Die Ökodiktatur „wird nicht durch eine Revolution über uns kommen, sondern scheibchenweise installiert. (…) Je länger wir darauf verzichten, im Vorgriff umzusteuern, desto wahrscheinlicher und grausamer wird die Ökodiktatur. (…).“ Dirk C. Flecks Argumente pro Diktatur — mögen sie nun seine wirkliche Meinung wiedergeben, aus der Perspektive eines Advocatus Diaboli gesprochen oder nur Romanfiguren in den Mund gelegt sein — deuten nicht nur auf die erwartbaren Debatten der kommenden Jahre voraus; sie bilden die argumentative Blaupause für jede Form des Demokratieabbaus, ob nun im Namen des Klimaschutzes, der inneren Sicherheit oder der Gesundheitsvorsorge. Die Argumentationsstrategie umfasst folgende Schritte:
- Die Feststellung, dass wir es mit einer Bedrohung von alles überragender Bedeutung zu tun haben, in der die Regeln, die in einer Gemeinschaft bisher galten, im Interesse eines „höheren Zwecks“ aufgehoben werden müssen.
- Die Bedrohung stelle das Überleben des Kollektivs oder großer Teile des Kollektivs infrage; Humanität sei somit schon deshalb obsolet geworden, weil im Fall des Nichthandelns niemand mehr übrig sein werde, der diese Humanität in Anspruch nehmen könne. Es werde zwar keine freien Menschen mehr geben können, dies sei aber der Alternative bei Weitem vorzuziehen: der Auslöschung aller Menschen.
- Die Demokratie sei somit als Organisationsform, um derartige Entscheidungen verantwortbar zu treffen, ungeeignet, denn sie könne ja dazu führen, dass sich die Unvernunft durch Mehrheitsentscheidung durchsetze. Um das zu verhindern, bedürfe es einer Diktatur der Vernunft. Es gebe nur noch eine sinnvolle Handlungsoption, die den Menschen komplett von den „Umständen“ diktiert werde. Die Angehörigen einer informierten Elite müssten gleich Priestern und Soldaten dieser absolut zwingenden Umstände agieren und Widerstand unter Missachtung der bisher geltenden humanen Verfahrensregeln ausschalten. Schließlich würden dadurch nicht zuletzt auch die Widerständigen selbst vor den Folgen ihrer eigenen Unvernunft geschützt werden.
- Mit dem Pluralismus der Handlungsoptionen müsse auch jener der widerstreitenden Meinungen ein Ende haben. Die eine Wahrheit kümmere sich nicht darum, ob Menschen unterschiedliche Auffassungen über sie hätten. Wenn also Gedankenfreiheit zu einer weitgreifenden Desorientierung der Öffentlichkeit mit tödlichen Folgen für die ganze Gemeinschaft führe, sei die Elite berechtigt, ein Verfahren zur Lenkung und Kontrolle dieser Gedanken durchzusetzen.
Was für die Herrschaft über menschliches Handeln gilt, gilt ebenso auch für die Herrschaft über unser Denken: Wenn Unfreiheit Leben bedeutet und Freiheit Tod, verlangen es die Vernunft und gerade auch die Humanität, die Unfreiheit zu wählen.
Ich spreche hier — noch — nicht von konkreten Personen und Bewegungen, die diese Ansichten aktuell vertreten, sondern von Pfaden des Denkens, die, wenn man sie weiterverfolgt, unweigerlich zum Ende von Demokratie und Freiheit führen werden. Das Besondere an den genannten Argumenten ist, dass sie nicht ohne Weiteres widerlegbar sind, dass sie vielmehr eine gewisse Verführungskraft besitzen. Was die Mehrheit der Menschen heute noch entrüstet zurückweist, wird ihnen schon morgen — verstärkte „Sachzwänge“ und eine dramatische Bedrohungslage vorausgesetzt — ohne Probleme aufgeschwatzt werden können. Wir haben am Beispiel von Corona gesehen, dass Demokratie ein fragiler Tanz auf dünnem Eis ist. In einem Land, in dem die Bevölkerung ganz überwiegend offenbar nicht an Freiheit interessiert ist, wird sich der Widerstand gegen deren Preisgabe aus Klimaschutzgründen in Grenzen halten. Wenn 78 Jahre relativer Freiheit und relativ gut funktionierender Demokratie schon durch ein mittelmäßig gefährliches Virus ins Wanken gerieten, um wie viel leichter werden diese dann zu kippen sein, wenn man den Menschen eine wahrhaftige Apokalypse an die Wand malt?
