auszutricksen (das „Selber-Mitbringen“ gehört dazu).

Ein gutes Bild vom Stand des gegenwärtigen Austrickens oder vom Stand der Maßnahmen geben Bildungsinstitutionen ab, insbesondere Universitäten, aber auch Schulen generell ― etwa im Hinblick auf Genderfragen. Dass die Bündelung weit fortgeschritten ist und die Subjekte mehrheitlich nur noch wie Apparate, denen eine Haltung, ein Betriebsprogramm eingegeben wurde, auf bestimmte Reize reagieren, wird besonders offensichtlich, wenn es gilt, Störelemente zu beseitigen, etwa lehrende Professoren, die noch auf dem alten Subjekt als Träger von Denkleistungen beziehungsweise Geist beharren.

Dabei geht es ― anders als bei Voretappen wie etwa 1968 ― nicht mehr um Ideologie, nicht mal dem Schein nach, sondern einzig um Haltung. Auch das ist folgerichtig, denn die Digitalisierung lagert den Subjekten keine Ideologie ein, vielmehr löst sie autonome Gehirne überhaupt auf und überführt sie in technologische Epiphänomene.

Faschismus, wie ich ihn immer verstanden habe, auch für die Zeiten von damals, ist demnach keine linke oder rechte Ideologie und keine der Mitte. Er ist eine Technik, den Menschen als Subjekt zugunsten eines Funktionierens aufzulösen.

Die Bündelung ist das Mittel. Ziel ist die eine, die richtige Haltung, im neoliberalen Neusprech oft als Kompetenz bezeichnet. Kompetente Menschen sind keine Denker, es sind funktionierende Entitäten, die ihre Betriebsanleitung zum einzigen Sinn und Bezugspunkt haben und keine zweite Dimension. Sie sind deshalb sinnlos. Diese Sinnlosigkeit, umgeben von Technologie, ist es, was in der westlichen Welt zum Himmel schreit.

Dass es die Bestimmung des Menschen sein könnte, sich zu Ende zu bündeln, also sich auszulöschen, darüber wäre andernorts zu räsonieren. Die Londoner Artrock-Band Archive bittet in einem Song: „God, rid us from our conscious, so we can float away“ (deutsch: Gott, befreie uns von unserem Bewusstsein, damit wir wegdriften können). Vielleicht ist dieses Wegdriften ein tiefwurzelnder menschlicher Wunsch, der die Begeisterung für das Digitale und also die Selbstauslöschung erklärt. Gegen das Wegdriften habe ich nichts. Aber weil der Vorgang der Digitalisierung ein faschistischer Bündelungsprozess ist, wehren sich meine Sinne, sich dieser Bewegung störungsfrei beizumengen. Deshalb diese „Reflexionen aus der Dissidenz“.

Zuletzt ein Hinweis in fremder Sache: Es gibt bestimmt denkende Menschen, die bei dieser strukturell-philosophischen Gleichsetzung von Digitalisierung und Faschismus zögern. Ich kann das nachvollziehen. Der Topos, Technologie sei weder gut noch schlecht, es komme darauf an, was daraus gemacht werde, sitzt auch in dissidenten Kreisen tief. Erkenntnistheoretisch stimmt meines Erachtens dieser Topos nicht. Unter anderem von Gilles Deleuze herkommend („Technologie als Schwester der Diktatur“) habe ich darauf verwiesen, dass dieses Daraus-Machen dann nicht mehr zum Anschlag kommen kann, wenn die Technologie das Subjekt dieses Machens ersetzt beziehungsweise auflöst. Doch selbst wenn man dies beiseitestellt und daran festhält, dass die Digitalisierung nichts weiter sei als ein bloßes Arbeitsinstrument, so müsste allein die Tatsache, dass die ganze Bildung ― nimmt man dieses Grußwort und damit Millionen weiterer identischer Grußwörter weltweit ernst ― in geradezu absolutem Ausmaß auf dieses bloße Arbeitsinstrument ausgerichtet ist, hell wach machen. Ein bloßes Arbeitsmittel und dann diese Totalität bei der Zielsetzung: Das schneidet sich fundamental. Oder eben: Der Mensch geht im Arbeitsmittel ein und verschwindet.

Schlussbemerkung: Auch ich habe meine Devices, veraltet zumeist, aber doch digital und selbst mitgebracht. Das ist also ein Text eines bereits partiell Gebündelten und das soll bei der Lektüre nicht vergessen gehen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Fischer, 2014. In diesen drei Beiträgen auf Manova, erstmals auf Rubikon erschienen, befasse ich mich eingehend mit den Thesen von Han: „Lob der Covidioten“, „[Die isolierten Selbstausbeuter](https://www.manova.news/artikel/die-isolierten-selbstausbeuter]“ und „Am Nullpunkt des Geistes“.


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