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Selig sind die Korrekten

Selig sind die Korrekten

Die Wokeness-Bewegung besitzt alle Merkmale einer Religion: Glaubensgewissheit, die Ausgrenzung von Ketzern sowie aufdringliche Missionierungsanstrengungen.

Religionen und Ideologien sind plötzlich da. Niemand vermag exakt anzugeben, wann und wo etwas begonnen hat. Die Anfänge liegen im Nebel, nur die Ergebnisse liegen offen zutage. So auch diesmal. Eine grüne Ideologie drängt und dringt in die Gehirne der Menschen.

Gute und reichlich gut gemeinte Botschaften hatte man anfänglich im Gepäck. So hörte man damals viel von Frieden, viel auch von der „Bewahrung der Schöpfung“, auch von einer Basisdemokratie predigte man. Das berührte seinerzeit vor allem junge Menschen, häufig einhergehend mit anregender Weinseligkeit. Träumereien, schließlich war man eben jung, gesellig und reichlich ahnungslos. Das Jungsein verging, die Ahnungslosigkeit indessen blieb bei vielen. Im Laufe der Jahre vollzog sich jedoch die Wandlung. Religionen und Ideologien weiten ihre Erzählungen aus, neue Trauminhalte blähen die ursprüngliche Geschichte auf, denn stringenter muss sie werden, soll sie überzeugen.

Schon das christliche Heilsdrama basiert auf Bausteinen, die man anderen Religionen und Weltanschauungen entlehnte. Präexistenz, Inkarnation, Martyrium, Tod und Auferstehung des Gottessohnes, dazu seine Höllen- und Himmelfahrt. Allzu bekanntes Baumaterial aus uralten Mysterienkulten und -vorstellungen fand Eingang in die neue — christliche — Religion. Auch aus den grünen Traumwelten wurden und werden neue Erzählungen zusammengesetzt, die mithin neue Realität begründen sollen. Es entstand eine (neu-)religiöse Ekstase. Inzwischen ist die Missionsübung unüberhörbar.

„… und dies ist der Anfang ihres Tuns“

Unüberhörbar ist sie vor allem dem, der die neue Predigt wieder oder noch neu zu hören vermag. Der Ausgang der Missionierung ist derzeit ungewiss. Das Abwenden mit Grausen ist so möglich wie das sedative Erliegen gegenüber der einlullenden Verkündigung. Eingedenk sind die Ideologen, die Aktivisten in den Medien, die Staatsphilosophen und Staatssoziologen, die Politiker immer, der Hörverlust nimmt zu. Man weiß um die Abnutzungserscheinungen, man weiß, Gleichgültigkeit und Ermüdung verhindern die Mission. Dem ist zu begegnen. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohungen darf der heilsgeschichtliche Grundwasserspiegel nicht gen Null tendieren. Die von der Religion Geplagten grätschen dazwischen, wieder einmal.

Das Traktieren der Ungläubigen darf nicht nachlassen. Donnernde Drohbotschaft erscheint zeitgemäß. Zu groß die Risiken: Klima, Klima, Klima, Corona, Krieg, Geschlecht, Klima, Klima, Klima.

Und wieder einmal wollen Menschen des Menschen Führer sein. Sie wollen Erlöser sein. Das alles ist nicht neu. Bereits der alttestamentarische Gott schmetterte gekränkt und einigermaßen resigniert (Genesis, 11,6): „und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“ Nur gänzlich nebenbei wäre allerdings einzuwerfen: Hätte ein allwissender Gott den ganzen Schlamassel nicht eben wissen müssen? Wozu dann aber seine Aufgeregtheit? Konnte die daraufhin folgende und fortdauernde Sprachverwirrung tatsächlich eine göttliche, mithin „gute“ Lösung sein? Dass religiöse Geschichten aber auch nie in sich stimmig sind …

