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Freude am Leben

Freude am Leben

Im Rubikon-Exklusivinterview gibt die Vorsitzende des Vereins „Gesellschaft in Balance“, Eva-Maria Gent, Anregungen, wie wir autoritäre Strukturen überwinden können.

Okay, ich fühle mich oft ratlos und ohnmächtig. Aber ich suche weiter nach etwas, das mir zumindest zeitweise immer wieder Lebendigkeit durch die Adern pumpt. Ich lese Artikel und Bücher, ich spreche mit Menschen, ich reise und entdecke andere Lebensformen. Okay, meine anfängliche Begeisterung für neue Projekte und Vorhaben weicht oft der Ernüchterung und am Ende sitze ich wieder genauso ratlos und ohnmächtig auf meinem Sofa wie schon so oft zuvor.

Auch heute. Draußen gießt es. Seit drei Wochen. Nach einem Monat in einem Hippie-Surfcamp auf Teneriffa, war ich selig: Gemeinschaft, Lagerfeuer, Bewegung im wilden Ozean, barfuß unter dem Sternenhimmel im Vulkanstaub tanzen, tiefgründige Gespräche und blöde Witze. Ich entschied: So möchte ich leben. Nicht nur zwei Wochen, sondern langfristig. Aber dann kehrte ich nach Mallorca zurück und mein Elan wurde vom Regen weggespült.

Also sitze ich wieder hier vor einem Bildschirm und suche Inspiration. Vom Computer aus strahlt mir Eva-Maria Gent entgegen. Sie ist Heilpraktikerin für klassische Homöopathie, Mitautorin und Mitherausgeberin der „CHARTA für ein Europa der Menschen und Regionen“ sowie Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins „Gesellschaft in Balance“, der Gleichwertigkeit, Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Frauen und Männern fördert.

Außerdem ist sie Visionsbeauftragte für die Partei „dieBasis“ und im Vorstand einer kleinen Baugenossenschaft aktiv, die derzeit den Bau eines Gemeinschaftshauses in Kassel plant und umsetzt. Ich werde hellhörig: Diese Frau lebt bereits in Gemeinschaft. Sie denkt nicht nur darüber nach, wie sie sich das Zusammenleben mit anderen Menschen und einen Ausstieg aus den unterdrückenden und ausbeuterischen Strukturen unseres Systems vorstellt, sondern tut es bereits.

Im Rubikon-Gespräch mit Friederike de Bruin erzählt sie, wie sich jeder von uns gerade jetzt, wo die Situation kaum aussichtsloser scheinen könnte, in Bewegung setzen kann. Raus aus der Passivität des Konsums hinein ins Handeln.

Eva-Maria Gent zeigt: Es ist möglich. Grundvoraussetzung ist der Wille. Also lautet die nächste Frage: Will ich anders leben? Und wenn ja, welche Zukunftsvorstellung bewegt mich dazu, den unbequemen Weg aus meinem gewohnten Alltag hinaus in Angriff zu nehmen? Dabei ist die wichtigste Frage: Was macht mir Freude?

Gestern im Zug hatte ich wieder einen Tagtraum von einem Leben in so einer Gemeinschaft mit gleichgesinnten Menschen, wie ich sie auf Teneriffa traf. Während Regentropfen an den Zugfenstern entlangglitten, spielte ich Bilder in meinem Kopf ab. Mein Bauch füllte sich mit Wärme, während ich mich im Gemüsegarten Unkraut zupfen und später mit den Leuten aus dem Camp zusammen draußen beim Abendessen sah. Die Ankunft im unterirdischen Bahnhof in Palma riss mich aus meinen Tagträumen zurück in die Zivilisation aus maskentragenden Massen, die auf ihr Smartphone starren, während sie wie eine Schafherde in Richtung Ausgang strömen. So auch ich.

Mein Herz machte einen Satz, als ich auf mein Handy sah. Eine Sprachnachricht von Antonio. Wir hatten uns in Teneriffa angefreundet. Ich lief durch Pfützen und Verkehr und hörte die Nachricht. Er sprach von dem Projekt eines Freundes, der ein Gelände in Südspanien kaufte und dort ein neues Camp mit Permakultur und einer bewussten Gemeinschaft starten möchte. Ähnlich wie im Surfcamp, wo wir uns kennenlernten, mit Menschen, die es mit dem Wandel ernst meinen.

