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Scheine und Münzen im Fadenkreuz

Scheine und Münzen im Fadenkreuz

Mit allen Tricks wird die Bargeldabschaffung weltweit vorangetrieben — doch es gibt Anzeichen für eine wachsende Gegenbewegung. Exklusivauszug aus „Krieg gegen das Bargeld“.

„Es scheint besser zu sein, wenn die Ablösung des Bargelds von der Privatwirtschaft und nicht vom Staat vorangetrieben wird“, schrieb 2017 Alexei Kireyev, leitender Ökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF). „Ersteres wirkt nahezu unbedenklich, erfordert aber dennoch politische Anpassungen. Letzteres erscheint fragwürdiger, und die Leute könnten berechtigte Einwände dagegen haben.“ Kireyev weiter: „In jedem Falle sollte der verlockende Versuch vermieden werden, die Ablösung des Bargelds per Dekret zu erzwingen, da viele Menschen zu Bargeld eine emotionale Bindung haben. Ein gezieltes Aufklärungsprogramm ist erforderlich, um Misstrauen gegenüber der Ablösung des Bargelds zu zerstreuen — insbesondere die Befürchtung, dass die Behörden versuchen könnten, alle Aspekte des Lebens zu kontrollieren.“

In dem IWF-Arbeitspapier analysierte der Ökonom Wege, Bargeld „schrittweise“ aus der Welt zu schaffen. Er schlug unter anderem „wirtschaftliche Anreize zur Verringerung der Bargeldnutzung“ vor. Kireyev arbeitete zuvor bereits für die Weltbank und Michail Gorbatschow. Auf einigen Fotos sieht man ihn mit der damaligen IWF-Präsidentin Christine Lagarde. Mehr als 90 Staaten haben Schulden beim Internationalen Währungsfonds. Geld gibt es dort stets unter wirtschaftspolitischen Auflagen: Die Entwicklungsländer müssen den Markt für ausländische Investitionen, für die Konzerne öffnen oder Staatsbetriebe privatisieren.

Der seinerzeitige EU-Digitalkommissar Günther Oettinger, unter seinesgleichen Spitzenreiter bei Gesprächsterminen mit Wirtschaftsvertretern, schlug schon 2016 in diese Kerbe. Auf einer Veranstaltung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte appellierte er: „Haltet am Bargeld fest — der Markt macht es.“ Anstatt regulatorisch einzugreifen und den 500-Euro-Schein abzuschaffen, solle man die Sache der Wirtschaft und der sinkenden Nachfrage überlassen. Das Ende der Barzahlungen werde kommen, so Oettinger.

Inzwischen befindet sich das Bargeld tatsächlich im freien Fall. Ein Vertreter des Handelsverbands Deutschland sagte in meiner Anwesenheit auf einer Fachtagung Anfang 2025, er beobachte in der Branche „abnehmende Hemmungen, darüber nachzudenken“, Bargeld als Zahlungsart „gar nicht mehr anzubieten“, wenn die „Nachfrage sinkt“.

Wo liegt das Problem? Zwischen 2017 und 2023 verschwand jede dritte Bankfiliale in Deutschland. Insbesondere kleinere Händler besorgen am Schalter Wechselgeld und lassen dort ihre Einnahmen zurück. Es sei kein Standard, beklagte der Vertreter, dass Banken die Lücken durch Einzahlautomaten schließen. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Stefan Genth, warnte bereits 2024, der Bargeldkreislauf drohe zusammenzubrechen, wenn sich das Filialsterben fortsetze.

Die großen Handelsketten nutzen die Dienste von Geldtransportunternehmen, anstatt einen Mitarbeiter mit den Einnahmen auf die Bank zu schicken. Sie zahlen pro Anfahrt. Wenn also weniger Menschen mit Bargeld einkaufen, bleiben die Gesamtkosten ähnlich. Zahlt nur ein kleiner Teil der Kundschaft mit Scheinen und Münzen, erscheint Bargeld teuer. Betriebswirtschaftlich mag es dann verlocken, nur noch Karten zu akzeptieren.

Die erste bargeldlose Handelskette in Deutschland, der Apple-Händler Gravis, meldete 2024, ein Jahr nach der Umstellung, Insolvenz an und machte dicht. Doch die Einzelfälle häufen sich: Es sind Cafés, Restaurants und Hotels. Sogar eine kleine Handvoll Bäckereien findet sich darunter. Ein Hamburger Gastronom schaffte das Bargeld ab, um dem Finanzamt gegenüber nicht länger seine Unschuld beweisen zu müssen.

Was dem Bürger schadet, bewarb Visa gegenüber Unternehmen als Vorteil: Konsumenten in den USA, steht auf einer Infografik, würden in einer Pizzeria mit Karte 25 Prozent mehr ausgeben, in einem Familienrestaurant 40 Prozent. 2017 lobte Visa insgesamt 500.000 Dollar für 50 Gastronomiebetreiber in Amerika aus. Die Bewerber mussten vor der Kamera erklären, wie ein Ausstieg aus dem Bargeld ihrem Unternehmen zugutekommen könnte.

In Deutschland lockt eine Interessengruppe um Visa und Mastercard seit 2025 die letzten Händler ohne Kartengerät ins System: In Zusammenarbeit mit Banken und Zahlungsdienstleistern kommen kleine Unternehmen ein Jahr lang kostenlos in den Genuss des Kartenangebots für die Ladenkasse. Die Gruppe verspricht ihnen eine zahlungswillige Kundschaft und, ganz wörtlich, vermehrte „Spontaneinkäufe“.

