Die sogenannte „gelbe Linie” trennt den Gazastreifen in zwei Teile und wurde im Rahmen des Plans von Donald Trump festgelegt. Diese Linie bedeutet die faktische und offizielle Aneignung von mindestens 53 Prozent des Gebiets des Gazastreifens durch Israel. Der israelische Verteidigungsminister bezeichnet die „gelbe Linie“ als „politische und der Sicherheit dienende Trennlinie”. Da die Mehrheit der Gazaner keinen Zugang zum Internet und keine genaueren Informationen über den genauen Verlauf dieser Demarkationslinie hat, nähern sich viele Palästinenser der Trennlinie – und bezahlen diese Unwissenheit mit dem Leben. Ein Luftbild aus den 1960er-Jahren zeigt, dass die von Israel gezogene „gelbe Linie” „in etwa mit der Grenze der Küstendüne des Gebiets übereinstimmt, wodurch Gaza den größten Teil seiner landwirtschaftlichen Flächen auf den fruchtbaren Böden im Osten verliert”, so der Direktor der Forschungsgruppe „Forensic Architecture“, Eyal Weizman. (1)
Die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese kritisiert die Verstöße Israels gegen die Waffenruhe durch Bombardierungen und wiederholte Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung: „Seit 2008/09 wiederholt Israel das gleiche Muster: Der israelische Waffenstillstand lautet: Du hältst still, und ich schieße.“
Dieses Prinzip lässt sich besonders im Libanon beobachten. Den 2024 im Libanon vereinbarten Waffenstillstand hat Israel mehr als 4.500-mal gebrochen: „Hunderte von Menschen, darunter auch Minderjährige, getötet, Zehntausende von Häusern zerstört und fünf Gebiete des Landes annektiert“, so der ehemalige britische Botschafter Craig Murray. (2)
Am 18. November 2025 hat die IOF (Israeli Occupation Forces, offiziell Israeli Defense Forces, IDF) ein palästinensisches Flüchtlingslager in Said bombardiert; mindestens 13 Menschen wurden getötet, die meisten waren fußballspielende Kinder und Jugendliche. Der angebliche Grund für den Angriff: Die Hisbollah unterhalte dort ein Trainingscamp, was nachweislich nicht stimmt. Die zahlreichen Bombardierungen von Schulen, Krankenhäusern und Wohnblocks in Gaza wurden meistens mit angeblichen Hamas-Stellungen gerechtfertigt. Aber nirgendwo wurden nach den Bombardements solche Verstecke gefunden, stattdessen Hunderte Leichen von Zivilisten.
Israel setzt sich im Libanon fest und hat eine meterhohe Mauer errichtet, die die „Blaue Linie“ überquert und damit 4.000 Quadratmeter Boden auf libanesischer Seite abtrennt, so UNIFIL. Die „Blaue Linie“ ist die von der UNO gezogenen Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon. „Das Gebiet entlang der ‚Blauen Linie‘ im Südlibanon wird seit Jahrzehnten von der UN-Interimsmission UNIFIL kontrolliert, Grundlage ihres Mandats ist die UN-Sicherheitsratsresolution 1701 aus dem Jahr 2006. Danach müssen sich sowohl die bewaffnete Hisbollah als auch die israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon zurückziehen. Die Kontrolle wird von der libanesischen Armee gemeinsam mit UNIFIL übernommen. Israel ignoriert die Resolution und hält fünf Hügel besetzt, um die eine militärische Pufferzone angelegt wurde.“ (3)
Mitte November wurden UNIFIL-Soldaten von einem israelischen „Merkava“-Panzer während einer Patrouille beschossen. Die schweren Geschosse der „Merkava“-Maschinengewehre schlugen etwa fünf Meter von den UNIFIL-Soldaten entfernt ein; verletzt wurde niemand.
Die Getriebe für die „Merkava“-Panzer kommen von der Firma Renk in Augsburg, die nach der Entscheidung, alle Rüstungsbeschränkungen aufzuheben, nun wieder ihre Getriebe liefern darf.
Auch wenn diese Panzer derzeit nicht in Gaza eingesetzt werden, kommen sie aller Wahrscheinlichkeit nach im Westjordanland bei der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung zum Einsatz, sowie im Libanon und in Syrien, wo Israel auch eine Fläche von mindestens 1.000 Quadratkilometer besetzt hält.
Hier sei an die Exportrichtlinien der Bundesregierung erinnert, die generell die Lieferung von Rüstungsgütern in Kriegs- und Krisengebiete untersagen. Es gibt jedoch Ausnahmen. Das Legal Tribune Office (LTO), ein juristisches, informatives Nachrichtenportal, beschreibt die Ausnahmen wie folgt: „Dazu zählt die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer und auch Israel ist ein Sonderfall. Wegen der Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa unter deutscher Nazi-Herrschaft gilt die Sicherheit Israels für Deutschland als Staatsräson. Deswegen wird beispielsweise auch der Export von U-Booten nach Israel mit Steuergeldern subventioniert.“ (4) Ein Skandal, der zu wenig thematisiert wird.
