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Muttis Blendraketen

Muttis Blendraketen

Was Angela Merkels Neujahrsansprache zwischen den Zeilen wirklich aussagt.

Die Neujahrsansprache von Angela Merkel an das Volk wurde in gewohnter Wohnzimmer-Atmosphäre abgehalten. Warmes Licht kontrastiert den im kühlen, türkisblauen Licht liegenden Bundestag im Hintergrund. Mutti steht an einem Tisch, auf dessen polierter Oberfläche sich ihre Hände spiegeln. Ein Blumenstrauß zu ihrer Rechten und die deutsche und die europäische Flagge zu ihrer Linken vervollständigen das Bild von Geborgenheit, welches dem Zuschauer vermittelt werden soll.

Um den heißen Brei herumzureden ist eine Meisterdisziplin der Frau Doktor Merkel, die sie auch in ihrer letzten Ansprache wieder unter Beweis stellt. Entsprechend konfus, unkonkret und durcheinander ist auch die diesjährige Rede geraten. Im Nachfolgenden sollen die über die sieben Minuten Laufzeit kreuz und quer verteilten Themenschwerpunkte kurz analysiert und auf Doppelbödigkeit hin betrachtet werden.

Klimawandel

Dieses Thema war im vergangenen Jahr offensichtlich und in der körperlichen Wahrnehmung nicht mehr zu ignorieren. Es musste in Merkels Neujahrsansprache Einzug erhalten! Der Klimawandel. Hierbei nimmt Merkel – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Vogelperspektive ein. Mitten in ihrer Ansprache werden drei Fotoaufnahmen des deutschen Astronauten Alexander Gerst eingeblendet. Dieser vermochte es kürzlich mit einer emotionalen Botschaft, eine Entschuldigung an alle künftigen Enkelkinder für die Zerstörung der Welt, zahlreiche Menschen zu berühren – wenn auch kaum zum Umdenken zu bewegen! Merkel greift hier also einen Netz-Trend auf und zeigt, dass das Internet nicht mehr komplettes Neuland für sie ist.

Die Bilder werden von ihr und dem Cutter sehr geschickt eingesetzt. Die erste Erd-Fotoaufnahme zeigt das Auge eines Sturmes. Merkel spricht von Naturgewalten wie Hurrikans, mit denen wir als Menschen leben müssten. So, so! Ist das so? Das nächste Bild zeigt die ausgedörrte Landschaft Mitteleuropas im letzten Sommer. Hier gibt sie sich naiv und bezeichnet dieses Phänomen als „ungewöhnlich“. Dabei wäre es nun angebracht, über unsere Umweltsünden, das Fortlaufenlassen des Braunkohleabbaus oder den Diesel-Skandal zu sprechen. Aber nein! Am Ende soll ja nichts Negatives haften bleiben. So zeigt uns Merkel als letztes Bild eine schöne Aufnahme einer strahlend blauen Erde und spricht von der überwältigenden Schönheit unseres Planeten.

Der Trick ist genauso hilfreich wie alt. Das unschöne Glied einer Aufzählungskette in die Mitte zwischen zwei – mehr oder weniger – positive Glieder zu stecken, sodass am Anfang und am Ende ein positiver Eindruck übrig bleibt. Erst zeigt man eine Naturgewalt („ui, wie aufregend!“), dann in der Mitte die Dürre-Katastrophe („okay, das war nicht so prickelnd!“) und am Ende wieder ein atemberaubendes Bild der Schönheit unseres Planeten („oh, wie schön!“).

Zwar spricht sie im Anschluss darüber, dass der Klimawandel eines der drängenden Probleme unserer Zeit sei. Dieses Problem bildet jedoch nur den Anfang einer Aufzählungskette und gerät nach deren Ausführung wieder mehr oder weniger in Vergessenheit. Nach dem Klimawandel seien weitere drängende Probleme die Migration – das mag ja auch richtig sein –, aber auch der internationale Terrorismus.

Zack! Da haben wir es wieder!

Was bleibt am Ende haften? Nicht der Ökozid, der uns unweigerlich bedroht, sondern der vermeintlich überall gegenwärtige Terrorismus.

Wie viele Deutsche sind 2018 durch Terroristen ums Leben gekommen? Wie viele Deutsche sind durch die Hitze in diesem schrecklichen Sommer ums Leben gekommen? Die offiziellen Zahlen sind noch nicht veröffentlicht. Betrachtet man jedoch die Zahl der Hitzetoten des letzten Hitzesommers 2003, kann man erahnen, wie viele Deutsche dieses Jahr an der Backofen-Atmosphäre zugrunde gegangen sind: Damals waren es allein in Deutschland 7.000 Tote, europaweit 40.000. In Anbetracht dieser Zahlen: Welches Thema sollte uns mehr bewegen?

Unser Erbe

Demokratie lebe vom Wechsel, lehrt uns Merkel, nachdem sie bereits 13 Jahre das Amt bekleidet. Zwar nennt sie auch diese Zahl, führt ihre Aussage damit jedoch ad absurdum, da bei einem 13-jährigen Verweilen auf dem gleichen Amtsposten nicht von einem Wechsel die Rede sein kann. Oder sie gibt damit indirekt zu, dass wir es in Deutschland nicht mehr wirklich mit einer Demokratie zu tun haben. Auch deswegen, weil ein Wechsel von Merkel zu Kramp-Karrenbauer in etwa einen Wechsel wie von Raider zu Twix darstellt.