Einige Sparkassen belohnen ihre Kunden für den Einkauf mit der roten Girocard: Bei ausgewählten Läden winkt ein Bonus. Teilweise erhalten Kartenzahler fünf Prozent des Warenkorbwertes aufs Konto zurückerstattet. Bürger beklagen derweil den Abbau von Geldautomaten. Insbesondere auf dem Land entstehen Lücken.

Nicht nur die Privatwirtschaft, auch staatliche Betriebe schaffen das Bargeld ab: In Rostock und Dresden akzeptieren viele Automaten im öffentlichen Nahverkehr nur noch Karte.

Düsseldorf und Dortmund wollen Banknoten und Münzen bis 2027 beseitigen. In Chemnitz blieb ein Kind auf der Straße stehen, weil beim Busfahrer nur noch Kartenzahlung möglich war. Wie der MDR berichtete, riet die Verkehrsgesellschaft dem Vater daraufhin zu einer „Mastercard für Kinder“. Der Jahrespreis von 36 Euro bei der örtlichen Sparkasse sei unerwähnt geblieben.

Zunehmend schließen Ämter ihre Kassen, wie eine Befragung der Bundesbank zeigt. 2023 sah sich der Bürger bei Behördenangelegenheiten in 50 Prozent der Fälle genötigt, digital zu bezahlen. Zwei Jahre zuvor waren es 37 Prozent.

Was geschieht im Ausland? In Schweden lag die Bargeld-Akzeptanz durch Gebrauchsgüterhändler 2022 nur noch bei 83 Prozent. In den Niederlanden lehnt mittlerweile jedes vierte Kino Bargeld ab. Auf 25 Prozent der Parkplätze und in 16 Prozent der Apotheken konnte zuletzt nur digital bezahlt werden. In beiden Ländern nutzt ein weitaus geringerer Teil der Menschen Scheine und Münzen als Zahlungsmittel als in Deutschland.

Inzwischen hat das niederländische Abgeordnetenhaus beschlossen, die Pflicht zur Akzeptanz von Bargeld im Gesetz zu verankern. Sollte sich die deutsche Politik da nicht ein Beispiel nehmen und vorausschauend handeln?

Die Wahlprogramme der klassischen Regierungsparteien zur Bundestagswahl 2025 gaben wenig Konkretes her. Die „Grünen“ wollten die „hohen Kosten des Zahlungsverkehrs“ für Unternehmen senken. Als Problembeispiel führte die Partei aber nicht das Bankfilialsterben, sondern Kreditkartengebühren an. Die SPD versprach, „Umsatzsteuerbetrug vor allem in bargeldintensiven Branchen weiter zurückzudrängen“. Bei CDU und CSU hieß es zumindest, jeder solle selbst entscheiden können, wie er bei „Geschäften des Alltags“ bezahle.

Alle drei Parteien stimmten erst 2021 für eine Gesetzesänderung im Linienverkehr. Seither muss explizit kein Ticketverkauf an der Haltestelle oder im Fahrzeug gegen Bargeld stattfinden. Eine Umfrage vor der Bundestagswahl zeigte, dass relativ viele Kleinparteien die Akzeptanz von Bargeld im Nah- und Fernverkehr befürworten, was in etwa die Stimmung in der Bevölkerung wiedergibt. In Berlin lehnte eine klare Mehrheit der Befragten die Abschaffung des Bargelds in den Bussen ab.

Im Juni 2024 forderten die Verbraucherschutzminister der Bundesländer die Regierung auf, für die „Nutzungsmöglichkeit von Bargeld als Zahlungsmittel einzutreten“. Der hessische Vertreter im Gremium unterstrich diese Forderung in einer Presseerklärung. Wenn es um den eigenen Laden geht, scheint man aber seine Schwierigkeiten zu haben: Weiterhin schaffen Landkreise und Gemeinden in Hessen das einzige staatliche Zahlungsmittel Bargeld ab. Die Kommunen werden vom Land sogar gedrängt, „auf den unbaren Zahlungsverkehr hinzuwirken“.

Rund um den Globus haben Zentralbanken begonnen, an elektronischem staatlichen Geld zu arbeiten. Im Jahr 2020 rückte das Thema in Europa in den Fokus: Die Europäische Zentralbank (EZB) unter der neuen Führung von Christine Lagarde nahm den Trend zum elektronischen Bezahlen wahr und sprang auf den Zug auf. Wie ich einen Bundesbank-Vertreter im Januar 2025 auf einer Fachtagung sagen hörte, wolle man das Bargeld „wirklich digitalisieren“.

In jedem Fall bedeuten staatliche Digitalwährungen eine gigantische Machtzentralisierung. Agustín Carstens, der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Treffpunkt der Zentralbanker weltweit, fasste das in einer Videokonferenz, veranstaltet vom Internationalen Währungsfonds, wie folgt zusammen: „Bei Bargeld wissen wir nicht, wer heute einen 100-Dollar-Schein verwendet oder wer heute einen 1000-Peso-Schein verwendet.“

Ein „wesentlicher Unterschied zu digitalen Zentralbankwährungen“ sei, „dass die Zentralbank die absolute Kontrolle über die Regeln und Vorschriften haben wird“, was ihre „Nutzung“ betreffe.



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