In seinem Buch Hitler als Vorläufer (1) behauptet der Münchener Schriftsteller Carl Amery, die Taten der Nazis seien erst der Anfang einer viel umfassenderen Entwicklung hin zum Inhumanen gewesen. Im Kern gehe es gar nicht um Antisemitismus und andere faschistische Wahnideen, sondern um Vorstellungen von Auslese und Überlebenskampf, die in den globalen Krisen der Zukunft an Bedeutung gewinnen könnten. Die „Hitlerformel“ nach Carl Amery setzt eine Krisensituation voraus, „die sowohl materielle Not wie das Erlebnis existenzieller Orientierungslosigkeit umfasst. Diese Krisenerfahrung muss die Erkenntnis aufdrängen, dass es nicht (und wahrscheinlich nie mehr) für alle reicht. (…) Die überlegene Gruppe oder Formation, welche sich zur Bewahrung der zivilisatorischen Errungenschaften berufen fühlt, sieht sich deshalb zur Selektion gezwungen; diese muss logischerweise die Unantastbarkeit der Menschenwürde aufheben“ (2).
Carl Amery sieht die humane Fassade aufgrund möglicher Verteilungskämpfe bröckeln. Auch andere Gründe — oder eine Kombination aus mehreren von ihnen — könnten aber, wie er es ausdrückt, „die Unantastbarkeit der Menschenwürde aufheben“. Die Öko-Katastrophe, ein „neuartiges“ Virus, erneute Kriegsgefahr, wirtschaftlicher Zusammenbruch und alte sowie neu entstehende Flüchtlingsströme könnten schon in den nächsten Jahren eine brisante Gemengelage erzeugen, die die Regierenden zu bisher undenkbaren Eingriffen in die Rechte von uns allen „zwingt“ — begleitet natürlich von der lautstarken Unterstützung der Medien und der meisten der ihrer Freiheit Beraubten.
Die Öko-Diktatur — mag sie auch von den Verantwortlichen vermutlich etwas vornehmer umschrieben werden — dürfte in den nächsten Jahren zu einem der dominierenden Themen werden.
Setzt man bei vielen Regierenden einen allgemein verbreiteten Willen zur Machtausübung und zur Ausweitung ihrer Machtbefugnisse voraus, könnte ein Ausbleiben neuer Pandemien bei vielen, deren öffentliche Existenz fast vollständig von ihrer Rolle als „Virusbekämpfer“ abhängt, nicht als Hoffnung, sondern als Bedrohung empfunden werden.
Da liegt die Idee nahe, dass die während Corona erlernten Repressions-Tools einfach auf die nächste Krise, die Öko-Krise, zu übertragen seien. Die Gedankenkeime diesbezüglich beginnen schon zu sprießen. Eine einmal auf reflexartigen Gehorsam konditionierte Bevölkerung wäre für die Klima-Krieger ein leichtes Spiel. Die Unfreiheit müsste sozusagen nur ihren Vornamen ändern: Statt „Gesundheits-“ hieße sie dann eben „Öko-Totalitarismus“, Hauptsache, die allgemeine Stoßrichtung — weniger Freiheit — bliebe gewährleistet.
In einem Artikel für Die Welt im Dezember 2020 schrieb Karl Lauterbach: „Für mich bleibt der Eindruck, dass es uns in Deutschland und auch in Europa, geschweige denn in den Vereinigten Staaten, ohne die Entwicklung eines Impfstoffes nicht gelungen wäre, diese Pandemie zu besiegen. Eine Impfung gegen CO2 wird es allerdings niemals geben“ (3). Eine Sehnsucht nach der autoritären Patentlösung scheint hier ganz deutlich durch: „Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind. Ob das erreichbar ist, wage ich zunehmend zu bezweifeln.“ Die Unvernunft vieler Bürger, die er im ersten Corona-Jahr erleben musste, brachten den Bundesgesundheitsminister der Ampel-Koalition zu dieser damals sehr pessimistischen Einschätzung. Ich glaube aber, Lauterbach da beruhigen zu können. Weder werden die Regierenden nicht auf die Idee kommen, ökodiktatorische Maßnahmen zu ergreifen, noch werden sich diese als nicht durchsetzbar erweisen. Es dürfte auch hier wieder nur eine kleine, überall diffamierte Minderheit sein, die auf Freiheit pocht.