Waffenlieferungen sind ein Fall für die Justiz
Die deutschen Rüstungsexporte werden seit einiger Zeit auch vor Gerichten verhandelt. Beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist eine Klage von Nikaragua anhängig, das Deutschland unter anderem der Beihilfe zum Völkermord beschuldigt.
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat im November 2025 Klagen mehrerer Palästinenser gegen die Waffenlieferungen als unzulässig abgewiesen. „Wie LTO berichtete, fehlte den beiden Klagen nach Auffassung der Richter das Rechtsschutzbedürfnis. Dies begründete die Kammer unter anderem mit der veränderten Sachlage seit Beginn des Gaza-Kriegs. Auch hier spielte der Exportstopp eine maßgebliche Rolle. Bereits im Eilverfahren waren die Kläger vor dem Berliner VG gescheitert. Das gleiche Schicksal traf mehrere Antragsteller in Frankfurt, wo das für die Genehmigung sonstiger Rüstungsgüter zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle seinen Sitz hat. Die gegen die Auslieferung von Renk-Panzergetrieben gerichteten Eilanträge wies erst das dortige VG und sodann der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel ab. Dagegen haben die Antragsteller im Oktober Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die LTO berichtete.“ (5)
Man kann auf die weiteren juristischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen gespannt sein.
Verstärkte humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen?
Es klingt wie ein Hohn, wenn Regierungssprecher Kornelius die Aufhebung der Exporteinschränkung auch mit dem Hinweis auf die Bemühungen „um einen dauerhaften Frieden und die verstärkte humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen“ vonseiten der Bunderegierung begründet. Wenn die humanitäre Hilfe ernst gemeint ist, sollte die Regierung zuerst schwer verletzte Kinder mit ihren Begleitpersonen aus Gaza zur Behandlung einreisen lassen. Es ist eine Schande, dass sich Kanzler Merz und Co. immer noch weigern, obwohl etliche Städte und Kommunen sich bereit erklärt haben, diese Menschen zu behandeln und zu versorgen.
Auch müsste die Bundesregierung Druck auf die israelische Regierung ausüben und die sofortige Öffnung aller Grenzen im Gazastreifen für die dringend benötigten Hilfslieferungen verlangen.
Die Zahl der LKWs, beladen mit Medikamenten, Zelten, Decken, Lebensmittel und Wasser, die laut Friedensplan nach Gaza gelangen sollte, ist bislang weit kleiner als vereinbart. Hunderte LKWs warten an den Grenzen auf Einreiseerlaubnis – eine veritable Schande für die internationale Gemeinschaft.
Wenn schon keine Exportbeschränkung für Rüstungsgüter mehr besteht, sollte die Bundesregierung auf die Suspendierung aller Handelsabkommen mit Israel drängen, wie sie zahlreiche Organisationen und einige EU-Staaten schon lange fordern. Es ist nicht hinnehmbar, eine verbrecherische Politik aus Gründen der vielbeschworenen Staatsräson zu akzeptieren, wenn Verbrechen gegen Völkerrecht und Menschenrechte nachzuweisen sind.
Die grassierende Hungersnot in Gaza, die weithin totgeschwiegen wird, und die Einstufung der Hungerkatastrophe in Phase 5, die höchste Stufe der UN-Kategorisierung, sollte alle aufrütteln und Regierungen dazu bringen, sofort entsprechende Maßnahmen einzuleiten. (6)
Vertreibung in der Westbank
Der anhaltende Völkermord in Gaza hat die Aufmerksamkeit der Welt von der Westbank abgelenkt, sodass gewalttätige Siedler die Vertreibung der Palästinenser vorantreiben konnten.
Laut BIP-Aktuell #373 vom 17. November 2025 hat: „Die Gewalt der Siedler im Oktober mit 264 von der UNO registrierten Angriffen einen neuen Höhepunkt erreicht. (…) Dies ist die höchste Zahl an Angriffen, die seit der Besetzung des Westjordanlands im Jahr 1967 jemals in einem Monat verzeichnet wurde. Die Siedler sind bewaffnet und werden von israelischen Soldaten begleitet und geschützt. Diese beteiligen sich oft an den Angriffen; sie beschützen jedoch niemals die Palästinenser vor diesen Angriffen, zumal sie sich sehr häufig aus Bewohnern der Siedlungen rekrutieren…“ (7)
Rechtsextreme Siedler sind gegen den Waffenstillstand in Gaza und drohten wiederholt mit dem Sturz der Netanjahu-Regierung. Eine kleine „Entschädigung“ ist die straffreie Zerstörung palästinischen Eigentums, die gewalttätige Vertreibung der Bevölkerung – kurz gesagt: die ethnische Säuberung der Westbank – die auf israelische Besiedlung abzielt.
