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Verzerrte Bilder

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Wie das US-Militär in Filmen dargestellt wird, hat einen direkten Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung — diese muss korrigiert werden. Teil 1/2.

Für viele Kritiker der israelischen Nuklearpolitik, die vor allem beanstanden, dass sie medial nicht diskutiert wird, muss die Eröffnungssequenz von Phil A. Robinsons Thriller „The Sum of all Fears“ von 2002 wie eine Erleichterung daherkommen: Als syrische und ägyptische Streitkräfte sich in ihrer Oktoberoffensive gegen Israel 1973 als gefährlich überlegen erweisen, startet eine Douglas A-4 Ayit der israelischen Luftstreitkräfte mit einer Atombombe an Bord, um mit dieser als Erstschlagswaffe die arabischen Truppen doch noch zu stoppen, falls die eigenen Bodentruppen komplett kollabieren sollten.

Die Geschichte zeigt, dass — wenngleich dazu auf israelischer Seite die beängstigende Bereitschaft bestand — zumindest in diesem Krieg keine Nuklearwaffe abgeworfen wurde, weil die israelischen Verteidigungskräfte zuletzt knapp siegten. Im Film wird das einsame Kampfflugzeug auf seinem Bereitschaftsflug über den Golanhöhen von syrischen Luftabwehrraketen abgeschossen, die mitgeführte Bombe versinkt im Sand und gerät in Vergessenheit. In Tom Clancys gleichnamiger Romanvorlage von 1991 ist, etwas komplexer, noch von einer ganzen Staffel die Rede.

In keinem anderen Hollywoodfilm wurde die israelische Erstschlagstrategie jemals so offen dargestellt wie in „The Sum of all Fears“, und ein wenig fühlt man sich dabei schon an „Israel und die Bombe“ von Dirk Pohlmann erinnert. Dennoch trügt der Schein.

Ich werde nachfolgend sträflich spoilern. Wer damit ein Problem hat, sei an den 124-minütigen Film verwiesen, der in seiner englisch- und mehrsprachigen Originalfassung wie so oft mit Abstand am besten wirkt.

Die Handlung des Filmes setzt sich Jahre später fort. Bemerkenswert ist dabei, dass in Clancys „Das Echo aller Furcht“ von 18 Jahren danach die Rede ist, der größte Teil der Handlung damit also in die frühen 1990er-Jahre und die Amtszeit Boris Jelzins als russischem Präsidenten fällt, als das Buch auch erschien. Für „The Sum of all Fears“ wurde diese Zeitdifferenz auf 29 Jahre verlängert, was vermutlich wiederum mit dem Veröffentlichungsdatum des Films zusammenhängt, wodurch die Handlung allerdings in die Anfänge der Amtszeit Wladimir Putins fällt. Womit der Grundstein gelegt ist, die Filme als Abbild der aktuellen Wirklichkeit zu interpretieren.

Ein Anschlag

Die verstaubte Bombe wird von regionalen, arabischen Schrotthändlern gefunden und ohne Bewusstsein um das, was ihnen da in die Hände gefallen ist, an einen Waffenhändler weiterverkauft, der sie wiederum an eine Neonazi-Gruppierung weitervertreibt. Deren Leiter, ein gewisser Dressler, plant Aktionen, um sich der Behandlung europäischer Nationen durch Russland und die USA — die behandelt würden „wie Kinder, aber ohne Spielzeug und die Gute-Nacht-Geschichten“ — am besten gleichzeitig zu entziehen. Zu diesem Zweck sollen beide Weltmächte gegeneinander in den Krieg geschickt werden, und zwar indem man einen nuklearen Anschlag inszeniert und dafür sorgt, dass sich die beiden Atommächte gegenseitig beschuldigen und auslöschen — mit der puren, menschenverachtenden Hinterlist also.

„Der Einsatz der Neonazis ist politisch korrekt: Am besten erfindet man Bösewichte, die kein Publikum beleidigen werden. Dieser Film kann in Syrien, Saudi-Arabien und im Irak gezeigt werden, ohne dass es zu Arbeitsniederlegungen kommt. Es ist wahrscheinlicher, dass, wenn jemals eine Bombe in einer Großstadt hochgeht, die Täter wahre Gläubige sind, deren Gewissheit über das Jenseits ihnen das Recht gibt, uns in dieser Welt zu töten“, führt Roger Ebert dazu in einem Artikel aus. Als die deutsche Fassung des Films in die Kinos kommt, erhält sie den entsprechenden Namen „Der Anschlag“.

