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Gründliche Reinigung

Gründliche Reinigung

Als die Pistole des angeblichen Attentäters Anis Amri vor knapp drei Jahren zur kriminaltechnischen Untersuchung nach Deutschland kam, stellten die Forensiker in Kiel fest, dass sie offensichtlich gesäubert worden war.

Zur Geschichte dieser Pistole ist nun ein weiterer fragwürdiger Vorgang hinzugekommen, von dem es im Terrorkomplex Breitscheidplatz nicht gerade wenige gibt — die Manipulationen gehen weiter.

Bei einer ersten Untersuchung waren an der Waffe DNA-Spuren von vier Personen festgestellt worden: von Amri, dem polnischen Fahrer Lukasz Urban sowie von Amris Mitbewohner Kamel A., der trotzdem nie als Tatverdächtiger galt. Die vierte Genspur konnte nicht entschlüsselt werden. Es gab aber noch eine Ungenauigkeit: Die Identität der Waffe von Italien mit jener in Berlin konnte nur durch den Vergleich der Geschosshülsen erfolgen, aber nicht anhand der Projektile. Die tödliche Kugel von Berlin hatte sich zerlegt und war für einen Vergleich untauglich. Damit fehlte der sichere Nachweis, dass es sich um ein und dieselbe Waffe gehandelt hat.

Weil die kritischen Fragen von Opfern und Bundestagsabgeordneten nicht nachließen, machte Bundesanwalt Horst Salzmann auf der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses Ende März 2021 eine bemerkenswerte Ankündigung: Die Bundesanwaltschaft werde sämtliche Asservate im Falle Amri aus Italien nach Deutschland holen und noch einmal neu untersuchen lassen. Man wolle ausschließen, so Salzmann, dass jemand anderes als Amri der Täter war. Außerdem sollte „Legendenbildungen“ vorgebeugt werden, unter denen die Opfer und Hinterbliebenen leiden würden. Tatsächlich stehen diejenigen, die der Bundesanwalt für sich in Anspruch nehmen wollte, eher aufseiten der Zweifler an der offiziellen Theorie von Amri als einzigem Täter.

Der ungewöhnliche Ermittlungsschritt war aber auch einem seltsamen Versäumnis geschuldet. Nach Amris Tod war eine Delegation des Bundeskriminalamts (BKA) zwar sofort nach Italien gereist, wurde dann allerdings aus den Ermittlungen der italienischen Kollegen kategorisch herausgehalten. Die Deutschen konnten nicht einmal den Toten, seine Pistole und seine Gegenstände selbst in Augenschein nehmen, sondern mussten sich mit Fotografien begnügen. Eigene Untersuchungen oder auch Befragungen waren nicht möglich. Eine recht zweifelhafte Form von Ermittlungszusammenarbeit, die das BKA aber akzeptierte.

Die Erma-Pistole sollte nun vor allem auf sogenannte Rückschleuderspuren im Inneren des Laufs untersucht werden, das heißt Blutspritzer oder Gewebeteile, möglicherweise vom Opfer Urban. Daneben sollte die Kleidung Amris mit Faserspuren aus dem LKW abgeglichen werden. Und warum war Amri im Besitz von zwei Zugfahrkarten von Turin nach Mailand? Hatte ihn jemand auf dieser Strecke begleitet? Mit der Nachuntersuchung, so die Bundesanwaltschaft in ihrer offiziellen Begründung gegenüber Italien, sollten mögliche „Unterstützer oder Mittäter“, die Amri bei der Flucht geholfen haben könnten, identifiziert werden. Hintergrund sind die Zweifel an der Alleintäterschaft Amris.

Was die Öffentlichkeit bis heute nicht erfuhr: Die kriminaltechnische Zweituntersuchung der Erma-Pistole in Deutschland war bereits im Juni 2021 erfolgt, also vor über zweieinhalb Jahren. Und zwar mit einem irritierenden Ergebnis: Die beauftragten Forensiker des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum in Kiel konnten keinerlei Spuren mehr an der Waffe identifizieren. Sie müsse vorher gründlich und vollständig gereinigt worden sein, so ihre Einschätzung.

