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Wer lebt, stört

Wer lebt, stört

Bayern will seelisch Bedürftige wie Straftäter behandeln.

Aktuell werde ich mit Nachrichten über das Polizeiaufgabengesetz (PAG) bombardiert, worüber ich ausführlich mit Freunden spreche. Erschreckenderweise jedoch meist im Monolog meinerseits, da sich kaum einer wirklich damit befasst. Selten, aber umso erfreulicher, sind allerdings Gespräche mit wirklich informierten Mitbürgern. Einer von ihnen machte mich auf eine weitere Neuheit des bayerischen Regierungssystems aufmerksam: einen Gesetzesentwurf namens „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“.

Hört sich zunächst nicht so schlimm an. Das Wort „Hilfe“ suggeriert sogar, dass vom Gesetz Betroffene in irgendeiner Weise unterstützt werden sollen. Allerdings sieht die Wahrheit dann doch ganz anders aus: Menschen, die an psychischen Problemen leiden, sollen zukünftig wie Straftäter behandelt werden.

Dazu gehören auch die Regelung der Besuchszeiten in Kliniken, strenge Überwachung und Leibesvisitationen. Ebenso sollen alle Daten Betroffener in einer Datei, der „Unterbringungsdatei“, für fünf Jahre gespeichert und der Polizei zur Verfügung gestellt werden, Betroffene werden von Haus aus als „Gefährder“ eingestuft.

Dieser „Gefährder“-Vermerk wirft für mich viele Fragen auf: Kommt jetzt jeder Betroffene in diese Datei oder nur Menschen, die bereits in stationärer Behandlung waren? Werden auch vergangene Aufenthalte registriert oder nur zukünftige? Und wie viel Mehr an Überwachung betrifft bereits registrierte Menschen, wenn durch das PAG sowieso jeder 24 Stunden täglich überwacht wird?

Interessieren würde mich auch, ob die registrierten „Gefährder“ automatisch einen Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis bekommen, selbst dann, wenn sie niemals eine Straftat begangen haben. Dürfen diese Menschen dann noch jeden Beruf ausüben oder werden sie in irgendein Bürokämmerchen verbannt? Kann ich Menschen, die mir unsympathisch sind, bei der Polizei als psychisch krank melden und sie somit aus dem Weg räumen? Und wieso kommt mir das alles so unglaublich bekannt vor?

Es gehen mir so viele Fragen durch den Kopf, dass ich das völlige Desinteresse, das die Bevölkerung hierzu scheinbar an den Tag legt, einfach nicht nachvollziehen kann. Was man psychisch kranken Menschen damit antut, scheint niemanden zu interessieren. Stigmatisierung, Diskriminierung, Diskreditierung und nicht zuletzt Kriminalisierung sind nur einige Begriffe, die auf dieses menschenverachtende Gesetz zutreffen.

Ich glaube jedoch, es ist leicht, sich nicht damit zu befassen, wenn man selbst nicht betroffen ist. Ich allerdings kann nicht wegsehen. Nicht, ohne dabei meine Rechte aufzugeben, und Aufgeben war noch nie mein Ding.

Was also wird mit mir passieren, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt? Wegen schwerer Schicksalsschläge habe ich freiwillig eine Klinik aufgesucht, den Verlauf und die Dauer des Aufenthaltes bestimmte ich selbst. Trotzdem erstellten die Ärzte für mich eine Diagnose, sodass ich seitdem als psychisch kranker Mensch gelte.

Ich habe mich nie dafür geschämt, immer offen darüber gesprochen, weil ich davon ausging, dass das in der heutigen Zeit kein Problem mehr sei. Umso trauriger finde ich nun die Erkenntnis, dass ich zukünftig auf einem Level mit einem Straftäter stehen soll. Ich habe andere Menschen nie verletzt und war stets bemüht, die Regeln einzuhalten und ein vorbildlicher Bürger zu sein.
Trotz aller Schwierigkeiten führe ich ein normales, geregeltes Leben – Schulabschluss, Ausbildung, Studium – und ich bin damit gewiss kein Einzelfall!

Dennoch soll ich jetzt behandelt werden, als hätte ich auf voller Linie versagt. Was macht mich denn für andere Menschen so gefährlich? Etwa die Tatsache, dass ich mir Hilfe gesucht habe, als ich selbst nicht weiterkam? Sollten wir uns nicht eher vor den Menschen fürchten, die keine Hilfe in Anspruch nehmen? Falls dieses Gesetz in Kraft tritt, wird das ohnehin kaum jemand mehr freiwillig tun wollen, aus Angst vor den folgenden Konsequenzen.

Wie diese Konsequenzen genau aussehen sollen, ist noch unklar. Trotzdem steigt in mir die Angst, zukünftig gehörig eingeschränkt zu sein. Darf ich mich als „Gefährder“ noch frei bewegen oder werde ich ununterbrochen vom Geheimdienst überwacht?

Und wie sieht meine berufliche Perspektive aus? Ist eine Arbeit mit Kindern für mich dann überhaupt noch möglich? Lohnt es sich denn für mich, noch weiter zu studieren? Fest steht jedenfalls, dass dieses Gesetz, das unverschämterweise das Wort „Hilfe“ beinhaltet, keine wirkliche Hilfe für psychisch kranke Menschen wie mich darstellt. Im Gegenteil, es kann im schlimmsten Fall ganze Leben zerstören; Leben, für die Menschen sehr hart gearbeitet haben!

Letztendlich bedeutet dieses Gesetz einen Kampf zwischen Sicherheit und Freiheit, bei dem nur eine Partei gewinnen kann. Doch fraglich ist allemal, ob die Freiheitsberaubung einiger unschuldiger Bürger wirklich gerechtfertigt ist, nur um den anderen einen Gewinn an Sicherheit vorzugaukeln. Einer Sicherheit, die gar nicht gewährleistet werden muss, da von psychisch kranken Menschen nicht grundsätzlich Gefahr ausgeht.

Ich kann mich hier nur für die Freiheit entscheiden! Dieses Gesetz wird, wenn es in Kraft tritt, mehr Probleme schaffen, als es zu lösen versucht. Kaum jemand wird mehr Hilfe in Anspruch nehmen, und erst das wird wirkliche „Gefährder“ hervorbringen. Sollen wir es so weit kommen lassen?


Der PatVerfü-Kino-Spot: „Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!“


Alica Meiler, Jahrgang 1991, möchte am liebsten alle Missstände der Welt bereinigen und sucht nach einem geeigneten Allheilmittel. Bisher setzt sie sich für Tiere ein und unterstützt Hilfsorganisationen. Nebenbei studiert sie noch Theater- und Medienwissenschaften in Verbindung mit Pädagogik, um zukünftigen Generationen bessere Werte vermitteln zu können.


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