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Geködertes Engagement

Geködertes Engagement

Virtuell vertretene Positionen und deren mögliche Folgen.

Viele Leser/innen werden das bestimmt auch kennen: Nach dem ersten Unterschreiben der einen oder anderen Petition auf unterschiedlichen Plattformen kommen neue diesbezügliche Mails in einem rekordverdächtigen Tempo hinzu. Dadurch kann sich schnell ein Überdruss einstellen, der die Erfolgsaussichten einzelner Anliegen nicht gerade erhöhen dürfte.

Sympathisch an den Petitionen ist, dass damit immer eine Verbesserung erreicht werden soll, auch wenn die zur Sprache gebrachten Sachverhalte höchst unterschiedlicher Natur sind, was allein schon an den übergeordneten Bereichen deutlich wird: Menschenrechtsverletzungen, Tierschutz und Tierwohl, Umwelt-, Boden-, Denkmal- und Küstenschutz, Lobbyismus, Fairtrade, Freihandelsabkommen, Schulpolitik, Privatisierungsvorhaben etc.

Das bedeutet natürlich auch, dass nicht nur die potenziellen Mitzeichner/innen, sondern auch die jeweiligen Adressaten mit Petitionen überflutet werden. Umso erstaunlicher ist, dass hin und wieder doch ein echter Erfolg vermeldet werden kann wie z. B. die gesetzliche Festschreibung des "Nein-heißt-Nein-Prinzips", das die Möglichkeiten einer strafrechtlichen Ahndung im Falle sexueller Übergriffe deutlich erweitert hat.

Doch die Freude über derartige Erfolge kann schnell getrübt werden, wenn man sich mit den Plattformen selbst (Avaaz, change.org, Campact, abgeordnetenwatch.de, WeMove.EU etc.) ein wenig näher beschäftigt und dabei beispielsweise erfährt, dass Gregor Hackmack (Leiter der deutschen Sektion von change.org und Mitbegründer von abgeordnetenwatch.de) erst kürzlich den Big-Brother-Award verliehen bekommen hat.

In diesem Fall ging es hauptsächlich um die sehr langfristige Speicherung der von den Unterzeichnern nun einmal zu hinterlassenden E-Mail-Adressen, die selbstverständlich im Sinne von Nutzer-Profilen ausgewertet werden können: Wer interessiert sich für welche Themen besonders stark? Wem muss häufiger eine "Erinnerungsmail" geschrieben werden?

Andere (meines Erachtens noch bedeutsamere) Fragen ergeben sich mit Blick auf die völlig im Hintergrund agierenden "Strippenzieher":

Wer sind diese Personen und/oder Gruppen? Wie viel Geld geben sie wofür aus? Sind ihre Interessen tatsächlich altruistischer Natur oder geht es ihnen vielleicht eher darum, sich durch frühzeitige Identifizierung des Protestpotenzials Vorteile zu verschaffen? Das läge zumindest dann nahe, wenn es sich bei den Geldgebern in Wirklichkeit um Vertreter der herrschenden Klasse handeln sollte.

Eine solche Befürchtung mag übertrieben oder gar verschwörungstheoretisch anmuten, aber andererseits konnte Elke Schenk am Beispiel des Journalistenbüros Correctiv nachweisen (siehe Rubikon-Beitrag vom 4. 5. 2017), dass das 2014 gegründete Recherchebüro seinen eigenen Ansprüchen (Aufdeckung von Fake-News) wegen mangelnder Unabhängigkeit nicht wie erwartet gerecht wird bzw. werden kann.

Doch zurück zu den Petitionsplattformen. Campact hat erst kürzlich angeregt, dass möglichst viele der dort erfassten "Mitglieder" dazu übergehen sollten, "Wohnzimmer-Diskussionen" im eigenen Zuhause durchzuführen. Für diesen Zweck stellt Campact fix und fertig ausgearbeitete Materialien zur Verfügung, die den Einstieg erleichtern sollen, aber andererseits auch für eine vorstrukturierte Diskussionsführung sorgen würden. Das hätte für Campact den Vorteil, dass sich die anschließend zu meldenden Diskussionsergebnisse leichter miteinander vergleichen und bündeln ließen. Diese Überlegung führt zu der Frage, ob die Betreiber von Campact mit der "Wohnzimmeraktion" eine im Vergleich zu den Fragebogenaktionen noch ergiebigere "Abschöpfung guter Ideen" im Sinn haben könnten.

