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Frauen in Weiß

Frauen in Weiß

Um trotz der furchtbaren Nachrichten aus Gaza wieder Mut zu fassen, müssen wir unser Herz öffnen — auch, wenn es weh tut.

Ich folgte diese Woche einer Einladung der „Frauen in Weiß“ nach Berlin. Frauen in Weiß — Women in White — ist eine gemeinsame Initiative einer Palästinenserin und einer Israelin. Beide hatten unabhängig voneinander die Vision einer großen Gruppe weiß gekleideter Frauen, die im Kriegsgebiet auftauchen und für das Ende der Gewalt eintreten. Sie handeln mit der Kraft der Gewaltfreiheit und rufen alle zur Menschlichkeit auf.

Die palästinensische, in Portugal lebende Aktivistin A’ida Shibli berichtet, wie sie die Vision erstmals hatte:

„Als der Krieg losging, war meine Tochter gerade zu Besuch bei meinen Eltern. Ich hörte, wie nahe sie den Bomben war, und war wahnsinnig vor Angst. Meine ganze Empörung gegen den Krieg verdichtete sich auf die Angst, meine Tochter zu verlieren. Obwohl ich nicht traditionell islamisch bin, ging ich in eine Moschee, um zu beten. Einige Mädchen im Alter meiner Tochter fragten mich, warum ich so weinte. Ich erzählte es ihnen, sie trösteten mich, ihre Mutter nahm mich in den Arm und sagte: ‚Bete und liebe! Beende die Besetzung in dir.‘

Und das tat ich. Ganz langsam entstand dieses Bild in meinem Geist: Viele weiß gekleidete, unbewaffnete Menschen gehen auf die Front zu. Vor ihrer Autorität weichen die Truppen zurück, sie sind nicht in der Lage, auf sie zu schießen. Kurz darauf lernte ich Miki Kashtan kennen, eine Lehrerin für gewaltfreie Kommunikation aus Israel. Als ich ihr von meiner Vision erzählte, stoppte sie mich verblüfft und sagte: Sprich nicht weiter, ich habe das auch gesehen.“

Die Vision der beiden Frauen war verblüffend ähnlich, unterschied sich aber in einigen Punkten. Während A’ida an eine Gruppe von einigen Dutzend Frauen dachte, war Miki sicher, dass es 100.000 sein müssten.

„Es braucht eine Wucht, es braucht Macht, um diese Gewalt zu stoppen.“

Wie mobilisiert man so viele Frauen? Beide haben angefangen, ihre Kreise zu informieren. Es beginnen einige vorbereitende Treffen und Aktionen — eine davon diese Woche in Berlin: eine Friedensmeditation im Holocaust Memorial. Dazu war eine dritte Visionsträgerin hinzugekommen, Sabine Lichtenfels.

Als Deutsche hatte sie das starke Gefühl, dass eine Wurzel der unglaublichen Gewalt im Nahen Osten in der Judenvernichtung in Nazi-Deutschland liegt.

Was Frieden im Nahen Osten angeht, bin ich seit der Eskalation des vergangenen Jahres eher mutlos. An wie vielen Friedensaktionen war ich schon beteiligt! Ich war mehrmals in Israel und Palästina gewesen, habe mit Friedensgruppen beider Seiten Kontakt gehabt, vieles sehr Mutmachendes erlebt — aber jetzt habe ich das Gefühl, nichts hat genutzt. Was könnten wir noch tun? Es sieht nicht so aus, als gäbe es in einer der Regierungen einen halbwegs besonnenen Menschen, an den man einen Appell richten könnte. Und eine Gruppe von einigen Dutzend Frauen, die zusammen meditieren — was soll das ausrichten!

Das Vorbereitungsgespräch am Vorabend war für mich sehr inspirierend. A’ida erläuterte, mit welcher Haltung sie gewaltfreien Widerstand leistet.

„Nie gegen den Menschen vorgehen, aber immer gegen die Gewalt. Wenn ich jemandem mit der einen Hand ein Stopp signalisiere, dann halte ich ihn gleichzeitig mit der anderen in Liebe, sodass meine Kritik ihn nicht vernichtet, sondern er sie nehmen kann.“

Eine Frau sagte:

„Ich denke seit Monaten, ich müsste etwas tun, weiß aber nicht, was. Etwas zu tun, obwohl man nicht weiß, ob es Sinn hat, das hat auf alle Fälle mehr Kraft, als nichts zu tun.“

Auch einige Männer waren als Unterstützer dabei, einer von ihnen ein Israeli. Er sagte, er habe bei einer Auseinandersetzung im Konflikt einmal eine Gruppe weiß gekleideter Frauen herankommen sehen — und das habe einen sehr tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen.

