Erst mal vorneweg, bevor Leser sich vorschnell das Buch bestellen: Sich durch Southerns Text durchzupflügen, ist ein Willensakt, kein Vergnügen. Er besteht aus Vor- und Rückblenden, die keinen Sinn ergeben, die handelnden Personen werden nicht richtig vorgestellt, das Buch scheint ohne Lektor im Selbstverlag erschienen zu sein — was für ein Jammer. Denn inhaltlich ist das Buch auf mehreren Ebenen ein Hammer.
Beginnen wir vielleicht mit Lauren Southern als YouTube-Star. Ihre Videos hatten über viele Jahre sechs- und siebenstellige Klickzahlen und bedienten immer christlich-rechte Narrative.
„Entdeckt“ wurde sie, die damals Neunzehnjährige, mit einem Video, auf dem sie sich gegen Feminismus aussprach. Brauche man gar nicht, sagte sie, und Männer würden genauso häufig Opfer von Gewalt wie Frauen, wo blieben also die Männerhäuser? Das gefiel einem rechten Medienhaus, das sie daraufhin anheuerte. Klar, sich gegen Feminismus aussprechen kommt viel besser, wenn man eine hübsche, junge Frau mit Ausschnitt ist, und nicht ein Typ mit Bierbauch und Halbglatze.
So wurde Lauren Southern, der YouTube-Star, geboren. Sie war provozierend, frech und testete viele Grenzen aus. In Folge ihrer Arbeit wurde ihr die Einreise nach England und Australien verwehrt, weil sie „Hass“ verbreiten würde. Die Geschichte in England war eine typische Southern-Nummer: Nachdem in London eine Pride-Parade stattgefunden hatte, auf der Plakate wie „Gott ist queer“ oder „Jesus war trans“ aufgetaucht waren, meldete sie eine weitere Pride-Parade an. In Luton, einer Kleinstadt nahe London, mit 49 Moscheen und entsprechender Bevölkerung, in der es extreme Spannungen zwischen den bio-englischen Einwohnern und der Mehrheitsbevölkerung gibt. Das Wort „Gott“ ersetzte sie durch „Allah“ und „Jesus“ durch „Mohammed“. Und mit diesen Plakaten zog sie dann durch Luton, filmte die Reaktionen und fragte sich ob des Aufstands online, ob der Islam echt eine Religion des Friedens sei.
In ihrem Buch schildert sie, wie sie getrieben wurde von der Gier nach mehr Klicks. Wie sie immer noch provozierender wurde und geradezu süchtig war nach der Anerkennung ihrer Fans. Gleichzeitig geht sie sehr freimütig damit um, dass sie viele der von ihr behandelten Themen gar nicht wirklich durchdrungen hatte.
Ein Beispiel wäre, dass sie von russischen Würdenträgern eingeladen wurde, live aus dem Donbass zu berichten — noch vor dem Ukrainekrieg. Da hat sie schnell „Donbass“ gegoogelt und gesagt, dass sie das toll fände. Kein Hintergrundwissen, nirgends. Doch auch für ihre anderen Themen galt: Klicks schlagen Recherche. Für ihre antifeministischen Inhalte interviewte sie gerne viele junge Frauen und stellte dann die doofsten Kommentare online, um zu zeigen, wie unterirdisch Feminismus war.
Erste Risse bekam ihr Idealismus, als ihr klar wurde, dass die christliche Rechte auch eine finanzielle Masche war. So sollte sie zum Unterschreiben von Petitionen aufrufen, die in Folge nie eingereicht wurden. Ziel war es, Mailadressen zu erhalten, die dann an Marketingunternehmen weiterverkauft wurden. Außerdem sollte sie für Vor-Ort-Recherchen in Israel um Spenden bitten, die schon komplett von Israel finanziert waren, und Ähnliches mehr.