Nach der fraglichen Ausschuss-Sitzung im März 2021 hat die oberste bundesdeutsche Ermittlungsbehörde sämtliche Amri-Asservate aus Italien angefordert und auch bekommen. Die Gegenstände wurden am 22. Juni 2021 von Beamten des BKA in Italien abgeholt und im Auto nach Deutschland gebracht. Das war im Übrigen exakt im Zeitraum, als der Ausschussbericht dem Bundestagspräsidenten übergeben und dann im Plenum diskutiert wurde. Die Legislaturperiode ging zu Ende. Am 24. Juni 2021 wurde die Waffe in Kiel dem Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik zur Untersuchung übergeben. Diese Untersuchung dauerte zwei Stunden. Anschließend nahmen die Kommissare die Waffe wieder in ihre Obhut und überbrachten sie der BKA-Dienststelle in Berlin, wo sie jetzt in der Asservatenkammer liegt.

Die Ergebnisse der Kieler Forensiker im Einzelnen: Die RNA-Befunde seien sämtlich „nicht auswertbar“. Bei DNA-Extrakten gebe es vollständig „negative Ergebnisse“. Die inneren Oberflächen der Waffe (Laufinneres) erschienen auch bei „sorgfältigster Inspektion sehr sauber, ohne Antragungen von Schmutz, Öl, Schmauch, Ruß oder Ähnlichem und insbesondere ohne blut- oder gewebsverdächtige Anhaftungen“.

Die Untersuchungsbeauftragten Claas Buschmann und Cornelius Courts fassen ihre Ergebnisse in sachlichen Worten so zusammen: „Es ließen sich auf keiner der inneren Oberflächen des Asservats Rückschleuderspuren oder anderes zellhaltiges Material nachweisen und charakterisieren. Ein in Anbetracht der Sauberkeit der Waffe plausibler Grund dafür kann in einer gründlichen und vollständigen Reinigung der Waffe liegen.“

Vor der Untersuchung hatten die BKA-Beamten die Forensiker noch gewarnt, die Waffe sei in Italien „zuletzt nicht (mehr) spurenschonend behandelt“ worden. Es könnte sich eine Vielzahl von Spuren berechtigter Personen darauf befinden. Dann stellten die Wissenschaftler das Gegenteil fest: Es gibt praktisch keine Spuren mehr an dem Gegenstand.

Mit der Pistole waren auch zwei weitere Spurenträger mitgeliefert worden, die zur Spurensicherung durch den Lauf gezogen worden sein könnten. Die Forensiker stellten allerdings fest, dass diese Spurenträger keinen sogenannten Docht besaßen, der zur Abwischung des Spurenmaterials im Lauf nötig wäre.

Das BKA gab sich nicht zufrieden und suchte den im Raum stehenden Manipulationsverdacht auszuräumen. Im November 2021 reichte es den Kieler Rechtsmedizinern einen weiteren Docht nach, der bei der Untersuchung der Waffe in Italien verwendet worden sein soll. Als die Kieler ihn analysierten, stellten sie erneut fest, dass sowohl der RNA- als auch der DNA-Gehalt der Asservatenprobe „vollständig negativ“ war.

Das Ergebnis ist alarmierend, passt aber zu den zahllosen Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im Anschlags- und Ermittlungskomplex: Offensichtlich wurden vor der Abgabe des Asservats an Deutschland keine Spuren erfasst, die man vorzeigen könnte. Oder sie wurden vernichtet, weil sie in eine falsche Richtung wiesen und nicht mit dem amtlichen Anschlagsnarrativ zusammenpassen.

Doch wer hat die Manipulation zu verantworten: die italienischen Ermittler oder die deutschen? Oder beide im Zusammenspiel?