Der im Film als sehr menschlich dargestellte US-Präsident sorgt in seinem Beraterstab regelmäßig für Lacher, hält witzige Reden und bricht Militärübungen für Treffen mit seiner Frau ab. Sehr wohl beleidigen kann man allerdings das russische Publikum, denn sein erfahrener russischer Amtskollege wird „alt und fett“ und stirbt just in dem Moment, als er sein Personal anweist, seinen Gesundheitszustand zukünftig nur noch als grandios zu beschreiben. Der Nachfolger überrascht die Fachkreise, und das Erste, was die US-Delegation bei ihrem Antrittsbesuch infrage stellt, ist, ob er seine eigenen Streitkräfte überhaupt im Griff habe.

Die deutlichen Tendenzen in der unterbewussten Vermittlung eindeutiger Botschaften lassen sich an extrem vielen Details ablesen. Einzelheiten, die sich für sich genommen zumeist mit einem Kann-ja-eventuell-wirklich-so-sein-Argument rechtfertigen lassen. Dennoch ergeben sie im Verbund im finalen Film ein äußerst ominöses Bild.

Es ist natürlich der russische Staatschef, der entgegen eindeutiger Anzeichen poltert, dass ihn das Gerede um seine Gesundheit störe und es zu unterbinden sei, wie es sich für einen Autokraten eben standesgemäß gehört.

Es ist natürlich sein Nachfolger, mit dem kaum einer so recht umzugehen weiß und dem man auch im direkten Gespräch vieles vorwirft, das ihn in den Augen des Publikums nur noch lächerlich und unreif dastehen lässt. Zur Klarstellung: Es war die US Air Force, nicht die russische Luftwaffe, der 1961 unbeabsichtigt zwei Atombomben (!) aus einem Flugzeug fielen, sodass es letztlich an viel Glück und einem einzigen Bauteil hing, dass North Carolina nicht zu einer nuklearen Wüste wurde. Von derartigen Nebensächlichkeiten ist im Film auf US-Seite aber nichts zu sehen.

Im Gegenteil präsentiert „The Sum of all Fears“ tatsächlich einen russischen Präsidenten Nemerov, der in einer offiziellen Erklärung einen Giftgas-Angriff auf Tschetschenien auf seine Kappe nimmt, nur um kurz darauf abseits der Kameras mit einem Berater zu erörtern, wie man nun der verrückt gewordenen Generale, die diesen Terrorakt eigenmächtig haben durchführen lassen, am besten Herr werde:

„Lassen Sie sie nur verschwinden. Sie hinzurichten würde der Welt zeigen, dass ich die Lage nicht unter Kontrolle hatte. Dieser Tage sollte man besser schuldig als machtlos dastehen.“

Dass gleich drei Atomwissenschaftler gleichzeitig in der führenden Nuklearforschungsstätte der Russischen Föderation nicht zum Dienst erschienen, fällt nicht etwa dem leitenden Offizier der Anlage auf – der immerhin verspricht, sich danach zu erkundigen –, sondern einem CIA-Mitarbeiter auf Routinebesuch. Es sind drei Fachkräfte, die zusammen genau jene Kompetenz haben, die zum Bau einer Atombombe nötig ist, und selbstverständlich arbeiten sie für Dressler und seine Schergen, um für ihn den teuer erstandenen israelischen Kriegsschrott wieder funktionsfähig zu machen. Nicht dass die Nazis die USA weniger hassen würden als Russland, aber im Gegensatz zu den US-Amerikanischen ist es im Universum des Films offensichtlich ein Leichtes, Forscher abzugreifen, die für die nationale Sicherheit Russlands von beispiellosem Interesse sind.