Ihre Welt brach in dem Moment zusammen, als sie gemeinsam mit Tommy Robinson nach Rumänien flog, um dort Andrew Tate kennenzulernen. Um nicht Lauren Southerns Fehler zu wiederholen, erfolgt hier eine kurze Vorstellung der beiden, da sie in Deutschland weniger bekannt sind:
Tommy Robinson — der Rebell aus der Arbeiterklasse
In England wird es kaum Menschen geben, die zu Tommy Robinson keine Meinung haben. Er kommt aus dem oben beschriebenen sozialen Brennpunkt Luton und war dort in der Football-Hooligan-Szene aktiv — das heißt, er ist keiner, der einer Schlägerei aus dem Weg geht. Er fing sehr früh an, Proteste zu organisieren — gegen Grooming-Gangs, wo muslimische Männer über Jahrzehnte weiße, sehr junge Mädchen in Vergewaltigungsringen missbrauchten, und Polizei und Sozialämter zusahen, ohne irgendetwas gegen die Täter zu unternehmen. Er protestierte gegen die muslimischen Drogenkartelle, die sich in Luton breitmachten und Kinder anfixten, und gegen die islamische Radikalisierung, die in seinem Heimatort stattfand. Ein weiterer Schritt war die Gründung der „English Defense League“ (EDL), die von den Medien als eine gewaltbereite, rassistische und rechtsradikale Vereinigung dargestellt wurde. Robinson wurde mehrfach straffällig und musste auch Zeit im Gefängnis verbringen. Interessanterweise wurden aber inzwischen praktisch alle Dinge, die Robinson anprangerte, bestätigt. Ja, die Polizei hat Vergewaltigern von kleinen Mädchen über Jahrzehnte grünes Licht gegeben und die Vorfälle vertuscht. Ja, die islamische Organisation, die Robinson schon früh als gefährlich benannte, ist mittlerweile als islamistische Terrororganisation eingestuft. Und in England fand nach und nach ein Umdenken statt gegenüber diesem ungehobelten und kompromisslosen Aktivisten. War es wirklich fair, wie ihn die Polizei behandelte, als er gegen die Polizei protestierte? Haben ihn die Gerichte vielleicht härter bestraft, als sie islamische Straftäter bestrafen würden? Zehnmal härter, fünfzigmal härter?
In England scheint ein Kipppunkt erreicht zu sein, und Tommy Robinson wird zunehmend als Märtyrer und Opfer einer parteiischen Polizei und Justiz gesehen. Zu seinem nächsten geplanten Marsch am 13. September 2025 werden eine halbe bis ganze Million Menschen erwartet. Insofern ist die Geschichte, die Lauren Southern über ihn erzählt, ziemlich schädlich für sein neu entstehendes Image.
Lauren Southern traf ihn um 2017 — leider ist ihr Buch nicht sehr akkurat, was Zeiten oder zeitliche Abfolgen anbetrifft. Sie beschreibt ihn als einen kokainabhängigen Egomanen, der die eingeworbenen Spendengelder der English Defense League für Flachbildschirme, Drogen und Prostituierte verpulverte. Sie schildert seinen ersten Gerichtsprozess aus möglichst negativer Perspektive. Er hatte einen Film gedreht und ihn dann gegen richterliche Anordnung veröffentlicht. In dem Film waren Aussagen zu sehen von Menschen, die diese später zurückgezogen hatten und nicht veröffentlicht sehen wollten. Der Film wurde 4,7 Millionen Mal geklickt. Dafür wurde er zu achtzehn Monaten Haft verurteilt — ohne Bewährung. Zu Recht, aus Sicht von Lauren Southern.
Gemeinsam mit Robinson flog sie zu einem früheren Zeitpunkt nach Rumänien, um dort den damals noch völlig unbekannten Andrew Tate zu treffen. Er hatte Finanzmittel für einen neuen Media-Kanal in Aussicht gestellt.
Andrew Tate — Macht, Missbrauch und Frauenhass
Während Robinson vor allem in England bekannt ist, hat Tate eine weltweite Fan-Gemeinde, vorwiegend bei jungen Männern (1). Die Tate-Brüder Andrew und Tristan haben sowohl eine britische als auch eine US-Staatsbürgerschaft, ihre Unternehmen haben sie aber in Rumänien aufgezogen, weil dort die Justiz weniger schlagkräftig — oder besser beeinflussbar — ist. Aufgewachsen sind sie — kaum zu glauben — ebenfalls in dem nur 200.000 Einwohner zählenden Luton.
Viele gewaltbereite und sexistische Männer versuchen dies unter einer netten Fassade zu verbergen — nicht so Andrew Tate. Er pflegt das Image des Frauenhassers und Arschlochs. Seine TikTok-Videos hatten mehrere Milliarden (ja, Milliarden) Aufrufe, bevor sein Account gesperrt wurde, auf X folgen ihm selbst heute noch 10 Millionen. Seine Zielgruppe sind Männer — solche, die wenig Erfolg haben bei Frauen und im Leben allgemein, die genug haben von Wokeness und die Andrew Tate als Vorbild in Sachen Maskulinität sehen. Er bietet ihnen Seminare an, wie man schnelle Autos, viel Geld und massenweise unterwürfige Frauen bekommt. Seine Videos triefen von Frauenhass, und er lässt keinen Zweifel daran, wofür sie seiner Meinung nach da sind. Sein Kanal dafür heißt „real life“ — passend dazu Lauren Southerns Buchtitel „This is not real life".
