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Unter falscher Flagge

Unter falscher Flagge

Die Großdemonstration am 1. August 2020 in Berlin wurde auch von einer Handvoll Teilnehmer besucht, deren Sichtweisen mit denen einer Demokratiebewegung inkompatibel sind.

Der Demozug am 1. August 2020 in Berlin schien schier endlos zu sein. Die Stimmung ist phänomenal. Menschen tanzen und singen. Und wir, ein Teil der Rubikon-Jugendredaktion, mitten drin — in der Menschenmasse, die sich über mehrere Stunden friedlich durch die Straßen Berlins schlängelte.

Es war ein sehr heißer Tag in der deutschen Hauptstadt, sodass wir eine etwas längere Pause einlegten. In dieser Pause erkannten wir auch, welche unglaubliche Menge an Teilnehmern sich angesammelt hatte. Der Menschenstrom lief konstant an uns vorbei und weigerte sich, abzureißen oder gar zu enden.

Als wir am Nachmittag vor der Straße des 17. Juni ankamen, war dieser Bereich bereits aufgrund von Überfüllung gesperrt, sodass die Polizei die restlichen Demonstranten über die Grünstreifen umleitete, die die Straße auf rechter und linker Seite säumen. Von einer Millionen-Demonstration wurde gesprochen.

Viele Zeitungen berichteten jedoch von 20.000 Menschen. Mit dieser unbeschreiblichen Unterschlagung von Zahlen hat sich Nicolas Riedl in seinem Artikel „Der Zahlensalat“ auseinandergesetzt.

Ein weiterer Aspekt, der in der Berichterstattung besonders auffiel, war der Versuch, die dortigen Demonstranten in bestimmte Gruppierungen einzuordnen. So war von einem kruden Mix aus Verschwörungstheoretikern, Rechten und Esoterikern die Rede.

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass hieran durchaus etwas dran ist. Dennoch möchte ich diese Bezeichnung nicht unkommentiert lassen.

Die Demonstranten an diesem Tag kamen aus ganz Deutschland nach Berlin und jeder einzelne von ihnen hatte natürlich auch seine ganz eigene politische, spirituelle und soziale Einstellung und Ansichtsweise im Gepäck. Diese Menschenmenge per se in eine Kiste zu werfen und den Stempel „rechte Verschwörungstheoretiker“ draufzudrücken, ist realitätsfremd — ebenso, wie es die Leugnung dieser verschwindend kleinen Menge an Teilnehmern wäre, deren Ansichten und Ideologien ganz und gar nicht mit denen der Veranstalter und denen der Anwesenden kompatibel waren.

Ja, wir haben Menschen mit Deutschlandflaggen gesehen. Ja, es schlossen sich ebenfalls vereinzelt Menschen mit schwarz-weiß-roten Reichsflaggen an. Ja, es wurde an einer Stelle das Compact-Magazin verkauft und ja, es waren ebenfalls Trump-Anhänger und QAnon-Sympathisanten vor Ort.

Doch diese Gruppierungen waren deutlich in der Unterzahl und machten einen geschätzten Anteil von nur 0,5 Prozent aus. Wir befanden uns immer wieder in unterschiedlichen Abschnitten des Menschenstroms und konnten uns somit einen umfassenden Überblick verschaffen.

Die deutliche Mehrheit trug bunte LGBQ-Flaggen, Peace-Zeichen sowie Flaggen mit Friedenstauben durch den Demozug und sprach sich eindeutig gegen nationalistische, menschenverachtende und rechtsradikale Ideologien aus.

Dies zeigte sich ebenfalls bei einem Zusammentreffen mit einem kleinen Teil der Gegendemonstranten, die sich ganz vereinzelt in kleinen Gruppen an verschiedenen Standpunkten am Rande des Zuges versammelten. Hier hallte uns die Parole „Nazis raus“ entgegen, die vom Demozug übernommen wurde. So kam an dieser Stelle das absurde Bild zustande, dass sich Demonstranten und Gegendemonstranten mit der gleichen Parole beschallten.

In manchen Teilen des Zuges herrschte fast schon eine Art Loveparade-Stimmung. Ein Wagen, der auf allen Seiten mit durchgestrichenem Hakenkreuz und der Aufschrift „Freedomparade“ bemalt war, brachte die Teilnehmer zum Tanzen. Die Sprecherin auf diesem Wagen, die direkt neben dem DJ stand, sprach sich deutlich gegen rechte Hetze aus und forderte einen Demonstranten auf, der eine Reichsflagge trug, diese herunterzunehmen, da rechtsextreme oder nationalistische Ansichten hier keinen Platz hätten.

Nichtsdestotrotz blieben mir bei der Auswahl der ersten Redner einige Fragen offen. Nach Eröffnung der Kundgebung übergab man Heiko Schrang das Wort. Direkt danach folgte eine Videobotschaft von Oliver Janich. Vielen anderen, eingeplanten Rednern und Künstlern wurde leider die Stimme verwehrt, da die Kundgebung bald darauf aufgrund der Nichteinhaltung der Maßnahmen durch die Polizei aufgelöst wurde. Ich möchte mir nicht herausnehmen, politische Einstellungen pauschal in „gut“ und „böse“ aufzuteilen, da Meinungsfreiheit und Facettenreichtum mit die wichtigsten Teile einer Demokratie darstellen. Dennoch erschließt sich mir teilweise die Auswahl und vor allem die Reihenfolge der Redner nicht.

Es ist so gut wie unmöglich, mit allen anwesenden Demonstranten und Rednern einer Meinung zu sein, sei es auf politischer, spiritueller oder sozialer Ebene, und trotzdem möchte ich nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich die Veranstalter und die Mehrzahl der Demonstranten vor Ort von menschenverachtenden sowie rechts- oder linksextremen Ideologien distanzierten und diese vehement ablehnen.

Allen Schlagzeilen zum Trotz haben eine Millionen Menschen an diesem Tag vom Artikel 5 des Grundgesetzes, der die freie Meinungsäußerung beinhaltet, sowie von Artikel 8, der die Versammlungsfreiheit umfasst, Gebrauch gemacht und auf friedliche Art und Weise ein deutliches Zeichen für die Demokratie gesetzt.


One hour in 4 Minutes

Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin

Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin

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Zigzehntausende starten bei Demozug auf der Straße des 17. Juni

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