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Flaggen im Wind

Flaggen im Wind

Das Berliner Start-up „Support The Current Thing“ produziert die passenden Fahnen für Wohlfühl-Aktivisten.

Der Geruch frisch gedruckter Fahnen liegt in der Luft der kleinen Lagerhalle in Berlin-Kreuzberg. Die beiden Unternehmensgründer Malte und Dorothea-Sophie führen uns durch die Räumlichkeiten ihres neuen Start-ups. Die beiden tragen dabei jeweils zwei FFP2-Masken: Eine gegen Viren und eine gegen den chemischen Feinstaub der Farbdruckmaschine, welche die ehemals weißen Flaggen, bedruckt mit den jeweils politisch angesagten Farbmustern, ausspeit.

Was die beiden jungen Gründer dazu bewogen hat, das Unternehmen zu gründen, wollen wir wissen. „In letzter Zeit kamen viele Menschen kaum hinterher, sich darüber zu informieren, welche Positionierung erforderlich ist, um zu den Guten und nicht zu den Bösen zu gehören“, antwortet uns Dorothea-Sophie.

„Im Frühjahr 2022 gingen die Ukraine-Flaggen weg wie warme Brötchen. Im Pride Month mussten diese temporär den Regenbogen-Flaggen weichen. Und kaum waren die Ukraine-Flaggen wieder en vogue, musste man Ende August das Gelb-Blau durch den Union-Jack zum Gedenken an die Queen ersetzen. Wer soll denn in diesen turbulenten Zeiten noch den Überblick bewahren und sich immer rechtzeitig die richtigen Flaggen kaufen? Hier kommen wir ins Spiel. Unsere politisch korrekt gesinnten Kunden zahlen bei uns jährlich einen Pauschalbetrag und werden stets rechtzeitig mit den jeweils politisch angesagten Flaggen versorgt.“

Wir fragen weiter, woher die beiden Gründer denn wüssten, welche Flagge zu welchem Zeitpunkt angemessen sei. Malte meldet sich zu Wort.

„Wir geben uns große Mühe, immer auf dem Laufenden zu bleiben, indem wir unterschiedlichsten Institutionen, Influencern, Funk-Formaten und Faktencheckern auf Twitter folgen. Wir strecken unsere Fühler überall aus und versuchen zu erahnen, was derzeit korrekt sein könnte. Natürlich sind wir nicht unfehlbar und liegen auch mal falsch. Es bedarf sehr viel Fingerspitzengefühl, um zu erkennen, auf welcher Frequenz die politisch korrekte Musik spielt. So gibt es Angriffskriege und es gibt Angriffskriege. Auf die einen reagieren wir mit Solidarität, auf andere mit Schweigen und Ignoranz. Auf den Druckkosten für Armenien-Flaggen sind wir beispielsweise sitzengeblieben. Wir waren schon dabei, diese Flaggen an unsere Kunden zu schicken, als wir gemerkt haben, dass es keinen Hashtag #StayWithArmenia gab. Ukraine-Flaggen bekommen wir indes selbst nach über einem halben Jahr immer noch gut los.“

Wir betreten die Versandabteilung. Dort werden die fertig gedruckten Flaggen von einer Maschine gefaltet und zusammen mit einer Karte in Briefkuverts verpackt.

„Mit jeder Sendung liefern wir unseren Kunden noch eine kleine Weltkarte mit, auf der das jeweilige Land farblich markiert ist, mit welchem man sich nun solidarisieren sollte“, erklärt uns Malte. „Kann ja schließlich nicht schaden — gerade bei Rechtfertigungen, äh, Diskussionen —, wenn man weiß, wo auf der Welt das jeweilige Land überhaupt liegt, von welchem man zuvor vielleicht noch nie gehört hat, aber mit dem man sich nun solidarisiert.“

Stolz zeigen uns die Firmengründer am Schluss unseres Besuches die Abteilung mit den Mustervorlagen. Für jede der 195 Nationen der Welt gibt es je eine Mustervorlage — sogar für Deutschland. Unter welchen Umständen es dazu kommen könnte, dass man sich in Deutschland im Zeichen der politischen Korrektheit mit Deutschland solidarisieren müsste, wollen wir von den beiden wissen.

„Ach, in diesem Fall geht es gar nicht um Solidarität“ antwortet Dorothea-Sophie, während sie sich mit dem Zeigefinger den Kragen ihres „No Border No Nation“-Pullovers breiter zieht, als würde dieser ihr die Luft abschneiden. „In einem Monat geht die Fußball-WM los, in diesem Ausnahmezustand ist es dann auch mal gestattet, seinen Fenstersims mit Schwarz-Rot-Gold zu zieren. In diesem Zusammenhang hoffen wir, dass wir die ganzen Iran-Flaggen noch losbekommen, ehe die Spiele in Katar beginnen.“

Die gleiche Frage stellen wir in Bezug auf die Russland-Flagge. „Die Russland-Flagge haben wir aus dem gleichen Grund auf Lager, aus dem wir auch unbedruckte, weiße Flaggen vorrätig haben“, führt Malte aus. „Für den Fall der Fälle, dass Deutschland sich in den nächsten Jahren auf der Weltbühne immer unbeliebter macht und man uns irgendwann an den Kragen möchte, wollen wir rechtzeitig diese russischen und weißen Flaggen ausliefern — um kapitulieren zu können.“

Auf die Frage, wie das mit Haltung und Standfestigkeit vereinbar sei, gaben uns die beiden sichtlich in Verlegenheit gebrachten Jungunternehmer keine Antwort. Vielleicht produziert dieses Unternehmen ja doch eher Fähnchen für den — respektive im — Wind.


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