Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Feindliche Vierbeiner

Feindliche Vierbeiner

Die EU-Sanktionspolitik gegen Russland wird auch auf dem Rücken der Pferde ausgetragen. Aber russische Pferdezüchter lassen sich nicht kleinkriegen.

Zu Besuch im russischen Gestüt Tersk

Da ich wissen wollte, wie sich die Pferdezucht in Russland trotz der EU-Sanktionen entwickelt, besuchte ich im Dezember 2023 mit einer Journalisten-Gruppe auf Einladung des russischen Außenministeriums das auf die Zucht von Araberpferden spezialisierte russische Gestüt Tersk im Nordkaukasus. Das Gestüt, welches 1889 vom Grafen Sergej Stroganow gegründet wurde, liegt nicht weit von der Stadt Mineralnyje Wody. Im Gestüt Tersk stehen heute 320 Pferde, darunter 293 Araber. 63 Betreuer kümmern sich um die Fütterung, Pflege und das Training der Tiere.

Natalja Schuk, Assistentin des Gestüt-Leiters, erklärte mir, dass man 2022 das letzte Pferd ins westliche Ausland verkauft habe. Die Araberpferde aus Russland — mit 1,60 Meter mittelgroß — seien in Deutschland sehr beliebt, denn sie sind nicht nur besonders schön, sondern auch sehr ausdauernd. Die Pferde werden vor allem für Rennen gezüchtet, Rennen auf der Galopprennbahn und Rennen auf langen Strecken von bis zu 160 Kilometern, die mit mehreren Unterbrechungen und unter Begleitung von Tierärzten absolviert werden.

Alle Wege für den Im- und Export von Pferden blockiert

Der Handel mit Pferden sei wegen der EU-Sanktionen seit 2022 praktisch nicht mehr möglich, erzählt mir die Assistentin des Gestüt-Leiters, denn alle Kanäle für die Bezahlung und den Transport des Pferdes seien blockiert. Der Pferdehandel zwischen russischen und westlichen Gestüten und Liebhabern sei heute nur noch über Zwischenhändler in Georgien und Kasachstan machbar. Bis 2022 wurden in Russland jährlich 600 Pferde aus der EU importiert, erklärte der Cheftrainer des russischen Pferdesports, Wladimir Belezki.

Сhina als neuer Markt

Das Gestüt Tersk im russischen Nordkaukasus hat in den letzten Jahren China als neuen Markt entdeckt. Im Dezember wurden sieben Pferde dorthin verkauft, zwei seien bereits bezahlt, berichtete mir Olga Birjukowa, die technische Leiterin des Gestüts Tersk.

„Für uns ist der Markt in China jetzt sehr wichtig, denn in China gibt es heute eine gut entwickelte Pferdewirtschaft. Dort beschäftigt man sich ernsthaft mit der Pferdezucht.“

Während der geschäftsführende Direktor Wladimir Samoilenko in der Manege des Gestüts Tersk Araberpferde vorführt, fragte ich ihn, wann der letzte Kunde aus Deutschland im Gestüt war. Er antwortete: „vor vier Jahren.“ Zum Kauf eines Pferdes sei es aber nicht gekommen. Der Dolmetscher des deutschen Kunden sei wegen einer Allergie ausgefallen. Direktor Samoilenko erzählt von dem Vorfall in vergnügtem Ton, so als wollte er sagen, ´wir haben schon ganz andere Krisen durchgestanden´.

Am Fuße des Berges „kleine Schlange“

Die Gegend rund um das Gestüt Tersk ist atemberaubend schön. Die Ställe und die überdachte Manege, in der die Pferde vorgeführt werden, liegen in einer Ebene, an deren Rand sich ein 900 Meter hoher, bewaldeter Gebirgsrücken mit dem Namen „kleine Schlange“ erhebt.

