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Giftige Parteinahme

Giftige Parteinahme

Wer sich auf eine Seite stellt und die andere verurteilt, ist Teil eines Problems, das er vorgibt, lösen zu wollen.

An allen Fronten stehen sich die Menschen gegenüber. Russland — Ukraine, Israel — Palästina, Geimpfte — Ungeimpfte, Klimakleber — Klimaleugner, Woke — nicht Woke, gendern — nicht gendern: Wir sind entweder dafür oder dagegen. Rechts — links, links — rechts: Wie gebannt starrt das Publikum auf den Ball. Immer weiter wird ausgeholt. Immer mehr verdrehen sich die Köpfe, um dem Spiel der Verwirrung noch folgen zu können. Immer schneller dreht sich das Rad der Zerstörung.

„Mehr, mehr!“, schreit der kleine Häwelmann in einem Märchen von Theodor Storm. Aus seinem Nachthemd baut er ein Segel und fährt in seinem Bett bis in den Himmel und dem Mond über die Nase. Nachdem er alles durcheinandergebracht hat, wirft ihn die aufgehende Sonne schließlich ins Meer. „Und dann?“, fragt das Kind, dem die Geschichte erzählt wird. „Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!“

Wir können nicht davon ausgehen, dass so freundliche Menschen wie im Märchen vorbeikommen, um uns zu retten. Wer nicht vom Auf und Ab des Rades überrollt werden will, der muss in die Mitte kommen.

In seine eigene Mitte. Er hört auf damit, den Bällen zu folgen und Partei für die eine oder die andere Seite zu ergreifen. Er maßt sich nicht an, den Überblick zu haben und die wirklichen Hintergründe zu kennen. Er schwingt sich nicht zum Richter auf. Er lässt das Urteilen sein: die Ur-Teilung, die die Menschen seit jeher auseinandertreibt.

Wackliges Gerüst

Soweit unsere Erinnerung zurückreicht, machen wir uns auf die Suche nach einem Schuldigen, wenn es ein Problem gibt. In der Überzeugung, Recht von Unrecht unterscheiden zu können, werfen wir den ersten Stein. Ob aus dem Affekt heraus oder auf der Grundlage eines ganzen Studiums: Wir haben unsere Meinung.

Ursprünglich bezeichnete der Begriff die Bedeutung oder den Sinn einer Aussage oder eines Zeichens. Im Lauf der Zeit wurde daraus ein Fürwahrhalten. Ob subjektiv oder objektiv hergeleitet: Die eigene Meinung begründet sich darauf, die Wahrheit erkennen zu können. Diese Annahme gipfelt heute darin, alles als Fake oder als Verschwörungstheorie zu bezeichnen, was eine bestimmte Denkrichtung infrage stellt.

Mit unserer Meinung halten wir nicht hinterm Berg. Zu allem erlauben wir uns, unseren Senf hinzuzugeben. Wir reden über Länder, die wir weder bereist haben noch kennen, und schwingen uns munter zu Spezialisten in Sachen Klimawissenschaften und Mikrobiologie auf.

Auf der Grundlage der Informationen, die in unser Weltbild passen, bauen wir uns ein Gerüst zurecht, an das wir uns auch noch dann klammern, wenn um uns herum schon alles zusammenbricht.

Was bilden wir uns eigentlich ein?

Doch wer sagt, dass wir eine Meinung haben müssen? Was für Konsequenzen hätte es, wenn wir zu unserem Nichtwissen stünden? Fürchten wir, als dumm zu gelten, wenn wir nicht in das politisch verordnete und medial verbreitete Keifen und Zanken mit einstimmen? Was ist dabei, zu sagen „Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß es nicht“? Wie anders liefen unsere Gespräche, wenn wir, anstatt mit Ausrufezeichen aufeinander zu schießen, die sanft geschwungene Linie eines Fragezeichens auf den Tisch legten?

Niemand von uns kann mit Sicherheit sagen, ob er sich gerade manipulieren lässt oder nicht. Es ist das Wesen des Manipulierens, dass der Betroffene es nicht merkt.

Niemand kann behaupten, stets alle seine Sinne beieinander zu haben. Niemand ist ständig bei Bewusstsein. 95 Prozent unserer Denkleistungen und Entscheidungen verlaufen unbewusst. Bewusst sind wir nur im Hier und Jetzt. Wer könnte von sich behaupten, nicht vom Groll von gestern und den Sorgen von morgen abgelenkt zu sein?