Der wahre Grund

Viele mögliche Gründe, weshalb CIA und Pentagon ihre Unterstützung für die Produktion des Films anboten. So heißt es in einem Dokument des United States Marine Corps, das von Tom Secker als Quelle für dessen Fachbuch „National Security Cinema“ veröffentlicht wurde:

„Dieses Filmprojekt stellt eine Gelegenheit für das Marine Corps dar, den Realismus seiner Darstellung in Bezug auf unsere Rollen und Missionen erheblich zu beeinflussen. Der Zugang zu Personal, Flugzeugen und Ausrüstung wird auch dazu beitragen, ein besseres öffentliches Verständnis und Bewusstsein zu schaffen, das uns potenziell bei unseren Rekrutierungsanstrengungen von Nutzen ist.“

Das Pentagon stellte dem Filmteam eine Streitmacht zur Verfügung, die an sich für die Vernichtung mancher Kleinststaaten ausreichend gewesen wäre. Dutzende Soldaten, diverse B2- und F-16-Flugzeuge waren noch die kleinsten Posten, eine Präsidentenmaschine vom Typ Boeing 747 folgte, und schließlich beteiligte sich sogar der Flugzeugträger USS John Stennis mit 5.000 Mann Besatzung an den Dreharbeiten.

Unterstützungsleistungen sind in diesem Umfang zwar eher die Ausnahme – prominentes Beispiel ist Tom Cruise mit seinem frühen Erfolgsfilm „Top Gun“ 1986 –, aber das US-Militär arbeitet seit Jahrzehnten bei vielen Projekten mit Hollywood Hand in Hand. Im Department of Defense, dem US-Verteidigungsministerium, laufen die Fäden beim Office of the Chief of Public Affairs (Büro des Leiters für öffentliche Angelegenheiten) zusammen. Hier lesen Beamte die eingeschickten Skripte von Filmprojekten, die um Unterstützung bitten. Philip M. Strub, der bis 2018 Chef des Büros war, erklärte dazu einmal in einer Dokumentation des NDR:

„Wenn Filmemacher uns um Unterstützung bei der Produktion eines Films über die Armee bitten, dann sehen wir das als eine großartige Gelegenheit, der amerikanischen Öffentlichkeit etwas über uns zu erzählen. Das hilft uns bei der Rekrutierung, beispielsweise. Umfragen belegen, dass die breite Masse der Amerikaner ihren ersten Eindruck vom US-Militär aus Kinofilmen und Fernsehshows erhält. Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass es nur in unserem Interesse sein kann, wenn wir uns beteiligen.“

In der Regel machen die Mitarbeiter Änderungsvorschläge: Mal stimmt ein Rangabzeichen nicht, mal ist die Bezeichnung eines Gewehres falsch, oder irgendein genanntes Utensil unterliegt der Geheimhaltung. Man betont auf Nachfrage immer wieder, dass es nur um eine „möglichst realistische Darstellung“ des Militärs geht, versteht sich als Helfer.

Wesentliche Änderungswünsche betreffend die Handlung sind eher die Ausnahme, weil das am Ende sowieso von einem Kompromiss zwischen Filmteam und Pentagon abhängt. Projekten, die zu weit von den Vorstellungen der Militärs entfernt sind, erteilt man von vornherein eine Absage, anstatt sie umständlich zurechtzubasteln. So ging es beispielsweise Oliver Stones „Platoon“, der im selben Jahr wie „Top Gun“ in die Kinos kam. Strub wird mit den folgenden, vielsagenden Worten zitiert:

„Jeder Film, der das Militär als negativ darstellt, ist für uns nicht realistisch.“

David Robb, aus dessen Buch „Operation Hollywood“ dieses Zitat stammt, übt als einer der Lautstärksten harsche Kritik an dieser Praxis der „Beeinflussung von Kunstfreiheit“ und „Geschichtsklitterung“, bezeichnet die Beteiligten gar als „Schurken“. Dies geht aber zu weit. Wenngleich das US-Militär oft und andauernd im Fokus der Kritik vieler, vor allem alternativer, Journalisten und Medien war, fällt es schwer, dem Pentagon hier einen Vorwurf zu machen. Man stelle sich einmal vor, wie es anders laufen sollte: Das Militär bekommt sein Budget zu militärischen Zwecken und soll es dann in Form geldwerter Geräte, Kleidungsstücke oder Fachberater einfach so an irgendwelche privaten Filmteams weiterreichen, ohne das daraus resultierende Ergebnis wenigstens mitbeeinflussen zu können?

Es ist klar, dass sich Offiziere von den Regisseuren, denen sie ihre Flugzeuge leihen sollen, nicht auch noch auf der Nase herumtanzen lassen oder sich in deren fertigen Filmen hinterher als stupide Kriegsverbrecher wiederfinden wollen, sei es vielleicht von Fall zu Fall noch so korrekt.