Das milde Klima im kaukasischen Vorgebirge — im Winter wird es nicht kälter als minus zwei Grad — sowie die großen Wiesen sind ideal für die Pferdezucht. Seit der Zarenzeit gab es im Nordkaukasus zahlreiche Gestüte. Man züchtete Pferde für die Jagd der Aristokraten und die Offiziere der Kavallerie.

Den Grundstock für die Zucht von Araberpferden — zwei Hengste und neun Stuten — brachte Graf Stroganow 1988 von Reisen auf die arabische Halbinsel und Syrien mit.

Durch den russischen Bürgerkrieg von 1917 bis 1922 und den Überfall der deutschen Wehrmacht 1941 wurde der Zuchtbetrieb unterbrochen. Doch nach jeder dieser Katastrophen brachten die Züchter ihre Betriebe wieder auf die Beine.

Geballte Energie

Während uns der geschäftsführende Direktor des Betriebes Tersk, Wladimir Samoilenko, in der Manege von der Geschichte der Zuchtanstalt erzählte, kam alle paar Minuten ein Pferd ohne Zaumzeug in das überdachte Rund gelaufen, drehte im Galopp mit erhobenem Kopf und wehender Mähne ein paar Runden, stellte sich auf die Hinterbeine oder machte mit allen Vieren einen Sprung senkrecht in die Luft, so groß war die Freude, endlich der Stall-Box entkommen zu sein.

War die erste Energie verbraucht, näherte sich das Pferd mit vorsichtigem Schritt der Besucherloge. Dort schnupperten die rosa-weichen Nüstern des Vierbeiners den Duft von Karotten-Stücken. Das Pferd näherte sich und schnappte sich dann ein paar Stücke von der flachen Hand des Direktors. Dann knallte ein Helfer mit einer langen Peitsche und das Pferd drehte im Trab noch eine Abschiedsrunde, um dann im Ausgang der Manege zu verschwinden. Nur noch das Geklapper der Hufe im Stall war zu hören.

„Ein Pferd der Beduinen“

Die Beduinen schätzten die Araberpferde wegen ihrer Schnelligkeit und Schönheit, erzählte uns Direktor Samoilenko. Das Kennzeichen der Araberpferde: Den Kopf und den Schwanzschweif halten die Tiere im Trab hoch. Die Grazilität dieser Tiere zu beschreiben, seien schon viele Vergleiche bemüht worden, etwa der Ballett-Tanz oder ein Schiff mit aufgeblähten Segeln.

„Im Sommer weiden die Pferde auf den Wiesen, im Winter stehen sie im Stall“, erklärte mir die technische Leiterin des Betriebs, Olga Birjukowa. Auch wenn es im Sommer zu heiß wird oder wenn Pflegemaßnahmen nötig sind, werden die Tiere in die Ställe geholt.

Ein Araberpferd wiegt im Schnitt 450 Kilogramm. Es bekommt außer Heu, Korn und Frischfutter auch spezielle Zusätze wie Eier, Sonnenblumenöl und Zucker.

Ab dem Alter von zwei Jahren nehmen die Araberpferde an Rennen in den Städten Pjatigorsk, Krasnodar, Kasan und Moskau teil. Von den Leistungen auf der Rennbahn hängt ab, ob ein Pferd weiter zur Zucht verwendet wird, erzählt Birjukowa.

Ein Pferd wird bis zu 25 Jahre alt. Nach dem Ausscheiden aus dem Sport-Betrieb seien die Hengste noch bis zu ihrem Tod zeugungsfähig, erklärte Olga Birjukowa.

Zweiter Weltkrieg — Evakuierung der Pferde nach Kasachstan

Als im August 1942 die ersten deutschen Bomben im Bahnhof von Mineralnyje Wody einschlugen, wurden die besten Pferde mit dem Zug in den westlichen Teil von Kasachstan evakuiert. Der Restbestand des Zuchtbetriebes kam als Herde hinterher. Nachdem sich die deutsche Wehrmacht 1943 aus dem russischen Nordkaukasus zurückgezogen hatte, wurden die Pferde aus Kasachstan zurück in das Gestüt Tersk gebracht.

