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Verbunden über Grenzen hinweg

Verbunden über Grenzen hinweg

Man sollte nicht nur über die Menschen im Konfliktgebiet im Donbass sprechen, sondern auch mit ihnen — Bericht von einer Freundschaftsreise.

Die Russen sind schon wieder die Bösen

Frühjahr 2022. Ich erinnere mich noch genau, ich war im Auto unterwegs und hörte eine Nachrichtensendung im Radio, wie schräg ich es fand, dass bereits wenige Tage nach dem Einmarsch der Russen die komplette Schuldgeschichte lückenlos feststand und in den einschlägigen Medien immer wieder wortwörtlich wiederholt wurde. Niemand schien auch nur einen Zweifel daran zu haben, dass Präsident Wladimir Putin und Russland aus reiner Machtgier die Ukraine überfallen hatten. Der Höhepunkt: Am Ende dieser Sendung wurden bereits die Spendenkonten für die Unterstützung der Ukraine bekanntgegeben.

Wir sind ja zwischenzeitlich geübt im Erkennen von Kampagnen, beziehungsweise man muss ja nur akzeptieren, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die, falls nötig, ganze Länder ausradieren, nur um ihre kleinlichen Machtgelüste zu befriedigen.

Ich überlegte mir, was ich tun könnte. Schlussendlich sah ich keine bessere Möglichkeit, als dorthin zu fahren, den Menschen, so gut es ging, beizustehen, ihre Situation hautnah kennenzulernen, beim Wiederaufbau mitzuhelfen oder was immer nötig und möglich war, um Achtung und Zuneigung für die Menschen in dieser Tragödie zu zeigen. Am 17. April 2023 fuhr ich zusammen mit meiner bezaubernden Hündin Bella und dem eigens dafür ausgebauten Wohnmobil „Alice“ von zu Hause aus über den Balkan los, durch Georgien und das Kaukasusgebirge. Am 6. Mai hatten wir die Einreise geschafft und steuerten die Krim an.

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Ein Blumengeschäft in Mariupol am 28. Mai 2023 - Der Name steht sinnbildlich dafür, daß selbst mitten in der Zerstörung die Liebe nie weit weg ist

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Alice und meine Reisegefährtin Bella in Bihǎc, Bosnien am 23. April 2023

Endlich … In Sewastopol

Bevor wir die Kertsch-Brücke überqueren durften, mussten wir durch eine Militärkontrolle. Dabei merkte ich zum ersten Mal so richtig, wie wichtig es war herzukommen. Die Kontrolle verlief beispielhaft für die vielen weiteren. Man nahm uns zuerst etwas misstrauisch und sehr genau unter die Lupe. Alle involvierten Beamten musterten uns scharf. Sie blieben jedoch freundlich und respektvoll: Fahrzeugkontrolle, Prüfung der Papiere und Befragung, Rücksprache mit Vorgesetzten und weitere Fragen. Ich gab immer an, die Wahrheit über die Situation mit eigenen Augen sehen zu wollen. Dann … Entspannung, freudiges Händeschütteln.

Mit den besten Wünschen wurden wir verabschiedet. Man hielt uns die Tür auf, salutierte fast und bei mehreren Gelegenheiten hatten die Soldaten fast Tränen in den Augen. Es tat ihnen gut, dass es jemanden gab, der sich interessierte. In diesen Momenten waren wir verbunden, eine gemeinsame Zukunft zum Greifen nahe. Es liegt nur an uns. Teilen und herrschen funktioniert nur, solange wir mitmachen.

Als wir nach drei Tagen in Sewastopol eintrafen, war die Stadt geschmückt für den großen Nationalfeiertag am 9. Mai, den ich mit meinen russischen Nachbarn feiern wollte. Er bedeutet den Menschen dort sehr viel und ich hatte in Georgien dafür ein wenig Feuerwerk gekauft. Natürlich brannte an diesem Tag niemand Feuerwerk ab, da sich das Land im Kriegszustand befand. In Sewastopol merkte man davon zwar fast nichts, doch die Stadt beherbergt seit vielen Jahren die russische Schwarzmeerflotte, wurde zu Land, Wasser und in der Luft durch Militär gesichert. Die Stimmung war ausgelassen und gipfelte in einem Rockkonzert am Hafen.