Antonio erzählte, dass er inzwischen in seiner Heimatstadt kleinen Kindern Surf- und Skatekurse gibt und feststellt, wie sehr die ganze Corona-Situation die Kleinen mitnimmt. Es dürfe nicht sein, dass die Schattenmächte über unsere schöpferischen Fähigkeiten gewinnen. Dass wir etwas tun müssen. Wenn ich also Lust hätte, mich irgendwie einzubringen, sei ich herzlich willkommen.

Und ob ich Lust habe. Doch auch Zweifel und Ängste: Bei einem Gemeinschaftsprojekt fürchte ich die menschliche Fehlerhaftigkeit. Unsere blinden Flecken, die so viele schöne Projekte immer wieder zerstören, weil wir miteinander nicht zurechtkommen, nicht wissen, wie Konflikte entstehen und gelöst werden.

Genau dafür liebe ich Menschen wie Eva-Maria Gent, die vormachen, dass es geht. Die einfach anfangen und handeln. Und die uns im Gespräch mit Rubikon erzählt, dass sie bereits seit neun Jahren in Gemeinschaft lebt. Nun können Zweifler einwenden, dass so ein paar vereinzelte Gemeinschaften noch nicht die Gesellschaft ändern. Dass unser kleines Privatleben ja nichts an dem allmächtigen System um uns herum ändern kann. Auf der Seite des „Vereins für eine Gesellschaft in Balance“ von Eva-Maria Gent steht:

„Die Entwicklung von zukunftsfähigen und friedlichen Gesellschaftsformen wird weder im politischen Raum allein, noch allein in der Sphäre der Selbsterfahrung oder der Gemeinschaftsbildung gelingen. Es braucht das Zusammenwirken aller drei Sphären.

Als wesentliche Grundlage einer nachhaltigen Überwindung der Herrschaft von Menschen über Menschen sehen wir die echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern an. Statt Frauen auf den Aufstieg im Patriarchat zu orientieren, streben wir den gemeinsamen Ausstieg von Frauen und Männern aus dem Patriarchat an“ (1).

Es ist offensichtlich: Die Herrschenden werden nicht von sich aus auf einmal einen anderen Weg einschlagen, der im Sinne der ausgebeuteten Mehrheit ist. Die Neugestaltung der Welt kann nur von uns selbst ausgehen.

Von unten. Die Bildung überschaubarer Gemeinschaften von Gleichgesinnten ist ein realistischer Schritt, um parallel zum patriarchalen System der Ausbeutung neue Strukturen für eine Gesellschaft, die sich am Gemeinwohl orientiert, aufzubauen.

Doch lassen Sie uns daraus keine neue Pflichtübung machen. Wenn Sie sich nun zwingen und am Ende in einer Gemeinschaft unglücklich sind oder auf einem matschigen Feld stehen und die Schnauze voll haben, bringt das niemanden weiter. Ihr Leitstern kann die eigene Freude sein. Eva-Maria Gent strahlt sie aus. Unsere Gesellschaft und Welt können nur friedlicher werden, wenn jeder gleichzeitig in seinem Inneren friedlich wird und sich selbst kennt.

„Das ist, als ob du in einem dunklen Haus bist und über Möbel und andere Dinge stolperst. Man sagt dir, dass es nicht hell werden kann, wenn du nicht aufhörst zu stolpern. Ich sage: Bring Licht herein und das Stolpern hört auf, denn warum solltest du noch über etwas stolpern, wenn es hell ist?“ (2).

Sehen Sie sich zur Inspiration das Video mit Friederike de Bruin und Eva-Maria Gent an, lassen Sie sich von der Ausstrahlung der beiden Frauen anstecken und halten Sie anschließend inne. Fragen Sie sich, was Ihnen wirklich Freude macht. Beachten Sie dabei auch die kleinsten Dinge. Und dann handeln Sie danach, in kleinen Schritten. So ändert sich die Welt nach und nach in eine andere Richtung.

Unterschätzen Sie Ihre eigene Macht nicht, denn genau diesen Irrtum von der Machtlosigkeit des einzelnen nutzen die Herrschenden. Und vor nichts fürchten Sie sich vielleicht mehr, als davor, dass immer mehr Menschen ihre eigene Macht erkennen.


Friederike de Bruin im Gespräch mit Eva-Maria Gent


Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.gesellschaft-in-balance.de/
(2) Osho, „Autobiografie“, Ullstein Taschenbuch, 4. Auflage 2018, S. 180


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