Die neue Währung heißt Kontrolle
Palantir wurde einst als Datenanalyse-Startup mit „guten Absichten“ gegründet. Heute ist es ein Milliardenkonzern, dessen Software von US-Geheimdiensten, europäischen Polizeibehörden, Migrationsdiensten und Finanzinstitutionen genutzt wird. Was Palantir liefert, ist kein Rohdatenzugang: Es liefert Erkenntnisse, Profile, Prognosen. Wer mit wem Kontakt hatte. Wer wann wo war. Wer welche Risikobewertung erhalten sollte.
Dabei geht es nicht mehr darum, ob jemand ein Verbrechen begangen hat. Es geht darum, ob jemand in einem Netzwerk auftaucht, das möglicherweise als „auffällig“ kategorisiert wird. Und dazu reicht schon eine digitale Verbindung: ein Like, ein gemeinsames Foto, ein Standort zur selben Zeit.
Menschen werden nicht mehr nach ihren Handlungen beurteilt, sondern nach ihrer rechnerischen Wahrscheinlichkeit.
Der Freund eines Freundes ist das Risiko
Stell dir vor, du lernst jemanden kennen. Vielleicht auf der Arbeit, vielleicht bei einem politischen Treffen. Du verstehst dich gut, ihr schreibt euch. Du hast nichts zu verbergen. Aber was, wenn dein neuer Bekannter vor Jahren an einer Demonstration teilgenommen hat, die auf einer geheimen Watchlist stand? Was, wenn er früher in einer Gruppe war, die heute als „extremistisch“ eingestuft wird? Was, wenn seine Cousine einmal mit einer Person gesprochen hat, die unter Beobachtung steht?
Schon bist du in einem System wie Palantir möglicherweise als Risikoverbindung markiert. Nicht, weil du etwas getan hast. Sondern weil du existierst und dich mit jemandem verbunden hast. Die Software macht keine Fehler, sie folgt nur der Logik der Wahrscheinlichkeit. Aber die Konsequenzen sind real: keine Einladung mehr zu einer Stelle, keine Einreise mehr in ein Land, eine plötzliche Prüfung deines Steuerprofils.
Datenschutz als Nebelwand
Es heißt immer: „Wir haben doch Datenschutz in Europa.“ Aber Datenschutz ist oft nichts weiter als ein juristischer Schleier. In Wahrheit klicken wir täglich Nutzungsbedingungen weg, die länger sind als jede Kurzgeschichte. Kaum jemand liest sie. Und wenn, versteht er sie nicht. Genau das wissen die Anbieter. Wer sich mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) brüstet, weiß oft genau, wie er sie umgehen kann: mit Intransparenz, mit Standardvertragsklauseln, mit technischen Schlupflöchern.
Schutz durch neue Software? Auch das kann Illusion sein
Selbst wenn du versuchst, dich zu schützen, mit VPN, mit Linux, mit kryptografischen Tools, bleibst du in vielen Fällen auf die Integrität der Anbieter angewiesen.
Jede Schutzsoftware braucht Updates. Jedes Sicherheitstool wird irgendwann von jemandem gepflegt, der entscheiden kann, was „sicher“ ist.
Selbst Open-Source-Lösungen können kompromittiert werden. Die Idee vollständiger digitaler Kontrolle über die eigenen Daten ist in einer Cloud-Welt ein Mythos.
Was Palantir heute schon kann
Palantir erstellt im Auftrag von Behörden Bewegungsprofile, kombiniert Daten aus Gesundheitsakten, Social Media, Steuerdaten und Telefondiensten. Es kann auf Basis von Metadaten erkennen, wer sich mit wem wann wo getroffen hat. Es analysiert Muster, erstellt Verhaltensprognosen und liefert Risikobewertungen. Für Polizeibehörden, Nachrichtendienste, Auslandsgeheimdienste, aber auch für Konzerne.