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Sewastopol am 9. Mai 2023 — dem Feiertag des Sieges über den Nationalsozialismus und des Endes des Großen Vaterländischen Krieges

Russland und Deutschland verbindet vieles. Ich traf Ilia mit seiner Familie, der nördlich von Berlin zur Welt kam, Sergei, dessen Bruder in meiner Heimatstadt lebt, auf dem Markt eine betagte Frau mit deutschen Wurzeln, die sofort ihren noch vorhandenen Wortschatz hervorkramte, während ich bei ihr leckere Kräuter kaufte und einige mehr, die die ein oder andere Erfahrung mit Deutschland zum Besten gaben. Sewastopol ist eine schöne, geschäftige Hafenstadt und die Menschen dort genießen das Leben. Bella und ich mischten uns unters Volk und versuchten, so viel über die Lebensumstände herauszufinden wie möglich. War die Krim durch Russland annektiert und die Menschen hier Opfer einer fremden Macht?

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Sewastopol am Hafen — Ilia, der in Deutschland zur Welt kam und mit seiner Familie die schöne Landschaft genoss

In einer Filiale der PJSC Bank hielt man uns für verirrte Touristen und es entspann sich ein schönes Gespräch zwischen einem etwa 25-jährigen Punk-Rocker, einer älteren Dame und mir, da sie sich zunächst nicht vorstellen konnten, was wir denn hier wollten. In einem Außenbezirk trafen wir auf Elena mit Familie und ihrer Samojeden-Hündin Maja. Wir waren vom langen Laufen müde, Elena sah uns an, dass wir eine Pause brauchen konnten und lud uns zu sich nach Hause ein. Sie bewirtete uns, Maja und Bella spielten ausgelassen und Elenas Tochter und ihre Freundin kredenzten uns zum Nachtisch Erdbeeren. Als es dunkel wurde, verabschiedeten wir uns und stehen seither in Kontakt.

Es war ein wunderbarer Auftakt. Zweimal wurden wir zum Übernachten eingeladen und wir trafen ein sehr nettes Paar, das vor Kurzem die Route nordwärts über die Landesgrenze in den Donbass genommen hatte. Das hatten wir noch vor uns und erhielten so aus erster Hand die Informationen, die wir brauchten.

Bella kann nicht weiter mitkommen

Über Jalta und dem Besuch des Liwadija-Palastes ging es nach Simferopol. Hier lernten wir russisch und ukrainisch stämmige Christen und einen direkten Nachfahren der ersten Krimdeutschen kennen, die Anfang des 19. Jahrhunderts hier siedelten. Wir verbrachten viel Zeit damit, über die Situation in unseren Ländern zu reden und darüber zu philosophieren, wie schön es wäre, in Frieden zu leben und einander auf Augenhöhe zu begegnen.

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Urlaubsstimmung am Hafen von Jalta – 15. Mai 2023

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Bild Links: Vikar Kirill und seine Frau Arina erhielten zum Dank für ihre Gastfreundschaft kleine Herzsteine — Bild rechts: Kurt mit einem Einsiedlermönch und einer Ordensfrau am Kloster Toplovsky

Kurt und Maria, ein Deutscher und eine Ukrainerin luden uns immer wieder zu sich ein. Bislang hatte unsere Reise einen sehr guten Verlauf genommen. Irgendwann hatte sich Bella durch einen Zeckenbiss mit Hundemalaria infiziert. Die Krankheit äußert sich zuerst nur mit leichten Erkältungssymptomen, kann dann innerhalb von ein paar Tagen lebensbedrohlich werden. Bella war seit ein paar Tagen träge und ich gönnte ihr viel Ruhe. Ich vermutete fälschlicherweise, dass die Reise sie viel Kraft gekostet hatte. Viel zu spät realisierte ich, wie schwer sie erkrankt war. Wir waren schon auf dem Weg nach Norden, als sich starke Symptome zeigten und wir nach Simferopol umkehrten, da ich hier nun Freunde hatte und sie eine gute Tierarztpraxis kannten.