Wer könnte es sich anmaßen, eine Situation wirklich objektiv beurteilen zu können? Wer wäre unbeeinflusst von seinen Vorlieben, seinen Interessen, seinen Lebensumständen, seinen Stimmungen und Gefühlen? Wer glaubt, dass ausgerechnet seine Quellen die richtigen sind? Wer könnte von sich behaupten, die Wahrheit zu kennen? Wer könnte den Anspruch erheben, als an die Relativität gebundenes Wesen Zugang zum Absoluten zu haben?

Subjektivität wagen

Um was es sich auch handelt: Wir können die Dinge immer nur von einem per se begrenzten Standpunkt aus betrachten. Von dort aus, wo ich gerade stehe, sieht die Welt ganz sicher anders aus als von dort, wo jemand anderes steht. Es gibt so viele verschiedene Standpunkte, wie es Menschen gibt. Warum müssen wir versuchen, andere davon zu überzeugen, dass unserer der richtige ist? Können wir uns nicht ein wenig in Ruhe lassen? Können wir uns nicht einfach nur dafür interessieren, was jemand anderes denkt, ohne ihn zu beurteilen?

Müssen wir uns unsere Meinungen um die Ohren schlagen, als hinge unser Überleben davon ab? Können wir nicht mehr Fragen stellen, anstatt ständig Antworten zu geben? Können wir uns dafür öffnen, dass vielleicht nicht wir es sind, die die Antworten geben, und spüren, wie sie in den Fragen schon mitschwingen? Können wir uns einmal auf das Ungeklärte, Geheimnisvolle einlassen, auf das, was nicht in Schlagzeilen verpackt werden kann? Können wir nicht ein wenig neugieriger werden?

Was geschieht, wenn wir endlich einmal damit aufhören, alles und jeden bewerten zu wollen, einschließlich uns selbst? Wenn wir nicht mehr ungebeten unsere Meinung überall kundtun würden und dort eingreifen, wo wir nicht gefragt sind? Wenn wir es mit der Menschenwürde einmal wirklich ernst nehmen würden und jedem seinen freien Willen ließen? Wenn wir, anstatt Gott zu spielen, über uns reden anstatt über andere?

Feldarbeit

Damit hätten wir alle Hände voll zu tun. Anstatt über andere abzulästern und zu versuchen, sie unter Kontrolle zu bringen, kümmern wir uns um uns selbst. Wir zerbrechen uns nicht mehr den Kopf darüber, was andere alles verkehrt machen, sondern bearbeiten unseren eigenen Acker. Anstatt guten Gewissens moralische Urteile zu fällen, säen wir Wohlwollen und Verständnis. Statt Partei zu ergreifen, die niemals Einigung zum Ziel hat, sondern immer noch mehr Wut, mehr Hass, mehr Terror, begießen wir die Pflanzen der Freundschaft und der Gemeinschaft.

Anstatt indirekt Tod und Zerstörung zu fördern, konsumieren wir keine Medien mehr, die uns zur Parteinahme verführen. So bildet sich ein Feld des Friedens, auf dem die Pflanzen wachsen, die wir begießen.

Auf diesem Feld jagen wir uns nicht gegenseitig die Bälle ab, sondern arbeiten daran, innerlich aufgeschlossener zu werden, großzügiger, gütiger, bewusster. So kann auch das Rad des Schicksals langsamer rollen. Das Kind in uns, das immer mehr will, kommt zur Ruhe. Endlich werden auch die leisen Töne hörbar. Der Mensch findet in das hinein, was in ihm nobel ist, edel und fein.

Unabhängig von dem, was um ihn herum los ist, kann er sich in Würde aufrichten und in seiner vollen Größe zeigen. Diese Größe braucht keine Fingerzeige, kein Aburteilen, kein Schuldigsprechen. Sie genügt sich ganz allein. In stiller Betrachtung sitzt der Mensch da und bestaunt die Schönheit und die Harmonie dessen, was wachsen kann, wenn er nur in seine Mitte kommt.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://zeitpunkt.ch/die-seuche-des-21-jahrhunderts-parteinahme

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