Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Gebrannte Kinder im Feuer

Gebrannte Kinder im Feuer

Wenn wir die Lehren aus dem deutschen Faschismus vergessen, stellt sich die Frage: Müssen wir erst nochmals scheitern, um uns zu erinnern?

Am 14. August 2019 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) auf YouTube ein Video unter dem beeindruckend kritischen Titel „Applaus für die Kanzlerin: Merkel erklärt AfD-Politiker, was Demokratie bedeutet“. Ich bin zufällig über den Beitrag gestolpert, und umso amüsanter und beeindruckender fand ich ihn als Grundlage für diesen Artikel. In einem Streitgespräch mit einem AfD-Politiker in Stralsund hört man die Kanzlerin schließlich sagen:

„Aber Gott sei Dank beruht unsere Demokratie auf der Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Auch ich bin nicht über jedes Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofes glücklich. Aber es gehört zu den eisernen Regeln, dass die Politik nicht anfängt, die Gerichte zu korrigieren. Oder den Gerichten zu sagen, ob sie richtig oder falsch gehandelt haben. Das ist dann genau das Ende der Demokratie. Demokratie beruht auf der Unabhängigkeit von Institutionen.“

Ich erspare mir hier Ausführungen über die Tatsache, dass es nach dieser Definition von Demokratie die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nie gab — man achte nur auf die Paragrafen 146 und 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes, die eine Unabhängigkeit der Rechtsprechung zumindest in Strafprozessen de facto ausschließen. Von den etwas wunderlichen Bezahlungs- und Beförderungsstrukturen im deutschen Richterwesen ganz zu schweigen und sowieso ganz zu schweigen davon, wie peinlich sich die FAZ hier schon mit ihrer Titelformulierung anbiedert.

Nein, es geht mir um die „Unabhängigkeit von Institutionen“, die Merkel ganz zu Recht als wesentliche Grundlage der Demokratie beschrieben hat. Jene, die uns vom Ende der Demokratie trennt, nein, trennte. Es war Merkels Kabinett, das die Demokratie nach Definition der Kanzlerin am 21. April 2021 im Bundestag selbstsicher aushebeln ließ und die Unabhängigkeit von Institutionen auf Länderebene beendete. Ihr Kabinett war es, das diesen letztlich erschreckend kleinen Schritt mit einer einfachen Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes ging. Alexander Gauland, den ich für politisch verloren, aber rhetorisch brillant halte, drückte es an diesem Tag mehr als treffend aus:

„Ich bilde mir nicht ein, die Mehrheit für dieses Gesetz in diesem Hause mit einer Rede noch zu verändern, und wenn ich da bis jetzt Zweifel gehabt habe, hat die Rede von Herrn Brinkhaus mir deutlich gemacht, dass die Regierenden nicht bereit sind, irgendetwas einzusehen.“

Und nur Stunden später kam sie, die Mehrheit für die Abschaffung des Föderalismus. Keinen ganzen Tag danach redeten einige Ministerpräsidenten in einer seltenen Darbietung von ironischer Tragikomik von einem „Tiefpunkt in der föderalen Kultur“ und „schweren Konstruktionsfehlern“, bevor sie sehenden Auges den neuen Paragrafen geschehen ließen. Und genau darum ging es gerade: diese kafkaeske Gemächlichkeit, mit der ein Stein nach dem anderen umkippte.

Seit diesem Tag wohnen wir alle in einer Leiche. Es ist, als wäre ein geliebter Mensch gestorben. Nur fühle ich mich mit dieser Gewissheit überall alleine, wo ich anderen Bundesbürgern begegne, beim Einkaufen, in der Schule, am Bahnsteig.

Das Verhältnis zu meinem Land kommt mir nun seit einigen Tagen vor wie der Anblick des geliebten Großvaters, der nach einem langen, anstrengenden Leben in seinem Sessel verstirbt, während man bei ihm zu Besuch ist, nur um Minuten später von einer hektischen Pflegerin angesprochen und gefragt zu werden, ob sie ihm noch etwas Kaffee nachschenken soll. Man weiß mit fataler Sicherheit, dass die Phase der Trauer kommen wird und dass sie verdammt weh tun wird und eben auch, dass man sich damit wohl noch wird gedulden müssen, bis die Welt um einen herum so weit ist, es auch zu bemerken.

Warum bemerkt es nur so ein kleiner Teil der Anwesenden „rechtzeitig“? Wie wird sich das Wehklagen gestalten?