Die Klima-Aktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer schrieben im Juli 2020 einen offenen Brief an die „Führer der Welt“ (4). Sie hoben darin das entschlossene Handeln der Regierungen in der Corona-Krise als Vorbild für ein mögliches Verhalten in der Klimapolitik hervor. „Im letzten Jahr musste die Welt mit Schrecken mitansehen, wie die COVID-19-Pandemie Menschen überall auf dem Globus getroffen hat. Während dieser Tragödie konnten wir beobachten, wie viele — nicht alle — Führungspersönlichkeiten und Menschen auf der ganzen Welt einen Gang hochgeschaltet und für das höhere Wohl der Gesellschaft gehandelt haben.“ Abgesehen davon, dass aus der Passage eine außergewöhnliche Naivität bezüglich der Gründe für die harten Corona-Maßnahmen in vielen Ländern spricht, wird vor allem deutlich, dass eine an Freiheit weitgehend uninteressierte Öko-Jugend fordert, beim Klima „wie bei Corona“ vorzugehen — also ohne langes Federlesen.
Ebenso wie in der Corona-Krise wird auch beim Klima Unfreiheit quasi als der einzige Weg betrachtet, um noch schlimmere Unfreiheit zu vermeiden.
Bei Corona wollte uns die Politik den Genuss der Grundrechte — früher eine pure Selbstverständlichkeit — als wohldosierte Prämie für Wohlverhalten auszahlen. Erst raubte man den Menschen ihre Freiheiten, dann wurden sie den Fügsameren unter ihnen hingeworfen wie ein Hundekuchen, als Belohnung nach einem erfolgreich absolvierten Dressurakt.
In der Klimafrage werden ökodiktatorische Maßnahmen dann wohl als der letzte Ausweg präsentiert werden, um wenigstens noch einen Teil der gewohnten Freiheit bewahren zu können. Verpassen wir diese Ausfahrt, landen wir unausweichlich auf der abschüssigen Bahn in Richtung eines Totalverlusts aller Freiheiten. Das wäre dann nicht mehr die Schuld der ausführenden Politiker, sondern unsere.
Robert Habeck, gescheiterter Wirtschafts- und Klimaminister der „Ampel“, kokettierte schon 2018 in einem Interview mit Richard David Precht (5) mit der Idee eines Systemwechsels. Demokratische Strukturen, so Habeck, seien verglichen mit den sich überschlagenden Entwicklungen auf den Gebieten Wirtschaft, Technik und Kima viel zu langsam. „Dadurch entsteht eine Wirklichkeit, dass die Politik nicht immer auf Ballhöhe mehr der Herausforderungen ist“, so Habeck. Nicht nur die „üblichen“ Fetische unserer Zeit, Sicherheit, Gesundheit und Klima, stellen demnach die Grundregeln unserer Demokratie in Frage. Dafür genügt schon die Geschwindigkeit, mit der sich technische Entwicklungen im außerpolitischen Raum vollziehen. Das erinnert mich wiederum an meinen immer wieder gehegten Verdacht: Unwichtiger als die Freiheit ist eigentlich so gut wie nichts.
Habeck stellt deshalb offen die Systemfrage: „Man kommt da nur normativ weiter. Man muss das zugeben, dass es so ist. Dann muss man sich entscheiden: Will man daran festhalten, dass ein demokratisches System, das im Grunde genommen dem Kern von Selbstbestimmung und Beteiligung von Menschen noch verpflichtet ist, noch eine Chance hat, dann muss man aber jetzt in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik einführen. Oder gibt man es auf, dann wird man zu zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind.“ Und Robert Habeck weiß auch, in welche Richtung die „langsamen“ westlichen Demokratien da hilfesuchend schauen sollten: „China, da gibt’s eben keine Opposition, keine Mitbestimmung, und wenn die einen Fehler machen, dann werden sie trotzdem nicht abgewählt. (…) Aber erst einmal ist das System effizienter. Wollen wir das oder wollen wir es nicht? Ich glaube, die Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, die kannst du nur wertegeleitet treffen“ (6).
