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Stille Zeit

Stille Zeit

Die Wochen vor dem Fest der Liebe enthüllen, wie weit wir von der eigentlichen Botschaft entfernt sind.

Die dunkelste Zeit des Jahres ist da. Wir nähern uns dem Wendepunkt. Er wird kommen. Sicher. Nicht geradeaus läuft das Leben, sondern zyklisch, spiralförmig. Auf den Winter wird ein Sommer folgen. Für diese Bewegung müssen wir nichts tun. 2,5 Millionen Kilometer bewegt sich die Erde jeden Tag auf ihrer Bahn. Mit über 100.000 Stundenkilometern rast sie durchs All. 630 Kilometer pro Sekunde ist die Geschwindigkeit der Milchstraße, an deren Ende wir uns befinden. So können wir uns jetzt ein wenig ausruhen und in die stille Zeit eintreten.

Die Blätter sind gefallen, die Samen für die neue Saat ausgewählt. Wir reisen mit leichtem Gepäck. Der Toten wurde gedacht. In vielen Ländern der Erde wurden sie mit Ritualen und Zeremonien verabschiedet. Nun bereitet sich ein großer Teil der Menschheit auf eine Geburt vor. Viele glauben nicht mehr an dieses Kind, das einmal geboren wurde, um die Welt zu retten. Künstlich strahlt und schallt es uns entgegen.

Die Adventszeit, wie auch immer sie vermarktet wird, bedeutet Einkehr. Wir kommen nach Hause, dorthin, wo unser Herz ist.

Es ist vielleicht nicht bei der Familie; Blutsverwandtschaft kann schwer verletzten. Das haben viele Menschen in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, als die Ungeimpften von den Familienfeiern ausgeschlossen und nicht in die Kirchen gelassen wurden. Beziehungen sind erkaltet und erstarrt. Viele der Geimpften sind tot. Die Vergangenheit ist nicht aufgearbeitet. Entschuldigungen wurden nicht ausgesprochen.

Auf der anderen Seite haben neue Menschen zusammengefunden. Wahre Gesichter wurden erkannt und falsche von wahren Freunden unterschieden. Mit ihnen zusammen geht es in den Advent. Ad-venire: Etwas wird kommen, etwas, was wir noch nicht kennen. In der dunklen Jahreszeit wird ein Licht geboren. Ein Stern, den das Auge nur am Nachthimmel sieht. Etwas wird geboren, das es bisher nicht gab.

Entfremdet

In den ersten Jahrhunderten des Christentums war die Adventszeit eine Fastenzeit, eine Zeit zwischen Buße und freudiger Erwartung, zwischen Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi und auf das Jüngste Gericht. Ab dem 7. Jahrhundert standen die vier Sonntage der Adventszeit symbolisch für die viertausend Jahre, die die Menschen nach dem Sündenfall auf den Erlöser warten sollten. Keine Fehde sollte es in dieser Zeit geben. Die meisten Gerichte hielten keine Sitzungen ab.

1931, als der Cartoon-Zeichner Haddon Sundblom den rundbäuchigen und rotbemantelten Coca-Cola-Weihnachtsmann entwarf, wurde Weihnachten kommerziell. Innere Einkehr wurde durch äußeren Rummel ersetzt. Erschöpft und genervt vom Geschenkekaufen, Paketepacken, Dekorieren, Weihnachtsessen vorbereiten, Christbaum aufstellen und Aufräumen lassen viele sich am 24. Dezember unter den Weihnachtsbaum fallen und bleiben der eigentlichen Botschaft fern.

Ein Kind wird geboren! Ein Wunder geschieht. Mit jeder Geburt verkörpert sich ein einzigartiges Wesen. Niemals wurde und niemals wird ein Kind unter demselben Stern geboren.

Niemals in der Geschichte des Universums wird der Himmel so sein wie an diesem besonderen Tag. Jedes Kind, das die Augen aufschlägt und seiner Mutter ins Gesicht blickt, ist ein unverwechselbarer Schatz.

Von weither kommen die Menschen, um vor Mutter und Kind niederzuknien. Die Geburt wird als etwas Heiliges geehrt, dem der Mann nur schützend beiwohnen kann. Seine Aufgabe ist es, die Frau zu halten, zu stützen, zu wärmen, damit das Kind sicher auf die Welt kommen kann, von liebevollen Händen empfangen. Frau und Mann zusammen haben dieses neue Leben erschaffen. Doch die Frau ist es, die es austrägt und nährt. In ihrem Körper ist es herangewachsen. Sie ist in der ersten Lebenszeit die wichtigste Verbindung für das Kind.

Das Kind in der Krippe

Nur in zwei der in den biblischen Kanon aufgenommenen Evangelien ist von der Geburt Christi die Rede. Die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen, findet sich bei Lukas. Die Abfassung des Evangeliums wird einem anonymen Reisebegleiter des Paulus von Tarsus zugeschrieben und auf etwa 70 bis 90 nach Christus datiert. Die Krippe, von der hier die Rede ist und in die das Kind abgelegt wurde, ist die Vorlage zahlloser Krippenbilder, die im Laufe der folgenden Jahrhunderte entstanden sind.

Hier ist alles vorhanden, was die im römischen Reich erfundene Familienstruktur ausmacht: ein unsichtbarer, allmächtiger Übervater, die Mutter auf Distanz zu ihrem Kind, das Vieh und Menschen, die Abgaben entrichten. Familie stammt von dem lateinischen Wort famulus ab und bedeutet Diener, Sklave. Nicht die Liebe ist die verbindende Kraft, sondern der Besitz. Zum Besitz gehörte alles: Vieh, Frau und das Kind in der Krippe (1).