Von unfreier Erinnerung und falschen Lehren

Gerade wir Deutschen hätten doch, nach zwei Weltkriegen, nach zwei Diktaturen und ihren unzähligen Toten, endlich lernen müssen. Endlich verstehen, was der bittere Beigeschmack von „entschlossenem Handeln“ sein kann, so warm die Ästhetik von Gleichförmigkeit und schützender Masse auch immer war. Wir haben es nicht verstanden, ganz offensichtlich.
Zunächst einmal deshalb nicht, weil wir es uns — und mit diesem „wir“ verallgemeinere ich bewusst, weil die Ausnahmen, die davon abwichen, eben doch nicht gereicht haben — verboten haben, unser Handeln mit diesen Vergangenheiten zu vergleichen. NS-Vergleiche wären als Maßstab dringend notwendig, aber haben es stattdessen gerade so geschafft, sich zum Herabwürdigungsinstrument von Mehrheiten gegenüber Minderheiten zu mausern.

So grotesk, dass mittlerweile jeder Hitler ist: Putin, Trump oder Erdogan, jeder einzelne Teilnehmer einer Querdenken-Demo ohnehin; aber selbstverständlich stellt es eine „Verhöhnung der Opfer von Diktaturen“ dar, ein Gesetz „Ermächtigungsgesetz“ zu nennen, das wortwörtlich eine Verordnungsermächtigung für die Regierung formuliert und diese Begrifflichkeit sogar im Titel trägt. Die Linke schaffte es gerade noch klarzustellen, dass sie in dem Gesetz eine Benachteiligung von Unternehmerinnen und Unternehmern in der Verteilung von Rechtsbeschneidungen rieche und daher nicht würde zustimmen können. Das war es, das entschiedene Eintreten für die Demokratie, das von jedem Staatsbürger erwartet wird.

Um dazu eines klarzustellen: Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung. Und die wohlbewusste, implizite Botschaft hinter dem Wort „Ermächtigungsgesetz“ ist dabei eben nicht die ja faktisch falsche Behauptung, es wäre schon alles so wie damals, 1933.

Es ist die unmöglich zu entkräftende, mahnende Prognose, es werde wieder einiges in die Hose gehen, wenn man immer weiter selbstsicher Schritte geht, von denen uns die Weltgeschichte abrät. Zu behaupten, dass solcherlei erst besonnenes, irgendwann dann panisches Brüllen um Achtsamkeit eine „Verhöhnung der Opfer von Diktaturen“ sei, zeigt nur, dass man die Geschichte hinter diesen Opfern nie wirklich begriffen und den eigentlich relevanten Part nicht verstanden hat: die Täter.

Dies ist das Zeugnis, das wir für unsere scheinbar vollkommen nutzlose „Erinnerungskultur“ am Ende bekommen. Dafür, dass wir nur gelernt haben, um Opfer zu trauern und die Verantwortlichen als Bildnis und Relikt zu verfluchen, aber nicht, sie als Menschen wie uns zu erkennen. Dafür, dass wir unsere Lehren an festen Symbolen und Begriffen festmachen wollen, wie den „Rechten“ oder „Patrioten“, die wir hastig ablehnen und herabwürdigen, um unseren Auftrag zu erfüllen, ohne zu erkennen, dass es keinen Menschen gibt, der gegen dieses optisch völlig unsichtbare Gift gefeit ist – gegen den Faschismus.

Verkürzte Rassismuskritik

Ich war in der Mittelstufe in Auschwitz und in der Oberstufe in Buchenwald. Beide Reisen fanden jeweils mit dem nahezu vollzähligen Jahrgang statt, es waren also schon in meinem Umfeld sehr viele junge Menschen, denen sich diese ernüchternden Bilder einbrannten. Der berüchtigte Berg von Schuhen, die dort einfach nur lagern und in ihrer kalten Abbildung des bürokratisierten Tötens selbst Tränen stocken lassen.

Aber auch die kleinen, bunten Blumen, die dort im Sommer wachsen um die Seen, in die man die Asche verbrannter Kinder gekippt hatte. Sie sind das Bild, das ich immer am eindrucksvollsten fand, weil es zeigt, dass selbst das lupenreinste Symbol des Schreckens mit der Zeit einfach anders aussieht — und trotzdem seine Ausstrahlung nicht verliert.

