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Offener Brief an Sigmar Gabriel

Offener Brief an Sigmar Gabriel

Was wir tun können? Zum Beispiel Briefe an Politiker schreiben, die, gewollt oder ungewollt, Lügen verbreiten, die Kriege befeuern.

Herrn Sigmar Gabriel
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland
Auswärtiges Amt
11013 Berlin

Guten Tag Herr Gabriel,

zum Ersten hoffe ich, dass Sie einen erfolgreichen Start in das neue Jahr hatten und es Ihnen gut geht. Das wünsche ich jedem Menschen, aber ganz speziell den Menschen, auf die ich mich einlasse, mit deren Wirken ich mich beschäftige und deren Handeln ich zu verstehen suche.

Es ist nicht der erste Brief, den ich Ihnen zusende und ich hoffe, es ist auch nicht der erste Brief, den Sie von mir lesen. Sollten Sie jenen, meinen ersten Brief nicht zur Kenntnis genommen haben, fände ich das sehr bedauerlich, ja befremdlich. Man schreibt ja nicht einfach aus Lust und Laune an einen deutschen Außenminister. Sie haben sicher genug zu tun und dessen bin ich mir wohl bewusst. Wenn ich Ihnen jedoch trotzdem schreibe, muss es dafür ernsthafte Gründe geben.

Sehr offen sage ich Ihnen, dass ich diese fehlende Wertschätzung gegenüber einem Menschen, dem die Politik seines Landes nicht egal ist und der eine staatsbürgerliche eigene Verantwortung für Friedenspolitik wahrnimmt, eines Außenministers unwürdig empfinde. Sowohl auf Ihrer Webseite, Herr Gabriel, als auch auf der des Auswärtigen Amtes wird eine Kontaktadresse angeboten. Wofür ist die da? Mir hätte in den nun vergangenen drei Monaten eine lapidare Nachricht genügt, dass Ihr Sekretariat die Fülle der Post nicht zeitnah bearbeiten kann.

Mein Ansinnen ist es, Menschen zu verstehen. Das hilft mir zu vermeiden, Menschen für ihre Entscheidungen zu verurteilen. Nicht immer ist das leicht. Für das Schreiben an Sie hatte ich mir mehrere Tage Zeit genommen, in denen ich auch einer x-beliebigen Freizeitbeschäftigung hätte nachgehen können. Zuvor hatte ich über viele Monate intensiv zum Thema recherchiert. Sie bekamen schließlich meinen Brief auf elektronischem Weg und in Papierform – und zwar als Einschreiben per Übergabe.

Den Brief hatte ich als öffentliches Anliegen formuliert und so auch öffentlich gemacht. Dass Sie beziehungsweise Ihr Amt das mit Ignoranz belohnen würde, hatten viele Leser vorausgesehen. Jenen hätte ich gern das Gegenteil geliefert, doch Ihre Nicht-Antwort ist deutlich genug. Vielleicht sieht es bei diesem Brief – der ebenfalls öffentlich gemacht wurde – anders aus und Sie haben eine Erklärung, die mich verstehen lässt.

Falls Sie also meinen ersten Brief nicht erhielten oder auch nicht lasen, hier noch einmal die Adresse des Textes: https://peds-ansichten.de/2017/11/offener-brief-an-sigmar-gabriel/.

Ihnen zu schreiben, hatte also für mich schwer wiegende Gründe, denn es geht um Krieg und Frieden. Ein Außenminister trägt hier eine ganz besondere Verantwortung. Der Name sagt es ja: Er vertritt die Politik seines Landes nach außen, er vertritt die Bürger seines Landes nach außen. Er signalisiert also anderen Staaten, ob „sein“ Staat für Friedens- oder Kriegspolitik steht. Als mündiger Bürger dieses Landes möchte ich mich nicht damit abfinden, wenn der höchste Repräsentant meines Landes auf der Ebene der Außenbeziehungen, Lügen verbreitet, die geeignet sind, Kriege loszutreten oder auch weiter zuführen (b1).


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Ich behaupte nicht, dass Sie bewusst logen, kenne ich doch die Hintergründe ihres diesbezüglichen politischen Auftretens nicht. Wie ich auch nicht weiß, was Sie Ihrerseits eigentlich wirklich über die Geschehnisse in Syrien wissen. Genau daher schreibe ich Ihnen ja. Doch was sie und Ihre Amtskollegen aus Frankreich, den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien in Bezug auf die sogenannten Giftgasverbrechen des „syrischen Regimes“ vom Stapel ließen, war eben eine Lüge.

Das habe ich Ihnen an einer Vielzahl von Quellen belegt; offizieller Quellen der Vereinten Nationen (VN) und der Organisation zur Verhinderung des Einsatzes chemischer Waffen (OVCW). Es ging mir weder darum Sie anzuklagen noch Sie bloß zu stellen, sondern ich wollte Verständnis dafür entwickeln, warum ein deutscher Außenminister bestimmte Dinge tut oder auch nicht tut.