Die Neureligiösen versuchen es nun mit etwas Tarnfarbe: Sensibel sind sie, so posaunen sie. Empfindlich bis in die Haarspitzen. (Um-)Weltbesorgt eben. Die Sinne sind auf das Äußerste angespannt. Sie leiden unentwegt an der Welt, sie kennen nur reinen Altruismus. Hellhörig sollte allerdings der Bepredigte werden und tatsächlich die Sinne schärfen. Denn das Aufwachen, der Wokismus, der den Neureligiösen zum Erweckungserlebnis wurde, war vor ein paar Jahrzehnten erst zum Schlagwort erkoren. Von Erwachen war auch in der finsteren Zeit der jüngsten deutschen Geschichte die Rede: „Deutschland erwache!“, lautete die fortwährend gebrauchte Parole. Das Ergebnis dieser Erweckung liegt offen vor Augen und beschäftigt uns unablässig. Das permanent bemühte Schuldbewusstsein und die derzeitige Drohbotschaft haben hier ihren Grund. Reue ist zu zeigen, tätige Buße abzuleisten.

Historische Ahnungslosigkeit lässt den Wokismus dennoch als vollzogene Offenbarung erscheinen. Diese Offenbarung traf viele, wurde gleichsam zur orgiastischen Massenoffenbarung. Nicht nur wenige Eingeweihte diesmal, sondern viele Erwachte und Erweckte.

Öffentlich-rechtlich wie private Medien, Verlage, Fach- und Hochschulen, Universitäten, Vereine, staatliche wie nichtstaatliche Organisationen, Parteien und Parlamente waren Empfangende und unterstützten hinfort die Offenbarungsbotschaft.

Urplötzlich allenthalben geschärftes Bewusstsein: Allerorten sind (Umwelt-)Bedrohung, Diskriminierung, Rassismus und Sexismus am Werk. Die allgemeinen Fallstricke des menschlichen Lebens wandeln sich in reale Bedrohungen. Doch so ist das eben, wenn man aus einem Traum erwacht. Fiktion mischt sich mit Realem, Traumwelten sind nie logisch, die Sequenzen verquirlen sich zu abstrusen Geschichten. Muss man sich also wundern über Rassismus ohne Rassen, über Frauen, die dann doch keine sind, über Volksverhetzung, obwohl kein Volk existieren soll? Was zur religiösen Wahrheit erklärt wird, muss den Menschen vermittelt werden. Schließlich wähnt man sich auf der Seite des Guten. Dass man sich eventuell exakt auf der Gegenseite befindet, wird lange Zeit nicht — wenn überhaupt — bemerkt.

Klima-Angst — Angst-Klima

Klima-Angst, Corona-Angst, Angst vor den Rechten, Angst vor „falschen“ Meinungen, Angst, die eigene politische Meinung öffentlich kundzutun — feinstes Angst-Klima. „Angst ist keine Weltanschauung“, mokierte noch Kurt von Hammerstein-Equord. Solches Reden bleibt besser ungehört. Ein Volk begibt sich in Deckung. Hohe Zeit also für tiefe Eingriffe. Ängstlichkeit gerät den Ideologen und Parteistrategen neuerlich zum Faszinosum. Denn die Verängstigten wehren sich nicht; nicht gegen einen ungerechtfertigten Angriff, nicht gegen Falschmeldungen, nicht gegen fehlerhafte Erkenntnisse. Und schon gar nicht wehren sie sich, um lauthals gegen die Politik der jeweils Herrschenden zu protestieren.

Sogar das gegensprechende Flüstern unterlassen sie, etwa ihren Freunden oder selbst Familienangehörigen gegenüber. In Extremfällen trauen sie sich nicht einmal mehr vor die Tür. Der Lockdown dann sogar als Chance. Das soll schließlich das Ziel sein: Vor allem dieser Auswuchs der Individualität muss endlich wieder ausgemerzt werden. Einer Philosophie, die des Menschen Würde lehrt, ist der Kampf anzusagen. Die dreijährige ritualisierte Übung mit den Mitteln von Desinformation und Denunziation, von Einschüchterung, von Selbstüberheblichkeit, Selbstanmaßung und Rechthaberei, von verordneter Einsamkeit und trostlosem wie elendem Sterben lief doch zur Zufriedenheit.

Dem Abendland also ist endgültig „Gute Nacht“ zu wünschen. Der Individualismus aber, der sich der europäischen Philosophie von der Antike bis zur Aufklärung verdankt, muss zugunsten des Kollektivs abgeräumt werden.