Auf manchen Bildnissen liegt das Kind auf dem blanken Boden, zu Füßen einer oft ratlos wirkenden und seltsam distanziert blickenden Mutter, oder windet sich in unnatürlicher Verdrehung auf ihrem Schoß. Die Mutter trägt ihr Kind nicht mehr. Sie hält es nicht mehr an ihrer Brust, an ihrem Herzen, sondern legt es irgendwo ab.

Verdreht und missbraucht

Wenn heute so viele Menschen den Bezug zum Weihnachtsfest verloren haben, wenn viele den Zauber nicht spüren können, wenn Weihnachten zum Winterfest wird und Osterhase zu Sitzhase, dann geht etwas zu Ende, was vielleicht nie richtig begonnen hat: die Erfüllung einer Geschichte, bei der die Liebe im Mittelpunkt steht.

Im Laufe der Jahrtausende haben die verschiedenen kirchlichen Institutionen die Geburt Christi als Machtmittel missbraucht. Sie wurde auf den 25. Dezember beziehungsweise den 6. Januar datiert und ersetzte die heidnischen Lichtfeste und die Saturnalien, ein Festtag zu Ehren Saturns, der als Herrscher des Goldenen Zeitalters galt. Christi Geburt soll im Brandherd der Welt stattgefunden haben, in einem Land, das heute die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit verübt und das Goldene Zeitalter in weite Ferne rücken lässt.

Die Liebe sucht man hier vergeblich. Die eigentliche Botschaft wurde gekapert und verdreht. Das Christentum hat die Welt nicht friedlicher gemacht. Nachbarn und ganze Völker hat es gegeneinander aufgehetzt. Im Namen eines eifersüchtigen Alleinherrschers wurde verfolgt, geraubt, erobert, verbrannt, vergewaltigt und gemordet. Die schlimmsten Taten geschahen im Namen eines Gottes, der den Griff nach der Weltherrschaft legitimierte.

Die alten Kraftorte der Erde wurden mit Kirchen gewissermaßen versiegelt und alte Riten zu Ehren der Mutter Erde zu Feiertagen gemacht, die einem im Himmel wohnenden Vater huldigten. Über zwei Jahrtausende voller Scheinheiligkeit, Unterdrückung und Gewalt können auch die heimeligen Stuben und hübschen Dekorationen nicht hinwegtäuschen. In ihrer Essenz missachtet hat die Botschaft der Nächstenliebe, kaum hatte sie Gestalt angenommen, in die Abgründe menschlicher Niedertracht geführt.

Neues Wunder

Mit dieser Erkenntnis geht ein Zyklus zu Ende und ein neuer beginnt. Die Seele ruft nach mehr als ein paar Gläsern Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, ein bisschen stimmungsvoller Musik und ein paar Geschenken unterm Weihnachtsbaum. Wer mit Weihnachten nicht viel anfangen kann, hört vielleicht den Ruf der Seele, dem Fest zur dunkelsten Zeit des Jahres seinen eigentlichen Wert zurückzugeben.

In der Mitte des Tunnels erscheint ein Licht. Im Schutz der tiefsten Nacht wird eine neue Liebe geboren. Wenn alles verloren scheint, geschieht das Wunder. Der Himmel hat sich mit der Erde vereint.

Frau und Mann, Mutter und Vater sind zusammen. Die Christuskraft ist in die Erde gedrungen. Sein Blut hat sich mit ihrem vermischt. Diese Kraft ist noch da. Sie ist hier, unter unseren Füßen, und wartet darauf, zum Leben erweckt zu werden.

Wie würden wir wohl Weihnachten feiern, wenn wir es wirklich zu einem Fest der Liebe machten? Würden wir uns Zeit nehmen? Einkehr halten? Würden wir selber machen? Schmücken? In unser Haus einladen? Gemeinsam machen? Zusammen singen? Würden wir die um Verzeihung bitten, die wir verletzt haben? Würden wir ehrlich sein, echt?

So kann es ein echtes Lichtfest geben. Es ist gleichgültig, welcher Glaubensrichtung wir angehören. Es geht um die Gelegenheit, das Beste und Schönste in sich zum Leuchten zu bringen. Dann kann es erscheinen, wenn wir auch das Dunkelste in uns sehen, das, wozu wir fähig sind und waren. Ja, ich kann das alles sein, missgünstig und warmherzig, neidisch und großzügig, hart und sanft, sehend und blind. In der Weihnachtszeit trifft die Dunkelheit das Licht. Hier können wir entscheiden, was wir der Welt wirklich geben wollen.

Mit der Wokeness hat die Scheinheiligkeit einen Höhepunkt erreicht. Es herrschen Verwirrung und Angst. Viele werden die Weihnachtsstube nicht richtig heizen können, viele haben die Arbeit verloren, viele fürchten einen Krieg, der auch sie betreffen wird.

Und viele wollen immer noch nichts davon wissen, dass die Entscheidungen von oben wirklich nicht zu ihrem Wohl getroffen werden.

Wir sind nicht darauf begrenzt, auf Segen von oben zu hoffen. Wir können uns mit der irdischen Christuskraft zusammentun. Hier ist die Wirklichkeit — das, was wirkt. Hier nimmt die Liebe Form an, die Verbindung, die Zärtlichkeit. Hier können wir erkennen, ob nur ordentlich was hergemacht wird oder ob es echt ist. Hier können wir die Tore weit machen, das Herz öffnen und den Tisch decken. Hier kann es Weihnachten werden.


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