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Überall Butter

Überall Butter

Die Intellektuellen dieser Republik versuchten auf einer Konferenz, die kulturelle Einheit zu beschwören. Eine Geschichte für Kinder.

Wo kommt er her, der Butter? Diese Frage möchte ich an den Anfang dieser Gute-Nacht-Geschichte stellen und so mit einem Missverständnis aufräumen. Nein Kinder, nicht von den Kühen kommt er, nicht aus den Molkereien. Auch nicht vom Himmel hoch. Er kommt von den Universitäten und Hochschulen. Da kommt er her. Und da geht er auch wieder hin. Und dann kommt noch mehr Butter von da wieder zurück und so fort. Und ihr reibt die Augen und sagt verblüfft: Butter. Überall Butter! Und ich sag euch: Am Butter ist nichts greifbar. Wer nach ihm greift, dem bleibt die schmierige Hand, der alles entgleitet. Ja, Kinder, Butter am Ende: das ist die Kernschmelze des Denkens. Das Schmierfett der Endlösung.

Aber eins nach dem andern und so erzähle ich euch eine kurze Geschichte. Ich war, getarnt als Bühnentechniker, am Kongress der kulturellen Einheit, Kinder. Ihr fragt: Was ist das? Ich kann es euch sagen: Der Kongress der kulturellen Einheit ist das Treffen der deutschen Intellektuellen. Deutsche Intellektuelle, so fragt ihr erstaunt weiter, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Da habt ihr Recht, Kinder. Allerdings nur solange ihr von einem falschen Begriff ausgeht.

Aber bleibt ruhig bei eurem Begriff und denkt, Intellektuelle seien Menschen, die selbstständig denken und Dinge hinterfragen und den Mächtigen ganz schön auf die Nerven gehen. Geht ruhig davon aus und dann verkehrt ihr diesen Begriff ins Gegenteil und dann habt ihr so ziemlich exakt das, was mit Intellektuellen gemeint ist, mit deutschen Intellektuellen. Die denken nicht selbstständig und stellen nichts in Frage außer alles, was das Bestehende in Frage stellt. Aber auch das tun sie nicht mit Gedanken, denn sie denken nicht nur nicht selbstständig, sondern überhaupt nicht. Stattdessen reagieren sie reflexartig und schreiben ab. Meist bei Wikipedia.

Nein, ganz leer sind sie nicht. Es sind keine schwarzen Büchsen, die deutschen Intellektuellen. Denn sie haben tatsächlich etwas in sich. Und das ist die Bildung, die man in sie hineingefüllt hat. Damit sie sich als Prof. anschreiben können. Und die, die auf ganz sicher gehen wollen, als Univ.-Prof. Die Bildung ist bei denen genau da im Gehirn abgelegt, wo eigentlich das Denken wär.

Das Denken fehlt, stattdessen findet sich eben ein fest installiertes Programm vor, das im Wesentlichen ein Abschreibprogramm ist. Basierend auf ungefähr zehn Wörtern zur Abwehr alles Gedachten. Ja Kinder, so sehen die deutschen Intellektuellen im Innern aus und deshalb gibt es den Kongress der kulturellen Einheit und ich war dort. Als Techniker getarnt, wie gesagt.

Nun, wie ist der abgelaufen, dieser Kongress? Alle waren angeschrieben an der Brust mit ‚Butter‘. In der Tat, ich sah mich um im Plenum und was ich sah, war Überall Butter. Das sind also die deutschen Intellektuellen! So habe ich bei diesem Anblick gedacht und mich, ich gebe es zu, innerlich ein wenig amüsiert — gegen außen habe ich einen Scheinwerfer gerichtet, um nicht aufzufallen — habe mich amüsiert, weil überall Butter stand, um mir dann klarzuwerden, dass es ja genau um die Einheit gehe an diesem Kongress und ich im Grunde blöd sei, etwas anderes als Butter zu erwarten. Steht einmal Butter, steht überall Butter.

Das muss so sein und ergibt sich aus der Logik der deutschen Intellektuellen und ihres Kongresses. Und dann hielt der, der mit Butter angeschrieben war — ihr wendet ein: das waren doch alle!; stimmt, doch war es dann doch nur einer, der sprach, der Hauptbutter sozusagen —, hielt der also die Rede und sagte: „Wo Störung Verschwörung.“ Und dann standen die Butter, die meisten eben mit Prof. Butter oder Univ.-Prof. Butter angeschrieben, auf und klatschten. Dann war der Kongress vorbei. Vielleicht sagte der Hauptbutter auch nur Schwörung, Kinder, er sprach undeutlich, fast amerikanisch, und deshalb kann ich das so genau nicht mehr sagen. Schwörung, Kinder — weshalb auch nicht, reicht doch.