Der Zuchtbetrieb Tersk hatte in der Sowjetunion großes Ansehen. Das zeigte sich im Juni 1945, als der sowjetische Marschall Georgi Schukow auf einem weißen Tersk-Hengst mit dem Namen „Kumir“ die Siegesparade auf dem Roten Platz abnahm.

Der Hengst „Assuan“ — ein Geschenk aus Ägypten

Nachdem das Gestüt Tersk im russischen Bürgerkrieg von 1917 bis 1921 seinen gesamten Bestand verloren hatte, kaufte man in den 1930er Jahren in Frankreich und England neue Araberpferde. 1939 holte man Araberpferde auch aus dem besetzten Polen.

Araberpferde kamen auch als Geschenk in das Gestüt Tersk. 1963, anlässlich der Eröffnung des Assuan-Staudamms, schenkte der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser dem KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow den Hengst Raafat. Dieser erhielt den Spitznamen Assuan und hatte eine herausragende Rolle im Gestüt Tersk. Ägypten hatte den Hengst geschenkt, weil die Sowjetunion den Bau des Assuan-Staudamms finanziert hatte.

1967 erregten russische Araberpferde erstmals Aufmerksamkeit auf einer Ausstellung in London. Seitdem bekamen Pferde aus dem Gestüt Tersk auf Wettbewerben Preise in Deutschland, den USA, Schweden, Italien und anderen Ländern.

Ein Hengst für zweieinhalb Millionen Dollar in die USA verkauft

1970 fand im Gestüt Tersk die erste Auktion mit internationalem Publikum statt. Der Durchschnittspreis für ein Pferd lag damals bei 60.000 bis 100.000 US-Dollar. „Für die Sowjetunion war das gutes Geld“, erzählte Direktor Samoilenko.

1974 wirkte sich Verhärtung in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen auch negativ auf den Pferdeverkauf aus. Grund der Verhärtung war die vom US-Verteidigungsminister James Schlesinger entwickelte Doktrin eines „Enthauptungsschlages“ gegen die Sowjetunion.

Doch ab 1978 entspannte sich die Lage und Araberpferde aus der Sowjetunion konnten in den USA erstmals offiziell registriert werden. Anfang der 1980er Jahre hatte das Gestüt seine größten Kauferfolge. 1981 kaufte der US-amerikanische Milliardär Armand Hammer, der mit Lenin und Breschnjew persönlich bekannt war, im Gestüt Tersk für eine Million Dollar den Hengst Pesnarja. Und 1983 wurde auf einer Auktion des Zuchtbetriebes der Hengst Menes für zweieinhalb Millionen Dollar in die USA verkauft. Die Pferde aus den Tiefen der Sowjetunion waren damals eine exotische Bereicherung für den westlichen Pferdesport.

Mit seiner ausführlichen Erzählung von den Verkaufserfolgen in den 1970er und 1980er Jahren versuchte der Direktor uns Journalisten offenbar klarzumachen, dass es auch früher schon Verhärtungen mit dem Westen gab, die aber immer wieder durch Phasen der Annäherung unterbrochen wurden. Diese Phasen öffneten das Tor für den Handel mit Pferden, die Teilnahme russischer Sportler an internationalen Wettkämpfen und für die Verleihung von Auszeichnungen für russische Zuchtpferde auf Wettbewerben in westlichen Ländern.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

VG-Wort Zählpixel

Weiterlesen

Von wegen 1933!
Aktueller Artikel

Von wegen 1933!

Angeblich ist die AfD eine NSDAP 2.0, doch kaum ein Vergleich, der bei diesem Thema gezogen wird, ist stimmig. Eher drängt sich der Eindruck auf, die Kämpfer „gegen rechts“ stilisierten sich selbst zu Widerstandshelden.

Kopflos in Europa
Aus dem Archiv

Kopflos in Europa

Emmanuel Macrons Absicht, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, folgt der Logik der bisherigen westlichen Kriegspolitik — aber längst nicht alle wollen mitziehen.