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Weniger Brot, mehr Spiele

Weniger Brot, mehr Spiele

Die Fußball-WM versperrt den Blick auf den Klassenkampf der Reichen gegen die Armen, der immer heftiger tobt.

Wäre ja nicht auszumalen gewesen, wenn Lischen Müller und Otto Ahnungslos bei einer Drittplatzierung der deutschen Nationalelf – Verzeihung – „der Mannschaft“, wenn nicht sogar bei einem erneuten Titelsieg, positive Assoziationen mit Russland hätten. Ein Sommermärchen wie in Deutschland darf es in Russland nicht geben! Es muss das grausame grimm‘sche Märchen vom kalten, gefühlstoten Russland bestehen bleiben. Von dem russischen Bären, beziehungsweise Wolf, der die sieben Geißlein auf der Krim auffrisst. Und von der bösen Hexe namens Putin, die in ihrem Hexenhäuschen mit den bunten Zwiebeltürmen am Roten Platz die humane Weltgemeinschaft in ihren finstren Walde lockt.

Um die Narration des „bösen Russlands“ aufrechtzuerhalten, scheint im Westen völlige Narrenfreiheit zu herrschen. Bar jeder Beweise für die Mitschuld an dem „verpatzten“ Tötungsversuch an den Skripals schubst man russische Diplomaten über die Türschwelle nach draußen, während Bundespressesprecher Steffen Seibert mit der Stammel-Rhetorik eines unvorbereiteten Schülers beim Referathalten die Legitimität dieser Vorgänge irgendwie zu erklären versucht.

Ein vermeintlich getöteter Kremlkritiker darf den Lazarus machen und nach wenigen Tagen, in denen die westlichen Medien ihre blanken Zeigefinger auf den bösen Putin richteten, [wiederauferstehen. Für die gebetsmühlenartige Wiederholung der Fake News, die Krim sei von Russland annektiert worden (hier noch einmal zum Mitschreiben: es war eine Sezession!) scheint es in den deutschen Pressehäusern bereits einen Shortcut auf der Tastatur zu geben.

Aber geht man nun wirklich so weit, die Mannschaft verlieren, das Fußball-Fieber durch das Fernbleiben vom Sportstudio gar nicht erst aufkommen zu lassen, damit in den Köpfen der Deutschen gar nicht erst positive Erinnerungen an Russland im Gedächtnis haften bleiben? Diese These, die der scheinbar allwissende, pensionierte Pilot Peter Haisenko am 20. Juni als „Verschwörungstheorie“ firmiert verbreitete, scheint sich nun bewahrheitet zu haben. Ob es sich tatsächlich so zugetragen haben könnte, bleibt reine Spekulation.

Das überaus blamable WM-Aus kann nun zu Recht Schadenfreude aufkommen lassen, wenn man sich die deutsche Hybris und die niederträchtige, herablassende Diffamierung des russischen Volkes im Vorfeld der WM vor Augen führt. Den Höhepunkt dieser Praxis erzielte das Radionetzwerk Cosmo im Auftrag des WDR in einem YouTube-Video, in welchem die russische Nation zu einem unkultivierten Barbarenvolk stilisiert wird.

Das ist im Hinblick auf die von Nazi-Deutschland produzierten 29 Millionen russischen Todesopfer im Zweiten Weltkrieg besonders schäbig, pervers, verwegen und geschichtsvergessen.

Deutschland würde in Russland immer und immer wieder scheitern, durfte ich dieser Tage häufig in meiner Facebook-Chronik lesen. Die Schadenfreude dürfte jedoch nur von kurzer Dauer sein, denn Schaden ist an dem Feindbild Russland keinesfalls entstanden. Kriegsministerin von der Leyen kündigte bereits 2014 an, als sie um eine Stellungnahme zu der WM in Russland gebeten wurde, man werde so oder so „schießendes Personal“ schicken. Leider keine Satire.

Doch da hatte sie schon Recht! Auch wenn die deutsche Nationalelf, die diesjährig das Leder mit der Präzision eines ausrangierten G-36 kickte, nun wieder in der Heimat ist, stehen die Kollegen von der Bundeswehr nach wie vor im Baltikum.