Es zeigt, dass man Teile von Geschichte selbst in bester Absicht nicht löschen kann, ohne alle nachfolgenden Elemente um ihr Fundament zu bringen. Dass man genau diesen Schritt nicht gehen sollte, weil unsere Vergangenheit eben chronologisch auf sich selbst aufbaut.

Nun gehen wir diese Geschichte leider sehr selektiv an, ohne uns dieser Sache im Einzelnen so genau bewusst zu sein. Man kennt den dramatischen Weg hin zu Anne Franks grausamen Ende. Die Charakterisierung des Mannes, der in seiner feldgrauen Wolljacke eines für ihn ganz normalen Arbeitstages das Leben der Jüdin beendete, fehlt. Man weiß nicht, ob er verheiratet war, ob er in einer kleinen Wohnung lebte oder ein Haus besaß, trank und rauchte, von seinen Eltern geliebt oder von seinem Vater verprügelt worden war. Dennoch stellt einen der Unterricht an deutschen Schulen irgendwann vor die Aussage „Das darf nie wieder passieren!“. Ich hoffe, dass ich in dem Moment, in dem ich das zum ersten Mal hörte, nicht allein war mit der Frage: Wie soll das gehen? Wie soll ich wissen, auf was ich achten muss?

Da gibt sich die Schule noch Mühe, zu liefern. Und liefert Quatsch, liefert genau jene schon genannten Symbole. Das Hakenkreuz, Symbol des Schreckens, das man selbst im eindeutigen Kontext nie zeichnen darf, so schrecklich ist es, obwohl das deutsche Recht seine Verwendung in der Kunst eben zum Zweck einer Auseinandersetzung damit ausdrücklich erlaubt. Man wird über die Symbolik seines eigenen Landes derart dünnsinnig belehrt, dass ich jahrelang wehende schwarz-rot-goldene Flaggen ausschließlich mit Fußballfans assoziierte, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass damit irgendetwas anderes ausgedrückt werden könnte.

Wirklich wichtiges Wissen, das einem beim Verstehen hilft, bekommt man nicht in der Schule. Um es dann doch etwas greifbarer zu machen, lieferte die AfD in der Migrationskrise einen dankbaren Aufhänger, das steife Bild von „den Rechten“ wieder mit Hitler und einer Handlungsanweisung zu verbinden: Unsere Gesellschaft hat es so weit gebracht, unsere Regierung meint es so gut, wir dürfen so viel — also, liebe Schüler, wehret diesen Anfängen!

Natürlich war ich angehalten, mit meinen Großeltern über die Zeit damals zu sprechen. Aber vor allem sollte ich sie fragen, ob sie damals als Kind nicht auch schon gewusst hätten, was für Verbrechen im Lande vorgingen, und warum sie nichts getan hatten. Ich wusste, dass ich meine Vorfahren in Verteidigungshaltung bringen sollte, und habe deswegen, weil mir das peinlich, undankbar und unangenehm erschien, viel zu lange mit ihnen überhaupt nicht darüber geredet. Als ich irgendwann alt genug war, hörte ich ganz andere Geschichten. Vom Tag, als mein Urgroßvater im Krieg fiel, von Hunger und Verzweiflung und der Begeisterung meines Opas, als Kind auf einem Panzer gesessen zu haben. Irgendwie waren die damals, fiel mir auf, doch eigentlich alle wie wir.

Irgendwann habe ich „Mein Kampf“ auf dem Dachboden meiner Großeltern gefunden und angefangen, es zu lesen. Nur um nach etwa zwanzig Seiten angeödet aufzuhören und mir sicher zu sein, dass Adolf Hitler nicht nur krank im Kopf, sondern auch der schlechteste Schriftsteller aller Zeiten war. Meine Schule hat mir diese Erfahrung zu verkraften freilich nicht zugetraut: Irgendwann war da mal eine Viertelseite auf einem Arbeitsblatt, die mitten aus dem Buch herausgerissene bedeutungsschwere Sätze enthielt und von irgendwem, der nicht so wirkte, als wäre er damals unter denen gewesen, die sich das Buch gekauft hätten, umfangreich totkommentiert worden war. Jedenfalls war ich mir darüber im Klaren, dass es ganz sicher nicht das Erscheinen dieses Buches war, das die Weimarer Republik umgeblasen hatte. War es auch nicht.