„Als wenn es eine Essenz des Weiblichen wäre, die uns sagt: Stopp, keine Gewalt. Ich musste an meine Mutter, meine Schwester und viele andere Frauen in meinem Leben denken.“

Ich schämte mich ein wenig meiner negativen Gedanken — und wusste auf einmal: Auch diese sind das Ergebnis einer gezielten Desinformation und Manipulation.

Als Journalistin muss ich so viele Nachrichten aufnehmen, und die meisten haben den gleichen Tenor: Es wird immer schlimmer. Frieden ist unmöglich. Wie wäre es, wenn ich das nicht einfach so hinnehme?

Ich beschloss, die Friedensmeditation dazu zu nutzen, meinen Pessimismus in Frage zu stellen. Mich wieder weich zu machen, wo ich vor Resignation hart oder sogar zynisch werden könnte.

Am nächsten Tag trafen wir uns im Tiergarten, bildeten eine lange Kette aus rund 60 Frauen und einigen Männern und gingen — ohne alles — in Richtung Memorial, angeführt von Sabine Lichtenfels, die durch ihre Friedens-Pilgerschaften sehr viel Erfahrung mit solchen Aktionen besitzt.

Das war unsere Ausrichtung:

  • Unser Gebet heißt „Krieg beenden — Frieden leben.“
  • Wir versuchen, das Bild in uns und anderen zu stärken, dass sofortige Waffenruhe möglich ist.
  • Wir wechseln die Ordnungsebene und konzentrieren uns auf die Lösung.
  • Befreiung beider Seiten. Das kollektive Trauma transformieren.
  • Wir stehen für absolute Gewaltfreiheit und begehen die Meditation in Stille.
  • Keine Toleranz gegenüber jeder Form von Gewalt.

Wir gingen in einer langen Kette schweigend und ruhig in das Memorial hinein. Viele neugierige Blicke folgten uns, manche spöttisch, die meisten freundlich, und einige Menschen schlossen sich uns spontan an.

Das trat aber alles hinter dem großen Empfinden zurück: Je tiefer wir die Gedenkstätte betraten, desto präsenter wurde in mir und — wie ich später erfuhr — auch den anderen der Terror und Massenmord an den Juden in Europa und speziell in Deutschland. Ich wusste, ich habe jetzt im Moment keine andere Aufgabe, als diesen Schmerz und Schrecken einmal ganz an mich heranzulassen. Als Nachfahrin der Täter einmal mit voller Aufmerksamkeit da zu sein für all die aus dem Leben gerissenen Seelen. Wie muss das gewesen sein, so verfolgt zu werden — und niemand kommt einem zu Hilfe! So ist es heute für die Menschen in Gaza — so ein Leid, und niemand kommt zu Hilfe.

Ungeheilt, unbeweint, ungeteilt führt ein solcher Schmerz zum verschlossenen Herzen, das nur noch eins will: Solchen Schmerz und solche Hilflosigkeit nie mehr zu fühlen.

Ein verschlossenes Herz hat keine Orientierung, es fühlt nicht und weiß deshalb nicht mehr, was richtig und falsch ist. Es entscheidet sich für Härte, Anpassung an scheinbar machtvolle Strukturen — für Gewalt. Ein ewiger Kreislauf. Können wir ihn durchbrechen?

Mitgefühl ist eine Antwort. Das kollektive Trauma hat zu mächtigen Strukturen geführt, zum Beispiel in der israelischen Regierung, die wir kaum noch aufweichen können. Doch nicht nachlassendes Mitgefühl auch für die heutigen Täter bahnt — zusammen mit einem äußeren klaren Stopp, „Keine Toleranz für Gewalt!“ — die Möglichkeit zur Umkehr, zur Neuorientierung.

Soweit mein Erleben. Ich bin froh, dass ich dabei war — und möchte Ihnen das schöne Gedicht mitgeben, das eine der Initiatorinnen der Berliner Aktion, Judith Hafner, schrieb:

100.000 Frauen in Weiß

100.000 Frauen,
und in Wahrheit sind es mehr,
ringen lodernd um Vertrauen
vor dem Töten, vor dem Grauen,
vor der Kriege Tränenmeer.

Jede dieser Frauen weiß:
Viel zu hoch ist dieser Preis!
Sie bezeugen es entschieden:
Nie führt Krieg zu Frieden.

Und weil sie das Leben lieben,
kleiden sie sich stumm in Weiß.

Dieser stille Mut hat Kraft.
Reiche ihm die Hand.
Eine große Schwesternschaft
spannt sich jetzt von Land zu Land.


Fotos: Klaus Dombrowsky



Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Frauen in Weiss — für Waffenstillstand in Gaza“ beim Zeitpunkt.


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