Der Einsatz dieser Technologie erfolgt oft ohne Wissen der Betroffenen. Und mit jeder staatlichen Kooperation wächst die Reichweite. Die Grenze zwischen Strafverfolgung, Gefahrenabwehr, Wirtschaftsanalyse und politischer Kontrolle verschwimmt.
Was passieren könnte, wenn ...
Was, wenn kriminelle Kartelle sich Zugang zu solchen Plattformen verschaffen? Was, wenn ausländische Mächte, skrupellose Unternehmen oder korrupte Beamte Profile über Richter, Abgeordnete, Journalisten, Gewerkschafter oder Aktivisten erstellen lassen? Was, wenn plötzlich Erpressungen stattfinden, nicht wegen Taten, sondern wegen persönlicher Schwächen, Familienkonstellationen oder politischen Neigungen? Was, wenn man gar nichts mehr „falsch“ machen muss, um ein Problem zu werden? Reicht es dann, unbequem zu sein?
Es geht um mehr als Daten. Es geht um Macht.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Kontrolle über Informationen zur Kontrolle über Menschen geworden ist.
Die Macht, Daten zu besitzen, zu verknüpfen und auszuwerten, ist längst mächtiger als die meisten staatlichen Instrumente. Palantir ist nur ein Beispiel. Doch es steht für eine Entwicklung, die wir nicht mehr stoppen, sondern nur noch verstehen und begrenzen können.
Wer heute sagt „Ich habe nichts zu verbergen“, hat vielleicht einfach nicht verstanden, wie wenig es braucht, um in den Fokus zu geraten. Und wie wenig es braucht, um aus einem freien Bürger einen gläsernen Menschen zu machen, dessen Leben algorithmisch berechnet wird.
Das Netz der Schattenmacht ist bereits gespannt. Die Frage ist nur, wer es bemerkt. Und wer es durchschneidet, bevor es zu eng wird.

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Quellen und Anmerkungen:
— Palantirs Macht und Einsatzbereiche
1. The Guardian — Kommentar von Robert Reich (30. Juni 2025)
„Peter Thiel's Palantir poses a grave threat to Americans“
https://www.theguardian.com/commentisfree/2025/jun/30/peter-thiel-palantir-threat-to-americans.
2. The Guardian — Proteste gegen Palantir (26. Juni 2025)
„Six arrested at protest of Palantir, tech company building deportation software for Trump admin“
https://www.theguardian.com/us-news/2025/jun/26/trump-palantir-protest-arrests.
3. SFGate — Proteste vor Palantir in der Bay Area
„Anti-ICE protesters crash Palantir's Bay Area office“
https://www.sfgate.com/tech/article/ice-protesters-palantir-bay-area-20396486.php.
4. Times of India — Palantirs zentrale Rolle bei Trump-Behörden
„What is Palantir? Secretive data firm with deep government ties ...“
https://timesofindia.indiatimes.com/world/us/what-is-palantir-secretive-data-firm-with-deep-government-ties-now-central-to-trumps-federal-data-sharing-plan/articleshow/121704100.cms.
5. The Guardian — Trump-Administration plant zentrale Bürgerschaftsdatenbank
„Trump officials create searchable national citizenship database“
https://www.theguardian.com/us-news/2025/jun/30/trump-citizenship-database.
— Dokumentation und Kritik
6. Privacy International — Dossier über Palantir (2021, PDF)
„All roads lead to Palantir“
https://privacyinternational.org/sites/default/files/2021-11/All%20roads%20lead%20to%20Palantir%20with%20Palantir%20response%20v3.pdf.
7. Business Insider — Protestaktion gegen Palantir wegen ICE-Verträgen (2019)
„Activists protest Palantir's ICE contracts in Palo Alto“
https://www.businessinsider.com/palantir-protest-palo-alto-activists-ice-contracts-2019-8
8. NYU Stern — Analyse zu Palantir & Menschenrechte (2025)
„Palantir’s role in government grows – need for real human rights due diligence“
https://bhr.stern.nyu.edu/quick-take/as-palantirs-role-in-government-grows-so-does-the-need-for-real-human-rights-due-diligence