Katerstimmung

Die WM-Party ist vorbei. Sie haben in der vergangenen Nacht den Frust über die Niederlage gegen Südkorea in billigen Bier zu ertränken versucht. Die Kombination mit dem Sangria-Eimer ist Ihnen nicht bekommen und so haben Sie des Nachts über der Kloschüssel gehangen. Die schwarz-rot-goldenen Fanartikel, die die Supermärkte nun für wenige Cents irgendwie verscherbeln müssen, liegen nutzlos neben Ihnen. Sie werden sich des Albtraums bewusst, als Sie im Morgengrauen zu sich kommen, die hochgequollene Magensäure ihr Zahnfleisch angreift und sich Ihr dröhnender Kopf wie gespalten anfühlt. Der Ohrwurm von Gangnam-Style macht es nicht gerade besser.

Sie werden sich der Tatsache bewusst, während Sie ihren Kopf aus der Schüssel hieven, dass der Kollektiv-Eskapismus der Fußball-WM nun vorbei ist. Die Erinnerung steigt in Ihnen hoch, dass während der früheren WMs und EMs, als Sie noch mehr vertrugen als heute, im Schatten der Fußballspiele Gesetze verabschiedet wurden, die Ihnen im Nachhinein so gar nicht geschmeckt haben. Was war damals doch gleich geschehen? Sie versuchen sich zu erinnern, doch der Gangnam-Style Ohrwurm hat ihre Denkkapazität noch fest im Griff. Schließlich schaffen Sie es mental, sich aus seinem Würgegriff zu befreien und die Erinnerungen schießen empor, die Ihnen ein mühselig über die Lippen gehendes, gequältes Stöhnen abringen.

So war das noch gleich bei der WM 2006: Die Mehrwertsteuer wird um drei Prozentpunkte von 16 auf 19 angehoben. 2010 wurde der Krankenkassenbeitrag von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht. Und 2012, bei der EM in der Ukraine, da ging es besonders schnell! Also wirklich schnell! Ganz, ganz schnell! Binnen 57 Sekunden wurde das Meldegesetz durchgepeitscht, welches die legale Grundlage dafür schaffte, dass Meldeämter personenbezogene Daten an Unternehmen weiterverkaufen dürfen.

„Oh, verdammt!“, fluchen Sie nun laut. „Was haben diese Drecksäcke von Politikern diesmal wohl ausgefressen?“ fragen Sie sich und zücken pochenden Herzens ihr Smartphone. Sie übergehend in der Aufregung sogar die peinlichen WhatsApp-Nachrichten, die Sie im Vollsuff ihrer/m Ex geschrieben haben und öffnen den News-Feed. Schnell werden Sie fündig.

Die Parteien haben sich am Tag des Eröffnungsspiels ordentlich am Steuertopf bedient. Um 15 Prozent, genauer gesagt um 25 Millionen Euro wurde die Parteienfinanzierung von 165 auf 190 Millionen Euro erhöht. „Gut“, denken Sie sich nun, „halb so wild“. Diese Summe an Steuergeldern frisst der BER alle 20 Tage. Aber nach dreißig Meldungen über Flüchtlinge stellen sie fest, dass im Brüsseler Polit-Affenzirkus weiterer Schabernack getrieben wurde.

Im EU-Parlament, so lesen Sie, wurde am 20.06.2018 ein Gesetzesentwurf für die Urheberrechtsreform eingebracht, der Anbieter von Plattformen im Netz dazu zwingt, Uploadfilter einzusetzen, die prüfen, ob Sie zum Hochladen eines bestimmten Content überhaupt berechtigt sind. Dass diese Uploadfilter alles andere als fehlerfrei arbeiten, dass ein solcher auch gar nicht wissen kann, ob Sie überhaupt Rechte an gewissen Inhalten, bestehend aus Ton, Bild, Video oder Text haben, und dass damit das Zitierrecht mal so eben übergangen wird, spielt dabei scheinbar keine Rolle.

Was nicht zweifelsfrei Ihrem Rechtsanspruch zugeordnet werden kann, wird schlicht nicht hochgeladen. Präventiv-Zensur. Ein Armageddon für alternative Medien. Bis zum vierten Juli könnten Sie noch eine Petition dagegen unterschreiben oder, wenn Sie ganz viel Mumm haben, sogar einen Abgeordneten anrufen – doch da gibt der Akku ihres Handys den Geist auf und Sie sacken erschöpft auf dem Boden Ihres Badezimmers zusammen.