Und bei Filmen, die ohnehin auch ohne militärischen Einfluss gerne sträflich unrealistische Szenarien entwickeln, was ihnen als Kunstprodukten schließlich auch nicht vorzuwerfen ist, kann man sich noch am allerwenigsten über diese Tradition beschweren. Eigentlich handelt das Militär an dieser Stelle absolut nachvollziehbar. Meistens. Arthur Sylvester, Assistant Secretary of Defense for Public Affairs (Assistent des Verteidigungsministers für öffentliche Angelegenheiten) ab 1961, geriet in einem Interview 1973 über die Verhältnisse zwischen Hollywood und dem Verteidigungsministerium dennoch einmal in Rage und sah vieles damals bedeutend anders als Strub:

„(I)m Grunde war es dies: Sie verwenden öffentliche Gelder zum Nutzen privater Unternehmen. Das Argument der Filmgesellschaften und der verwirrten Dienste dafür war, dass es die Rekrutierung erhöht. Das war die Rationalität. Es war der große Motor der Rekrutierung. Nun ist es so, dass man öffentliche Gelder ausgibt und der Steuerzahler, nachdem er dieses Geld zum Nutzen einer privaten Firma ausgegeben hat, dann wieder zahlen muss, um das Produkt seines eigenen Geldes zu sehen. (…) Also war der wahre Grund, dass sie immer Kriegsfilme gemacht haben, weil sie profitabel waren. Es ist wahr, dass es während des (Vietnam-)Krieges vermutlich geholfen hat, die Moral aufrechtzuerhalten. Nicht belegt durch objektive Untersuchungen, aber lassen wir das gelten. Was war die Ausrede nach dem Krieg? Nun, die Ausrede war, dass es Rekrutierung aktivierte, unterstützte und generierte. Aber ich habe das überprüfen lassen, und es gab nicht einen einzigen Rekruten, von dem man sagen konnte, dass er sich wegen dieser Filme gemeldet hatte. Ich glaube, man fand einen Offizier, der sagte, er habe einige Filme gesehen.“

Sylvester war Zeuge eines kritischen Präzedenzfalls in der Geschichte der Kooperation mit der Filmwirtschaft. Als er seine Arbeit als Assistant Secretary 1961 aufnahm, sorgte er als unerfahrener Neuling mit seiner Unterschrift für die Verlegung von Hunderten Soldaten aus Berlin zu Dreharbeiten für „The Longest Day“ nach Frankreich und damit auch dafür, dass sich die Berlin-Krise gefährlich zuspitzte und dem Militär dort das Personal auszugehen drohte, während sich amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charlie bedrohlich gegenüberstanden. Es ist einer der wenigen dokumentierten Fälle, in denen Kooperationen mit Hollywood das Militär offensichtlich bei seiner Arbeit behinderten, was Sylvester für den Rest seiner Dienstzeit zu unterbinden und auszubremsen suchte.

Angesichts des dargelegten Unterstützungsumfanges, welchen das US-Militär zuweilen zu leisten bereit ist, ist wohl kein Geheimnis, dass die meisten großen Kriegsfilmproduktionen nie so zustande gekommen wären, wenn das Militär nicht mit Material und Drehorten ausgeholfen hätte.

Robinson hätte das notwendige Mehrkapital für „The Sum of all Fears“ höchstwahrscheinlich auch nicht auftreiben können – und selbst wenn, wo hätte man einen Flugzeugträger denn kommerziell erstehen können? Wie so viele Filmemacher wäre er reichlich hilflos gewesen und das Projekt nie umgesetzt worden. Das Militär rettete ihn aus einer ansonsten ausweglosen Lage, wie viele andere Regisseure vor und nach ihm. Dass sich dabei mit der Zeit eine Tendenz etablierte, es dem Pentagon auch inhaltlich möglichst recht zu machen, ihm nicht auf die Füße zu treten, ist eine Selbstverständlichkeit, immerhin hängen wesentliche Einnahmen von ihm ab. Diese Praxis der Anbiederung aus Finanzgründen durch Produktionsfirmen, die dem US-Militär nicht vorzuwerfen ist, ist auch deshalb die beste Erklärung für im Ergebnis einseitige Filme, weil das Pentagon die Filmteams nicht weiter behindert, als ihnen lediglich eine Absage zu erteilen.