Die Ärztin, Anna, hatte zuerst noch Hoffnung, wenngleich sie mich wissen ließ, dass die Krankheit schon weit fortgeschritten war. Bella erhielt Antibiotika und Aufbaumittel. Es sah so aus, als könnte es mein Schatz schaffen. Wir wurden erstmal entlassen und sollten am Abend zur Kontrolle wiederkommen. Das Wohnmobil stand draußen vor der Praxis und ich wollte bis zum Abendtermin dort bleiben und Bella schonen. Sie ruhte sich in ihrem Körbchen aus und ich war schon etwas erleichtert. Eine dreiviertel Stunde später streckte sich dieses wunderbare Tier mit einem kläglichen Seufzer und verharrte in dieser Stellung.

Alona, eine Simferopolin, die uns in der Praxis ganz liebevoll geholfen und für mich übersetzt hatte, war ebenfalls bei uns. Wir brachten Bella zurück in die Praxis. Dort ließ Anna sofort alles stehen und liegen und kämpfte, am Schluss mit dem ganzen Team, die nächsten fünf Stunden um Bellas Leben. Es wurden zusätzlich Spezialisten aus Moskau konsultiert. Alona und Anna fanden sogar einen Spenderhund für eine Bluttransfusion. Bella war bewusstlos und ich beatmete sie während der meisten Zeit mit einem Beatmungsbeutel. Ihr Herz schlug bis zum Schluss regelmäßig. Als die erste Transfusionsampulle angeschlossen war und das rettende Blut in Bellas Körper strömte, hörte ihr Herz auf zu schlagen und konnte nicht mehr zurückgebracht werden. Dieser besondere Hund, der mir die Abreise leicht gemacht hatte, war gestorben.

Alle in der Praxis waren betroffen. Ich hielt ihren Körper schluchzend in den Armen. Anna zog sich in den Nebenraum zurück und weinte. Nach einiger Zeit hatte ich mich wieder ein wenig gefasst und Anna ermöglichte es mir, Bellas Körper ohne Bürokratie mitzunehmen und an einem schönen Ort zu begraben. Als ich die Praxis verließ, war ich hin- und hergerissen zwischen dem tragischen Verlust meiner Reisegefährtin und der aufopfernden Hingabe des Praxisteams mit Anna und Alona, die so sehr gekämpft haben und am Schluss nicht einmal eine Bezahlung dafür haben wollten. Ich werde das nie vergessen.

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Sie kämpften so sehr um Bellas Leben: Anna, Marina, Emil, Alona und Emil. Ihr habt für immer einen Platz in meinem Herzen!

Ich nahm Bella mit zu unserem Lieblingsort in Simferopol und begrub sie in der untergehenden Sonne auf einem Hügel an einem schönen See. Ich kleidete das Grab mit Getreideähren und Mohn aus, legte Bellas Körper hinein und rief per Videochat zu Hause an, sodass meine Familie mit mir gemeinsam Abschied nehmen konnte. Nachdem ich das Grab geschlossen hatte, erschien über uns ein Regenbogen, der später von einem goldenen Sonnenuntergang abgelöst wurde. Ich konnte noch nicht weiterfahren und blieb weitere zwei Tage in der Nähe des Grabes. Kurt und Maria nahmen mich unter ihre Fittiche und luden mich zu einem Ausflug zur Südküste nach Sudak ein. Ich erfuhr so viel Liebe. Tags darauf verließ ich die Krim über Dschankoj nach Tschonhar im Oblast Cherson.

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An unserem Lieblingsplatz in Simferopol spielten wir für eine "Jugendbande" Taxi

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Nachdem Bella am 23. Mai gestorben war, erstrahlte ein Regenbogen über ihrem Grab

Das Ringen um die Einreise in den Donbass

Ich hielt es zu diesem Zeitpunkt sogar für möglich, dass man die Strecke nordwärts ohne größere Kontrollen befahren konnte, da man für die umkämpften beziehungsweise eroberten Oblaste Cherson, Saporischije, Donezk und Luhansk schon keine gesonderte Genehmigung mehr benötigte. Tatsächlich gibt es aber an der Stelle der ehemaligen Grenze zur Ukraine einen stark gesicherten Militärkontrollpunkt.