Wenn in Russland ein Präsident über einen so langen Zeitraum ein Amt bekleidet, wird dies im Westen als Indikator für eine nicht funktionstüchtige Demokratie gewertet.

Und Russland ist genau das richtige Stichwort – der Maßstab, an dem wir messen können, ob Merkel es verstand, ein politisches Erbe mit gebotener Würde und Demut entgegenzunehmen und weiterzugeben.

Gewissheiten der internationalen Zusammenarbeit würden zunehmend unter Druck geraten und deswegen müssten wir wieder stärker für unsere Überzeugungen einstehen, für sie argumentieren und – kämpfen! Dem letzten Wort verleiht sie noch einmal richtig kräftigen, fast bellenden Nachdruck.

Symbolisch für ihre historisch versaute Russland-Politik, das verspielte Erbe von Helmut Kohl.

Ein Erbe des Friedens, das so dermaßen verspielt wurde, dass im Herbst 2018 Trident Juncture, das größte NATO-Manöver seit dem Kalten Krieg, direkt an Russlands Grenze mit immens hoher deutscher Beteiligung stattfand.

Redet Merkel zu Beginn ihrer Ansprache noch darüber, man müsse mit anderen über Grenzen hinweg zusammenarbeiten, betont sie nach ihrem Ausschweifen über Alexander Gerst – damit sich danach geschickterweise niemand mehr an diese Aussage erinnert –, dass neben den Ausgaben für humanitäre Hilfe auch die Verteidigungsausgaben steigen würden. Warum? Warum müssen die Ausgaben für Verteidigung – Neusprech für Militär- oder Angriffsausgaben – erhöht werden, wenn wir doch über Grenzen hinweg mit allen zusammenarbeiten wollen? Gegen wen sollen wir uns verteidigen können?

Und welcher Fernsehzuschauer denkt sich nun bitte: „Gott sei Dank! Endlich werden meine Steuergelder in Rüstungsgüter und Ausrüstung für Soldaten gesteckt. Dafür nehme ich die marode Infrastruktur und das zusammenbrechende Sozialsystem gerne in Kauf!“ Und dann noch die Unverfrorenheit, Gelder für humanitäre Hilfe gleichzeitig mit den Verteidigungsausgaben zu erwähnen. Das ist wieder Orwellscher Doppeldenk vom Feinsten!

Europa

In der letzten Hälfte macht sich die Bundeskanzlerin für die Europawahl stark. Bei dieser hätten wir Bürger die Möglichkeit, unseren Teil dazu beizutragen, dass die EU auch in Zukunft ein Projekt für Frieden, Wohlstand und Sicherheit bleibe.

Frieden? Indem die die EU plant, die Straßen und Schienen in Osteuropa wieder panzertauglich zu machen, um Truppen und schweres Gerät „schnell und effizient“ gen Osten bewegen zu können? Also in Richtung Russland? Oder gehört Russland entgegen aller geographischen Fakten auf irgendeine Art und Weise nicht zu Europa? Nach Frieden riecht es in diesen Breitengraden ganz und gar nicht!

Wohlstand? Wer ist dieser Wohlstand? In Südeuropa wurde er schon länger nicht mehr gesichtet! Wo ist denn dieser Wohlstand, wenn sich beispielsweise in Griechenland immer mehr junge Frauen prostituieren müssen, weil das Geld nicht mehr reicht, Kinder unter menschenunwürdigsten Bedingungen ihr Dasein fristen oder als Babys nach der Geburt so lange von ihrer Mutter getrennt werden, bis diese den Geldbetrag für das Gebären in der Entbindungsstation begleichen kann?

Der Süden Europas versinkt in Armut, Elend und menschlichen Tragödien und Frau Merkel wagt es tatsächlich, Wohlstand und EU in einem Atemzug zu nennen?

Und Sicherheit? Welche Sicherheit? In Sicherheit kann man sich dieser Tage nirgends mehr wiegen! Weder im Sozialen, noch im Hinblick auf eine funktionale Diplomatie in Europa – und von ökologischer Sicherheit brauchen wir gar nicht erst zu sprechen!

Fazit

Merkels Rede verbleibt wie jedes Jahr ein Propagandastück, dessen inhaltliche Inszenierung mit der für immer mehr Menschen sichtbar werdenden Realität in Konflikt gerät. Selbst für die Arglosen auf der Schafwiese wird die Diskrepanz zwischen schönen Floskeln und den harten Schlägen der Realität immer deutlicher spürbar. Es stellt sich die Frage, wie lange diese Polit-Theater-Inszenierung noch aufrechterhalten werden kann.

Zum Schluss wünscht uns Mutti Merkel Mut, um die Probleme der heutigen Zeit anzugehen. Danke, Frau Merkel! Den wünsche ich Ihnen auch! Am besten richten Sie diese Wünsche den Aktivisten des Hambacher Forstes persönlich aus, die sich im vergangenen Jahr wegen eines Komplotts von Konzern- und Staatsgewalt verprügeln lassen mussten. Wären das nicht Kandidaten für ein glitzerndes Bundesverdienstkreuz?


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