Es war auch nicht der Hass auf Homosexuelle, der uns heute dazu gebracht hat, stolz Homophobie zu verurteilen. Und nicht der Hass auf „Negerjuden“, der uns heute endlich dazu gebracht hat, auf Rassisten zu fluchen. Sally Perel, der als „Hitlerjunge Salomon“ die wohl außergewöhnlichste Biografie über die damalige Zeit sein Eigen nennen kann, weil er als geflohener Jude zum Hitlerjunge werden musste, um zu überleben, beschrieb im Gespräch mit Ken Jebsen einmal eine ganz andere Natur des Bösen:

„Ich sehe öfter diese Filme aus der damaligen Zeit, sehr, sehr oft im Fernsehen, Filme oder Dokumentationen, Dokumentarfilme. Sowie ich auf der Leinwand eine Hakenkreuzfahne sehe oder sehe, sie marschieren ... dieses Marschieren hat etwas Besonderes an sich gehabt. Da, Jupp, erwach ich immer und marschiere mit. So eine warme Nostalgie umhüllt mich: Ich war dabei! Mit dieser unbeschreiblichen Begeisterung, die uns damals alle so umhüllte, die Jugend. Ich war da mit.“

Aussagen wie seine lassen einen anderen Schluss zu als den, der in der Schule vermittelt wird. Es ist das Hakenkreuz, das austauschbar ist durch jedes beliebige andere Zeichen, notfalls auch durch eine Sonnenblume. Die Symbolik, an der wir uns festhalten, ist vollkommen irrelevant.

Es ist das menschliche Bedürfnis nach dem Schutz der Masse, in das sich der Faschismus einnistet. Der Wunsch nach Gemeinschaft.

Es waren ganz normale Söhne und Väter, dort in Auschwitz. Sie wurden alle geliebt und geschlagen, sie liebten selbst. Und doch taten sie, was ihnen gesagt wurde. Manche aus unkritischer Dankbarkeit, gesagt zu bekommen, was das Beste für sie wäre. Manche aus Liebe zu der ihnen plötzlich gegebenen Macht. Manche aus Angst, selbst für ihr Abweichen von den gesetzten Regeln bestraft zu werden. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass von einem auf den anderen Moment ein ganzes Land im eigentlichen Sinne auf politisch rechts umsprang, sondern erkennbar, dass ein hierarchisches Denken missbraucht wurde. Was potenziell in jede Richtung möglich ist.

Es ist dümmlich und falsch, die Verbrechen unter Hitlers Herrschaft überhaupt anzuzweifeln. Ob nun zu Anfang oder zu Ende, in den gebildeten oder den ungebildeten Schichten, die jede ihre Folterknechte hervorbrachte. Etwa genauso dümmlich tanzen wir aber um die Tatsache, dass wir die bereitwillige Duldung und jene brachiale Gefühlstaubheit, die die Ausführung dieser kranken Wahnvorstellungen erst ermöglichten, eigentlich von uns selbst kennen. Wir sind zu feige, es zuzugeben.

Es ist an der Zeit

Das war der Grund, weshalb die Mütter und Väter des Grundgesetzes nach dem Schock zwölf brutaler Jahre des Entgleisens mit ihrer neuen Verfassung das Recht jedes Einzelnen vornan stellten. Weshalb sie einen Bundesstaat in Länder unterteilten und jedem Part eine eigene Verantwortung zuwiesen. Und dies bleibt der Grund, weshalb es ein katastrophaler Fehler war, irgendwelche Teile dieser Verfassung für irgendein noch so schlimmes Virus von Staats wegen anzutasten.

Schon die plötzliche, breite Zustimmung für das so fatale „Gemeinschaftsdenken“, gewandet in den Begriff „Solidarität“, ist Beweis genug, dass uns die Trauer um die Opfer und auch das beeindruckendste Denkmal in Berlin nichts gebracht haben. Beweis auch dafür, dass das Nutzen jeder erdenklichen Angst staatstragend sein und so viel Unterstützung für die Mächtigen bringen kann, dass irgendwann die geschriebenen Gesetze nur noch Souvenirs sind: ganz nett anzuschauen und vermutlich ihr Geld wert, aber für keine weitere Entscheidung von Gewicht. „Was für ein Glück für die Regierenden, dass die Menschen nicht denken!“, hatte Hitler es trefflich auf den Punkt gebracht. Dem einstigen Adjutanten Heinrich Himmlers, dem späteren „Kriegsheld“ und Panzerführer SS-Standartenführer Joachim Peiper, wird folgendes Zitat zugeschrieben:

„Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Die Geschichte der Verlierer gehört zu dem schrumpfenden Kreis derer, die dabei waren.“

Was man sehr einfach und bei Peipers Person vermutlich nicht zu Unrecht als absichtsvolle Verklärung interpretieren kann, hätte als Mahnung ernstzunehmen dem Nachkriegsdeutschland und gerade unserer heutigen Gesellschaft nicht geschadet. „Die Geschichte der Verlierer“, aus der man die fatalen Schritte hin zum widerlichsten Absturz der Weltgeschichte eindeutig hätte herauslesen können, wurde mit „dem schrumpfenden Kreis derer, die dabei waren“, gemeinsam verteufelt und unter nach und nach auch noch zunehmendem Desinteresse begraben. Das zeigt, dass wir eben nicht gelernt und erst recht nicht verstanden haben – und es mittlerweile offensichtlich auch nicht mehr wollen.

Das Geschichtsbewusstsein derer, die in diesen Jahren aus den Schulen ins Leben entlassen werden, macht im Gegensatz den beängstigenden Eindruck, auf das Level eines YouTube-Tutorials gestutzt worden zu sein. Es sind junge Köpfe, die sich gebildet glauben, weil sie die Geschichte der Sieger verinnerlicht haben, alles Böse ginge von „Rechten“ oder von Leuten mit deutschen Flaggen aus. Es ist eine Generation, mit der man nicht mehr darüber geredet hat, dass das Virus des Faschismus sich eines jeden Wirtes bedient, der auf eine ganz bestimmte Weise unachtsam ist.

Niemanden sollte wirklich überraschen, dass man mit verkürzter Rassismuskritik, wie man sie zur Zeit de facto als Schüler aufgeladen bekommt, eine Demokratie ebenso wenig am Laufen halten kann wie deutsche Mittelstufenschulen die Sauberkeit ihrer Toiletten.

Wie paradox: Überall dort, wo man junge Menschen regierungsseitig vor den vermeintlich einfachen Antworten anderer — vor allem denen der größten Oppositionspartei im deutschen Bundestag — auf ihre Probleme warnt, scheinen die vorgeblich besseren Antworten gerade umso einseitiger und stupider.

Dennoch fruchten sie, leider, und tun ein Übriges, damit überzeugte Berliner „Linke“ wieder grölend mit Brandsätzen durch die Nächte ziehen, womit sie den Point of no Return längst überschritten haben. „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde“, lästerte Joseph Goebbels einmal. Manchmal kann man sein ekelhaftes Lachen auch heute wieder hören, wie einen eisigen Windzug in den Straßen Berlins.

Daher wird kommen, was kommen muss. Der mit den Leichen der 55 Millionen Kriegsopfer schwindelerregend teuer erkaufte Weltvorrat an Zeit, an die man uns nicht erinnern muss, in der der Wecker nicht klingelt, scheint nach 76 Jahren endgültig aufgebraucht. Wir werden wieder scheitern müssen, wieder die Erfahrung machen, dass Kinder ihre Eltern verraten. Dass der Glaube an die „gute Sache“ Jugendliche der wichtigsten Zeit ihres Lebens beraubt und sie mit aufgerissenen Mägen unter Ketten begräbt. Dass viele Erwachsene eine große Euphorie spüren und damit ebenso wenig an sich halten können wie die Herrschaften in Pier Pasolinis „Salò“.

Und irgendwann wohl auch, dass es mal wieder eine richtige Schnapsidee war, den Faschismus zuzulassen, eine Schnapsidee, für die man ein paar wenige Trunkenbolde aufhängt und den Rest in wohlwollende Obhut nimmt. Es ist schade, und schon der Gedanke daran tut weh. Aber es ist an der Zeit. Oder?


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Weiterlesen

Kämpfer für Demokratie
Thematisch verwandter Artikel

Kämpfer für Demokratie

Das Buch „Staatsfeinde?“ zeigt, wie gesellschaftliche Verhältnisse und staatliche Institutionen das eigene Leben beeinflussen und Selbstermächtigung möglich ist.

Mit der Zeit
Aktueller Artikel

Mit der Zeit

Gesellschaftliche Umbrüche entzünden sich oft an Generationenkonflikten. Während Jüngere beklagen, dass Ältere dabei sind, ihre Zukunft zu zerstören, fühlen sich Senioren vom Ansturm des Neuen teilweise überfordert.