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Am Grenzübergang nach Cherson am 26. Mai 2023 — alte, ungültige deutsche Kennzeichen, wahrscheinlich vom Vorbesitzer

Vor mir reihten sich Fahrzeuge mit ukrainischen und russischen Kennzeichen in die Schlangen vor der Abfertigung ein. An einem PKW waren ungültige Kennzeichen aus dem Ostalbkreis montiert — vielleicht vom vorherigen Besitzer. Zuerst ging alles sehr zügig vonstatten. Pass-/Visumskontrolle, Fahrzeugkontrolle. Dann Aussteigen und Registrierung des Fahrzeugs an einem gesonderten Schalter. Nachdem das erledigt war, sollte ich noch kurz warten, wie ich dachte, bis die Genehmigung erteilt wäre. Nach 10 Minuten führte mich ein Soldat in eine hinter dem Grenzübergang aufgebaute Containersiedlung.

Dort begann dann ein Befragungsmarathon, der insgesamt sieben Stunden dauerte und im Verlaufe dessen ich von vier unterschiedlichen Teams und Verhörspezialisten befragt wurde. Mein Handy wurde gleich zu Anfang konfisziert und ich musste die PIN zum Entsperren verraten. Man machte es sich sichtlich nicht einfach mit mir.

Ein Soldat versuchte, mich aus der Reserve zu locken und nannte mich mehrmals einen Lügner. Doch ich konnte mich an allen Kontrollposten immer auf die Ehrenhaftigkeit der Soldaten verlassen. Und so war es auch hier.

Nachdem die Befragung abgeschlossen war, erhielt ich mein Handy und meine Dokumente zurück und Sergei, ein junger Soldat Mitte Zwanzig entließ mich mit den Worten: „Michael, wir wollen, dass Du in den Donbass fährst und Bilder und Videos machst. Bitte mache keine Aufnahmen vom Militär und berichte ehrlich über das was Du erlebt hast, wenn Du wieder nach Hause kommst. Alles Gute.“ Sergei erzählte mir, dass er vor dem Krieg Deutsch lernen wollte, und ich bot ihm an, ihm zu helfen, sobald er wieder Zeit hätte. Sein Kamerad, der mich damals einen Lügner nannte, hat sich mittlerweile bei mir gemeldet.

Mein Eindruck: Die Soldaten dort wollen ihrem Land und den Menschen dienen. Es sind gebildete, ehrliche Menschen, an denen sich die Polizei und das Militär in Deutschland eine große Scheibe abschneiden können. Sie hätten mich auch wieder zurückschicken können. Das habe ich in einem anderen Land erlebt. Sie nahmen sich jedoch die Zeit, um mir die Weiterreise zu ermöglichen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Mariupol — Die schönste Stadt am Schwarzen Meer

Die Stadt erlangte aufgrund der weit reichenden Zerstörung traurige Berühmtheit. Viele Hochhäuser, Gewerbe und Industrie sind zerstört, Einfamilienhäuser weniger. Nach einem Zwischenstopp in Melitopol und zwei weiteren mehrstündigen Militärkontrollen, in deren Verlauf ich mit Getränken und Erdbeeren bewirtet wurde, erreichte ich die Stadt drei Tage später.

Mariupol — das ist auch Wiederaufbau. Auf der Westseite waren bereits neue Wohnhäuser, Schulen, ein Kindergarten und ein Krankenhaus gebaut oder standen kurz davor. Die Farben der Gebäude sind hell und bunt und sind ein wohltuender Kontrast zu den Trümmern. Freiwillige Hilfstrupps aus anderen Teilen Russlands bringen auch etwas von ihrer Kultur in die Neubauten mit ein. Ich machte einen Zwischenstopp an einer Kreuzung mit zerstörten Hochhäusern und weggesprengten Birkenbäumen und kaufte Gurken und Tomaten, direkt daneben „Flowers of Love“. Im Zentrum gibt es einen schönen Park mit Springbrunnen und Kinderspielgeräten, in dem Familien mit Kindern ihre Freizeit genossen. Kämpfe gab es zu der Zeit keine mehr.