Mir sind die Dinge also nicht egal. Vor allem sind mir die Kriege, welche Deutschland führt, nicht egal. Mit dem Thema Syrien hatte ich mich zuvor jahrelang intensiv beschäftigt und leider muss ich festhalten, dass Deutschland eben gegen diesen Staat Krieg führt – und zwar auf allen denkbaren Ebenen. Sie sind Außenminister eines aggressiven, kriegführenden Staates, zu dessen Bürgern ich gehöre. Ich bin nicht mehr bereit, das einfach so hinzunehmen.

Was ich mich frage, ist das Warum. Nicht das auf der großen geopolitischen Ebene, nicht in wirtschaftlichen Belangen, nicht im politisch-diplomatischen Spiel. Sondern warum Sie, Herr Gabriel, so handeln, wie Sie handeln.

Sie hätten längst Syrien besuchen und sich dort mit Ihrem Amtskollegen austauschen können, gern auch mit dem syrischen Präsidenten. Vielleicht haben Sie ja syrische Flüchtlinge in Deutschland besucht, ich weiß es nicht. Nur wird Ihnen ein syrischer Flüchtling in Deutschland in der Regel nicht die Wahrheit sagen und das hat sehr triftige, sehr nachvollziehbare Gründe: Weil er nämlich im Allgemeinen Angst hat, die Wahrheit zu sagen. Jeder Mitfühlende kann diese Angst verstehen. Schließlich hängt an den getätigten Aussagen ein Flüchtlingsstatus – samt Bleiberecht. 

Junge Syrer, Herr Gabriel, entfliehen ihrer Heimat, weil sie nicht Krieg führen wollen. Sie möchten nicht auf dem Schlachtfeld sterben. Diese jungen Männer wissen nicht, dass sie in das Land flohen, welches den Krieg in Syrien mit losgetreten hat und bis zum heutigen Tag befeuert. Dass diese Menschen nicht die Wahrheit sagen, kann man daher gut verstehen. Vielleicht, Herr Gabriel, sollte sich die deutsche Regierung mal endlich tatsächlich um eine EHRLICHE Friedenslösung bemühen, sodass auch diese jungen Syrer wieder nach Hause zurückkehren können. Ohne diese Angst, jämmerlich in einem Krieg zu krepieren, den Deutschland mit angestiftet hat.

Ich musste nicht Syrien aufsuchen, um irgendwann verstehen zu können, was dort vor sich geht. Vielleicht aber sollten Sie es mal tun. Es wäre Ihnen zu empfehlen, mal für kurze Zeit aus der Blase Ihres politischen Establishments auszubrechen, um zum Beispiel mit Menschen in Aleppo zu sprechen; Menschen aller Schichten des Landes, die unter den Sanktionen zu leiden haben, die unter anderem Sie mit den Lügen über syrisches Giftgas legitimieren. Möglich, dass sich Ihr Blick ändert. Doch sie tun es nicht. Haben Sie Angst vor der Wahrheit?

Vielleicht ist Ihnen das alles aber auch bekannt und Sie verabschiedeten die Lüge entgegen Ihrer inneren Überzeugung. Ja, wie soll ich ausschließen, dass Sie mit dem syrischen Volk mitleiden und in Ihrem Herzen diesen Krieg, der eben kein Bürgerkrieg ist, verfluchen? Dass Sie Ihre Position verfluchen, die Sie als Funktionsträger zwingt, Dinge zu sagen, die Sie eigentlich niemals sagen wollten. Was weiß ich, welchem Druck Sie ausgesetzt sind? Vielleicht ist er sogar existenziell?

Dann ist es nachvollziehbar, warum Sie die Antwort auf meinen Brief offenließen. Denn dann wäre Ihre offene und ehrliche Antwort wohl sehr wahrscheinlich – mindestens – das Ende Ihrer diplomatischen Karriere. Der Preis wäre einfach zu hoch. Aber wäre er das dann tatsächlich – zu hoch?

Aus der Sicht des Funktionsträgers ganz sicher, aber als Mensch wäre es wohl eine Befreiung. Wenn aber die Sicht des Funktionsträgers die Entscheidungsgrundlage bildet, Herr Gabriel. Wie steht es dann um unsere Demokratie? Ist es dann nicht so, dass diese repräsentative Demokratie tatsächlich eine Fassadendemokratie ist? Wie steht es dann um unsere Wahrhaftigkeit, unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir unser Menschsein hinter einer Funktion verstecken und damit Handlungszwänge begründen?