In der Summe plädiert Habeck hier nicht explizit für ein chinesisches System des zentralistischen, totalitären Staatskapitalismus mit einer perfektionierten technischen Infrastruktur der Überwachung und Verhaltenssteuerung. Er räumt gnädig ein, man müsse der Demokratie eine Chance geben.
Ganz klar scheint aber: Unser bisheriges System steht auf der Kippe, zumindest auf dem Prüfstand. An ihm, Habeck, und anderen verantwortlichen Politikern sei es nun, abzuwägen, ob es mit dem durch unser Grundgesetz vorgegebenen parlamentarischen System so weitergehen könne oder nicht. Sollte sich dieses weiter als „ineffizient“ erweisen, könne die Führungselite durchaus in Richtung China steuern.
Nichts scheint in dieser Frage irrelevanter zu sein als die im Grundgesetz verankerten Bürgerrechte und der Wille der Bürgerinnen und Bürger selbst.
Natürlich ist es purer Zufall, dass bei besagtem Gespräch der Interviewer und der Interviewte ein Herz und eine Seele waren. Richard David Precht schrieb — drei Jahre später — in Von der Pflicht: „Wenn sich Menschen in Deutschland schon gegen Abstandsregeln und ein Stückchen Stoff im Gesicht wütend empören, wie werden sie erst dann reagieren, wenn der Kampf gegen die drohende globale Klimakatastrophe den Bürgern massivere Einschränkungen und Verhaltensänderungen abnötigt?“ (7). Schon klar: Ginge es nach Precht, würde sich überhaupt niemand mehr über irgendetwas empören. Resignative Gelassenheit angesichts der überlegenen Weisheit der Staatsführung wäre für ihn wohl die erste Bürgertugend. Und noch etwas unterstellt der Philosoph Maßnahmenskeptikern bei dieser Gelegenheit: Wer die Maske nicht gern trägt — über deren Nutzen und Schaden es ja in der Tat verschiedenste Ansichten gibt —, ist mentalitätsgleich mit den Zerstörern unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Auch Precht sagte somit voraus, dass eine Form von Öko-Autoritarismus auf den zwischen 2020 und 2023 bestehenden Gesundheits-Totalitarismus draufgesattelt werden könnte, der den Menschen sogar noch weitaus mehr abverlangen würde.
Robert Habecks Äußerungen steckten aber nur einen allgemeinen Rahmen ab, innerhalb dessen sich konkrete „Diktaturen“ — zum Beispiel der Öko-Totalitarismus — entfalten könnten. Es gibt dazu durchaus noch direktere und brutalere Äußerungen, etwa jene von Roger Hallam, dem Gründer der Klimaschutzbewegung „Extinction Rebellion“: „Klimaschutz ist größer als Demokratie. Wenn die Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen“ (8).
Und Walter Wüllenweber im Stern: „Das Tempo der Erderwärmung zwingt uns, die alten Methoden wieder anzuwenden, von denen wir dachten, wir hätten sie überwunden: Zwang, Verbote, Kontrolle und Strafe. Es tut weh, so etwas Autoritäres zu schreiben. Aber wir müssen solche zivilisatorischen Rückschritte in Kauf nehmen, um die Zivilisation zu retten“ (9).
Schließlich der durch seine blauen Haare und das Video Die Zerstörung der CDU bekannt gewordene Jung-Influencer Rezo: „Es gibt hier keine unterschiedlichen legitimen politischen Meinungen. Sondern es gibt nur eine legitime Einstellung“ (10). Wir bekommen es also definitiv mit einer Renaissance des Autoritarismus und des Dogmatismus zu tun — von Wüllenweber ganz offen als bedauernswerte, aber notwendige Rückkehr zu vordemokratischen Verhältnissen deklariert, von Rezo in Form einer Delegitimierung aller Handlungs- und Denkalternativen.