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Zerstörte Industrieanlage und neu erbauter Kindergarten im St. Petersburger Stil

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Ausgebrannte Hochhaussiedlung in Mariupol

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Springbrunnen mit Licht und Musik in einem Familienpark am 30. Mai 2023

Durch einen Freund bekam ich Kontakt zu einer großartigen Frau und ihrer Familie. Tatjana ist Innenarchitektin und hatte gerade eine Schule fertiggestellt. Sie war sofort bereit, mich zu treffen und brachte ihren Freund Gregori mit. Bei Tee und Eiscreme erzählten wir. Ich kann es nur als Geschenk bezeichnen, dass sich unsere Wege kreuzten.

Tatjana ist ein Kind der Stadt und für sie war Mariupol zur Zeit der Sowjetunion die schönste Stadt am Schwarzen Meer. Sie träumt davon, diese Schönheit wieder zu sehen. Trotz des monatelangen Ausharrens in provisorischen Behausungen und dem Umstand, dass sie fast getötet wurden, ist die Familie froh, dass die Stadt jetzt wieder russisch wird. Die ukrainische Regierung hat das Vertrauen, besonders der russischstämmigen Bevölkerung, durch Unterdrückung, Korruption und Misswirtschaft verloren. Es ist eine Freude, mit diesen Menschen zusammen zu sein. In Deutschland erlebe ich häufig Unsicherheit und ein großes Wehklagen über die eigene Situation. Hier nicht. Die Menschen hier sprechen einfach aus, was sie denken, und pflegen ein ausgeprägtes „leben und leben lassen“.

Tatjana hatte lange Arbeitstage und trotzdem betreute die Familie mich rührend. Ihre Mutter ließ keine Gelegenheit aus, mich zu bekochen. Ich versuchte ein wenig zurückzugeben, indem ich ihnen bei Reparaturen half. Mittlerweile ist da eine schöne Freundschaft entstanden, die wir regelmäßig nutzen, um einander behilflich zu sein und Informationen auszutauschen.

Von Mariupol aus nahm ich Kontakt mit einer deutschen Organisation auf, die seit vielen Jahren Hilfe für den Donbass leistet, und hoffte, in Donezk und Umgebung einige Wochen an Hilfsprojekten mitarbeiten zu können. Die Leiterin Hanna sagte mir für den Fall zu, dass ich es bis Donezk schaffe. Sie war der Ansicht, dass die Kontrollposten mich nicht durchlassen würden. Von Tatjanas Freunden erfuhr ich, dass die Strecke dorthin befahren werden konnte, und so machte ich mich nach einem Abschied mit verdrückten Tränen auf den Weg.

Kinderspielplätze und Granaten

Tatsächlich war die Fahrt nach Donezk die einfachste der gesamten Reise. Der Soldat am Kontrollposten stadtauswärts schickte mich mit den Worten meines Weges: „Fahre einfach 100 Kilometer auf der Hauptstraße, die ist sicher. Du kommst an den und den Städten vorbei — er nannte vier Städte, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe — Viel Glück und berichte ehrlich, wenn Du wieder nach Hause kommst.“ Dabei hatte er fast Tränen in den Augen. Ich hätte ihn am liebsten umarmt.

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Donezker am 7. Juni 2023, die unter Beschuss auf den Bus warten

In Donezk angekommen gestaltete sich der Kontakt zu Hanna aus unbekannten Gründen zunehmend schwieriger, bis er schließlich ganz abriss, ohne dass es zu einer Mitarbeit kam. Mit Hilfe von Tatjana konnte ich mich an einem Abend mit besonders starkem Beschuss der Innenstadt bei einem Freund, der in einem Außenbezirk lebt, in etwas größere Sicherheit bringen. In den Tagen, in denen ich dort war, wurde die Stadt täglich zu unterschiedlichen Zeiten und immer wechselnden Stadtteilen beschossen.

Schon bei der Fahrt ins Zentrum am ersten Tag hatte ich Schwierigkeiten, diese Situation zu verarbeiten. Die Einwohner gehen äußerlich ganz normal ihrer Arbeit nach, flanieren im Park oder sind mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. Nur wenn es in der Nähe knallt, reagieren sie mit einem flüchtigen Blick zum Himmel. Und das, obwohl immer wieder Menschen sterben. Als ich dort war, starb eine junge Mutter durch eine Granate. Für die gefallenen Kinder gibt es das Mahnmal „Allee der Engel“.