Religion braucht Lämmer, braucht das Herdentier. Angst soll die Herde zusammenhalten und vor allem schweigend machen. Ständige Angstbereitschaft ist anzutrainieren und sei bald ihr Wesensmerkmal. Und wie einst Gott eine zweifelhafte Lust befiel, so sind auch die neuen Gottessöhne und Gottestöchter von dieser Lust befallen, auch sie rufen: „Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des anderen Sprache verstehe!“ (Genesis 11,7).

Der Genderstern — „weniger als ein Hauch“

Die Schwaben rühm(t)en sich: „Wir können alles, außer Hochdeutsch!“ Mancher lacht(e). Inzwischen bleibt das Lachen im Halse stecken angesichts der Sternchen, Binnen-, Unter-, Schräg- und was-weiß-ich-für-Striche. Deutsch dann als Fremdsprache für Deutsche. Die deutsche Sprache soll es nicht mehr geben, denn „Muttersprache“ wurde sie immer nur verharmlosend von alten Patriarchen genannt.

Sogenannte Theoretikerinnen einer „feministischen Linguistik“ wie Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch, die doch besser als Sprachsexisten zu bezeichnen wären, hämmern in ihren „Bestsellerinnen“, die jedoch kaum jemand kennt, nimmermüde ihre kruden Vorstellungen in die glaubensfreudige Öffentlichkeit. Deutsch — das ist „Gewalt durch Sprache“. „Wie Frauen in Gesprächen vergewaltigt werden“, heißt es sogleich im Untertitel des Pamphlets. Starker Tobak: Der Mann „vergewaltigt“ die Frau durch das „Gespräch“. Von einem „Gynozid“ spricht dann tatsächlich Luise F. Pusch. Die Wortschöpfung aus „Genozid“ und „Gynäkologie“ soll das Leid der Frauen durch die Männersprache punktgenau hervorheben.

Die neue Weltanschauung, nun „geschlechtergerecht“, ist simpel zu fassen, altbewährter Dualismus auf Sparflamme köchelnd: weiblich/männlich und damit gut/böse. Andere neureligiöse Sprachverwirrer geben sich mitunter kreidefressend: Sprache unterliegt der Veränderung. Halbwahrheit als Versuch der Beschwichtigung. So wird verwiesen auf die kontinuierliche Veränderung des Wortschatzes, Wörter wie Fremdwörter treten hinzu und verschwinden. So weit, so richtig. Nun aber soll es grundsätzlich an die Struktur der Sprache gehen. Der Genderstern oder ein anderes ebenso groteskes wie unsinniges Zeichen soll als „Inklusionssymbol oder Platzhalter“ herhalten, wie es die ehemalige heute-Moderatorin Petra Gerster formuliert, „weil die binäre Geschlechterordnung — entweder Mann oder Frau — nicht der Realität entspricht“.

Was bedeutet dieses Implementieren aber anderes, als dass der Sexismus in den Sprachkörper eingebracht wird? Den Sprachverwirrern und Sprachvergewaltigern à la Gerster bedeutet es freilich „weniger als ein Hauch, eigentlich ein Nichts“. Den „Mann“, ausgestattet mit Penis und Hoden, und die „Frau“ mit Vagina, Eierstöcken und milchgebender Brust gibt es nicht. Eine fatale Verkennung der Wirklichkeit durch die alten großen Weltreligionen wie auch der späteren biologischen Wissenschaft.

Überdies ist die Zweigeschlechtigkeit die entscheidende Ursache für sämtliche Katastrophen, die die Menschheit befielen. Denn schließlich ist da die ausgewiesene Unterdrückung der Frau durch den Mann. Beachtet werden sollte dabei allerdings: Nur die westliche Frau ist gemeint, auch nur der westliche weiße Mann. Andere Kulturkreise scheren sich nämlich nicht um die Predigt der westlichen Gender-Kirche. Natürlich gehen auch Kriege, Vernichtung, Zerstörung zu Lasten des weißen und westlichen Mannes.

Hinsichtlich des Krieges verwirrt sich dann allerdings die Gender-Religion und begibt sich auf „vermintes Gelände“: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Annalena Charlotte Alma Baerbock, Ricarda Lang, Katrin Göring-Eckardt … sind sie doch alte weiße Männer? Dass religiöse Geschichten aber auch nie in sich stimmig sind … denn sonst würde durch die rechte Gender-Politik die Unterdrückung der Menschheit durch die herrschende Führungsschicht, natürlich weiße, westliche Männer, gleichfalls aufgehoben.