Gegen ihn laufen verschiedenste Verfahren in England und Rumänien: Menschenhandel, Vergewaltigung, Körperverletzung, Steuerhinterziehung und andere. Wie es sein kann, dass die Brüder aus dem Gefängnis in Bukarest nach Florida ausreisen durften, weiß kein Mensch — oder eben nur die, die das angeordnet haben.
Auch wenn Tate und Robinson früher Kontakt hatten, sind sie mittlerweile in verschiedenen Lagern: Robinson kämpft gegen Islamismus und — sehr weit ausgelegt — für westliche Werte. Tate hat sich mittlerweile zum Islam bekannt, seiner Aussage nach, „weil die wissen, wie man mit Frauen umgehen muss“.
Lauren Southern beschuldigt Tate, sie bei dem Treffen in Rumänien vergewaltigt zu haben. So wie sie es beschreibt, wollte Tate Robinson und sie dazu bringen, auf ihrem Kanal von ihm kreierte Kryptowährungen (den „Freedom Token“) als Versicherung gegen „das Regierungsgeld“ anzupreisen. Robinson war ihrer Schilderung nach während des gesamten Treffens in Bukarest high und kaum zu einem kohärenten Satz fähig. Nachdem das erste Business-Treffen zu nichts geführt hatte, wollte Tate sie noch mal allein treffen. Sie ging naiv darauf ein, weil sie glaubte, sie könne dadurch das Projekt retten und die Finanzierung sichern. Sie nahm aus seiner Hand zwei Drinks an, durch die sie die Kontrolle „viel stärker verlor als normalerweise“. Wie das bei solchen Dingen üblich ist, unterscheiden sich die Darstellungen von Tate und Southern darüber, was danach geschah, erheblich. Nach Tate war der Sex, falls er denn stattgefunden habe, einvernehmlich. Southern berichtet davon, dass sie mehrmals klar „Nein“ gesagt habe. Dass er sie gewürgt habe, bis sie bewusstlos wurde. Am nächsten Morgen erzählte sie ihrem Kameramann, was passiert war. Er bestätigte, die Würgemale gesehen zu haben. Zurück in England, ging sie zur Beweisaufnahme ins Krankenhaus und zur Polizei. Die Straftat wurde aber nicht verfolgt, da sie ihn in Rumänien hätte anzeigen müssen.
Von da ab war Lauren Southern eine andere. Nach ihrem anti-feministischen Weltbild waren Frauen, die vergewaltigt werden, selbst schuld. Warum geht sie denn mit einem Mann allein aus? Was für eine Kleidung trug sie denn? In ihr begann ein sehr ungesunder Prozess, geprägt von Selbsthass, der Frage, ob das so denn richtig sei, dem Gefühl, von Robinson getäuscht worden zu sein, und ihrem Eindruck, dass es mehr um Geld ging als um Inhalte.
Und doch machte sie weiter. Fiebrig. Mit einer Gier nach Klicks. Und einem nach dem Erlebnis mit Tate beginnenden Konsum von Drogen und Schlafmitteln. Das erste Kokain kam ihrer Schilderung nach von Robinson. Alles wurde mehr und mehr unerträglich — bis dann der Märchenprinz daherkam und sie sich von ihm nur allzu gerne retten ließ.
Der vermeintliche Retter war einer ihrer Security-Männer. Sie heiratete ihn ruckzuck, verabschiedete sich per Video von ihren Fans und wollte sich fortan seinem Wohl, dem Haushalt und den künftigen Kindern widmen — als „Tradwife“ („traditional wife“), wie sie in christlich-rechten Kreisen in Amerika verherrlicht werden. Dort gibt es einige YouTube-Kanäle, wo man diesen Frauen in sauberer Kleidung mit Blumenstrauß auf dem Tisch und lächelnder Kinderschar beim Marmeladekochen zuschauen kann. So lief es dann aber zu ihrer Überraschung nicht. Der Mann wurde schnell gewalttätig, verbriet ihre Rücklagen und schränkte sie brutal ein. Sie verstand nicht, warum das alles nicht funktionierte, wo sie doch alles richtig machte:
„I quit my job, I prayed, I was faithful, I didn‘t gain weight, I made dinner from scratch, and I was agreeable to the point of delusion.“
„Ich habe meinen Job aufgegeben, gebetet, war treu, habe mein Gewicht gehalten, Abendessen gekocht und war verträglich bis zur Selbstverleugnung.“
Nach ihrem Weltbild waren Frauen, die die Scheidung einreichten und ihre Familie zerstörten, natürlich das Letzte. Und diejenigen, die die alleinige Schuld trugen. Als sie ihre Sachen packte und zu ihren Eltern floh, war sie mit ihrem Weltbild fertig. Mehr oder weniger.