In einer Talkshow bei Maybrit Illner meinte die Politökonomin Maja Göpel: „Ich habe überhaupt keine Lust, über die Kosten des Klimaschutzes zu reden, ohne über die Kosten des Verweigerns des Klimaschutzes zu sprechen“ (11). Sicher zunächst eine richtige Feststellung. Dann aber sagt Göpel, was Sache ist: „Eine Öko-Diktatur ist auch so zu verstehen, dass so viele Umweltveränderungen stattfinden, die keine einzige Regierung mehr abschaffen kann und die uns diktieren, wie die Freiheitsgrade der zukünftigen Generationen sind.“ Diese Aussage ist durchaus logisch, zeigt aber auch eine problematische Tendenz, der wir in Zukunft noch öfter begegnen werden. Nicht gewählte Politiker und schon gar nicht „der Souverän“, die Wahlbürger, bestimmen das Geschehen — sie alle finden sich als Getriebene von „Umständen“ wieder, gegen die — wie gegenüber einem Borg-Kollektiv in den Star-Trek-Serien — Widerstand absolut zwecklos ist.
Dieser Verweis auf „höhere Gewalt“ kann positiv auch als demutsvolle Einsicht in die Grenzen des Machbaren gedeutet werden; er könnte aber in naher Zukunft jede demokratische Tradition mit einem einzigen dicken Strich ausradieren. Die Berufung auf „Veränderungen“, die irgendetwas „diktieren“, kann missbraucht werden von Akteuren, die sich aus Eigeninteresse als Priester und Propheten jener sakrosankten Veränderung inszenieren.
Wir stehen also beim Thema Ökologie vor einem Dilemma. Die ökologischen Schäden und Bedrohungen sind real. Der Vorwurf, die Menschheit habe ihre relative Freiheit in den vergangenen Jahrzehnten missbraucht, um ohne Verantwortung für künftige Generationen — ja selbst für die jetzt lebenden Menschen und Tiere — ihren vordergründigen Bedürfnissen zu frönen, liegt nahe. Mir selbst kommen manchmal „ökodiktatorische“ Gedanken, wenn ich den ungenierten Fleischkonsum meiner Mitbürger betrachte — mit katastrophalen Folgen nicht nur für die Situation der zu Millionen gequälten, ausgebeuteten und hingeschlachteten Tiere, sondern auch für unser Ökosystem. Wäre ein Fleischverbot da nicht ein probates Mittel?
Freilich fordern die meisten Menschen wohl den Entzug von Freiheiten besonders gern für andere — in Fällen also, in denen sie selbst nicht betroffen wären.
Wer kein Auto besitzt, hält eine Verteuerung des Benzins für die naheliegende Maßnahme gegen Klimaerwärmung. Wer sich schon früh hat impfen lassen, findet einen Impfzwang gar nicht so schlimm. Und der Vegetarier kann sich mit mehr Härte gegenüber Fleischessern und der Schließung aller Metzgereien mühelos anfreunden.
Wir müssen hier fair bleiben und für Interessenausgleich sorgen. Da im Fall einer Öko-Katastrophe schrankenlose Freiheit schwer durchzuhalten, der Verlust aller Freiheiten jedoch ebenso wenig erstrebenswert wäre, müsste der Weg irgendwo zwischen diesen beiden Extremen hindurchführen. Folgende Abwägungen wären zu treffen:
- Sind die Motive der Öko-Krieger ehrlich? Vermischen sich Umweltschutz-Motive mit Interessen der Machterweiterung seitens des Staates? Wird unter dem Deckmantel des Klimaschutzes nicht — vergleichbar mit dem Grundrechtsabbau unter dem Zeichen von Corona — vielleicht eine generell freiheitsfeindliche Agenda vorangetrieben? Um das abzuwägen, müssten wir vor allem fragen, wie sinnvoll, notwendig und verhältnismäßig die Klimamaßnahmen wären.
- Während es in Klimafragen um das nackte (Über-)Leben geht, drehen sich Freiheitsfragen vor allem um den Sinn und Inhalt dessen, was unser Leben ausmacht. Wie lebenswert ist eine Gesellschaft ohne Freiheit? Reichen gute Luft und gemäßigte Temperaturen auf dem Gefängnishof, oder wollen wir mehr vom Leben und wagen wir den Ausbruch aus dem Gefängnis?