Im Westjordanland wurden seit Oktober 2023 über eintausend Menschen durch israelische Truppen und Siedler getötet. Ein Fünftel davon sind laut der Vereinten Nationen Kinder. Israel plant den Bau von 22 neuen Siedlungen, was den größten Landraub der letzten Jahrzehnte in dieser Region darstellen würde. „Die Annexion des Westjordanlands muss rückgängig gemacht werden, und über alle Verstöße gegen das Völkerrecht muss Rechenschaft abgelegt werden“, fordert der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk.
Die Gewalt der Siedler macht auch vor jüdischen Aktivisten nicht halt, die den Palästinensern bei der Olivenernte helfen, Kinder zur Schule begleiten und sich solidarisch mit ihnen zeigen. Anfang November 2025 wurde Oded Yedaya, ein bekannter israelischer Aktivist, von einem Siedler angegriffen, der ihm einen großen Stein auf den Kopf schlug. Yedayas Kommentar: „Wir sind vielleicht an einem Punkt angelangt, an dem sie versuchen, auch Juden zu töten." (8)
Laut Haaretz vom 18. November wurden Dutzende Aktivisten der „Jewish-Arab Standing Together“-Bewegung und der „Rabbis for Human Rights“ verhaftet, als sie bei der Olivenernte in der Nähe des Dorfes Burin helfen wollten.
Auch internationale Journalisten sind Zielscheiben der fanatischen Siedler. Anfang November 2025 attackierten maskierte israelische Zivilisten mit Knüppeln und Steinen zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, die deutlich mit Westen und Helmen gekennzeichnet waren, in der Nähe des palästinensischen Dorfes Beita. Etwa ein Dutzend Siedler schlugen auf eine Reporterin ein, als sie bereits am Boden lag, und fügten ihr schwere Verletzungen zu.
Auch ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP wurde am 10. Oktober von israelischen Siedlern mit Stöcken brutal zusammengeschlagen. „Der Fotograf berichtete zudem, dass israelische Sicherheitskräfte vor Ort sich weigerten, einzugreifen, und stattdessen mit Gummigeschossen und Tränengas auf Olivenerntehelfer und begleitende Aktivisten schossen. Statt Journalisten zu schützen, schikanierten und bedrohten israelische Truppen regelmäßig Pressevertreter, hielten sie in einigen Fällen fest und drohten ihnen gar mit Abschiebung“, kritisierte der Auslandspresseverband in Israel. (9)
Konsequenzen haben die Gewaltakte bislang keine. Die Netanjahu-Regierung will Groß Erez, Groß-Israel, durchsetzen und betonte kürzlich die „israelische Souveränität” über Jerusalem, das Westjordanland und die syrischen Golanhöhen – alles völkerrechtswidrig besetzte Gebiete.
Solange die internationale Staatengemeinde den israelischen Verbrechen weiterhin zuschaut, werden die Siedler weiter morden und brandschatzen. Das Netanjahu-Regime wird weiterhin libanesisches und syrisches Land bombardieren und besetzen sowie die palästinensische Bevölkerung vertreiben.
Dagegen muss mit allen Mitteln gekämpft und immer wieder laut die Einhaltung des Internationalen Völkerrechts gefordert werden. Verstöße müssen mit Sanktionen und Bestrafung geahndet werden. Das ist längst überfällig.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Olga Rodríguez: Phase 2 des israelischen Völkermords: Besetzung von 53 Prozent des Gazastreifens, Morde, Segregation und gelbe Linie, 22. Oktober 2025, https://www.nachdenkseiten.de/?p=140924
(2) Ebenda
(3) Karin Leukefeld: Libanesisches Land einverleibt - Israel errichtet Mauer und dehnt Besatzung aus - UN-Mission ignoriert und beschossen https://www.jungewelt.de/artikel/512542.besatzung-libanesisches-land-einverleibt.html
(4) Bundesregierung will wieder Waffenexporte nach Israel genehmigen
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/waffenlieferungen-waffenexporte-israel-gaza-waffenruhe-bundesregierung
(5) Ebenda
(6) https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/kinder-in-gaza-fakten/346320
(7) BIP-Aktuell #373: Extrem gewalttätige Siedler im Westjordanland: Hier zeigt sich der Siedlerkolonialismus, https://bip-jetzt.de/2025/11/17/bip-aktuell-373-extrem-gewalttaetige-siedler-im-westjordanland-hier-zeigt-sich-der-siedlerkolonialismus/
(8) Haaretz Naama Riba, 11. November 2025, zitiert in BIP-Aktuell
(9) Nach Siedlerangriffen – Internationale Presse fühlt sich im Westjordanland-bedroht, 10.11. 2025, https://www.n-tv.de/der_tag/Nach-Siedlerangriffen-Internationale-Presse-fuehlt-sich-im-Westjordanland-bedroht-id30003713.html