Innerlich mehr, äußerlich wiederum weniger. Denn Lauren Southern hat keinen Beruf gelernt, außer dem, provozierende, rechtslastige YouTube-Videos zu drehen. So heuerte sie bei Tenet Media an und machte weiterhin genau das. Die Trennung von ihrem Mann verbarg sie, denn sie hatte zu viel Angst davor, von ihren Fans gecancelt zu werden. Als ob die Geschichte bislang noch nicht farbenfroh genug wäre, ging sie eine neue Beziehung ein. Nicht mit irgendwem, sondern mit Steven Bonnell. Dieser Name ist in Deutschland wenig bekannt, aber in den USA ist er ein unter dem Namen „Destiny“ bekannter YouTuber — für die Woken. Er propagiert alles, wogegen Southern postete. Sie hatten sich öffentlich auf Videos Argumente um die Ohren gehauen — für und gegen Immigration, das Recht auf Abtreibung, LGBTQI+, Russland — was auch immer, um hinterher gemeinsam in der Kiste zu landen.
Zu dem Zeitpunkt waren ihre Übereinstimmungen offenbar größer als ihre Differenzen. Sie waren Show-Biz-Leute. Beide waren davon getrieben, ihre Fans zu bedienen. Zustimmung zu erhalten. Beide suchten nach dem krassesten Blickwinkel, um möglichst viele Klicks zu erreichen. Die Überzeugungen und Inhalte waren lange schon zweitrangig.
Zu allem Überfluss musste Southern dann noch feststellen, dass ihr Arbeitgeber — Tenet Media — von Russland finanziert worden war. Dieses hatte offenbar ein Interesse daran, Veröffentlichungen gegen die Partei der Demokraten zu fördern. Southern sagt, sie hätte davon keine Ahnung gehabt. Der Aufschrei war groß. Sie musste vor dem Kongress aussagen. Nebenbei stellte sie dabei noch fest, dass sie — gemessen an den Klickzahlen — nur zwei Prozent der Entlohnung ihrer männlichen Kollegen erhalten hatte. Darüber hinaus wurde bekannt, dass sie „Ehebruch“ begangen hatte, und das auch noch mit dem Erzfeind Steven Bonnell — der übrigens keinerlei Probleme damit bekam, eine aus dem anderen Team flachgelegt zu haben. Andrew Tate und Tommy Robinson mögen sich spinnefeind sein, aber in einem sind sie sich einig: Lauren Southern ist eine Lügnerin. Wenn das nicht so wäre, dann wäre Tate ein Betrüger und Vergewaltiger, und Robinson ein Betrüger und kokainabhängig.
Und so gehen die Memoiren von Lauren Southern zu Ende. Sie war ein strahlendes junges Gesicht für die christliche Rechte, wurde desillusioniert, geschmäht und gecancelt — und beschloss am Ende, der Welt der YouTube-Videos den Rücken zu kehren. Eigentlich wäre das ein guter Stoff für eine Netflix-Serie, wenn die Vergewaltigung, die Drogengeschichten und Betrügereien beweisbar wären. So ist das natürlich schwierig. Netflix ist übrigens ein Wort, das in ihrem Buch häufig vorkommt. Immer wieder vergleicht sie diese oder jene Situation damit, wie sich die „Sopranos“, „Seinfelds“, „Friends“ oder wer auch immer, aus welcher Netflix-Serie auch immer, sich in dieser oder jener Staffel gefühlt haben. Furchtbar. Es ist seltsam, dass eine Frau, die in ihren Videos mit so viel Präsenz und Eloquenz hohle Phrasen drischt, solch einen inhaltsreichen Stoff nicht in eine lesbare Form bringen kann. Denn das wäre durchaus für viele Menschen interessant: für Robinson-Fans und -Gegner, für Tate-Gegner — können Tate-Befürworter ganze Bücher lesen? —, für Feministinnen, für Russlandfeinde, für Linke. Eigentlich für ein riesiges Publikum. Man kann nur hoffen, dass Lauren Southern das Buch noch mal vom Markt nimmt und es einem Ghostwriter gibt. Weil es allen, die gerne Bloggern ihrer Wahl folgen, einiges zu denken geben kann.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Mein Sohn, befragt nach Andrew Tate, wusste gleich eine Geschichte: Tate meine, eine Schwangerschaft dauere nur deshalb neun Monate, weil Frauen so unfähig seien. Würden Männer das machen, wäre das Ganze nach zwei Wochen erledigt. „It’s a question of skills, you know”, fügte mein Sohn noch grinsend hinzu.