- Ist die Verantwortung für ökologische Probleme wirklich bei allen Bürgern gleichermaßen groß? Müsste man Groß-Verschmutzer in der Industrie nicht entschlossener in ihre Schranken verweisen als Bürger, die „Alltagsdelikte“ begehen wie die zu häufige Benutzung eines Autos mit Verbrennungsmotor? Wie wir vielfach gesehen haben, wollen sich die großen Umweltverschmutzer gern durch ein Crowdsourcing des Verantwortungsgefühls aus der Affäre ziehen. Im fortgeschrittenen Stadium einer Öko-Kampagne wird vielleicht beim Endverbraucher nach fünf Minuten Duschen kein Wasser mehr aus der Leitung kommen, während für die Viehwirtschaft Millionen von Litern täglich verbraucht werden. „Climate justice“, der viel verwendete Slogan der Fridays-for-Future-Demos, sollte hier beachtet werden — zwischen den Staaten der Welt, aber auch zwischen den Menschen ein und desselben Landes.
- Gibt es, bevor man die Freiheit „abschafft“, auch Möglichkeiten zur Kompromissfindung? Und wer entscheidet überhaupt über das richtige Maß — etwa Menschen mit einem offensichtlich gestörten Verhältnis zur Demokratie wie der damalige Klimaminister Robert Habeck? Solch schwerwiegende Abwägungen sollten einer gut und vielseitig informierten Gemeinschaft vorbehalten werden. Welche Folgen hätten „ein paar Grad mehr“ auf der Skala der Erderwärmung? Welche Auswirkungen andererseits hätte eine Öko-Diktatur auf unser Gemeinwesen, auf die psychosoziale Gesundheit und unsere Lebensqualität? Und sind alle Informationen seriös, die uns derzeitige politische Würdenträger als wahr verkaufen wollen?
- Welchen Anteil hat menschliches Verhalten überhaupt an der Klima-Erwärmung? Kann es überhaupt als gesichert gelten, dass es eine solche gibt oder dass sie über erwartbare Schwankungen der Temperaturen auf der Erde hinausgeht? Welche Quellen ziehen wir zur Beantwortung solcher Fragen heran und welchen können wir trauen?
Freiheit, so viel scheint klar, hat nicht unter allen Umständen recht. Aber wenn sie aus einer Gesellschaft fast vollständig verschwunden ist, kann das nicht nur mit unbequemen, ganz praktischen Einschränkungen wie etwa einem Sonntagsfahrverbot oder einer Fleischverteuerung verbunden sein — eine autoritär gelenkte Gesellschaft verhindert den freien Austausch von Ideen darüber, wohin der Weg uns führen sollte. Sie verunmöglicht es, dass die Bedingungen des sozialen Zusammenlebens von ihren Mitgliedern auf Augenhöhe verhandelt werden können. Hat sich ein autoritärer Geist erst eingenistet, könnte dies — selbst falls es die Klimaerwärmung etwas zu reduzieren hilft — auf anderen Politikfeldern so verheerende Auswirkungen haben, dass wir es vielleicht bereuen werden, die Freiheit so leichtfertig geopfert zu haben.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Carl Amery, Hitler als Vorläufer. Auschwitz — der Beginn des 21. Jahrhunderts?, Luchterhand, München 2002
(2) Ebenda
(3) https://www.welt.de/politik/deutschland/article223275012/Kampf-gegen-Klimawandel-Lauterbach-wegen-Coronazeit-pessimistisch.html
(4) https://www.welt.de/vermischtes/article211716403/Greta-Thunberg-und-Luisa-Neubauer-fordern-neues-System.html
(5) Robert Habeck im Gespräch mit Richard David Precht, Frisst der Kapitalismus die Demokratie?, 17.12.2018 im ZDF, https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/precht-194.html
(6) Ebenda
(7) Richard David Precht, Von der Pflicht, Goldmann, München 2021
(8) Zitiert nach: Raymond Unger, Vom Verlust der Demokratie. Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise, Europa Verlag, München 2021
(9) https://www.stern.de/politik/deutschland/klimawandel---warum-wir-ohne-verbote-nicht-mehr-auskommen-werden-8814376.html
(10) Zitiert nach: Raymond Unger, Vom Verlust der Demokratie. Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise, Europa Verlag, München 2021
(11) https://www.welt.de/vermischtes/article231274643/Maybrit-Illner-Dann-koennen-sich-nur-noch-sehr-reiche-Leute-Autos-und-Fliegen-leisten.html