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Unersättliche Expansion

Unersättliche Expansion

Der israelische Siedlerkolonialismus erstreckt sich schon jetzt von Gaza bis Syrien — auch weiteren Ländern der Region könnten bald Teile des Staatsterritoriums streitig gemacht werden.

Von Ramzy Baroud

Die Debatte über den Siedlerkolonialismus darf nicht auf akademische Diskussionen beschränkt bleiben. Es handelt sich um eine politische Realität, die sich deutlich im täglichen Verhalten Israels zeigt.

Israel ist nicht nur historisch betrachtet ein expansionistisches Regime; es ist auch heute noch ein solches. Zudem dreht sich der Kern des politischen Diskurses sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart um territoriale Expansion.

Wir erliegen oft der Versuchung, diese Ausdrucksweise einer bestimmten Gruppe rechter und extremer Politiker oder einer bestimmten US-Regierung vorzuwerfen. Die Wahrheit sieht jedoch deutlich anders aus: Der politische Diskurs israelischer Zionisten mag sich zwar stilistisch verändern; im Grunde genommen bleibt er jedoch unverändert.

Zionistische Führer haben die Errichtung und Expansion ihres Staates stets mit der ethnischen Säuberung der Palästinenser in Verbindung gebracht und dies später in der zionistischen Literatur als „Transfer“ bezeichnet.

Der Gründer des modernen politischen Zionismus, Theodor Herzl, schrieb in seinem Tagebuch über die ethnische Säuberung der arabischen Bevölkerung von Palästina:

„We shall try to spirit the penniless population across the border by procuring employment for it in the transit countries, while denying it any employment in our own country… Both the process of expropriation and the removal of the poor must be carried out discreetly and circumspectly.”

„Wir sollten versuchen, die mittellose Bevölkerung über die Grenze verschwinden zu lassen, indem wir ihr in den Transitländern Arbeit verschaffen, während wir ihr in unserem eigenen Land die Beschäftigung verweigern … Sowohl der Prozess der Enteignung als auch die Entfernung der Armen muss diskret und besonnen durchgeführt werden.“

Wir wissen nicht, was aus Herzls großem Beschäftigungsprogramm geworden ist, dessen Ziel es war, die palästinensische Bevölkerung in der gesamten Region „verschwinden zu lassen“. Was wir wissen, ist, dass sich die sogenannte „mittellose Bevölkerung“ dem zionistischen Projekt auf vielfältige Weise widersetzt hat. Letztendlich erfolgte die Entvölkerung Palästinas durch Gewalt und gipfelte in der Nakba, der Katastrophe von 1948.

Die Debatte um die Auslöschung des palästinensischen Volkes bildet bis heute das gemeinsame Fundament aller israelischen Amtsträger und Regierungen, wenngleich sie auf unterschiedliche Weise geäußert wurde.

Sie hatte schon immer eine materielle Komponente, die sich in der langsamen, aber entschlossenen Übernahme palästinensischer Häuser im Westjordanland, der Beschlagnahmung von Bauernhöfen und der stetigen Errichtung von „Militärzonen“ offenbarte.

Obwohl Israel das Gegenteil behauptet, steht dieser „schrittweise Völkermord“ nicht in direktem Zusammenhang mit der Art und dem Ausmaß des palästinensischen Widerstands, was Dschenin und Masafer Yatta deutlich veranschaulichen.

Nehmen wir beispielsweise die anhaltende ethnische Säuberung im nördlichen Westjordanland, die gemäß UNRWA die schlimmste seit 1967 darstellt. Die Umsiedlung zehntausender Palästinenser wird bis heute von Israel mit der militärischen Notwendigkeit gerechtfertigt, die sich aus dem heftigen Widerstand in dieser Region, vor allem in Dschenin, aber auch anderen Gebieten, ergibt.

Viele Teile des Westjordanlands, darunter auch das Gebiet von Masafer Yatta, haben jedoch keinen bewaffneten Widerstand ausgeübt. Dennoch sind sie bis heute Hauptziele der kolonialen Expansion Israels.

Anders ausgedrückt: Der israelische Kolonialismus steht in keiner Weise in Zusammenhang mit dem palästinensischen Widerstand, dem Handeln oder der Untätigkeit der Palästinenser. Dies gilt seit Jahrzehnten.

Gaza ist hierfür ein krasses Beispiel. Während einer der entsetzlichsten Völkermorde der jüngeren Geschichte verübt wurde, trafen sich israelische Immobilienunternehmer, Mitglieder der Knesset und Anführer der illegalen Siedlungsbewegung, um Investitionsmöglichkeiten im entvölkerten Gaza zu diskutieren. Die herzlosen Tycoons waren damit beschäftigt, Strandvillen zu konkurrenzfähigen Preisen zu versprechen, während Palästinenser sich zu Tode hungerten und die Zahl der Todesopfer immer weiter anstieg. Selbst Fiktion kann nicht so grausam sein wie diese Wirklichkeit.