Ihr fragt, war das immer so? Gab es nicht einst diesen Goethe mit diesem Werther, ein Störungs- und also Schwörungswerk, keine Frage, zumindest für die, die lesen können? Und gab es nicht diesen Kleist mit dem Kohlhaas und diesen Büchner mit dem Woyzeck und diesen Brecht? Und was ist mit Kant und Hegel und Marx? Und die Bachmann gab es auch und den Kafka. Gut, das waren keine Deutschen, muss man sagen. Und doch, wie konnte aus alledem Butter werden? Wie der ganze deutsche Geist verklumpen?

Nun, das ist eine schwierige Frage. Es gab einen Österreicher, Kinder, er hieß Thomas Bernhard, einer, der also Deutsch verstand, und der sagte, es sei im ganzen deutschen Geist immer schon mehr Butter drin gewesen als Verstand. Und Ingeborg Bachmann, eine andere Grenzgängerin, empfand das angeblich ganz radikal scharfsinnige Denken der deutschen Nachkriegsintellektuellen als so gemäßigt und zahm, dass es anderswo als Denken gar nicht erkannt worden wäre. Nun, ich selbst glaube wahrhaftig an einen Verlauf von Geist zu Butter durch die Zeit, ein Verlauf, der sich in den letzten zwanzig Jahren allerdings tornadohaft beschleunigt hat.

Doch ist eben bereits vor hundert Jahren einmal fast alles verklumpt. Darf man nicht vergessen, Kinder. Und genau daran dachte ich, als der Hauptbutter sprach am Kongress der kulturellen Einheit — er sagte zwar nur Wo Störung Schwörung, aber seine Rede dauerte gleichwohl eine Stunde —, als der also sprach und ich aus einer Ritze in die Arena spähte und auf den Rängen überall Butter sah. Wie damals! So fiel es mir in diesem Augenblick wie Schuppen von den Augen. Die Akademiker, die Gebildeten, die ganze Intelligenzija ein einziger Klumpen! Doch war der Klumpen damals nicht zu halten. Es war wie zu früh alles schon zu Butter geworden und man musste nochmals ein paar Jahrzehnte lang Übergänge einplanen um endlich in die Zeit des Butters einzumünden, des ewigen Butters. Das also schoss mir durch den Kopf, während der Butter sprach.

Störungen, das wusste übrigens der, den man Goebbels nannte und der damals die Gehirne mit Bildung füllte, sehr genau, Störungen darf man nicht mit Argumenten brechen. Störende Gedanken müssen vielmehr zerfleischt werden. Zerfleddert, in Stücke gerissen. Wie etwa Mussolinis Schwarzhemden die Wohnung des Kommunisten Olmo in Bernardo Bertoluccis Filmepos Novecento durchwühlen und die Inhalte, die sie vorfinden, zerreißen und aus den Fenstern schmettern.

Ja, es sind Hunde gefragt, Systemhunde, Kinder, bar jeden Gedankens und voller Beißreflexe. Ihr fragt euch: Und was hat Butter damit zu tun? Kann Butter beißen? Nein und ja. Die Zeiten haben sich zwar — verglichen mit den Dreißigern des letzten Jahrhunderts — kaum verändert, aber die Formen. Und so ist ein Durchwühlen und Zerfleddern im Sinne von Mussolinis Schwarzhemden nicht mehr gefragt und das Beißen des Butters kein Beißen, denn der Butter, angeschrieben mit Univ.-Prof. hat keine Zähne. Er zermalmt. Erwürgt. Erdrückt. Das ist der Unterschied bei gleicher Wirkung.

Das Schlimmste am Ende, Kinder: Ich habe lange Jahre an einer Bildungsstätte gewirkt. Habe, wie ich glaubte, Köpfe aufs Denken vorbereitet. Aufs Hinterfragen und Untergraben. Und dann blickte ich an diesem Kongress, getarnt als Bühnentechniker, durch eine Ritze und sehe in die Ränge und muss entsetzt erkennen: Es sind meine Schüler. Die sitzen alle da. Wahrhaftig, Kinder, nichts anderes habe ich getan als Butter gebildet und Butter geformt. Die ganze Zeit. Das ist mein Verderben und meine Scham.

Der Butter? Heißt es nicht die Butter? Das werdet ihr euch zwischendurch mal gefragt haben, Kinder. Es heißt die Butter, richtig. Aber im Land, aus dem ich stamme, ist die Butter männlich. Chan ich dä Butter ha? Das bedeutet: Kann ich die Butter haben? Ab und an bleibt etwas hängen. Ob wann will oder nicht.



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