Unbeantwortet ist bisher aber auch, zu welchen Ergebnissen die Untersuchung der anderen Asservate führte. Was ergab der Abgleich von Fasern an Amris Kleidung mit Fasern aus dem Inneren des LKW? Was ist mit den zwei Zugtickets nach Mailand, die Amri bei sich hatte? Fanden sich darauf Fingerprints und DNA-Spuren? Und welches Institut wurde mit dieser Untersuchung beauftragt?

Mit dem Ende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Bundestag fehlte ein Instrument, mit dem die öffentliche Beantwortung dieser Fragen hätte erzielt werden können.

Die zuständige Behörde Bundesanwaltschaft (BAW) hat das Untersuchungsergebnis auch auf wiederholte Presseanfragen hin nie mitgeteilt, sondern im Gegenteil eher vernebelt: Im Juli 2022, ein Jahr nachdem das Ergebnis in Sachen Erma-Pistole vorlag, antwortete die Pressesprecherin der BAW auf die Anfrage, ob die Auswertungen der Asservate Amris mittlerweile abgeschlossen seien, wie folgt: „Die Auswertung der Asservate dauert an. Wann diese abgeschlossen sein wird, kann ich leider weiterhin nicht einschätzen.“

Im April 2023 erklärte die BAW-Sprecherin auf erneute Nachfrage: „Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Untersuchung der aus Italien übersandten Asservate inzwischen vorläufig abgeschlossen wurde. Ich bitte um Verständnis, dass wir uns angesichts der insgesamt fortdauernden Ermittlungen zu Einzelheiten nicht äußern.“ Im Herbst 2023 ist das immer noch offizielle Sprachregelung. Um was für Ermittlungen es geht, erfährt man nicht.

Die Erma-Pistole ist zum Gegenstand zahlreicher Fragen im Anschlagskomplex geworden und damit zugleich zu einem Schlüssel für die Hintergründe, etwa den möglichen Täter- und Unterstützerkreis. Woher stammte die Waffe? Wer hat sie beschafft? Wie kam Amri in ihren Besitz? Wo lagerte sie? Wo und wann wurde sie am Tattag eingesetzt?

Die Pistole war aus Ermittlersicht immer ein brisantes und zweideutiges Beweismittel. Nicht nur weil darauf die DNA von Kamel A., dem Mitbewohner Amris, sowie einer unbekannten Person war. Die Patronenhülse, die belegen soll, dass der polnische Speditionsfahrer Urban in Berlin an seinem Standplatz Friedrich-Krause-Ufer erschossen worden war, wurde zwar dort gefunden, aber lediglich „im Bereich“ der Stelle, wo der LKW parkte. Obendrein war die Hülse nicht am Tag nach der Anschlagsnacht, sondern erst zwei Tage später, am Mittwoch, 21. Dezember, gefunden worden.

Damit hängt die Frage zusammen, wo der Speditionsfahrer Urban getötet wurde: Am Friedrich-Krause-Ufer oder erst auf dem Breitscheidplatz in der Fahrerkabine nach der Tat? Als der LKW zum Stehen gekommen war, wollen mehrere Zeugen einen Schuss vernommen haben. Ebenfalls mehrere Zeugen sahen den Unfallfahrer mit einer Waffe in der Hand aussteigen. Eine Hülse wurde im Durcheinander auf dem Breitscheidplatz nicht gefunden. Allerdings wurde auch nicht sonderlich danach gesucht.

Die ausstehende alternative Tat- und Tätergeschichte wird, wie es scheint, permanent sabotiert. Die offenkundige Manipulation der Tatpistole ist dafür ein weiteres Beispiel. Und dazu zählen nicht nur die tendenziösen Ermittlungen, sondern auch die fragwürdige Informationspolitik der Bundesanwaltschaft, die eher eine Desinformationspolitik ist.


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