Kein Wunder, dass sich die US-Amerikaner anschlossen, wie gleichermaßen mitleidlose Kommentare von Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, sowie vom Präsidenten selbst bewiesen.

Während damals viele über die Eigenartigkeit der US-Außenpolitik sprachen, erwähnten nur wenige, dass beide Länder Paradebeispiele für Siedlerkolonialismus sind. Im Gegensatz zu anderen Siedlerkolonialgesellschaften verfolgen sowohl Israel als auch die USA noch immer dasselbe Projekt.

Trumps Wunsch, den Golf von Mexiko zu übernehmen und umzubenennen, seine Ambitionen, Grönland zu besetzen und es als US-amerikanisches Territorium geltend zu machen und natürlich seine Bemerkungen zur Inbesitznahme Gazas sind allesamt Beispiele für siedlerkolonialer Sprache und Verhalten.

Der Unterschied zwischen Trump und früheren Präsidenten besteht darin, dass diese militärische Macht einsetzten, um den US-Einfluss durch Kriege und hunderte von Militärstützpunkten weltweit zu expandieren, ohne dabei explizit expansionistische Sprache zu verwenden. Stattdessen bezogen sie sich zur Rechtfertigung ihrer Handlungen auf die Notwendigkeit, gegen die sowjetische „rote Gefahr“ anzugehen, die „Demokratie wiederherzustellen“ und einen globalen „Krieg gegen den Terror“ loszutreten.

Trump hingegen hält es nicht für notwendig, seine Handlungen mit falscher Logik und offensichtlichen Lügen zu verschleiern. Sein Markenzeichen ist brutale Ehrlichkeit, obwohl er sich im Wesentlichen nicht von den anderen unterscheidet.

Israel andererseits hält es selten für nötig, sich anderen gegenüber zu erklären. Es bleibt ein Musterbeispiel für eine bösartige, traditionelle Kolonialgesellschaft, die keine Rechenschaftspflicht fürchtet und keine Rücksicht auf das Völkerrecht nimmt.

Während die Israelis die Eroberung und ethnische Säuberung des Gazastreifens vorantrieben, blieben sie im Süden Libanons fest verschanzt und bestanden auf ihrer weiteren Anwesenheit in fünf strategischen Gebieten, wodurch sie gegen das am 27. November unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen verstießen. Ein typisches Beispiel hierfür war die sofortige, und ich meine sofortige, Expansion in den Süden Syriens — in genau dem Moment, als das syrische Regime am 8. Dezember kollabiert war.

Sobald die Ereignisse in Syrien Sicherheitslücken eröffneten, rollten israelische Panzer herein, Kriegsflugzeuge zerstörten fast die gesamte syrische Armee und Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte das 1974 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen auf.

Diese Expansion setzte sich fort, obwohl Syrien keine wie auch immer geartete sogenannte Sicherheitsbedrohung für Israel darstellte. Israel kontrolliert nun den Meron-Berg und Quneitra innerhalb Syriens.

Der unstillbare Hunger Israels nach Land ist noch immer genau so stark wie zu Zeiten der Gründung der zionistischen Bewegung und der Übernahme der Heimatregion der Palästinenser vor fast acht Jahrzehnten.

Diese Erkenntnis ist von zentraler Bedeutung und insbesondere arabische Länder müssen sie verstehen. Es ist ein fataler Fehler, die Palästinenser der israelischen Todesmaschine in der irrigen Annahme zu opfern, dass sich Israels Begehrlichkeiten auf Gaza und das Westjordanland beschränken.

Sobald Israel sich dazu in der Lage fühlt, wird es keine Sekunde lang zögern, militärisch in jedes erdenkliche arabische Gebiet vorzudringen, wobei ihm stets die Unterstützung der USA und das Schweigen Europas sicher sind — unabhängig davon, wie zerstörerisch seine Handlungen sind.

Jordanien, Ägypten und andere arabische Länder könnten sich in derselben misslichen Lage wiederfinden wie Syrien heute: Macht- und ausweglos dabei zuzusehen, wie ihre Gebiete verschlungen werden.

Auch für diejenigen sollte diese Erkenntnis eine Rolle spielen, die eifrig nach „Lösungen“ für den palästinensisch-israelischen „Konflikt“ suchen — Lösungen, die das Problem eng auf die israelische Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens eingrenzen.

Siedlerkolonialismus kann niemals durch kreative Lösungen überwunden werden. Die Existenz eines Siedlerkolonialstaates und das Funktionieren einer siedlerkolonialen Gesellschaft enden, sobald die territoriale Expansion kein Dauerzustand (mehr) ist.

Die einzige Lösung besteht darin, Israels Siedlerkolonialismus infrage zu stellen, einzudämmen und endgültig niederzuschlagen. Dies mag eine schwierige, aber unausweichliche Aufgabe sein.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „From Gaza to Syria: The Unyielding Reality of Israeli Settler Colonialism“ bei Counter Punch. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.


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