Die Demokratie, so wie Sie uns dargestellt wird, sie ist doch dann ein Betrug. Weil wir in ihr eben nicht als Menschen sondern in Funktionen agieren und weil Worte und Taten in krassem Gegensatz stehen. Die Funktionen rechtfertigen aber eben nicht unser Tun. Sie erlauben auch nicht das Werfen von Schmutz auf andere, wie zum Beispiel den syrischen Präsidenten. Nur weil man es muss. Aber Sie müssen gar nichts. Dahinter kann man sich nicht verstecken. Sie wissen selbst, dass das Opportunismus und eine verdammt bequeme Ausrede vor sich selbst ist.(b2)


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Sie müssen sich vor keinem Menschen rechtfertigen – außer vor sich selbst. Würden Sie zuerst als Mensch handeln und erst danach in ihrer Funktion, dann hätten Sie diese Erklärung, die zu einer neuen Eskalation des Krieges gegen Syrien aufrief, nicht mit unterschrieben. Ihre Funktion – so meinen Sie jedoch – generiert Handlungszwänge, denen man sich gelegentlich unterwerfen muss. Ich meine, das ist ein Selbstbetrug.

Ich habe Sie im Zweiten Deutschen Fernsehen bei einer Talk Show von Maybrit Illner beobachtet, bei der Sie die Lügen hoher Politiker kritisierten. Dort hatten Sie sehr emotional – und zwar absolut glaubwürdig emotional – die Ansicht vertreten, dass es nicht akzeptabel ist, Falschmeldungen (dort als Unwort Fake News benamt), zu verbreiten und dann den Niedergang der Demokratie zu beklagen. Falschmeldungen sind nichts anderes als das Verbreiten von Lügen.

Sie hatten als Beispiel sehr richtig die Lüge von den Massenvernichtungswaffen des Irak genannt, mit der man die Aggression gegen einen souveränen Staat begründete. Sie wissen also, worüber wir hier reden. Sie traten als Mensch auf. Sie waren authentisch. Sagen Sie mir bitte, wo der Unterschied der Lüge von den Massenvernichtungswaffen des Irak und der Lüge von dem mit Giftgas mordenden syrischen Diktator ist. Herr Gabriel, es gibt keinen! Sie sollten in Ihrer konkreten politischen Arbeit öfter so authentisch sein, wie Sie das in der Sendung des ZDF waren(2,3).

Sehr gut möglich ist es, dass Sie sogar Ihre eigene Lüge im Kopf hatten und deshalb unterbewusst so emotional wurden. Denn Sie sprachen diese Worte nur einen Tag nach Ihrem gemeinsam mit den westlichen Amtskollegen veröffentlichten Statement, welches zum Krieg anstiftende Lügen verbreitete. Finden Sie das nicht erstaunlich?

Also: Die Behauptung, dass die syrische Armee und ihre Verbündeten Giftgas gegen das eigene Volk einsetzen. Sie ist eine Lüge. Das zu ignorieren und mit einer Lüge die Fortsetzung des Krieges gegen Syrien zu begründen, wie würden Sie das nennen, Herr Gabriel? Suchen Sie sich etwas Passendes heraus.

Zumal – und auch das wiederhole ich an dieser Stelle ausdrücklich – selbst dann, wenn die Lüge keine Lüge wäre, es unseren Politikern trotzdem niemals das Recht gäbe, einen Krieg gegen Syrien zu fordern, geschweige denn, ihn zu beginnen! Wäre es anders, hätte längst eine internationale Koalition die Vereinigten Staaten von Amerika unter Mandatskontrolle nehmen müssen. Millionen Opfer, welche dieses Land durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen fern seiner Grenzen zu verantworten hat, dulden schwerlich eine Diskussion. Oder meinen Sie auch: Der Zweck heiligt die Mittel?

Die Antworten auf meine Fragen im ersten Brief sind nach wie vor offen. Mich interessiert Ihre Sicht, Ihre Begründung, damit ich verstehen kann. Keine Antwort von Ihnen ist übrigens auch eine Antwort. Doch habe ich keine Erwartungshaltungen. Eine Antwort Ihrerseits würde zweifellos von respektablem Mut zeugen. Wahrer Mut wird in unserer Gesellschaft dringend benötigt. Mut ist die Überwindung von Angst. Sie können nur positiv überraschen.

Achtungsvoll,
Peter Frey


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Quellen und Anmerkungen:

(1) 8.11.2018; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/171108-syria-chemical-weapons/605532
(2) 10.11.2017; https://youtu.be/126JhLVnXMU
(3) 9.11.2017; https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/der-unfassbare-praesident-was-hat-trump-veraendert-sendung-vom-9-november-2017-100.html
(b1) E-Mail an den deutschen Außenminister Sigmar Gabriel; 15.2.2018, 19:55 Uhr; über Kontaktadresse beim Deutschen Bundestag: https://sigmar-gabriel.de/kontaktformular/; Autor: Peter Frey
(b2) Brief an Sigmar Gabriel; 16.2.2018; Autor: Peter Frey


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