Solange noch nicht mehr darüber bekannt ist, muss diese Frage – wie es so schön heißt – erst einmal unbeantwortet "im Raum stehen bleiben". Demgegenüber kann schon jetzt mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden, dass es einen immer härter werdenden Konkurrenzkampf der Plattformen untereinander gibt. Und natürlich werden die "Nutzerdaten" auch in diesem Sinne ausgewertet: Wer hat die meisten Unterschriften, Kommentare und Spenden gesammelt? Wer ist also der Größte?

Im diesem Stadium lässt sich das alles noch als mild zu belächelndes "Kleine-Jungen-Gehabe" abtun, aber wer garantiert uns, dass eines Tages daraus nicht ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb wird, der nur noch denjenigen Petitionsvorschlägen eine Chance böte, die hohe Mitzeichnungszahlen erwarten lassen.

Wenn die Skepsis erst einmal geweckt ist, können selbst die bislang noch nicht erwähnten reinen Diskussionsforen, die mittlerweile immer häufiger auch von den klassischen Print-Medien ins Leben gerufen werden, in einem anderen Licht erscheinen. Bei dem mir persönlich am nächsten stehenden Beispiel handelt es sich um "Lehrerforen", denen weder Rechtslastigkeit noch Datensammelwut vorgeworfen werden kann.

Dafür fällt auf, dass es in den (auf ein zuvor gesetztes Thema bezogenen) Diskussionen schnell zu einem gegenseitigen Verbeißen in irgendein Detail kommt, was einer tiefer gehenden Erörterung des eigentlichen Themas entgegensteht. Aber (im oben gemeinten Sinne) noch entscheidender ist die (ebenfalls nicht leicht zu klärende) Frage, welche Personen/Gruppen hinter der Themenauswahl stehen und/oder ob damit ganz bestimmte "verdeckte Interessen" verfolgt werden.

Immerhin lässt sich sagen, dass oftmals (Zeitungs-)Artikel, in denen es um die Darstellung aktueller Forschungsergebnisse geht, als Diskussionsgrundlage angeboten werden.

In diesen Fällen ist Vorsicht in doppelter Hinsicht angebracht: Wer hat die Forschungen in Auftrag gegeben und warum stehen so häufig nur Teilaspekte des Bildungswesens im Vordergrund? Sind das vielleicht die "Knochen", die den Lehrerinnen und Lehrern hingeworfen werden, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, eine weitergehende Kritik anzubringen?

Und damit sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir uns – unter Absehung der zuvor skizzierten Befürchtungen – der gemeinsamen Funktion von Petitionen und (Lehrer-)Foren zuwenden können: In beiden Fällen haben wir es mit einer Entlastungs- bzw. Ventilfunktion zu tun, die dazu führt, dass es zumeist – und da nehme ich mich nicht aus – bei diesen Ersatzhandlungen bleibt.

Speziell die Petitionen können auch als moderne Form eines "Ablasses", der zudem schnell und kostenlos zu haben ist, verstanden werden. Das würde bedeuten, dass dem möglichen Betrug (Ausnutzen unserer Willensbekundungen für ganz andere Zwecke) noch ein Selbstbetrug (Erleben eines guten Gefühls als Gegenleistung für das bloße Anklicken einer Unterschriftenzeile) hinzugefügt würde.

Und dennoch: Ich persönlich unterschreibe weiterhin alle Petitionen, die ich für wichtig halte. Mit anderen Worten nehme ich bewusst den möglichen oder tatsächlichen (Selbst-)Betrug in Kauf, weil ich einfach nicht weiß, wie und wo man es besser machen und schnellere Resultate erzielen könnte.


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