Resignation macht sich in Ihnen breit. Doch da, durch den schmalen Schlitz zwischen Badzimmertür und Türrahmen, erstrahlt auf einmal ein hell gleißendes Licht und ARD-Jedi-Ritter Luke Skywalker – pardon! – Jochen Leufgens (die beiden sehen sich durch die Pilzkopf-Frisur aber auch zum Verwechseln ähnlich) betritt den Raum.

Mit beklemmter, pathetisch hauchender Stimme erklärt er Ihnen, dass nun, wo die Mannschaft draußen ist, der Blick freier sei und man diesen auf die Fassaden hinter der WM werfen könne. Jetzt könne man den Fokus verstärkt auf die Missstände beim Stadienbau und auf die Menschenrechtsverletzungen in Russland richten. Dies berge eine ganz eigene Fußballromantik.

Welch zeitloser Kommentar! Er hätte genauso gut zu der WM in Brasilien 2014 gepasst, nur war es da in Ordnung, dass „der Ball weiter rollt“. Die Frage, wo bei dieser WM ein vergleichbarer Kommentar aus dem Hause ARD und Co. zu finden war, wurde bereits gestellt.

Hinreißend, wie sich Jedi-Meister Leufgens gegen das russische Imperium erhebt, dessen Todesstern genau unter die Lupe nimmt. Da kann man das brasilianische Tatooine schon mal aus den Augen verlieren.

Brot in Russland, Spiele in Deutschland

Jetzt ist’s aber gut mit der Polemik! Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass sich in keinem Schlangenrachen eine solche Doppelzüngigkeit findet wie in der Presse des Westens! Und dies tritt nun im Zuge der Fußball-WM in Russland besonders zu Tage.

Brot und Spiele! Der pflichtbewusste deutsche Journalist prangert Russland dafür an, dass Brot kaum ausreichend vorhanden sei, während er zu dem Brot hierzulande, welches insbesondere während der WM täglich um ein paar Scheiben erleichtert wird, schweigt. In Russland sind die Spiele selbstverständlich Ablenkung und Propaganda, die von den schrecklichen Missständen ablenken und Russland international in ein gutes Licht rücken sollen, so der Tenor in der deutschen Presse.

In Deutschland selber schweigt man, wenn selbige Spiele den schäbigen Gesetzesvorhaben Rückendeckung geben. Journalistische Schiedsrichter, meist aus alternativen Medien, versucht man auf die postfaktische Fake-News-Ersatzbank zu schicken, oder ihnen mit der eben bereits erwähnten Reform der EU-Urheberrechtsrichtlinie gleich komplett die Trillerpfeife wegzunehmen.

Es ist zum Mäuse melken! Und zu allem Überfluss landen jene Molkerei-Erzeugnisse mehr und mehr in den Händen weniger Reicher – und seit dieser WM noch stärker in denen der Politiker –, während die Bevölkerung immer weniger Mäuse in den Taschen hat, dies aber im Hypnose-Bann von WMs, EMs, Olympiaden, ESC-Finalrunden und anderen, ihr als wichtig verkauften Ereignissen, gar nicht oder erst zu spät mitbekommt. Als Sündenbock für die gähnende Leere in den Staatskassen halten dann stets die Flüchtlinge her, also jene, die gar nichts mehr haben.

Um den unverhältnismäßigen militärischen Forderungen des taumelnden Riesen der ehemaligen Großmacht USA gerecht zu werden, werden Truppen und Vermögen Richtung Osten, also an die sogenannte Ostfront, bewegt. Die Nationalelf kehrt heim, die Truppe bleibt. Und während in der Heimat Armut, Obdachlosigkeit und Flaschensammler fest zum Straßenbild gehören, plant die EU-Kommission, die Fernstraßen für 6,5 Milliarden Euro wieder panzertauglich zu machen und ein überdimensionales NATO-Hauptquartier bei Ulm zu errichten. Das ist dann wohl der „Pulse of Europe“, in dem der Fußball-Fan seinem eigenen Untergang entgegenjubelt!

„Schwere körperliche Arbeit, die Sorge um Heim und Kinder, kleinliche Streitigkeiten mit Nachbarn, Kino, Fußball, Bier und vor allem Glücksspiele füllten den Rahmen ihres Denkens aus. Es war nicht schwer, sie unter Kontrolle zu halten.“
– George Orwell, 1984


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