„Thirteen Days“, in dem Curtis E. LeMay als kriegswillig und etwas wahnsinnig dargestellt wird, befand Phil Strub persönlich für „unrealistisch“ – der Film wurde trotzdem gedreht, mit immensen Mehrkosten und unter Verwendung zusammengesammelter Gerätschaften aus aller Welt.

Bei „Platoon“ störte sich das Pentagon an der Darstellung einiger Kriegsverbrechen, sodass die Produzenten zehn Jahre brauchten, um das Geld und die Ausrüstung für die Produktion dennoch zusammenzubekommen. Der Erfolg gab ihnen schließlich recht. Strub war in beiden Fällen nicht begeistert und machte auch nie einen Hehl daraus, aber das Militär mischte sich nicht weiter ein.

Wäre es nicht zur Fertigstellung gekommen, dann wäre das bedauerlich, aber sicher nicht unfair gewesen, denn es bestehen nun einmal klare Abhängigkeiten. Abhängigkeiten, die dafür sorgen, dass das Pentagon nur unterstützt, was ihm nützt. Abhängigkeiten, die aus Steuergeld resultieren, wie Sylvester völlig richtig beschrieb – und von denen die CIA beispielsweise nur träumen kann:

„Phil Strub kann tatsächlich sagen: Ich will Seite 6 und 7 komplett (aus dem Skript) gestrichen haben, oder ihr bekommt unseren Flugzeugträger nicht. Wir können sowas nicht bringen, weil unser einzig geldwertes Tauschangebot, wenn Sie so wollen, die Möglichkeit ist, auf unserem Gelände zu drehen. (…) Wenn jemand das in seinem Skript haben und hier filmen möchte und wenn in diesem Skript etwas Falsches oder bösartig Abstoßendes über uns drinsteht, dann können Sie korrigieren, was faktisch falsch ist und den bösartigen Teil mäßigen, und dann vielleicht hier filmen. Aber wenn jemand Klischees über uns als verwegene Assassinen hat, dann tut es mir leid, aber wir werden sie nicht hier filmen lassen und ihnen unsere Leute zur Verfügung stellen, denn das ist nicht, was wir sind.“

So äußerte sich der CIA-Verbindungsbeauftragte für Hollywood, Chase Brandon, im August 2001. Zu diesem Zeitpunkt waren die Dreharbeiten an „The Sum of all Fears“ gerade abgeschlossen. Auch auf dem Gelände der Central Intelligence Agency in Langley. „Ich habe mit denen am Set gearbeitet. Ben (Affleck) kam vorbei und hat einen Tag mit mir verbracht.“

Gegen die Russen

Ben Afflecks Charakter Jack Ryan kann den von Dressler geplanten Anschlagsort noch rechtzeitig aufklären, um dem US-Präsident durch eine Warnung die Flucht aus einem Baseball-Stadion in Baltimore zu ermöglichen, in dessen Keller man die hergerichtete Nuklearwaffe als Getränkeautomat platziert hat. Auch hier keine Frage, dass es natürlich eine amerikanische Stadt ist, die man seitens der Neonazis ausradiert, obwohl der stereotype Hass ja eigentlich von Europa in alle Richtungen geht. So können sich die USA hier ganz klar als Opfer sehen – nicht auszudenken, wie anstrengend die Entwicklung eines Skriptes gewesen wäre, in dem beispielsweise Sankt Petersburg das Ziel gewesen wäre.

Wenige Minuten später zerlegt die Explosion der Bombe wesentliche Teile von Baltimore und tötet Tausende. Effektiv arbeitende, freundliche und gut organisierte Marines werden bei bestem Sonnenschein in das Strahlengebiet eingeflogen und retten ihren Präsidenten aus dessen verbeultem Fluchtfahrzeug – eine Szene von wiederum nur wenigen Sekunden, die trotzdem zu detailliertem Mailverkehr zwischen diversen Generalen des US Marine Corps führte, weil man hier unbedingt eine neue Experimental-Uniform verwenden wollte, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Allein diese Idee führte zu Kosten von mehreren Tausend Dollar, und die staubige Szenerie, in der rund fünfzig echte Marines als Komparsen dann einen Schauspieler aus einem Autowrack befreien, lässt kaum zu, selbst mit aufmerksamem Blick, irgendwelche Besonderheiten an deren Kleidung zu erkennen. Wieder einer jener Momente, die einen an Sylvesters Worte über Aufwand, Nutzen und Steuergeld erinnern.