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Allee der Engel Donezk – 12.Juni 2023 – Ich legte von einer Freundin mitgebrachte Kuscheltiere zu den bereits reichlich vorhandenen dazu

Aus Gesprächen mit Einheimischen weiß ich, die Anspannung ist so immens, dass sie mittlerweile zur zweiten Natur geworden ist. Der Beschuss begann demnach 2014 und wird seitdem fortgeführt. Die Menschen, die in der Stadt geblieben sind, geben nicht auf. Sie wünschen sich nichts mehr, als dass der Albtraum aufhört, und setzen jetzt ihre ganze Hoffnung in Russland. Das würde ich genauso machen. Die Ukraine hat bei diesen Menschen auf lange Zeit verspielt. Es ist schon allein deshalb unmöglich, dass der Donbass wieder ukrainisch wird, außer man legt es darauf an, den Konflikt weiter zu schüren. In den Gesprächen habe ich keinerlei Verständnis dafür gefunden, dass wir Deutsche uns trotz eigener Erfahrungen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht für die Not der Menschen im Donbass einsetzen und den Konflikt sogar noch verschärfen. Der tägliche Terror muss aufhören.

Die Schuldfrage muss man anschließend klären. Das Leben an sich ist heilig und sollte bedingungslosen Schutz genießen. Egal, wie groß die Differenzen scheinen — Gewalt ist nie eine Lösung.

Der Aufenthalt in Donezk war deutlich kürzer als geplant. Als sich nach einer Woche immer noch keine Möglichkeit abzeichnete zu helfen, fasste ich den Entschluss, die Heimreise anzutreten. Der Beschuss und die ständige Militärpräsenz hatten bei mir zusätzlich ihren Tribut gefordert.

Am 16. Juni 2023 verließ ich den Donbass und fuhr über Estland zurück in die Heimat. Am Grenzübergang Rowenki erzählten mir die Soldaten, dass mittlerweile einige Ausländer da gewesen waren. Das ist ein Anfang und ich stelle mir sehr gerne vor, dass sich im Laufe der nächsten Jahre viele Tausend anschließen und mit offenen Augen und Herzen Konflikte immer mehr unmöglich machen. Ich glaube, dass das funktionieren kann. Die Brände, die wir heute auf der Erde sehen, können nur im Verborgenen entstehen.

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Die Sonne taucht die russische Stadt Woronesch in verheißungsvolles Licht – 16. Juni 2023

Fazit

Krieg ist für alle Beteiligten furchtbar und sollte schon lange der Vergangeheit angehören. In der Ukraine hätte er leicht verhindert werden können, wenn die westlichen Staaten Russland nicht über Jahrzehnte hinweg betrogen und in der Ukraine durch eine installierte Regierung Terrorakte an der eigenen Bevölkerung begangen hätten. Mein eigenes Land ist daran leider maßgeblich beteiligt. Die Krim ist deshalb russisch, weil die Einwohner das 2014 so entschieden haben. In Donezk wird jeden Tag auf die Zivilbevölkerung geschossen. Nur dank einer guten Luftabwehr schaffen es die meisten Geschosse nicht, Schaden anzurichten.

Die Situation ist nicht zu ertragen. Jemand musste den Donezkern zu Hilfe kommen. Das tat Russland in einer Art, die bei anderen Ländern akzeptiert wird. Hier wird auf scheinheilige Art mit zweierlei Maß gemessen.

Dass der Donbass und weitere Regionen der Ukraine vor diesem Hintergrund russisch werden wollen, wäre für mich logisch. Das sollte, wie auf der Krim, durch die Bevölkerung entschieden werden. Das ukrainische Volk wird für Machtspiele zur Schlachtbank geführt.

Auch sie müssen selbst ein Ende der Kämpfe und Frieden wollen. Es sind sowohl mit Russen als auch mit Ukrainern schöne Freundschaften entstanden. Diese will ich vertiefen. Für mich seid Ihr ein Volk!

Der Weltfriede ist so einfach! Man muss sich schon wirklich Mühe geben, ihn nicht zu finden. Behandle alles Leben so, wie Du selbst behandelt werden möchtest — und lass den Blödsinn einfach weg.


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