Schon Kommunisten und Sozialisten glaubten 150 Jahre lang, die konsequente und richtige Anwendung des Marxismus-Leninismus würde der Menschheit das endgültige Heil zuteil werden lassen. Die Annahme entpuppte sich als desaströser Irrtum, Millionen Menschen kostete dieser Irrtum das Leben. Hunderte Millionen Menschenleben kostete dann auch der Grundirrtum des christlichen Glaubens. Denn nicht das Weltende kam, wie Jesus und mit ihm das urchristliche Fundamentaldogma annahm, sondern die „alleinseligmachende“ Kirche. Das Debakel der Heilslehren. Doch der überwiegende Teil der Menschheit wie auch des Volkes, zur Zivilgesellschaft gestutzt, schweigt. Vergiftete Worte prasseln in Dauerbeschallung auf ihn ein:

  • „Die Wissenschaft“,
  • „Hass und Hetze“,
  • „Erneuerbare Energien“,
  • „Solidarität“, „Fake News“,
  • „Zeitenwende“,
  • „Menschenwürde“,
  • „Toleranz“,
  • „False Balance“,
  • „Zivilcourage“,
  • „Zeichen setzen“,
  • „Sondervermögen“,
  • „Mobilitätswende“,
  • „Selbstbestimmungsgesetz“,
  • „Trans-Frau“,
  • „Faktencheck“,
  • „feministische Außenpolitik“,
  • „Rechtsruck“,
  • „umstritten“,
  • „Hinweisgeberschutzgesetz“,
  • „Demokratiefeinde“,
  • „2G“,
  • „Geschlecht“,
  • „Schutzsuchende“,
  • „Seenotrettung“,
  • „Klimakatastrophe“,
  • „Pandemie“,
  • „Booster“,
  • „Tyrannei“,
  • „Antirassismus“,
  • „Aufklärungskampagne“,
  • „Grenzen des Sagbaren“ …

Notwehr — oder: „Die Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“

Die bewährte Einschlafübung nach der Methode Merkel klappt noch immer bestens. Der Bürger steht lammfromm als Herdenviech festgezurrt am Nebenmann, der Nebenfrau, ach, nein, das ginge dann doch zu weit. Zeigt Haltung jedenfalls, mit akutem Haltungsschaden zwar und irgendwie schmerzverzerrtem Gesicht. Jämmerlich die Pose, dem Feigling gleich und den nennt das Wörterbuch auch: Angsthase, Bangbüx, Hasenfuß, Memme und Schisser und derber noch: Hosenkacker oder Hosenscheißer; die Ableitung aus dem Germanischen: faigija; auch: todgeweiht. Das grundlegend Blöde aber an unserer Gesellschaft ist, dass man in ihr nicht anders kann, als Dinge zu wissen, die man eigentlich nicht wissen darf.

Einige Menschen, denen rationales Denken noch immer von Wert ist, weil es ihnen unverzichtbar im Hinblick auf eignes und fremdes Überleben erscheint, sind fassungslos, dass zahllose Mitmenschen ihr Überlebensinstrument außer Betrieb setzen und dafür jeden Unsinn beinahe begeistert mitmachen.

Hingegen andere offensichtlich böswillig ihre Zeitgenossen animieren, eben dies zu tun. Wundert es da noch, wenn Hans Magnus Enzensberger zur „Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“ anhob und diese Verteidigung im Jahr 1957 lyrisch veredelte? Ist es nicht eben vielmehr gebotene Notwehr?:

„… seht in den spiegel: feig,
scheuend die mühsal der wahrheit,
dem lernen abgeneigt, das denken
überantwortend den wölfen,
der nasenring euer teuerster schmuck,
keine täuschung zu dumm, kein trost
zu billig, jede erpressung
ist für euch noch zu milde.

ihr,
einladend zur vergewaltigung,
werft euch aufs faule bett
des gehorsams, winselnd noch
lügt ihr, zerrissen
wollt ihr werden, ihr
ändert die welt nicht mehr.“


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