Der verständlicherweise etwas aufgebrachte Stab des US-Präsidenten versammelt sich mit diesem in einer Air Force One, einem Präsidentenflugzeug mit Kommandozentrale. Man nimmt über das Fernschreibsystem des „heißen Drahtes“ Kontakt zu Moskau auf, um die Verhältnisse zu klären. Dressler, der mit derlei Eventualitäten gerechnet haben muss, kontaktiert einen von ihm selbstverständlich (!) auch bestochenen russischen General, der daraufhin ein Geschwader Langstreckenbomber mittels gut vorgetragener Lügen davon überzeugen kann, es herrsche ein Atomkrieg, und die Piloten anweist, einen amerikanischen Flugzeugträger in der Nordsee anzugreifen. Nicht, dass seit der Jahrtausendwende, wenn überhaupt, irgendjemand einen US-Flugzeugträger in der Nordsee gesehen hätte, weshalb in Clancys Buch davon auch nie die Rede war.

Dieser hatte den Vorfall im Mittelmeer spielen lassen, wo US-Schiffe tatsächlich ständig in allen Größen unterwegs sind, und regte sich zeitlebens über die Unglaubwürdigkeit der Verfilmung auf. Aber so ergab die Möglichkeit, ein verschneit-windiges Flugfeld im russischen Polargebiet bei Nacht zu zeigen, wo sich die korrupten, düsteren Russen mitsamt der Klischees, die über sie existieren, sicher wie zu Hause fühlen. Ob nun gewollt oder in Kauf genommen, verstärkt wird diese Stereotypen-Show durch die relativ bis sehr gute russische Sprache, in denen die Szenen mit Russen beziehungsweise in Russland gehalten sind – Очень хорошо (sehr gut)!

Wie auch immer, diese Aktion überzeugt die fiktive US-Regierung davon, dass der schon in Tschetschenien so kriminelle Nemerov es wohl ernst meint mit dem Krieg gegen die USA. Einmal mehr steht dieser völlig überrumpelt von den Geschehnissen und mit unzuverlässigen und weltfriedengefährdend korrupten Führungskräften da, und der wirkliche Atomkrieg scheint nur noch Sekunden entfernt. Die Rettung der Welt erfolgt durch Ben Afflecks Charakter, wie es klischeehafter ebenfalls nicht sein könnte:

„Ich halte Jack Ryans Ein-Mann-Aktionen im bombardierten Baltimore für unwahrscheinlich und viel zu gut getimt. Ich bezweifle, dass er Übeltäter finden würde, die immer noch am Ort ihres Verbrechens herumlungern. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Handlungsstränge – die Identifizierung des Plutoniums, das Auffinden des Versandmanifests und der Rechnung, das Aufspüren des Typen, der die Bombe ausgegraben hat – mit solch erfreulicher Präzision ablaufen könnten“, heißt es von Roger Ebert weiter. Aber Jack Ryan ist eben der Held. Ganz im Sinne von Chase Brandon, der auf die Frage, was die CIA denn sei, wenn nicht ein Geheimdienst voller verwegener Assassinen, anmerkte: „Es ist keine Karriere. Es ist kein Job. Es ist eine Lebensart.“

Das immer wiederkehrende Argument, um die Problematik mit der inzwischen durchaus nicht minder weltfriedengefährdenden Schlagseite des westlichen Kinoprogramms kleinzureden, ist der simple Verweis auf „Kunstfreiheit“ und darauf, dass es sich ja nur um Unterhaltungsmedien handele.

Das stimmt zwar durchaus, nur fehlt die kritische mediale Flankierung, die die Kunst eigentlich begleiten sollte, auch im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes. Hingegen ist interessant, mit welcher Konsequenz deutsche Medien beinahe den russischen Staatschef persönlich hinter dem Drehbuch von Filmen vermuten, in denen die Lebensart russischer Kommandobehörden oder Geheimdienste zelebriert wird. Auf diese östlichen Gegenstücke, unseren Umgang mit ihnen und die Gefahren aller möglichen Unterhaltungsfilme für unser Geschichtsbild gehe ich im zweiten Teil dieses Artikels genauer ein.


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